"Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt"
EU einigt sich auf Sanktionierung schwerwiegender Umweltschäden, die "mit Ökozid vergleichbar" sind
Die EU hat sich darauf geeinigt, einen neuen Straftatbestand gesetzlich zu verankern, mit dem die schwersten Umweltverbrechen bestraft werden sollen.
Am Donnerstagnachmittag stimmte die Europäische Union in Brüssel für eine Verschärfung ihrer "Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt". Die Richtlinie sieht nun vor, dass gegen spezifische schwere Fälle der Zerstörung von Ökosystemen, einschließlich der Zerstörung von Lebensräumen und des illegalen Holzeinschlags, direkt vorgegangen wird.
Die EU hat zwar das Wort "Ökozid" nicht in den Text aufgenommen, aber sie hat den vom Europäischen Parlament Anfang des Jahres vorgeschlagenen Text zur Verhütung von Umweltverbrechen sowie die wachsende Zahl von Gesetzesentwürfen zum Thema Ökozid, die sowohl in Europa als auch in der ganzen Welt bereits vorgelegt oder verabschiedet wurden, klar zur Kenntnis genommen.
Der endgültige Text wurde am Donnerstag den 16.11.23 nach mehrmonatigen Verhandlungen ("Trilog") zwischen dem Europäischen Rat, der Kommission und dem Parlament vorgelegt, in denen unter anderem die Einführung eines "qualifizierten Straftatbestands" zur Verhinderung und Bestrafung schwerster Umweltschäden erörtert wurde - einschließlich, wie es in den begleitenden Erwägungsgründen heißt, "mit Ökozid vergleichbarer Fälle". Der Text wird in den kommenden Monaten formal verabschiedet, die entscheidende politische Einigung ist gestern erzielt worden.
Der vom Europäischen Parlament vorgeschlagene Text folgte einem einstimmigen Beschluss des Rechtsausschusses im März 2023. Darin wird vorgeschlagen, dass "die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass jedes Verhalten, das einen schweren und entweder weit verbreiteten oder langfristigen oder irreversiblen Schaden verursacht, als besonders schwere Straftat behandelt und als solche im Einklang mit den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten geahndet wird".
Dies lehnt sich eng an die vorgeschlagene Definition von Ökozid als internationales Verbrechen an, die von einem unabhängigen Expertengremium, das von der Stop Ecocide Foundation im Jahr 2021 einberufen wurde, ausgearbeitet wurde und die weltweit ein schnell wachsendes Interesse bei Regierungen, Juristen, Wissenschaftlern und Medien ausgelöst hat.
Der endgültige Text der EU steht im Einklang mit dem Sinn der internationalen Definition und ist das erste Mal, dass ein Gesetz auf europäischer Ebene schwere Naturzerstörung als eigenständige Straftat anerkennt.
Das öffentliche Interesse an der Anerkennung von Ökozid, bzw. Verbrechen auf Ökozid-Niveau ist unbestreitbar vorhanden und wächst. Eine Koalition aus Politiker:innen, Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft setzt sich seit über einem Jahr für die Aufnahme des Themas in die Richtlinie ein. Eine von WeMove Europe und Avaaz dazu organisierte Online-Petition erhielt über 617.000 Unterschriften.
Jojo Mehta, Mitbegründerin und Geschäftsführerin von Stop Ecocide International, sagte:
"Wir freuen uns sehr über dieses Ergebnis. Der beschlossene Text ist ein enorm wichtiger Schritt und ein großer Gewinn für die Natur, da er den strafrechtlichen Umweltschutz in der gesamten EU erheblich stärkt. Das Europäische Parlament hat im März echte Führungsstärke bewiesen, indem es sich für einen starken Text eingesetzt hat, und die Verhandlungen mit der Kommission und dem Rat haben zu einer Richtlinie geführt, die den Mitgliedstaaten tatsächlich dabei helfen wird, Umweltschäden viel ernster zu nehmen. Dies ist sehr bedeutsam und unbedingt zu begrüßen, und wir können aus der schnell wachsenden Dynamik der Ökozid-Initiative ersehen, dass es nicht lange dauern wird, bis sich die europäischen Staaten in ihren eigenen Rechtssystemen eingehender damit befassen werden. Ich habe keinen Zweifel daran, dass es bei der raschen Entwicklung nur eine Frage der Zeit ist, bis Ökozid im Strafrecht auf allen Ebenen anerkannt wird.”
Die Europaabgeordnete Marie Toussaint, die eine zentrale Rolle bei den Verhandlungen spielte, führte aus:
"Der verabschiedete Text kann ein neues Zeitalter der Umweltgerichtsbarkeit in Europa einleiten, denn wir haben einen grundlegenden Sieg errungen, der über unsere Grenzen hinaus reicht. Im europäischen politischen Kontext ist dieser Text eine wichtige Unterstützung für all jene, die die Umwelt vor Gericht verteidigen und die Straffreiheit krimineller Unternehmen bekämpfen, die sich allzu oft über die Gesetze hinwegsetzen und derzeit daran arbeiten, die Umweltdemokratie in Europa auszuhebeln. Umweltkriminalität ist weltweit auf dem Vormarsch, sie gilt inzwischen als ebenso lukrativ wie der Drogenhandel und trägt zur Zerstörung der Lebensbedingungen auf der Erde bei. Mit dieser Vereinbarung beschließt die Europäische Union einige der ehrgeizigsten Rechtsvorschriften der Welt. Wir werden weiter dafür kämpfen, dass nie wieder Lebewesen im Namen des Profits geschädigt werden können. Es ist nun wichtig, dass die EU-Mitgliedstaaten vorschlagen, Ökozid als eigenständigen Straftatbestand in das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs aufzunehmen.”
Wolf Hingst, Teamleiter von Stop Ecocide Deutschland, betonte:
"Das ist ein Paradigmenwechsel von historischer Bedeutung: Die Abwägungen zwischen Naturund Artenschutz – und damit auch dem Klimaschutz – einerseits und wirtschaftlichen Interessen andererseits werden auf eine völlig neue Grundlage gestellt. Wenn Ökozid international vom Kavaliersdelikt zum Kapitalverbrechen wird, werden sich Multimilliarden-Investments neue und nachhaltigere Wege suchen, anstatt neue Orte für alte Praktiken."
In diesem Jahr wurden in Belgien, den Niederlanden, Italien und Spanien Ökozid-Gesetzesentwürfe vorgeschlagen oder werden derzeit ausgearbeitet. Stop Ecocide International ist der Ansicht, dass jeder neu vorgeschlagene Gesetzesentwurf ein Signal an die politischen Entscheidungsträger:innen der EU sendet, dass es ein echtes politisches und gesellschaftliches Interesse an wirkungsvollen rechtlichen Maßnahmen gibt, die schwersten Schäden an der Natur zu verhindern und zu bestrafen.
Über die internationale Organisation Stop Ecocide:
Stop Ecocide International (SEI) wurde 2017 von der wegweisenden Anwältin Polly Higgins (1968-2019) und der derzeitigen Geschäftsführerin Jojo Mehta gegründet.
SEI ist die treibende Kraft hinter der wachsenden globalen Bewegung, Ökozid zu einem internationalen Verbrechen zu machen. Unsere Hauptaufgabe besteht darin, sektorübergreifende Unterstützung für dieses Anliegen zu aktivieren und zu entwickeln. Zu diesem Zweck arbeiten wir mit Diplomat:innen, Politiker:innen, Anwält:innen, Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen, indigenen und religiösen Gruppen, Influencer:innen, akademischen Expert:innen, Bewegungen und Einzelpersonen zusammen.
Durch unsere Positionierung am Schnittpunkt von rechtlichen Entwicklungen, politischer Dynamik und öffentlicher Debatte sind wir in einer einzigartigen Position, um die globale Diskussion zu unterstützen und zu verstärken.
Unser internationales Kernteam arbeitet in vielen Teilen der Welt und wird vom Vereinigten Königreich aus von Stop Ecocide International Ltd. geleitet.
Unsere gemeinnützige Einrichtung, die Stop Ecocide Foundation, wurde im November 2019 in den Niederlanden gegründet, um die wachsende Bewegung zu unterstützen, und ist das wichtigste Instrument für die Mittelbeschaffung und die Auftragsvergabe für unsere Arbeit. Die Stiftung war die Auftraggeberin des Unabhängigen Expertengremiums für die rechtliche Definition von Ökozid.
Kontakt: STOP ECOCIDE DEUTSCHLAND, Ulrich Voss | deutschland@stopecocide.de | www.stopecocide.de
Umwelt | Umweltschutz, 23.11.2023
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