Zukunftstrend Sorge statt Zuversicht
Zum Jahreswechsel empfiehlt uns Christoph Quarch, die Ego-Bubble zu verlassen und uns neuerlich auf das Leben einzulassen.
Ein Jahreswechsel ist eine gute Gelegenheit, um innezuhalten: zurückzublicken auf das zurückliegende Jahr und dann zu fragen, was die Zukunft bringen wird. Für viele Deutsche aber ist die Aussicht trübe. Eine aktuelle Studie der Stiftung für Zukunftsfragen zeigt, dass jeder zweite unter 34-Jährige mit Angst auf das Jahr 2024 blickt, bei den über 55-Jährigen sind es sogar mehr als zwei Drittel. Der Trend ist eindeutig: Sorge statt Zuversicht. Was ist hier los? Darüber sprechen wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.
Herr Quarch: Wie erklären Sie sich, dass so viele Menschen in
Deutschland mit Sorgen in die Zukunft blicken?

Wollen Sie ausgerechnet an Weihnachten den Kirchen
die Schuld an der Misere geben?
Genau das wäre zu einfach. Auch die schrumpfenden
Mitgliederzahlen der Kirchen – über die auch die Weihnachtsgottesdienste nicht
hinwegtäuschen können – sind nur ein Symptom für das eigentliche „religiöse"
Problem. Wenn ich „religiös" sage, denke ich dabei nicht so sehr an die
bekannten Religionen, sondern an das lateinische Wort religio:
Rückbindung. Denn darum geht es: Die Menschen scheinen mir die Rückbindung
verloren zu haben: die Rückbindung an etwas, woraus sie Kraft, Energie und
Zuversicht ziehen: etwas, das ihrem Leben Sinn gibt. Wo beim Einzelnen der
Sinnhorizont verloren geht, herrschen Sorge, Angst und Depression. Und wenn der
kollektive Sinnhorizont verloren geht, zerfällt eine Gesellschaft.
Genau davor haben der Umfrage zufolge die meisten
Menschen Angst – vor allem die Älteren. Wie kann man dem entgegenwirken?
Vielleicht durch eine Leitkultur, wie Herr Merz sie fordert?
Kultur kann man niemandem verordnen. Sie ist da,
oder sie ist nicht da. Wenn die Kultur darniederliegt – was meines Erachtens
der Fall ist – dann muss man Rahmenbedingungen schaffen, in denen sie wachsen
kann. Und diese Aufgabe betrifft die ganze Gesellschaft; das heißt: jeden
Einzelnen. Jede und jeder kann heute damit beginnen, die Abwärtsbewegung zu
stoppen, indem man sich aus der Bubble der Selbstbezüglichkeit befreit. Das ist
das Wichtigste: sich klar machen, dass man nicht alleine auf der Welt ist; dass
es andere gibt, mit denen man verbunden ist; dass man sich gegenseitig stärken
und unterstützen kann. Das Wichtigste ist es, das Vertrauen zurückzugewinnen:
das Vertrauen ins Leben, in andere Menschen, in die eigene Kraft. Vertrauen ist
religio. Vertrauen stiftet Sinn. Mit ihm wächst die Resilienz.
Aber genau da liegt das Problem: Die Deutschen
haben das Vertrauen in die Politik verloren. Steht hier nicht doch die
Regierung in der Schuld?
So etwas behauptet nur die Opposition, die ein
Interesse daran hat, das Vertrauen in die Regierung zu schwächen. Aber das
macht alles nur noch schlimmer. Nein, es bringt uns nicht weiter, den
generellen kollektiven Vertrauensverlust auf die Regierung zu projizieren. Wir
müssen bei uns anfangen – gerade jetzt am Beginn des neuen Jahres. Wir sollten
uns klar machen, dass es uns im Weltmaßstab unglaublich gut geht. Wir dürfen
dankbar sein, dass wir in Frieden leben und arbeiten können. Und mit dem Gefühl
der Dankbarkeit können wir die Ego-Bubble verlassen und uns unseren Mitmenschen
mit Freundlichkeit statt mit Aggression zuwenden. Das ist der erste Schritt ins
Vertrauen. Je weniger wir um unsere eigenen Ansprüche kreisen und uns neuerlich
auf das Leben einlassen, desto leichter wird es uns fallen, dem neuen Jahr mit
Zuversicht zu begegnen.

Gesellschaft | Megatrends, 04.01.2024

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