Retten die Fan-Proteste das Spiel?
Christoph Quarch sieht im Fußball einen letzten Zufluchtsort des Menschlichen in einer ökonomisierten und technisierten Welt.
Sie können aber doch nicht die Augen davor
verschließen, dass die Kommerzialisierung des Fußballs vermutlich irreversibel
ist. Es gibt einen weltweiten Vermarktungskampf der Profiligen. Die englische
Premier League ist der Bundesliga längst davon galoppiert – und stellt
europaweit die erfolgreichsten Vereine.
Genau das zeigt das Problem:
Die Kommerzialisierung des Fußballs verschiebt die Parameter. Als erfolgreich
gilt, wer in der Champions League am weitesten kommt, wer die meisten Spiele
gewinnt, wer die teuersten Spieler verpflichten kann, wer für die Aktionäre die
höchste Rendite erwirtschaftet. Aber darum geht es beim Fußball nicht. Beim
Fußball geht es um Leidenschaft und Begeisterung, um Liebe und Treue auch in
Niederlage und Abstieg. Er ist ein letzter Zufluchtsort des Menschlichen in
einer ökonomisierten und technisierten Welt. Die Fans wissen das. Und sie
wissen auch, dass Finanzinvestoren davon nichts verstehen. Deshalb wittern sie
zu Recht eine Bedrohung ihres Spiels. Sie wollen sich „unseren Fußball", wie
sie sagen, nicht wegnehmen lassen.
Aber es könnte doch sein, dass es ihren Fußball
bald nicht mehr geben wird, wenn die Bundesliga nicht mehr finanzierbar ist –
oder zumindest nicht auf dem hohen Niveau, das man sich wünscht. Selbst sportlich
scheint der deutsche Fußball nicht mehr voll konkurrenzfähig.
Ja, aber nicht aus
finanziellen Gründen, sondern weil die Kommerzialisierung des Fußballs nur dem
passiven Konsum zugutekommt, aber nicht dem aktiven Sport. Ich bin gerade in
Spanien. In jedem Dorf gibt es hier einen abends beleuchteten Bolzplatz, auf
dem die Kinder kicken können. Das gibt es in Deutschland nicht. Deshalb – behaupte ich – ist der spanische
Fußball zukunftsfähiger; nicht, weil die Primera División mehr Geld hätte. Dass
der Fußball ohne Geld leben kann, lehrt jeder Schulhof in Kolumbien; dass er
ohne Fans verkümmert, lehrt jedes Geisterspiel vor leeren Rängen. Nein, der
Fußball lebt von den Menschen, die ihn spielen; und er ist erfolgreich, wenn er
die Spielenden begeistert. Dazu gehören auch die Fans, die streng genommen bei
jedem Spiel mitspielen.
Meinen Sie, dass die Fans sich durchsetzen
werden? Für die DFL wäre das ein herber Schlag.
Dass Blackrock ausgestiegen
ist, können die Fans schon mal als Erfolg verbuchen. Es sollte mich nicht
wundern, wenn der verbliebene Konkurrent bald nachzieht. Der Business-Case wird
schlicht zu risikobehaftet, wenn man die Fans gegen sich aufbringt. Um die DFL
tut es mir dabei nicht leid. Durch die mangelnde Transparenz ihrer Entscheidungsfindung
hat sie das Vertrauen der Fans ohne Not zerrüttet. Das zu reparieren wird lange
dauern. Aber vielleicht ist das auch gar nicht so schlimm. Es könnte sein, dass
die Kommerzialisierung des Fußballs ihren Höhepunkt schon überschritten hat und
dass wir bald die Abstürze von FIFA und Premier-League erleben. Der Schaden in
Deutschland wäre dann nur halb so groß.
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