Aufsichtsräte, ESG und Klimawandel
Ein kritischer Blick hinter die Kulissen
Unternehmen müssen die Themen ESG (Environment, Social, Governance) und somit Umwelt, Gesellschaft und gute Führung in ihre Strategien einbeziehen und dazu berichten. Treiber dafür sind zunehmende Naturkatastrophen, öffentlicher Druck und Gesetzesänderungen. Doch obwohl sie die strategischen Interessen einer Firma vertreten, sehen nur fünf Prozent der Aufsichtsratsmitglieder den Klimawandel als eine kritische Priorität. Das muss und wird sich ändern. forum Nachhaltig Wirtschaften will dazu konkret beitragen.
Was braucht es, um die Aufmerksamkeit von Aufsichtsrat und Vorstand auf ESG-Themen zu lenken? Im Gespräch mit den forum-Redakteurinnen Mareen Ewender und Tina Teucher kritisiert der Experte Rudolf X. Ruter die aktuelle Problematik von Aufsichtsräten, mit Nachhaltigkeitsthemen umzugehen, und skizziert, was Führungsstärke und Weitblick im Aufsichtsrat heute und morgen heißen sollte.
Herr Ruter, Unternehmen erleben immer mehr
regulatorische Anforderungen. Was kann Aufsichtsräte motivieren, aktiv für ESG-Themen einzutreten und diese in ihre Prüfungs- und Beratungsaufgaben zu integrieren?
Das sollte keine Frage der Gesetzgebung, sondern eine Frage des Anstands sowie der Sinn- und Werte-Orientierung jedes Unternehmens sein! Der Aufsichtsrat hat ja den gesetzlichen Auftrag, die Geschäftsführung zu beraten und zu überwachen. In seiner Rolle als oberster Überwacher des Vorstands ist es daher notwendig, dass er die Leitlinien einer nachhaltigen Unternehmensführung einfordert und mit verankert. Ehrbare Aufsichtsräte haben sich dieser Aufgabe schon immer gestellt. Sie sind sich bewusst, dass ESG ein kontinuierlicher und integrierter Prozess ist und wie eine Anti-Aging-Creme wirkt: Sie muss jeden Tag aufgetragen werden, aber trotzdem sieht man erst spät die Wirkung.
Wie können Aufsichtsräte ihre Rolle als ESG-Sparringspartner des Vorstands wahrnehmen?
Corporate Governance bildet das Fundament für eine nachhaltige Unternehmensführung und langfristigen Unternehmenserfolg. Wie in einem Garten sind eine erfolgreiche Entwicklung und eine reichliche Ernte nur durch regelmäßiges Säen und Pflegen möglich. Moderne Aufsichtsräte fungieren daher als aktive Gärtner eines gesunden und blühenden Governance-Gartens sowie als Gestalter einer nachhaltigen Unternehmensführung. Aufsichtsräte benötigen deshalb nicht nur fachliche Mindestkenntnisse in Bereichen wie Wirtschaft, Organisation und Recht, sondern auch persönliche Eigenschaften wie Unabhängigkeit, Eigenverantwortlichkeit und die Akzeptanz persönlicher Haftung. Die Stakeholder der jeweiligen Organisation und vor allem der Gesetzgeber werden den Aufsichtsrat bezüglich Nachhaltigkeit zukünftig stärker in die Verantwortung und Haftung nehmen.
Könnte dies zur Zurückhaltung führen, diese Funktion vollständig auszufüllen?
Meiner Meinung nach gibt es keine Zurückhaltung, allenfalls Unvermögen. Ähnlich wie bei anderen großen D-Themen wie Disruption, De-Globalisierung, Demografie, De-Karbonisierung, Digitalisierung, De-Industrialisierung, De-Risking und De-Demokratisierung haben Aufsichtsgremien aufgrund erforderlicher aktueller Kompetenzen und veralteter Arbeitsstrukturen gelegentlich Schwierigkeiten, mit den Herausforderungen Schritt zu halten. Noch haben sich nicht alle Aufsichtsgremien auf die Zukunft ausgerichtet und können sich als „Board of the Future" bezeichnen.
„Viele Aufsichtsräte und Vorstände planen aus der Vergangenheit und können nicht nach vorne denken, wo alles noch gestaltet werden kann."
Rudolf X. Ruter
Es fehlen also Wissen und Fähigkeiten, um den Vorstand zu inspirieren, zu kontrollieren und konkrete Aktivitäten voranzutreiben?
Ja, viele Aufsichtsräte können gar nicht substantiell mitreden. Ein ausreichendes Fachwissen zu den ESG-Gesetzgebungen fehlt zum Teil auch innerhalb der Vorstände und der zweiten Führungsebene in den Unternehmen selbst. Dieses wichtige Thema wird oft genug an vermeintliche Experten und Berater ausgelagert. Was aber auf alle Fälle fehlt, ist das Vordenken! Viele Aufsichtsräte und Vorstände planen aus der Vergangenheit und können nicht nach vorne denken, wo alles noch gestaltet werden kann. Wirkliche Top-Leader erkennt man daran, dass sie die Zukunft des Unternehmens selbst erdenken, erfinden und entwickeln. Sie besitzen die Fähigkeit, sich vorzustellen, was für ihre Organisation und die Gesellschaft zukünftig optimal ist. Aber das erfordert Mut und Entschlossenheit.
Was würden Sie empfehlen, um Aufsichtsräte im Bereich ESG besser aufzustellen?
Bereits vor mehr als zehn Jahren habe ich einen nachhaltigen Fragenkatalog für Aufsichtsräte (siehe Infobox) veröffentlicht. Diese Fragen sollten in den Sitzungen der Aufsichtsgremien als Checklisten genutzt werden, insbesondere von neuen Mitgliedern.
Wo findet man kompetente ESG-Fachexperten, die Aufsichtsräte unterstützen können?
Am einfachsten ist es, über Berufs- und Interessenverbände für Aufsichtsräte und Beiräte zu gehen, wie etwa Financial Experts Association e.V., Arbeitskreis deutscher Aufsichtsrat e.V. oder Aufsichtsräte Mittelstand in Deutschland e.V. Jeder dieser Verbände verfügt bereits über spezifische ESG-Arbeitskreise, in denen auch externe Experten mitwirken.
Finden junge Menschen ausreichend Gehör in Aufsichtsräten?
Diversität hat seit Langem in Aufsichtsgremien Einzug gehalten. Vielfalt in Bezug auf Geschlecht, Kultur, Branche, Alter, Persönlichkeitsstrukturen wird aktiv gefördert. Dennoch sind Aufsichtsgremien keine Spielplätze. Sie dienen der Analyse, Diskussion, Bewertung und Entscheidung über außergewöhnliche Geschäftsvorfälle, Situationen, Entwicklungen und Megatrends, die eine überdurchschnittliche fachliche und persönliche Kompetenz erfordern. Mein Credo: Die Überwachung von Unternehmen sollte von Unternehmern erfolgen. Nur wer zuvor Vorstand oder Geschäftsführer war, kann Vorstände und Geschäftsführer angemessen beraten und überwachen. Hierfür sind in der Regel umfangreiche praktische Berufs- und Lebenserfahrungen erforderlich. Insgesamt benötigen wir in Deutschland etwa 200.000 Aufsichtsräte und Beiräte. Ausschließlich junge Personen sind in diesem Zusammenhang leider nicht die Lösung.
Warum nehmen viele Aufsichtsräte den Klimawandel und die gesamte ESG-Gesetzgebung noch nicht ernst?
Die Politik darf nicht nur Gesetze und Vorschriften erlassen und veröffentlichen, sondern muss auch sicherstellen, dass sie eingehalten werden. Die Finanzdienstleistungsaufsicht setzte einen Anfang mit den am 4. Dezember 2023 bekanntgegebenen Prüfungsschwerpunkten für Konzernabschlüsse. Die Komplexität der Geschäftstätigkeit wird im Lagebericht detailliert dargestellt, um Außenstehenden ein umfassendes Bild von der tatsächlichen Lage des Konzerns zu vermitteln. Informationen zur Organisationsstruktur, zu Geschäftsprozessen, Produkten sowie zu Beschaffungs- und Absatzmärkten müssen aufdecken, wie die Geschäftsleitung den Konzern lenkt und welche Strategien sie zur Zielerreichung verfolgt. Zudem dienen die finanziellen und nicht-finanziellen Leistungsindikatoren zur Fortschrittsmessung. Aufsichtsräte, die hier nicht auf dem neuesten Stand sind, können somit ihren Anforderungen nicht mehr gerecht werden und ausreichend Verantwortung für die Zukunft übernehmen.
Herr Ruter, wir danken für das Gespräch.
Rudolf X. Ruter ist Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsratexperte. Als Mitglied der Expertenkommission des Deutschen Public Corporate Governance-Musterkodex, des Beirats der Financial Experts Association e.V. (Berufsverband für Aufsichtsräte), der Deutschen Digitalen Beiräte und der Beiräte Baden-Württemberg vereint er strategisches Denken mit einem klaren Fokus auf ESG/Nachhaltigkeit und Corporate Governance. Im „Video-Lifestream-Podcast für den Aufsichtsrat" der Directors Academy spricht Rudolf X. Ruter mit herausragenden Persönlichkeiten über Corporate Governance im Unternehmensalltag.
Nachhaltigkeitsfragen für Aufsichtsräte
- Allgemein – Wie lautet unser Verständnis der Nachhaltigkeit?
- Wo liegen die Schwerpunkte unseres Nachhaltigkeitsmanagements?
- Wie ist das Thema ESG im Unternehmensleitbild integriert?
- Inwiefern gibt es eine Nachhaltigkeitsorientierung unserer Governance?
- Wo genau ist sie der wesentliche Bestandteil unserer Strategie?
- Wie lauten unsere konkreten Nachhaltigkeitsziele?
- Wie lauten unsere strategischen Produkt- und Marktziele?
Guter Rat
forum bietet Hilfe in Sachen Aufsichts- und Klimabeirat
Aus eigener Erfahrung stellte forum-Chefredakteur Fritz Lietsch fest, wie gut er als Aufsichtsrat seine Board-Kollegen und den Vorstand auf ESG-Themen hinweisen und durch seine Erfahrungen und sein Netzwerk unterstützen kann. forum will deshalb Aufsichtsräte nicht nur fit für ESG machen und sie über Zukunftsthemen und Innovationschancen aufklären, sondern auch Experten für Nachhaltigkeitsthemen vermitteln, damit sie als Aufsichtsräte und ESG-Beiräte Unternehmen auf dem Weg in die Zukunft begleiten.
Daneben präsentiert das forum Magazin laufend Weiterbildungsangebote zu Nachhaltigkeitsthemen – auch für Aufsichtsräte. Nachfolgend ein kleiner Auszug:
- University of Cambridge, Institute for Sustainability Leadership: Board-Kurs
www.cisl.cam.ac.uk - Hamburg School of Business Administration (HSBA): ESG-Officer
www.hsba.de - Frankfurt School of Finance and Management: ESG Faktoren & Nachhaltigkeitsbericht
execed.frankfurt-school.de - Berner Fachhochschule (BFH): Future Board Fitness
www.bfh.ch - Akademie für internationale Rechnungslegung (IFRS): ESG-Peporting Einstiegswebinar
www.ifrs-akademie.de - International Institute for Management Development (IMD): Driving Sustainability from the Boardroom
imd.org
Weiterbildungsinstitute wie die XU – School of Sustainability (xu.de) oder Emeritus (emeritus.org) haben erkannt, wie wichtig es ist, Boardmitglieder fit für eine enkeltaugliche Zukunft zu machen. Auch die Dienstleister aus Wirtschaftsprüfung, Rechtsberatung, Steuer- und Personalberatung sowie zahlreiche Bildungseinrichtungen und Universitäten bieten umfangreiche Fort- und Weiterbildungen an.
Wer sucht, der findet
Für die Auswahl von Beiräten haben sich Zusammenschlüsse herausgebildet. Nachfolgend zwei Beispiele:
- Deutsche Digitale Beiräte: Die Deutschen Digitalen Beiräte erfüllen nicht nur die klassischen Beiratsaufgaben, sondern haben darüber hinaus einen Fokus auf digitale Themen. Sie sind erfahrene Unternehmer und zugleich Experten auf dem digitalen Markt. Sie helfen Unternehmen, Veränderungsprozesse zu initiieren und umzusetzen. Als Beiräte stehen sie Geschäftsführern und Gesellschaftern als Sparringspartner zur Seite.
- Financial Experts Association e.V.: Der Berufsverband FEA ist die erste bundesweit organisierte Interessenvertretung für unabhängige Finanzexperten in Aufsichtsgremien und hat sich inzwischen als einer der führenden Aufsichtsratsverbände etabliert. Der Verband unterstützt unabhängige Finanzexperten bei ihrer beruflichen Tätigkeit auf den Gebieten der Corporate Governance, des Risikomanagements, der Rechnungslegung, der internen Kontrolle, der Compliance und der Prüfung.
forum berichtet laufend über die Entwicklungen, vermittelt Kandidaten für Aufsichtsratsgremien und Klimabeiräte und arbeitet an einer Liste von Senior-Experts als Service für Unternehmen. Anfragen per E-Mail an f.lietsch@forum-csr.net
Wirtschaft | Führung & Personal, 01.03.2024
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2024 mit dem Schwerpunkt "Der Weg zum Mehrweg – Transport und Logistik" - Jede Menge gute Nachrichten erschienen.
Pioniere der Hoffnung
forum 01/2025 ist erschienen
- Bodendegradation
- ESG-Ratings
- Nachhaltige Awards
- Next-Gen Materialien
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