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Stromnetze - Backbone der Energiewende

Die Energiewende erfordert von allen Marktakteuren höchste Flexibilität und bietet zahlreiche Chancen

Während in der Öffentlichkeit der Fokus überwiegend auf der Erzeugung erneuerbarer Energien liegt, gilt es einen wesentlichen Aspekt nicht zu übersehen: die Stromnetze! Wenn immer mehr regenerative und damit volatile Energien genutzt und synchronisiert werden sollen, müssen Übertragungsnetze und Verteilnetze fit für die Energiewende gemacht werden. Dabei gibt es zahlreiche Herausforderungen und gleichzeitig vielversprechende Lösungsansätze.
 
Jede Menge neue Infrastruktur ist nötig, um die Energiewende zu bewerkstelligen und die Netze neu auszurichten. © Bayernwerk
Für die meisten privaten Haushalte ist es einfach: Aus der heimischen Steckdose kommt mehr als genügend Strom für die üblichen Anwendungen und auch der Anschluss einer Solaranlage auf dem Dach stellt in der Regel kein Problem dar. Bei Gewerbe und Industrie ist das oftmals anders, hier spielen Großverbraucher eine wesentliche Rolle und selbst Spitzenlasten müssen durch Erzeugung und Netze zuverlässig sichergestellt werden.

Während in den Zeiten einer zentralen Stromerzeugung der Strom nur zu den jeweiligen Verbrauchern übertragen werden musste, ist das Netz heute wesentlich vielfältiger gefordert. Zahlreiche dezentrale Erzeuger wie Solaranlagen, Windräder, Biogasanlagen und Hackschnitzel-Blockheizkraftwerke (BHKWs) speisen Strom zu unterschiedlichen Zeiten und in schwankender Höhe ins Netz ein. Mit Elektroautos und Wärmepumpen kommen neue, große Abnehmermengen hinzu, die nicht nur viel Strom benötigen, sondern dies im Extremfall auch noch zur gleichen Zeit. Wie also können die Netze transformiert und an diese neuen Anforderungen angepasst werden?

Auf welcher Ebene liegen die Probleme?
Modernste Robotertechnologie übernimmt Aufgaben in der Wartung der Netze. Trotzdem bleibt der Fachkräftemangel eine große Herausforderung. © Michael Bartels BayernwerkDas deutsche Stromnetz ist in unterschiedliche Ebenen unterteilt. Ebene 1 ist das Hochspannungsübertragungsnetz mit 380/220 Kilovolt, an das die großen Grundlasterzeuger angeschlossen sind. Dazu gehören die jeweils großen Wasserkraftwerke, Offshore-Windparks, sowie Kohle- und Kernkraftwerke im internationalen Verbund. In den überregionalen, nationalen Verteilnetzen mit 110 Kilovolt findet man als Einspeiser kleinere, regelbare Gas- und Wasserkraftwerke, sowie als Abnehmer die Großindustrie.

In den regionalen Mittelspannungsverteilnetzen mit zehn bis 30 Kilovolt finden sich die typischen Windparks, Freiflächen-PV-Anlagen, Großspeicher und auch Gewerbe- und Industriebetriebe. Interessant wird es, wenn hier mehrere oder größere Solar- oder Windparks angeschlossen werden sollen. Diese können dann meist nicht mehr in die regionalen Mittelspannungsnetze einspeisen, sondern müssen direkt an ein übergeordnetes Umspannwerk angeschlossen werden. Diese sind oftmals weiter vom Erzeuger entfernt, was die Rentabilität einer geplanten Anlage negativ beeinflusst.

Leitungen sind „nie" da, wo neue Anlagen entstehen
Das Stromnetz ist historisch so aufgebaut, dass es Strom von zentralen Erzeugern zu Verbrauchern übertragen kann. Diese sind überwiegend in Städten, Siedlungen, Gewerbegebieten und Industriezentren zu finden. Die Krux ist nur, dass Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien häufig dort entstehen, wo sonst nichts ist: große Solarparks auf freien Flächen, Agri-PV-Anlagen auf landwirtschaftlichen Feldern und Windparks gar in Waldgebieten. Diese Gebiete müssen also zunächst erschlossen werden, was wiederum Geld – und manchmal sehr viel Zeit – kostet. Aktuell finanzieren sich der Bau und Betrieb des Netzes durch die Stromgebühren, konkret die Netzentgelte, die von den Regulierungsbehörden in Form der zulässigen Erlösobergrenzen festgelegt werden. Die Bundesnetzagentur hat ein Interesse daran, die Kosten für Verbraucher gering zu halten und genehmigt daher nur Leitungen, die auch tatsächlich benötigt werden. Eine Leitung in weiser Voraussicht auf eine freie Fläche in ein Planungsvorranggebiet zu legen, weil da eventuell mal ein Solarpark oder Windrad entstehen könnte? Fehlanzeige! Gebaut wird erst, wenn das Projekt genehmigt ist und zahlreiche Auflagen erfüllt sind, denn der Netzbetreiber will ja nicht auf den Kosten sitzen bleiben. Genau dies kann den Anschluss dieses oder jenes Solar- oder Windparks im Zweifel deutlich verzögern und so die Energiewende ausbremsen.

Das sind aber nicht die einzigen Herausforderungen im Ausbau der Erneuerbaren: Lange Lieferzeiten bei Komponenten, Fachkräftemangel, Trassenfindung, sehr konservative Netzsteuerung und regulatorische Vorgaben erschweren den schnellen Ausbau ebenfalls. Für viele Projektierer führen sogenannte Netzverträglichkeitsprüfungen und die Ungewissheiten der Anschlussmöglichkeiten ihrer Vorhaben gegenwärtig zu sehr starken Verzögerungen beim Ausbau von regenerativen Energieerzeugungsanlagen.

Lösungen und Ansätze gibt es bereits!
Trotz teils widriger Rahmenbedingungen sind die Netzbetreiber grundsätzlich daran interessiert, die Netze effizient zu nutzen und schnell zu erweitern. Schließlich ist es gemäß Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) ihre Aufgabe, „ein sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Energieversorgungsnetz diskriminierungsfrei zu betreiben, zu warten und bedarfsgerecht zu optimieren, zu verstärken und auszubauen, soweit es wirtschaftlich zumutbar ist".

Dafür haben sie bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen und auch konkrete Vorschläge erarbeitet, wie zum Beispiel das Konzept der Einspeisesteckdose. Diese Initiative von Bayernwerk und Lechwerken soll den Anschluss von Erneuerbare-Energien-Anlagen ans Netz beschleunigen und effizienter gestalten. Konkret werden dabei ein Hochspannungs-Mittelspannungstransformator oder -umspannwerk so vorbereitet, dass im Baukastenprinzip modular skaliert werden kann, was die Einspeisung von zusätzlichen Erzeugern ermöglicht. Die Einspeisesteckdose integriert somit erneuerbare Energien ins Stromnetz und ermöglicht:
  • die Bereitstellung sicher planbarer Standorte für Erneuerbare-Energien-Anlagen aufgrund vorhandener Netzkapazitäten,
  • die Vereinfachung und Beschleunigung der Netzanschlussprozesse,
  • die gezielte Ansiedlung von Erneuerbare-Energien-Anlagen im Umfeld der Steckdose.
 Energieerzeugung, Handel, Übertragung und Verbrauch im Wandel: Die Energiewende erfordert von allen Marktakteuren höchste Flexibilität und bietet zahlreiche Chancen. Heinrich-Böll-Stiftung, Energieatlas 2018, © Verband kommunaler Unternehmen (VKU)

Netzausbau mit Kupfer, Köpfchen und KI
Trotz aller Optimierungen sind neue Leitungen in vielen Bereichen unabdingbar. Dafür nimmt beispielsweise allein die Bayernwerk AG in den Jahren 2024 bis 2026 über fünf Milliarden Euro in die Hand, um zusätzliche 540 Kilometer Hochspannungsleitung, etwas mehr als 10.000 Kilometer Mittelspannungsleitung, knapp 10.000 Kilometer Niederspannungsleitung, 173 Umspannwerke und 8.500 digitale Ortsnetzstationen zu bauen. Darüber hinaus werden bestehende Leitungen und Trassen aufgerüstet, um auch dort noch mehr Strom übertragen zu können. Ein weiterer wichtiger Schritt sind Stromspeicher in unmittelbarer Nähe zu Erzeugeranlagen. Sie tragen dazu bei, das Netz zu stabilisieren und vor Überlastung zu schützen. Auch regelbare Lasten werden eine wichtige Rolle spielen, ebenso Verbraucher in unmittelbarer Nähe der Erzeuger. Am besten ist es, den Strom möglichst dort zu erzeugen, wo er verbraucht wird, also zum Beispiel auf den Dächern und Parkplätzen von Fabriken. Damit findet bereits in den lokalen Netzen der Stromaustausch statt, ohne die übergeordneten Netze zu belasten (Micro Grids).

Ein weiterer und wesentlicher Bestandteil ist die Intelligenz, die in die Netze eingebaut wird und sie so zu Smart Grids macht. So sorgen KI-Sensoren an den Leitungen für Echtzeitüberwachung und ermöglichen, dass situativ mehr Strom übertragen werden kann als bisher. Dafür werden Temperatur, Sonneneinstrahlung, Wind, Leitungsneigung und andere Parameter berücksichtigt, um zu ermitteln, wie viel Strom gefahrlos fließen darf. Über Lerneffekte und Erfahrungswerte kann die KI dann in Verbindung mit Wetterdaten die wärmebedingte Ausdehnung der Leitung und damit das Durchhängen ermitteln und Prognosen für Übertragungskapazitäten erstellen. So kann mehr Strom übertragen werden, als traditionell durch konservative Annahmen und Berechnungen möglich ist. Weiter können mittels digitaler Zwillinge von Netzen, Umspannwerken und Verteilern zusätzliche Lasten und Verbraucher simuliert werden.

Ohne Fachkräfte kein Ausbau
Egal, ob mit Kupfer oder Köpfchen gebaut wird: Irgendwer muss die Arbeit machen. Die Netzbetreiber müssen hier aktiv vorangehen, Partnerschaften schließen und schnellstmöglich Fachkräfte für die Energiewende ausbilden. So hat zum Beispiel die Bayernwerk AG in Zusammenarbeit mit der IHK-Akademie Ostbayern und der Technischen Hochschule Ingolstadt eine eigene Akademie gegründet, in der die Spezialisten von morgen auf die Aufgaben von übermorgen vorbereitet werden. Doch in vielen Bereichen sind den Netzbetreibern die Hände gebunden. Konzepte helfen nur, wenn sie umgesetzt und auch finanziert werden. Hier hinkt der regulatorische Rahmen oftmals hinterher. Dazu haben die Unternehmen zahlreiche Vorschläge erarbeitet und an Politik und Regulierungsbehörden übergeben. Ein Maßnahmenplan mit ganz konkreten Umsetzungsvorschlägen soll helfen, bürokratische Hürden abzubauen, Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und auch mehr Genehmigungen umzusetzen. So sollen beispielsweise Anträge nicht mehr einzeln bearbeitet, sondern geclustert werden, damit Konzepte wie die Energiesteckdose auch umsetzbar sind. Ebenso wichtig ist eine Akzeptanzkampagne zum notwendigen Infrastrukturausbau durch Politik, Energiewirtschaft, Kommunen und Verbände.

Daneben gibt es zahlreiche weitere Maßnahmen, die zur Beschleunigung der Energiewende und insbesondere zum Netzausbau beitragen können. Nun sind Politik und Regulierungsbehörden gefragt, diese auch umzusetzen, sodass die dringend notwendige Transformation nicht ausgebremst wird.

Während in der Öffentlichkeit der Fokus überwiegend auf der Erzeugung erneuerbarer Energien liegt, gilt es einen wesentlichen Aspekt nicht zu übersehen: die Stromnetze! Wenn immer mehr regenerative und damit volatile Energien genutzt und synchronisiert werden sollen, müssen Übertragungsnetze und Verteilnetze fit für die Energiewende gemacht werden. Dabei gibt es zahlreiche Herausforderungen und gleichzeitig vielversprechende Lösungsansätze.

Eine Internationale Herausforderung
So unterschiedlich die Energiesysteme in den verschiedenen Staaten Europas auch sein mögen, vom stark durch Wasserkraft geprägten Schweden bis hin zum an Kernkraftwerken reichen Frankreich, die Herausforderungen für die Betreiber der Verteilnetze sind die gleichen: Die Lastflüsse auf den unteren Spannungsebenen werden größer, stärker schwanken und zunehmend schwerer zu berechnen und zu prognostizieren sein. Zudem verschiebt sich die Hierarchie der Spannungsebenen, weil der immer mehr an Bedeutung gewinnende Strom aus erneuerbaren Energiequellen vielfach dezentral erzeugt und in die Verteilnetze eingespeist wird. Dieser Paradigmenwandel erfordert neues Denken, neue Techniken und neue Methoden.

Kai Platz ist Wirtschaftsingenieur, begeisterter Treiber des Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft und im forum-Team u.a. für das Thema „Lösungen" zuständig.

Kontakt: www.thesmartere.de


Technik | Energie, 27.05.2024
Dieser Artikel ist in forum 03/2024 mit dem Schwerpunkt „Wirtschaft im Wandel – Lieferkettengesetz, CSRD und regionale Wertschöpfung" - Positiver Wandel der Wirtschaft? – So kann's gehen erschienen.
     
        
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