Reparieren geht über Verlieren
Wie Smartphones, Toaster und Staubsauger ein zweites Leben erhalten
Jeden Tag fallen in Deutschland über 1.000 Tonnen Tonnen Elektroschrott an – eine gigantische Verschwendung von Ressourcen und Energie. Defekte Geräte können nur schwer repariert werden und lediglich 38,6 Prozent des Elektroschrotts werden laut Umweltbundesamt gesammelt und recycelt. Dabei wäre die Reparatur der beste Weg zu echter Nachhaltigkeit. Bringt das neue EU-Recht auf Reparatur jetzt die Wende?
Eine Nähmaschine rattert, ein Staubsauger röchelt kurz auf, klimpernd fällt ein Schraubenzieher zu Boden. Kaffeeduft zieht durch den Raum. Werkzeuge liegen auf Tischen bereit. Dazwischen aufgeschraubte und zerlegte Gegenstände, über die sich Menschen zu zweit oder zu dritt beugen. Aufmerksam inspizieren sie die Innereien dieser Gerätschaften – auf der Suche nach den Ursachen der Defekte – und fachsimpeln, wie eine Reparaturlösung aussehen könnte. Es wird geschraubt, hantiert, geklebt, gelötet, geölt, vereinzelt vielleicht auch mal leise geflucht. Und dann sind da immer wieder die Freudenmomente, wenn eine Reparatur von Erfolg gekrönt wird – und ein Mixer wieder rührt, ein Wasserkocher wieder heizt.
Reparaturcafés – gemeinsames ehrenamtliches Reparieren
So oder so ähnlich geht es zu in Reparaturcafés. Hilfe zur Selbsthilfe ist das Motto dieser ehrenamtlich, auf Spendenbasis getragenen, nicht-kommerziellen Reparaturveranstaltungen. Alles, was mit eigenen Händen tragbar ist, kann ins Reparaturcafé mitgebracht werden. Am häufigsten sind das kaputte Haushaltsgeräte, aber je nach Kenntnissen der Ehrenamtlichen werden auch Smartphones, Laptops, Fahrräder oder Textilien repariert. Was die Menschen hier vereint, ist die Lust am Schrauben, Werkeln und Reparieren – und die Motivation, dadurch einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten für Ressourcenschonung, Müllvermeidung und damit Umweltschutz.
Anfang der 2010er Jahre wanderte das in den Niederlanden entstandene Repair-Café-Konzept auch nach Deutschland. Über 2000 solcher Initiativen gibt es bereits. Seit 2014 vernetzt die gemeinnützige Stiftung „anstiftung" diese Projekte und gründete das Netzwerk Reparatur-Initiativen. Es ist einerseits Anlaufstelle für Informationen und Beratung rund um die Gründung und Durchführung eines Reparaturcafés. Andererseits finden Menschen mit Reparaturbedarf über den digitalen Kalender und die Landkarte Reparaturcafés in ihrer Region. Zusätzlich verhilft das Netzwerk Reparatur-Initiativen zu gesellschaftlicher und medialer Sichtbarkeit.
Was eine Reparatur verhindern kann
Die Erfolgsquote der Reparatur-Initiativen ist beachtlich: Immerhin 60 bis70 Prozent der unternommenen Reparaturversuche gelingen und die wiederhergestellten Dinge können länger genutzt werden. Leider stoßen die Reparierenden in den elektrischen Geräten jedoch auch auf reparaturverhindernde Komponenten. So sind die Plastikgehäuse von modernen Elektrogeräten aufgrund von Verklebungen, Verschweißungen oder Clip-Verbindungen kaum zerstörungsfrei zu öffnen, geschweige denn nach der Reparatur wieder funktional zusammenzusetzen, während man Geräte älterer Generation noch problemlos mit handelsüblichem Werkzeug aufschrauben und in die einzelnen Bauteile zerlegen kann. Falls bei den modernen Geräten doch Schrauben zu finden sind, erfordern diese oftmals spezielle Schraubendreher oder sie sind versenkt und kaum erreichbar. In den schwierig zu öffnenden Geräten warten weitere Herausforderungen: Fehleranfällig konstruierte Platinen, softwaregesteuerte elektronische Bauteile oder nicht erhältliche Ersatzteile. Der Verdacht auf geplante Obsoleszenz liegt nahe, auch wenn eine vom Umweltbundesamt 2016 durchgeführte Studie keine eindeutigen Nachweise dafür erbringen konnte.
„Es ist eine Katastrophe, mit welcher Gleichgültigkeit Reparaturinitiativen / -möglichkeiten riesige Mengen an hervorragenden Geräten einfach im Müll landen, weil die Infrastrukturen für eine kostengünstige, professionelle Reparatur fehlen."
Die gesetzlichen Bestimmungen und das Recht auf Reparatur
Seit 2018 setzt sich der gemeinnützige Verein „Runder Tisch Reparatur e.V." dafür ein, Missstände zu beheben und eine bessere gesetzliche Grundlage für mehr Reparaturfreundlichkeit zu schaffen. Er kämpft für ein Recht auf Reparatur, was gesetzlich lange nur eine Option für Händler bei Reklamationen beziehungsweise Garantiefällen war. Oftmals wurde diese aus Gründen der Rentabilität durch den kompletten Ersatz eines kaputten Gerätes gelöst – auf Kosten von Umwelt und Ressourcen. Der Verein fordert deshalb ein umfassendes und herstellerunabhängiges Recht auf Reparatur.
Das bedeutet:
- Verfügbarkeit von erschwinglichen Ersatzteilen auch für Privatpersonen und zwar über die gesamte Nutzungsdauer eines Produktes.
- Zugang zu Altgeräten, um daraus Ersatzteile zu gewinnen – was aktuell das Abfallwirtschaftsrecht quasi unmöglich macht.
- Berücksichtigung der Reparierbarkeit im Produktdesign.
- Verbindliche Angaben zur Reparierbarkeit, beispielsweise in Form eines Reparatur-Index.
Die EU-Ökodesign-Anforderungen, die in den vergangenen Jahren verabschiedet wurden, sind ein wichtiger politischer Schritt hin zu mehr Reparaturen. Anfang 2024 einigten sich die EU-Gesetzgeber mit der „Richtlinie zur Förderung der Reparatur defekter oder mangelhafter Waren" nun auf die bisher weitreichendsten Maßnahmen. Dazu zählen erschwingliche Ersatzteile, bereitgestellt durch die Hersteller, sowie ein Verbot von Software- und Hardwarepraktiken, die die Nutzung kompatibler und wiederverwendbarer Ersatzteile erschweren. Hersteller von Alltags-Produkten wie Handys, Staubsaugern oder Kühlschränken werden durch die Richtlinie zur Reparatur verpflichtet, und Reparaturanleitungen der Hersteller sollen auf einer nationalen Plattform verfügbar sein. Zudem wird die Gewährleistung erweitert: Wer eine Reparatur beim Hersteller beauftragt, bekommt eine verlängerte Garantie um ein weiteres Jahr. Die Umsetzung in nationales Recht erfolgt nun schrittweise – hier wird sich der politische Wille für ein echtes Recht auf Reparatur zeigen. Erste Schlupflöcher, wie der Verkauf von Bauteilgruppen statt einzelner Ersatzteile, sowie der schmale Anwendungsbereich auf einige wenige Produkte werden bereits bemängelt. Der „Runde Tisch Reparatur" bleibt aber dran mit seiner Kampagnen- und Lobbyarbeit für Reparierbarkeit für alle(s).
Der Reparaturbonus nach österreichischem Vorbild
Um das Klima zu schützen und Ressourcen zu sparen, muss Reparieren die erste Option sein – vor Neu-, aber auch vor Gebrauchtkauf. Hersteller können in der entsprechenden Produktgestaltung und -herstellung ihren Beitrag dazu leisten. Die Bundespolitik hätte neben der Umsetzung der EU-Richtlinien weitere Möglichkeiten, um Reparatur zu erleichtern, wie eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Reparaturdienstleistungen (wie es in Schweden praktiziert wird) oder einen bundesweiten Reparaturbonus nach österreichischem Vorbild.
Auf Landesebene sind solche Reparaturboni, die Reparaturen finanziell bezuschussen, ein gangbarer Weg. In Thüringen wurden diese Boni bereits erfolgreich erprobt und mehrfach wieder aufgelegt, Sachsen hat nun nachgezogen. Zwischen 2021 und 2023 wurden in der Folge allein in Thüringen über 30.000 Anträge für Reparaturen von Smartphones, Wasch- und Kaffeemaschinen, kleinen und großen Küchengeräten sowie Nähmaschinen gestellt. Der Bonus beträgt jeweils 50 Prozent des Betrages (brutto) der Reparaturrechnung, und jede Person kann bis zu 100 Euro pro Kalenderjahr erhalten.
Katrin Braun, Referentin der Verbraucherzentrale Thüringen e.V. sagte dazu in einem Interview mit forum: „Anhand dieser großen Anzahl an Anträgen sehen wir: Die Thüringer wollen ihren Geräten eine zweite Chance geben und reparieren – der Bonus setzt dafür den entscheidenden Anreiz. Tatsächlich meldeten uns viele Antragsteller zurück, dass sie sich nur deshalb für eine Reparatur entschieden haben, weil es den Reparaturbonus gibt. Ein bundesweiter Reparaturbonus, nach französischem Vorbild statt aus Steuermitteln über einen Fonds finanziert, in den die Hersteller der Geräte einzahlen, wäre sogar ein massiver Anreiz für die Hersteller, langlebigere Geräte anzubieten."
Auch auf Landkreisebene sind die Boni wirksam, wie es der Abfallwirtschaftsbetrieb Starnberg südlich von München vormacht: Hier können Bewohner*innen jährlich bis zu 20 Prozent Zuschuss, maximal 50 Euro, für anfallende Reparaturkosten beantragen.
Der boomende Markt der refurbished Geräte
Wer ein altes, reparierbares Gerät besitzt, das noch weiter sinnvoll verwendet werden soll, oder ein wieder aufbereitetes Gerät erwerben möchte, hat heute eine große Auswahl an Anbietern von refurbished Geräten. Sie kaufen nicht mehr benötigte Geräte von Firmen und Privatpersonen auf, löschen die Daten, prüfen und überholen die Geräte und geben eine Garantie von ein bis drei Jahren auf die aufbereiteten Produkte. Dies sichert Qualität, schont Ressourcen und sensibilisiert Menschen für einen bewussten und nachhaltigen Konsum.
Ina Hemmelmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der anstiftung und koordiniert dort das bundesweite Netzwerk Reparatur-Initiativen. Am Reparieren schätzt sie die Zuwendung zu und Verbindung mit den Gegenständen, die durch diesen handwerklichen Akt entsteht. So werden durch Wertschätzung neue Werte kreiert.
Anbieter von refurbished Geräten
- AfB social & green IT | www.afbshop.de
AfB ist ein gemeinnütziges IT-Unternehmen, in dem 48 Prozent der Angestellten eine Behinderung haben. Es bereitet nicht mehr benötigte IT- und Mobilgeräte von Unternehmen, Banken, Versicherungen und öffentlichen Einrichtungen auf und verkauft sie mit mindestens 12 Monaten Garantie hauptsächlich an Privatpersonen, gemeinnützige Organisationen und Schulen.
- Refurbed | www.refurbed.de
Refurbed ist ein Marktplatz für erneuerte Produkte, die bis zu 40 Prozent günstiger und nachhaltiger gegenüber Neugeräten sind. Die Geräte werden in bis zu 40 Schritten erneuert, sehen aus wie neu und funktionieren wie neu.
- Rebuy | www.rebuy.de
Das Recommerce-Unternehmen rebuy hat eigene Grading-, Refurbishment- und Aufbereitungsprozesse entwickelt und gibt eine dreijährige Garantie auf alle verkauften Elektronikartikel.
- Back Market | www.backmarket.de
Back Market bietet einen Marktplatz für gebrauchte und refurbished Handys, Tablets, Laptops und andere Elektronik.
- Swappie | www.swappie.com
Swappie vertreibt refurbished iPhones und führt den Refurbishing-Prozess komplett selbst durch.
- TKBC | www.tkbc.de
TKBC hilft Unternehmen beim Remarketing von Elektronik, einschließlich Rücknahme, Datenlöschung, Wiederverwertung und fachgerechter Entsorgung.
- circulee | www.circulee.com
circulee ist Anbieter für gebrauchte IT-Hardware im B2B-Bereich und bietet Geschäftskund:innen einen einfachen Weg, um auf Grüne IT umzusteigen.
Reparaturinitiativen / -möglichkeiten
- Netzwerk Reparatur-Initiativen | www.reparatur-initiativen.de
Reparaturinteressierte finden hier Reparaturtermine und -orte in ihrer Region. Wer selbst ein Reparaturcafé gründen möchte, erhält hier Informationen und Beratung rund um das Planen und Durchführen von Reparaturveranstaltungen.
- anstiftung | www.anstiftung.de
Die gemeinnützige Stiftung fördert, vernetzt und erforscht Räume und Netzwerke des Selbermachens wie Interkulturelle und urbane Gärten, offene Werkstätten und Reparatur-Initiativen.
- Runder Tisch Reparatur e.V. | www.runder-tisch-reparatur.de
Der Runde Tisch Reparatur ist ein Zusammenschluss aus Umweltschutzverbänden, Handwerksbetrieben, Verbraucherschutzorganisationen und vergleichbaren Institutionen, die sich gemeinsam für ein echtes Recht auf Reparatur einsetzen. Mitmachen und Spenden sind willkommen!
- iFixit | de.ifixit.com
Der Online-Werkzeughändler bietet die wahrscheinlich größte digitale Sammlung gut aufbereiteter Reparaturanleitungen für iPhones und Co. Wer sich selbst ans Reparieren wagen möchte, schaut hier vorbei.
Umwelt | Ressourcen, 01.06.2024
Dieser Artikel ist in forum 03/2024 mit dem Schwerpunkt „Wirtschaft im Wandel – Lieferkettengesetz, CSRD und regionale Wertschöpfung" - Positiver Wandel der Wirtschaft? – So kann's gehen erschienen.
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