Was nichts kostet, wird nicht wertgeschätzt
Interview mit Prof. Dr. Schmidt-Bleek, Präsident des Factor 10 Institute (Frankreich) und Referent auf der 2. ARENA für NACHHALTIGKEIT
Prof. Dr. Schmidt-Bleek |
Müssen die Deutschen demnächst auf ihren hart erarbeiteten Wohlstand verzichten?
Ja, wir werden in absehbarer Zukunft auf Wohlstand verzichten müssen, wenn wir nicht unverzüglich anfangen, Wohlstand mit zumindest zehnfach weniger natürlichen Ressourcen zu produzieren. Technisch geht das, aber keiner innoviert solche Technik, weil man heute damit pleite geht.
Sie sprechen von Dematerialisierung. Wie soll das vor sich gehen?
Nehmen wir ein Beispiel: Um ein Auto der Mittelklasse zu produzieren, werden heute mehr als 50 Tonnen natürliches Material verbraucht und bis zu 500 Tonnen Wasser. Bei der Nutzung des Autos werden weitere 50 oder 60 Tonnen Natur fällig. Das macht etwa 500 Gramm Natur - ohne Wasser zu rechnen - für jeden gefahrenen Kilometer. Würde man andere Materialien mit kleineren Rucksäcken verarbeiten, die Größe des Autos auf den wirklichen Bedarf reduzieren und das Auto längerlebig konstruieren - um nur einige Möglichkeiten zu nennen - so könnte der Naturverbrauch auf 10 Prozent des heutigen Verbrauches pro Kilometer reduziert werden. Sie merken schon: Die großen Autobauer würden heute auf diese Weise wesentlich weniger Profit erzielen und sie müssten wohl Arbeiter entlassen.
Immer noch wird an vielen Unis gelehrt, Wasser und Luft seien freie Güter. Haben wir ein Bewusstseins- und Verbildungsproblem?
Was nichts kostet, wird vergeudet. Es ist ein Geheimnis der Volkswirtschaftslehre, warum Wasser, Luft, Sand, Bäume, Gras und Fische - und Tausend andere Dinge - aus der Natur freie, also kostenlose Güter sein sollen. Ohne diese Ressourcen könnten wir gar nicht leben, und ihr unsinniger Verbrauch führt zu Klimaänderungen, Wirbelstürmen, Artenverlust und Überschwemmungen. Wenn wir nicht bereit sind, die Preisstrukturen auf dem Markt zu ändern, sollten wir aufhören, über Nachhaltigkeit zu reden.
Wie sollte der Gesetzgeber regulierend eingreifen? Sollte er überhaupt?
Praktisch alle Volkswirtschaftler haben noch vor kurzer Zeit beschworen, der Staat solle die Finger aus der Finanzwirtschaft lassen! Heute ist selbst in den USA akzeptiert, dass der Markt, so wie er heute organisiert ist, die Probleme nicht lösen kann. Das gilt eben auch für den unsinnigen Verbrauch von Ressourcen der Natur.
Natürlich muss der Gesetzgeber regulierend eingreifen, und zwar so schnell wie möglich. Nur er kann die völlige Schieflage der Wirtschaft, und insbesondere die falsch gepolte Produktion von Wohlstand richten. Zum Beispiel sind die Kosten von Arbeit viel zu hoch. Steuern und Abgaben auf Arbeit sowie die Mehrwertsteuer können gesenkt und dafür Ressourcen kostenneutral vor ihrem Einsatz in der Wirtschaft besteuert werden, auch fossile Brennstoffe. Wir brauchen dringend eine intelligente Ressourceneinspargesetzgebung. Solange die Politik diesen Weg nicht gehen will, konsequent und mutig gehen will, sehe ich für unsere Zukunft schwarz. Und der "kleine Mann" wird bitter dafür bezahlen müssen.
Sie schlagen ein technisches Sofortprogramm vor. Sind wir nicht ohnehin schon Umweltschutz-Weltmeister und führend in der Technik?
Die Behauptung, Deutschland sei Weltmeister im Umweltschutz, ist schlicht unrichtig. Umweltschutz heißt, die für Menschen lebenswichtigen Leistungen der Natur so wenig wie möglich zu beschädigen. Jeder Deutsche verbraucht 70 Tonnen Natur pro Jahr - ohne Wasser. Die Vietnamesen verbrauchen 4 Tonnen im Jahr. Die tatsächlich beispielhaft gute deutsche "Umwelttechnologie" setzt im Wesentlichen am Ende der Wirtschaft an und kann den Verbrauch von natürlichen Ressourcen kaum vermindern, tatsächlich erhöht sie ihn in den meisten Fällen.
Deutschland kann mit Hilfe eines Sofortprogramms, das schätzungsweise etwa 10 Milliarden Euro pro Jahr in weniger als 10 Jahren benötigt, Folgendes erreichen:
- Die Anpassung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen an die Gesetze der Natur gesetzlich regeln;
- die Dematerialisierung der Wirtschaft um einen Faktor 5 erhöhen, basierend auf den Verhältnissen von 2000; das spart etwa 30 bis 50 Prozent Energie;>
- die technischen Voraussetzungen schaffen, die Energieversorgung von Importen abzukoppeln;>
- eine öffentliche zentrale Einrichtung für Informationen und Daten der Dematerialisierung schaffen;>
- die Entwicklung neuer Werkstoffe entscheidend vorantreiben, um knapper werdende natürliche Stoffe zu ersetzen;>
- die Entwicklung kompostierbarer und biologisch abbaubarer Werkstoffe entscheidend weiterbringen, um Teile der Wirtschaft in die biochemischen natürlichen Abläufe zu integrieren.
Technische Ziele für die Nachhaltigkeit wurden von der EU vor Kurzem wie folgt beschrieben:
Öko-Innovation bedeutet die Schaffung neuartiger und marktfähiger Güter, Prozesse, Systeme, Dienstleistungen und Handlungsweisen, die menschliche Bedürfnisse befriedigen und allen Menschen Lebensqualität bieten können mit einem minimalen Input an natürlichen Ressourcen über den gesamten Lebenszyklus (Material, einschließlich Energieträger und Land) pro Einheit Output und einer Minimalen Abgabe von gefährlichen Stoffen.
Quelle:
Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 21.11.2008
Pioniere der Hoffnung
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