Immer vorne dran bleiben!

Das Prinzip Nachhaltigkeit als Wettbewerbsvorteil in Produktion und Logistik


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Den meisten Unternehmen ist zwar durchaus bewusst, dass Effektivität und Kosteneffizienz allein längst schon nicht mehr ausreichen, um erfolgreich am Markt tätig zu sein. Zu groß ist der Druck von Gesetzgeber und Öffentlichkeiten wie Shareholdern, Investoren und Kunden, die Nachhaltigkeitsaspekte bei der Unternehmenssteuerung fordern. Soziale und ökologische Aspekte spielen für die gesamte Wertschöpfungskette eine immer bedeutendere Rolle. Galten bisher vor allem die eindeutigen Faktoren Zeit und Geld als zentrale Messgrößen für alle Unternehmensbereiche, sehen sich die Unternehmen nun mit der Herausforderung konfrontiert, das Prinzip Nachhaltigkeit in allen Dimensionen messbar und steuerbar zu machen.

Unternehmen, die sich der Herausforderung des Nachhaltigkeitsmanagements nicht stellen, laufen in doppelter Hinsicht Gefahr, den Anschluss an den Markt zu verlieren: Die Rohstoffpreise sind immer größeren Schwankungen unterworfen. Ohne konsequente Neuausrichtung auf einen sparsameren und planvollen Umgang mit Ressourcen und einen rechtzeitigen Wechsel zu Alternativen kommen enorme Risiken auf die Unternehmen zu. Zudem achten viele Kunden bei der Kaufentscheidung vor allem auch auf einen Nachhaltigkeitsnachweis des Anbieters, beispielsweise den CO2-Fußabdruck eines Produktes. Die nachgewiesene Nachhaltigkeit ist bereits ein sehr überzeugendes Argument, um höhere Preise durchzusetzen. Unternehmen ohne glaubhafte Nachhaltigkeitsstrategie gefährden daher in der Summe sowohl Umsätze und Kunden als auch ihre Reputation.

Vier Schlüssel zum nachhaltigen Erfolg

In die Betrachtung des Nachhaltigkeitsmanagements sollten idealerweise die folgenden vier wesentlichen "Hebelmechanismen" einfließen:
1. Reputation: Meinungsbildende Gruppen wie Medien oder Aktivistengruppen beeinflussen die Reputation eines Unternehmens und damit häufig auch die Kaufentscheidung des einzelnen Kunden.
2. Individuelle Kaufentscheidung: Der einzelne aufgeklärte Kunde ist durch seine individuelle Wahrnehmung von den Produkteigenschaften eines nachhaltig hergestellten Produktes überzeugt und gegebenenfalls auch bereit, einen höheren Preis zu bezahlen.
3. Verbesserung der Kostenposition: Nachhaltiges Wirtschaften wird allein durch reine Kosteneinsparungen rentabel. Beispiele hierfür finden sich im effizienteren Energieeinsatz.
4. Regulatorische Vorgaben: Regulatorische Eintrittsbarrieren beeinflussen Wettbewerbspositionen von Unternehmen. Durch regulatorische Vorgaben erhöhte Faktorkosten sollten bei einer im üblichen Rahmen durchgeführten Regulierung alle Marktteilnehmer treffen und können daher oft an den Kunden weitergegeben werden.
Vor diesem Hintergrund sollten sich Unternehmen die Frage stellen, welche Mechanismen für sie zutreffen. Insbesondere im Bereich der Reputation und der individuellen Kaufentscheidung ist es wichtig, eine umfassende, langfristige Strategie zu entwickeln. Für die Verbesserung der Kostenposition und Reaktion auf Regulierung ist häufig eine nach innen gerichtete Optimierung ausreichend.

CO2-Fußabdruck verringern

Im Bereich Produktion und Logistik liegt der Fokus des Nachhaltigkeitsmanagements vor allem auf dem Bereich CO2-Optimierung. Allen voran sind Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe sehr darauf bedacht, ihre Emissionen zu reduzieren. Dies gilt ganz besonders für Unternehmen, die gesetzlich dazu verpflichtet sind, am Emissionshandel teilzunehmen, wie beispielsweise aus der Chemieindustrie oder der Energiewirtschaft. Hinzu kommen Unternehmen, für die das Thema CO2 zu einem zentralen Imagekriterium und zu einem zentralen Faktor bei Kaufentscheidungen avanciert, wie beispielsweise in der Konsumgüterindustrie, dem Handel und der Automobilindustrie. Hier werden bereits aufwändige freiwillige CO2-Berechnungen und auch entsprechende Kompensationen vorgenommen.

Umfassendes Life Cycle Management

Doch welche konkreten Lösungsansätze bieten sich mit Blick auf das gesamte Life Cycle Management* eines Produktes an? Für Unternehmen gilt es zunächst einmal, Nachhaltigkeitskriterien und den CO2-Fußabdruck als Entscheidungskriterium in zwei internen Kernprozessen zu integrieren: das langfristige strategische Design des Lieferkettennetzwerks sowie die taktische Planung beziehungsweise operative Abwicklung. Ein optimales Lieferkettennetzwerk bestehend aus Produktionsstandorten, Transportverbindungen, Distributions- sowie Lieferanten- und Kundenstandorten sollte nicht mehr nur nach wirtschaftlichen Kriterien optimiert werden, sondern auch nach ökologischen und sozialen Faktoren. Der größte Hebel für CO2-Einsparungen liegt dabei in einer Verkürzung der Lieferwege sowie CO2-optimierte Produktion und Lagerung. Bei der taktischen Planung und der operativen Abwicklung spielt vor allem die monatliche Mengen- und Wertplanung eine zentrale Rolle. Dieser wesentliche Logistikprozess wurde bisher ebenfalls nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten gestaltet - mit einem Fokus auf die Erfüllung von Mengen und Terminen. Doch nun gilt es, die Entwicklung des CO2-Footprints auch unterjährig mitzuverfolgen und zu steuern und bei allen taktischen Entscheidungen zu berücksichtigen. Zusätzlich sollte der gesamte Lebenszyklus eines Produktes - das heißt inklusive der Kundennutzung, der Entsorgung oder des Recyclings - in die Gesamtrechnung einer Ökobilanz einbezogen werden. So erzeugt in einigen Industrien die Nutzung der Produkte erheblich mehr CO2-Emissionen als bei der Herstellung entstehen, wie zum Beispiel im Bereich Automobil oder Weiße Ware. In anderen Industrien kann besonders viel CO2 bei der Nutzung eingespart werden, wie etwa durch effektive Wärmedämmung.



* Das Modell des Produktlebenszyklus beschreibt den Prozess zwischen der Markteinführung beziehungsweise Fertigstellung eines marktfähigen Gutes und seiner Herausnahme aus dem Markt. Die "Lebensdauer" eines Produktes wird also in mehrere Phasen unterteilt: Entwicklung und Einführung, Wachstum, Reife/Sättigung und Schrumpfung/ Degeneration.




Status quo lässt zu wünschen übrig

Insgesamt kann man jedoch feststellen, dass der CO2-Fußabdruck als Maßstab in den meisten Unternehmen noch nicht in den Logistik- und Produktionsfunktionen angekommen ist. Zwar wurden unternehmensübergreifend zum Teil bereits vor mehreren Jahren Umweltabteilungen mit Fokus auf direkte Emissionen in der Produktion etabliert - in Logistik und Produktion haben entsprechende Projekte, bei denen CO2-Emissionen auf einer detaillierten Ebene für Transportverbindungen, Produktionsstätten oder Lager berechnet werden, jedoch erst in den letzten zwei Jahren begonnen. Gemeinsam mit dem internationalen Wirtschaftsmagazin Economist hat A.T. Kearney eine weltweite Nachhaltigkeits-Studie auf Basis einer Umfrage unter 1.300 Führungskräften zum Stand von Nachhaltigkeit und Klimaschutz in den Unternehmen aller Industrien durchgeführt. Danach besitzen 30 Prozent aller Unternehmen in der Industrie, 28 Prozent im Handel beziehungsweise Dienstleistungssektor und 32 Prozent im Transportbereich bereits eine Nachhaltigkeitsstrategie, die auch die Lieferkette umfasst. Das heißt, dass etwa erst ein Drittel der Unternehmen entsprechende Strategien für Nachhaltigkeit und Klimaschutz entwickelt haben, obwohl 26 Prozent der Industrieunternehmen, 13 Prozent im Handel beziehungsweise Dienstleistungssektor und 26 Prozent im Transportbereich angaben, dass sie dadurch nachweislich auch die CO2- Emissionen senken konnten.

CO2-Transparenz von A bis Z

Somit stellt sich die zentrale Frage, wie diese CO2-Transparenz in der gesamten Beschaffungskette - von Einkauf und Produktion bis hin zu Logistik und Vertrieb - hergestellt werden kann und welche systematischen Schritte dazu erforderlich sind. Ganz pragmatisch sollte der Fokus in puncto CO2-Einsparungen vor allem auf so genannte Quickwins gelegt werden - und dabei auch unter Umständen eine gewisse Fehlertoleranz bei der Berechnung des CO2-Footprints in Kauf genommen werden. Die CO2- Emissionen sollten im erforderlichen Größenverhältnis nach Emissionsart und Standort beziehungsweise Ressource abgeschätzt und top-down sowie bottom-up geprüft werden, so dass zügig erste Ideen für Einsparpotenziale entwickelt werden können. So ergibt sich sehr schnell ein klares Tableau, in dem die Emissionsursache wie Elektrizität, Heizung oder Transport an der jeweiligen Stelle, wie Lager, Produktion oder Transportverbindung, mit Mengengerüst, Kosten und CO2-Ausstoß bewertet und aufsummiert werden kann. Direkte Ideen für Einsparpotenziale ergeben sich dabei meist von selbst. Sie sind die Grundlage für einen Maßnahmenkatalog, der in einem Gesamtprogramm nach CO2- und Kosteneinsparpotenzial Investitionsvolumen sowie Umsetzungsaufwand priorisiert. Typischerweise ist ein solcher Plan in die drei Phasen "Quickwins" (ein bis drei Monate), "Mittelfristig" (drei bis zwölf Monate) und "Langfristig" (ein bis drei Jahre) strukturiert. Eine CO2-Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette bedeutet aber auch, Lösungspartner und Lieferanten nach entsprechend nachhaltigen Kriterien auszuwählen beziehungsweise die Kriterien zum Partner- und Lieferanten-Management um Nachhaltigkeits- Kriterien und -Kennzahlen zu erweitern. Dabei sollten firmen- und produktspezifische Kennzahlen unterschieden werden, um die Fragen zu beantworten, ob der Lieferant grundsätzlich ein nachhaltiges Unternehmen im Sinne einer "Good Global Citizenship" ist und ob die bezogenen Produkte und Leistungen nachhaltig sind. Beides sind Aufgaben für die Einkaufsfunktion im Unternehmen, die hier bestehende Analyseverfahren erweitern und Entscheidungsprozesse überprüfen muss. Mittlerweile gibt es professionelle Informations-Broker, die neben finanziellen Kennzahlen gezielt alle öffentlich zugänglichen Informationen zu Unternehmen, insbesondere zu Umwelt- und Sozialkennzahlen, sammeln (Key Performance Indicators, KPI). Diese KPIs können zusätzlich in das Lieferanten-Portfolio-Management sowie in Auszeichnungen von Lieferanten integriert werden.

IT-Unterstützung ist ein Muss

Für den Erfolg von CO2-Reduktions- Projekten in Produktion und Logistik sind entsprechende Softwarelösungen unerlässlich: Ähnlich wie in der Finanzbuchhaltung sollte langfristig eine "CO2-Buchführung" aufgebaut werden, die alle CO2-Werte bei Einkauf, Produktion, Lagerung und Vertrieb bis zum Kunden erfasst und auswertet. Diese Analyse sollte in die bestehenden ERP- und SCM-Systeme* integriert werden. Erste entsprechende Projekte haben gezeigt, dass es dabei zielführender ist, eine fehlertolerante Lösung zur Kalkulation von CO2-Footprints aufzubauen, auf deren Basis dann für die primären Verursacher Lösungsansätze entwickelt werden können, als eine 100-Prozent-Messlösung, deren Implementierung und Feinjustierung sich über Jahre hinziehen - ohne dass bis dahin Verbesserungshinweise gegeben werden können. Eine echte Softwarelösung für diesen Bereich, die uneingeschränkt empfohlen werden kann, existiert dazu jedoch noch nicht. Bewertungsmethoden und -parameter befinden sich immer noch in der Entwicklungsphase und die zugrunde liegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse verändern sich stetig. Entsprechend hat sich bisher vor allem der Einsatz von flexiblen Berechnungstools wie beispielsweise Microsoft Excel für die Projektarbeit und für den Beginn eines kontinuierlichen CO2-Reportings bewährt.


* Enterprise Resource Planning (ERP): Planung des Einsatzes der Unternehmensressourcen; Supply Chain Management (SCM): Lieferkettenmanagement




Externe Unterstützung lohnt sich

Für eine Standortbestimmung und die Entwicklung entsprechender Optimierungsmaßnahmen bietet es sich zudem an, mit entsprechenden Dienstleistern zusammenzuarbeiten. So hat sich beispielsweise 3C Consulting auf Klimaschutzberatung und die Berechnung von CO2-Emissionen in Unternehmen spezialisiert. Die zugrunde liegenden Berechnungsmethoden sind jedoch noch nicht eindeutig bestimmt. Beispielsweise ist GHG Protocol ein erster Versuch, einen Industriestandard für einheitliche Berechnung aufzustellen. Dies geschieht dann meist mit entsprechenden Softwarelösungen - web-basiert oder in Excel -, die die CO2-Berechnung unterstützen. Hier existieren bereits spezialisierte Tools, die sich zum Beispiel auf transportbezogene Emissionen fokussieren oder aber auch industrieübergreifend Parameter anbieten.

Tue Gutes und lasse alle davon profitieren

Für ein erfolgreiches Nachhaltigkeits- Management zählen eine ganze Reihe unterschiedlicher Faktoren. Im Mittelpunkt steht dabei neben einer langfristigen Perspektive ein ganzheitlicher Ansatz, der die komplette Wertschöpfungskette umfasst. Dass erfolgreiche Nachhaltigkeitsstrategien möglich sind, unterstreichen bereits zahlreiche Best-Practice-Unternehmen, die mit ihren Initiativen führende Marktpositionen aufgebaut haben. Für Unternehmen, die sich bislang noch nicht mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt haben, wird es ohne klare, strategische Positionierung immer schwerer werden, sich gegenüber Wettbewerbern zu behaupten. Der Druck des Marktes und der Stakeholder wächst - und sollte als Chance für eine zukunftssichere Positionierung genutzt werden.



Im Profil
Dr. Carsten Gerhardt, Prinzipal bei A.T. Kearney, ist promovierter Physiker. Seine Karriere als Unternehmensberater begann er 1998 bei The Boston Consulting Group (BCG). Bei A.T. Kearney ist er als Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung für den Bereich Nachhaltigkeit verantwortlich.


Quelle:
Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 21.11.2008

     
        
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