Wetter oder Klima? Europa wird zum Hotspot des Klimawandels
Als Philosoph prognostiziert Christoph Quarch, dass ein klimaneutrales Leben sehr viel schöner sein wird als Leugner befürchten
Man kann die Sache drehen und wenden, wie man will: Der Sommer 2024 kommt nicht in die Gänge. Am Tag scheint die Sonne und es wird heiß, am Abend gewittert es heftig mit Starkregen und Überschwemmungen. Dann wieder Kälte und Regen. Ein stabiles Hoch ist nicht in Sicht. Zumindest nicht in Deutschland. Am Mittelmeer ist die Lage anders: Hitze über 35 Grad, Sonne pur, Waldbrände. Man ahnt, was die Klimaforscher meinten, als sie vor ein paar Jahren sagten, Europa werde zum Hotspot des Klimawandels. Und was machen wir jetzt? In Panik verfallen? Schwierig. So tun als gäb’s das alles nicht? Auch schwierig. Fragen wir den Philosophen.
Herr Quarch: Wie kann man mit der kognitiven Diskrepanz umgehen, einerseits zu wissen, dass wir im Zeitalter von Erderwärmung und Klimawandel leben und andererseits einen verregneten und kühlen Sommer zu erleben?
Ich glaube, beim Wetter spielt die subjektive Wahrnehmung eine außerordentliche Rolle. Meine knapp hundertjährige Nachbarin in Fulda sagt, verregnete Sommer wie diesen hätte es immer schon gegeben. Bekannte aus den bayrischen Hochwassergebieten sind sich sicher, dass es so etwas noch nie gegeben hat. Daran erkennt man: Je nach eigener Erfahrung hat jeder eine andere Idee davon, was beim Wetter „normal" ist und was nicht. Und das Ganze wird noch dadurch verschärft, dass gerade bei diesem Thema der Wunsch sehr häufig Vater des Gedankens ist: Wer den Klimawandel nicht wahrhaben will, sieht im aktuellen Sommer ein Indiz für seine These, wer der Realität des Klimawandels ins Auge zu sehen bereit ist, findet in den Extremwetterlagen die entsprechenden Anhaltspunkte.
Unabhängig von der subjektiven Wahrnehmung gibt es aber doch objektive meteorologische Daten, die einen Wärmerekord nach dem anderen vermelden: Die Meere waren noch nie so warm wie 2024, wir hatten das wärmste Frühjahr seit Beginn der Messungen usw.
Richtig: Die Faktenlage ist eindeutig. Aber das hat Menschen noch nie davon abgehalten, an ihren liebgewonnenen Denkgewohnheiten festzuhalten. Wenn man den Klimawandel nicht wahrhaben will, dann sucht man sich eben im Internet „alternative Fakten". Und man wird rasch fündig, weil es genügend gewiefte Leute gibt, die einem das Blaue vom Himmel erzählen. Diese Leute haben verstanden, dass viele Menschen nicht denen glauben, die mit guten Argumenten und verlässlichen Daten aufwarten – sondern denen, die ihr Wunschdenken bedienen. Wer den Klimawandel leugnet und die Symptome ignoriert, tut das meistens nicht deshalb, weil er die besseren Argumente hat; sondern weil er an seinem Lebenswandel festhalten will und sich deshalb die Welt so zurechtlegt, dass er sich nicht ändern muss.
Sie sagen: Der Wunsch bestimmt die Wahrnehmung. Aber gilt das nicht für alle gleichermaßen? Stecken nicht auch hinter den Erkenntnissen und Daten der Wissenschaft oft handfeste Interessen?
Einerseits ja, andererseits nein. Ja, weil auch die Wissenschaftler nur dasjenige erforschen, wofür sie sich interessieren. Nein, weil sie dabei Methoden anwenden, die für alle anderen Wissenschaftler nachprüfbar sind, so dass die von ihnen ermittelten Daten zuverlässig sind. Das heißt: Die Wärmerekorde, die Sie erwähnt haben, sind Fakt. Die Überschwemmungen sind Fakt, die Waldbrände sind Fakt. Und daran ändert sich nichts, wenn ich im Juli bis 16 Grad und Sturm auf Juist sitze und von der Klimalüge schwadroniere. Fakten sind Fakten, und eine Theorie ist eine gute Theorie, wenn sie diese Fakten kohärent erklärt. Und eine bessere Erklärung als den Klimawandel gibt es für diese Fakten derzeit nicht. Auch wenn es, wie Al Gore sagte, eine inconvenient truth ist: eine unangenehme Wahrheit.
Aber Sie sagen ja selbst: Von dieser unangenehmen Wahrheit können Sie diejenigen nicht überzeugen, die unbedingt an ihrer Weltsicht und an ihren Gewohnheiten festhalten wollen.
Mit diesem Problem hat sich schon Sokrates im alten Athen herumgeschlagen; mit dramatischen Folgen, denn sein tapferer Versuch, seinen Zeitgenossen die Augen für die Wahrheit zu öffnen, führte dazu, dass sie ihn zum Tode verurteilten. Das ist eine Warnung – aber auch ein Ansporn. Von Sokrates kann man lernen, dass zwar nicht Argumente und Fakten die Menschen zum Umdenken bewegen, wohl aber die doppelte Einsicht, dass sie sich selbst schaden, wenn sie so weitermachen wie bisher; und dass sie viel glücklicher werden, wenn sie ihr Leben ändern. Genau darin sehe ich die Aufgabe der Philosophie: den Menschen verständlich zu machen, dass sie gut daran tun, der Realität des Klimawandels in die Augen zu schauen; und ihnen deutlich zu machen, dass ein klimaneutrales Leben sehr viel schöner sein wird als der Irrsinn, den wir heute veranstalten.
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".
Umwelt | Klima, 18.07.2024
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