Die Zukunft liegt im Müll
Logistik-Szenarien 2025
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"Green Logistics" müsste für Logistikdienstleister doch eigentlich synonym sein mit "zusätzlicher Kostenbelastung". Dass führende Logistikunternehmen diese Zusatzbelastung angesichts der ökologischen Gewinne jedoch offensichtlich gerne tragen, ist hoffnungsvoll für uns alle und gleichzeitig eine Warnung an zögerliche Manager: Wer jetzt noch Themen wie Ökologie, Nachhaltigkeit oder Carbon Footprint als vorübergehende Modeerscheinungen oder lästige Kostenfaktoren abtut und sich investiv zurückhält, verbaut sich die eigene Zukunft.
Logistik-Szenarien 2025
In diesen Tagen ist der internationale und interdisziplinäre Nachfolger der erfolgreichen nationalen Studie erschienen: "Future of Logistics 2025: Global Scenarios". Anlässlich der internationalen Konferenz "FUTURE OF LOGISTICS" am Vortag der Logistikmesse CeMAT in Hannover befragte ein Forscherteam Manager, Wissenschaftler, Minister und Politiker aus 16 Nationen zu ihrer Meinung nach dem Zustand der Welt im Jahr 2025 - und welchen Beitrag eine nachhaltige Logistik dazu leisten kann. Was einem Einzelnen nicht gelingt, gelang der Studie über die statistische Verdichtung der vielen Einzelaussagen: ein robustes Bild der Zukunft zu zeichnen, aus dem sich konkrete Strategietipps für Unternehmer ableiten lassen.
Die befragten internationalen Experten sind sich einig: Die Transportlogistik wird durch Innovationen zu einer starken Reduktion des Ressourcenverbrauchs bis 2025 beitragen. Das heißt: Wer sich heute lediglich über Preis, Zeit und Qualität am Markt differenziert, kann morgen das Nachsehen haben. Wer morgen noch glänzende Geschäfte machen will, muss schon heute auf Öko-Innovationen setzen. Das sind nicht nur Techniken wie die Brennstoffzelle, sondern auch ökologische Transportkonzepte wie zum Beispiel das "Grüne Paket". Das klingt trivial, macht der Praxis jedoch große Probleme, da ihr Tagesablauf weitgehend von operativen Sachzwängen diktiert wird: Die operative Hektik lässt zu wenig Zeit zum Innovieren. Wer es jedoch schafft, für dieses strategische Thema im Alltag genügend Zeit, Kompetenz und Kapazität freizuboxen, erwirbt damit eine "Eintrittskarte für die Zukunft".
Die Zukunft liegt im Müll
62 Prozent der befragten Experten meinen, dass in den nächsten 20 Jahren das so genannte Urban Mining in vielen Fällen wirtschaftlicher sein wird als die klassische Förderung von Primärrohstoffen. Urban Mining ist die systematische Aufbereitung von Siedlungsabfällen. Schätzungen gehen davon aus, dass der Primärrohstoff Kupfer in 30 Jahren erschöpft ist. Indium und Gallium, die für die LDC-Bildschirme von Handys, Notebooks und Fernsehgeräten gebraucht werden, gehen schon in zehn Jahren zur Neige. Dann werden die Metalle nicht mehr aus der Erde, sondern aus dem Abfall gefördert: Die Versorgungssicherheit der Menschheit liegt im Müll. Für die Logistik heißt das: Gute Geschäfte sind nicht mehr nur in Beschaffung, Distribution und Produktion möglich, sondern vor allem auch in der Entsorgungslogistik. Auf dem flachen Land werden Entsorgungslogistiker bereits als "neue Millionäre" gehandelt. Sie verdienen glänzend und retten "nebenbei" die Welt - vor der Mülllawine. Streng genommen ist heute schon das Wort "Müll" veraltet. Das ist kein Müll, was der Gatte wiederwillig zur Tonne im Hof bringt. Möglicherweise lautet morgen schon der altbekannte Spruch: "Schatz, bring doch bitte mal die Sekundärrohstoffe runter!"
Logistik-Herausforderungen
Die CO2-Bilanz für Produkte und Services sehen die Experten mit 60 Prozent Eintrittswahrscheinlichkeit auf internationaler Ebene auf uns zukommen. Auf nationaler Ebene ist diese Wahrscheinlichkeit noch höher, weil die Schwellenländer aus der Betrachtung fallen. Deshalb sollten Unternehmen sich heute schon zumindest intern Transparenz zum Thema verschaffen. Denn die gesetzliche Regelung oder der Konkurrenzdruck kann schneller kommen, als Nachzüglern recht sein mag. Gerade beim Thema Nachhaltigkeit greift der so genannte Early Adopter Advantage: Studien zeigen, dass Unternehmen, die als erste mit Innovationen am Markt sind, selbst dann noch mehr Markterfolg haben, wenn Imitatoren und Nachzügler nachgezogen haben: Kunden bleiben größtenteils bei den Early Adoptern hängen. Der Markt honoriert Zukunftskompetenz.
Die höchste Eintrittswahrscheinlichkeit der Studie verzeichnet das Energieproblem: Mit 68 Prozent Wahrscheinlichkeit sehen die Experten die Energiekrise bis zum Jahr 2025 nicht gelöst. Das heißt: Nicht vom fallenden Ölpreis einlullen lassen! Dass der Sprit gerade billiger wird, heißt nicht, dass das grundlegende Problem gelöst wurde. Wer das weiß, kann sich darauf einstellen, dass der Ölpreis in Zukunft noch stärker auf die Kosten sowohl im Transport als auch beim Unterhalt von Logistikimmobilien durchschlagen und damit der Anteil der Logistikkosten an den Gesamtkosten zunimmt. Mit anderen Worten: Nachhaltige Logistik wird künftig noch wichtiger für Gesellschaft und Unternehmen.
Wer das Ausmaß an Leerfahrten auf deutschen Autobahnen kennt, muss zum Eindruck kommen, dass der Sprit noch nicht teuer genug ist. Diese Ineffizienz wird in der heraufziehenden Energiekrise zum Luxus. Es zeigt sich, dass auch hier die innovationsstarken Unternehmen vorne liegen, die auf ihre Mitarbeiter hören, die offen für Innovationen von außen sind, die ein aktives Innovationsmanagement betreiben und partnerschaftliche Prozesse mit Kunden pflegen. Immerhin sind es die Kunden, die Leerfahrtenquoten maßgeblich beeinflussen können.
Alle wollen die Welt retten...
...doch keiner will dafür bezahlen, wie das englische Marktforschungsinstitut "Transport Intelligence" herausfand. Das Institut zeigt in einer Studie, dass drei Viertel aller befragten Manager, die Logistikaufträge ausschreiben, ihren Logistikdienstleistern zwar dezidierte Klauseln über die Einhaltung von Umweltschutzrichtlinien vorschreiben. Die Mehrheit mit 54 Prozent davon "vergisst" jedoch, Hinweise darauf einzubauen, wie mit den anfallenden Zusatzkosten des Umweltschutzes verfahren werden soll. Die Kunden schmücken sich also mit den Federn der Nachhaltigkeit, aber die Zeche bezahlt die Logistik. Darüber sind Logistikdienstleister derzeit mehr als ein wenig empört - was zu kurz gedacht ist: Die Welt retten wir nur gemeinsam. Das heißt: Der Kunde muss mit an den Tisch. Denn offensichtlich versteht er noch zu wenig von nachhaltiger Logistik, um nachhaltige Logistik erfolgreich zu betreiben. Die großen Potenziale einer partnerschaftlichen Optimierung seiner Netzwerke müssen ihm erst noch beigebracht werden. Von Logistikern, die kommunizieren, motivieren, kalkulieren und Kooperationen initiieren können. Dafür müssen etliche Logistiker jedoch erst noch die Seminarbank drücken.
Nachhaltigkeit ist nicht "nice to have"
Aktuelle Umfragen belegen, dass 64 Prozent der Bevölkerung beim Thema Nachhaltigkeit keinen Spaß verstehen und bereit sind, unverantwortlich handelnde Unternehmen durch Aktienverkauf abzustrafen. 90 Prozent erwarten, dass Maßnahmen gegenüber Unternehmen ergriffen werden, die soziale und ökologische Standards verletzen. Es ist möglich, dass Volkszorn oder Politikereifer künftig bei Jahreshauptversammlungen die Vorlage von sozialen und Öko-Bilanzen verlangt. Wer klug ist, denkt heute schon über Unternehmensprogramme zur Messung seiner sozialen und ökologischen Performance nach. Auch hier gilt die Devise: Nicht überraschen lassen!
Social Logistics
Wer diesen Begriff googelt, erhält derzeit noch kaum Treffer. Der Grund: Der Begriff kommt aus der Zukunft. Der Bedarf besteht schon heute. Wer jemals in einer deutschen Großstadt zum Beispiel herausfinden wollte, wer, wo und für welchen Preis Kleinkinder betreut, kennt die Misere: Es gibt so viele in vielerlei Hinsicht Hilfesuchende, auf der anderen Seite so viele Sozialprogramme. Doch irgendwie kommen Angebot und Nachfrage immer weniger effektiv und effizient zusammen. Genau hier setzt Social Logistics ein. Die Logistik macht seit Jahrtausenden eigentlich nichts anderes, als Angebot und Nachfrage auf effiziente Weise zusammenzubringen. Logistiker können hier ihre überragende Kompetenz in Versorgungsqualität und Prozesstechnik fruchtbar auf ein neues Betätigungsfeld übertragen. Sofern sie heute bereits so weit in die Zukunft blicken wollen und vor allem können. Genau das ist des Pudels Kern bei der Zukunft: Nur wer sie sieht, wird eine haben.
Im Profil Prof. Dr. Christopher Jahns, Rektor der European Business School (EBS) und Executive Director des Supply Chain Management Institute (SMI) Prof. Dr. Christopher Jahns hat Betriebswirtschaft an der Phillips-Universität in Marburg studiert und an der Technischen Universität München promoviert und habilitiert. 2004 wurde von ihm das Supply Chain Management Institute (SMI) an der EBS gegründet. Zugleich ist er Inhaber des SVI-Stiftungslehrstuhls für Einkauf, Logistik und Supply Chain Management. Im Juni 2006 wurde er zum Rektor der European Business School (EBS) berufen. Daneben ist er Vorsitzender des Verwaltungsrats der BrainNet Supply Management Group AG und seit 2007 Mitglied des Vorstands der Bundesvereinigung Logistik (BVL). Dr. Heiko von der Gracht, Leiter des Center for Futures Studies in Logistics & Supply Chain Management am Supply Chain Management Institute (SMI) der European Business School (EBS) Nach Studium des Wirtschaftingenieurwesen mit Schwerpunkt Logistik in Deutschland und den Niederlanden erwarb Dr. Heiko von der Gracht einen Master of Science in International Logistics der University of Plymouth, Großbritannien. In seiner Promotion am Supply Chain Management Institute (SMI) der European Business School (EBS) beschäftigte er sich mit dem Thema Zukunftsforschung, insbesondere Szenario-Planung in der Logistik. Aktuell leitet er am SMI das Center for Futures Studies in Logistics & Supply Chain Management. |
Quelle:
Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 12.12.2008
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