Nachhaltigkeit braucht gute Geschichtenerzähler

Wie Storytelling Menschen motiviert, nachhaltiger zu handeln, und warum Verzicht nicht die Lösung ist

Gut erzählte Geschichten können ein maßgeblicher Auslöser sein, damit aus Handlungswilligkeit tatsächlich ein an nachhaltigen Zielen orientiertes Verhalten wird. Die vielleicht wichtigste Regel dabei lautet: Kein Narrativ über Verlust, Verzicht, Verteuerung und Qualitätseinbußen. Zudem brauchen wir ein wenig Psychologie, um eingängige Geschichten zu konstruieren.
 
Missliche Storyteller schmieden Gruselgeschichten vom Weltuntergang. Eine gute Nachhaltigkeitskommunikation hingegen baut auf positive Geschichten. Darin geht es um Veränderungsprozesse, die anhand einer Hauptfigur erzählt werden, mit der man sich identifizieren kann. Dahinter verbirgt sich unsere tiefe Sehnsucht nach dem Helden, der das Böse bezwingt und uns erlöst. Wir gehen mit ihm durch seine Irrtümer und Zweifel, lernen Widersacher und Helfer kennen, und feiern schließlich mit ihm den Sieg.

Sich-angesprochen-fühlen: Anschlussfähigkeit ist fundamental
Die anvisierte Zielgruppe muss sich in der Geschichte wiederfinden. Oona Horx Strathern vom Zukunftsinstitut regt zum Beispiel dazu an, je nach Situation dem Stereotyp „grün = weiblich" entgegenzuwirken. Experimenten zufolge, erzählt sie, sind Männer eher bereit, sich umweltfreundlich zu verhalten, wenn sie sich in ihrer Männlichkeit bestätigt fühlen. So kam ein Logo mit einem heulenden Wolf und dem Schriftzug „Wilderness Rangers" bei ihnen deutlich besser an als das Logo eines Baumes und dem Schriftzug „Friends of Nature".

Auch die beabsichtigte Wirkung ist zu beachten. So gibt die Marktforscherin Ines Imdahl zu bedenken, dass das 1,5 Grad Klimaziel aus tiefenpsychologischer Sicht einfach zu nett klingt, um zu konsequenten Verhaltensänderungen zu führen. „1,5 Grad, das ist eine Minizahl, die sich nicht wirklich schlimm anhört, also leider kein gutes Narrativ für den Klimaschutz", sagt sie. Schon allein daran ist zu erkennen, wie wichtig eine durchdachte und zugleich konstruktive Wortwahl ist.

Eine wichtige Regel: Kein Narrativ über Verlust und Verzicht!
Am kontraproduktivsten ist das Verzichtsnarrativ. Wer Verzicht als Entbehrung erlebt, hält das nur eine Weile lang aus oder schlägt an anderer Stelle über die Stränge. Was als Verzicht gelabelt wird, hat oft auch gar nichts mit Einbußen und Selbstkasteiung zu tun. Verzicht kann sogar etwas sehr Freudvolles sein. Wenn wir etwas bleibenlassen, weil uns dies sinnhaft erscheint und/oder einer größeren Sache dient, fühlt sich das gut an. Solches Handeln tut nicht weh, sondern macht glücklich.

Das negative Verzichtsnarrativ ist eine perfide Lancierung der Industrie, die ihre alten Felle davonschwimmen sieht. Doch wie jede auf Längerfristigkeit zielende nützliche Entscheidung ist eine Entscheidung zugunsten von Dekarbonisierung, Umweltschutz und Nachhaltigkeit ein bewusstes Abwägen von Pro und Contra. Wir verwerfen die wenigen Vorteile von Variante B zugunsten eines größeren Vorteilspakets von Variante A.

Das schöne Bild malen: Erzählungen vom guten Leben motivieren zum Tun

Anne M. Schüller

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„Wir brauchen eine Erzählung, wie ein gutes Leben aussieht – und dass zum Beispiel Solidarität unbedingt dazugehört. Ein Großteil unseres Konsums ist vor allem demonstrativ, er soll zeigen, wie es uns geht. Davon kann man eine Menge weglassen, ohne gleich zu darben", sagt der Soziologe Ortwin Renn. Es geht also nicht um Verzicht, sondern um informierten, differenzierten, verantwortungsvollen Konsum.

Häufig genügt es, bestehende Gewohnheiten anzupassen, wenn diese nicht zu den besten Ergebnissen führen. Jeder kann eigene Routinen hinterfragen, ungünstige Verhaltensweisen verlernen und umweltfreundlichere Gewohnheiten entwickeln. Durch regelmäßiges Wiederholen lassen sich diese neuen Routinen schließlich verinnerlichen und ersetzen alte, weniger nachhaltige Muster.

Oft wiederholen: Ökosoziales Handeln ist lifestyle
Nicht nur Handlungsweisen, auch Sprachbilder müssen sich ändern. Düstere Verlustszenarien schrecken oft ab, während positive Geschichten deutlich motivierender wirken. Erzählungen darüber, wie gut und schön das Leben in einer intakten Natur sein kann und welche persönlichen Vorteile dies mit sich bringt, fördern das Engagement. Solche Geschichten sollten nicht im Verborgenen bleiben, sondern ins Rampenlicht gerückt werden.

Kluge nachhaltige Lösungen sind cool und bereichernd. Ein ökosoziales Denken und Handeln hat nichts mit Mangel zu tun, sondern ist lifestyle und kreativ, ganz einfach die bessere Party. Feiern wir also die, die sich schon auf den Weg gemacht haben, erzählen wir ihre Geschichten. Sie sind Mutmacher und Inspiratoren für jeden und jede von uns, auch selbst zum Schöpfer zu werden, um eine bessere Zukunft mitzugestalten.

Das Storytelling: die Königsdisziplin der Kommunikation
Facts tell, stories sell, heißt es so schön. Fakten berichten dem Kopf, Geschichten verzaubern die Seele. Zudem gilt: je emotionaler, desto viraler. Derart können Anbieter wie aus dem Nichts in aller Munde sein. Dies passiert vor allem dann, wenn sich die Kommunikation in Form von gut erzählten Geschichten präsentiert. Denn Emotionen haben im Gehirn immer Vorfahrt.

Launige, überraschende, mitreißende Narrative erzeugen – im Gegensatz zu abstraktem Zahlensalat – eine höhere neuronale Aktivität und damit auch eine höhere Entscheidungs- und Aktionsbereitschaft. Sie helfen beim Überzeugen und schließlich auch beim Verkaufen. Bilder und Geschichten werden zudem leicht decodiert. Gehirnforscher haben herausgefunden, dass jeder Denk- und Entscheidungsprozess von inneren Bildern begleitet wird, die in einem unaufhörlichen Schöpfungsakt konstruiert werden. 

So geht’s: Erzählstoff systematisch sammeln, sichten und bewerten
„Menschen kaufen keine Produkte und Services. Sie kaufen Beziehungen, Geschichten und Magie", so der Marketingprofi Seth Godin. Der Wissenschaftler und Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat gezeigt, dass nicht die besten Argumente überzeugen, sondern die überzeugendste Geschichte den größten Einfluss hat.
Außerdem machen Geschichten die Unternehmen, ihre Führungsspitze und die Mitarbeitenden anfassbarer und sorgen für Nähe. Zu guter Letzt: Frische Geschichten sind auch für die Medien hochinteressant. 

Wirkungsvolle Geschichten, die weitererzählt werden können, entstehen jedoch nicht einfach so. Auf der Basis von wahren Begebenheiten werden sie nach allen Regeln der Kunst komponiert. Dazu braucht es Erzählstoff. Im Einzelnen geht es hierbei um:
  • Wer-wir-sind-Geschichten.
  • Wo-wir-herkommen-Geschichten.
  • Wie-wir-Nachhaltigkeit-leben-Geschichten.
  • Wie-es-unseren-Kunden-ergeht-Geschichten.
  • Wo-wir-hin-wollen-Geschichten.
So hat es funktioniert: Erfolgsgeschichten spornen zum Nacheifern an
Sucht nach Begebenheiten, die zeigen, welche Erfolge mithilfe nachhaltiger Aktionen gelungen sind, welche interessanten Menschen mit euren Produkten zu tun haben oder auf welch spannende Weise sie eingesetzt werden. Ihr könnt Geschichten über besondere Kollegen erzählen und Episoden aus deren unternehmerischem Alltag zum Besten geben. Gerade der Blick hinter die Kulissen ist oft sehr reizvoll. Ihr könnt die Geschichten hinter euren grünen Innovationen offenbaren, euer Engagement in Szene setzen, die Zukunft eurer Branche bildreich skizzieren oder Kurioses aus den Anfangszeiten eurer Nachhaltigkeitsbemühungen zusammentragen. 

Vor allem Erfolgsgeschichten sind magisch, weil man daraus für die eigene Zukunft lernen kann. Sie spornen an, sie beflügeln und setzen eine Menge Energie frei. Sie werden gut behalten und gerne weitererzählt. Entwickelt also systematisch solch positives Konversationsmaterial, veranstaltet Geschichten-Erzähl-Wettbewerbe. Oder ladet eure Community dazu ein, euch Geschichten zu übermitteln. Holt euch bei Bedarf einen Geschichten-Goldgräber ins Haus. Externe Personen mit einem unverstellten Blick finden meist prächtige Story-Nuggets, die einem Internen wahrscheinlich niemals auffallen würden. Oft macht erst die Außensicht das ganz Besondere an einer Story so richtig deutlich. 
 
© Anne SchüllerAnne M. Schüller ist Managementdenkerin, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenzentrierte Unternehmensführung. Kürzlich wurde sie als Unternehmerin der Zukunft ausgezeichnet.

Kontakt: Anne M. Schüller | info@anneschueller.de | www.anneschueller.de


Wirtschaft | CSR & Strategie, 22.09.2024

     
        
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