Der Leatherman
Von der Garage zu neuen Materialien für nachhaltiges Schuhwerk
Im forum-Interview mit Fritz Lietsch erklärt Tom Schneider, Gründer der Firma ISA TanTec, einer der führenden internationalen Lederhersteller, wie er zuerst LITE-Leder (Low Impact To (the) Enviroment) und dann auch noch ein neues, plastikfreies und veganes NextGen Material entwickelt hat, das die Schuherstellung revolutionieren könnte.
Tom, was hat dich zum Leder gebracht?
Ursprünglich wollte ich Chemie und Biologie studieren, aber das war mir dann zu trocken. So machte ich eine Ausbildung zum Gerber und wurde Gerbermeister, weil die Lederherstellung praktisch angewandte Biologie und Chemie ist. Man kann das Leder fühlen, modifizieren und am Ende ein schönes Produkt erzeugen. Das hat mich schon immer fasziniert, dieses Schöne am Leder.
Wie kam es dann zu deiner Karriere als einer der weltweit führenden Lederhersteller?
Wenn man etwas macht, dann richtig. Ich war erst als Gerber in Australien, aber dort kam ich nicht weiter, weil die Leute nicht flexibel genug waren. Dann ging ich nach Taiwan und baute dort eine Firma auf, die heute unser gleichwertiger Konkurrent ist: Prime Asia. Danach machte ich mich selbstständig. Meine Frau und ich fingen ganz klein an und arbeiteten uns systematisch hoch auf 1700 Mitarbeiter. Mir war aber schon früh klar, dass wir den Kunden etwas anderes bieten müssen, als das, was sie normalerweise bekommen.
War das das Thema Nachhaltigkeit?
Nicht nur! Zuverläßigkeit und Compliance sind Grundvoraussetzung im Business. Aber Nachhaltigkeit, also Umweltschutz, habe ich schon als Kleinkind von meinem Vater gelernt. Wasserhahn nicht laufen lassen, keine Ressourcen verschwenden, das war das Prinzip. Mir wurde schnell klar, dass Umweltschutz kein Kostenfaktor ist, sondern Gewinne bringt. Ressourcen einsparen heißt Geld sparen. Wenn ich aus dem Raum gehe und das Licht ausschalte, spare ich Ressourcen, Geld und reduziere meinen CO2-Fußabdruck. Das kann man natürlich auch in einer Firma im großen Stil machen.
Tja, so sind wir Nachkriegskinder eben erzogen worden. Waren das Deine ersten Schritte zum LITE-Leder (Low Impact To (the) Enviroment)?
LITE betrifft den ökologischen Fußabdruck. Das fing bei uns schon 1997/98 an, als Kunden kamen und umweltfreundliche Leder wollten. Aber eigentlich ist in der Wirtschaft fast nichts wirklich umweltfreundlich, sondern nur weniger umweltbelastend. Das ist der richtige Ausdruck, wenn man ehrlich ist.
Welche Firmen kamen da an? Wer waren die ersten, die danach fragten?
Es waren einige Kunden, die chromfreie Leder wollten, die dann aber trotzdem nie gekauft haben, weil es zu teuer war. Für mich war der Punkt aber ein anderer: Ich wollte erst einmal herausfinden, wie groß unser "Carbon Footprint” ist. Und das hieß, dass ich das erstmal musste. Also haben wir an jeder Maschine den Strom-, Wasser- und Gasverbrauch gemessen. Dann konnten wir Schlussfolgerungen ziehen und unseren Verbrauch reduzieren. Wir haben das so perfektioniert, dass wir heute anerkanntermaßen die Leder-Firma mit dem günstigsten Energie- und Wasserverbrauch und dem niedrigsten Chemikalienverbrauch sind. Und das sind ja alles Kostenfaktoren. Jeder Kubikmeter Wasser kostet in Asien nicht nur 20 Cent, sondern nochmal drei Dollar in der Abwasseranlage. Das vergessen die meisten. So wird Wasser verbraucht, ohne Rücksicht auf Verluste, weil die Wasserkosten anscheinend so billig sind.
Kommen wir auf den Weg zu "LITE" zurück: Man misst den Verbrauch und kann ihn vergleichen. Welches Produkt hat einen höheren Wasserverbrauch und warum? Welches Produkt hat einen höheren Energieverbrauch und warum? Und wenn ich "warum" frage, kann ich eine Lösung finden, um den Verbrauch zu reduzieren. So haben wir Ressourcen eingespart. Wir können heute für jedes unserer 550 Produkte, für jede Farbe und Stärke, einen individuellen Carbon Footprint erstellen.
Eine interessante Entwicklung. Aber dabei wart ihr ja nicht alleine. Es entstand ja auch eine sehr engagierte Vereinigung, die Leather Working Group (LWG). Wie kam es dazu?
Zur LWG kam es so: Wenn wir an Adidas, Reebok, Timberland und andere geliefert haben, hat jede Firma jedes Jahr ein Audit bei uns durchgeführt. Das kostete sie viel Zeit und damit Geld, zum Teil bis zu neun Manntage. Die Firmen haben das dann outgesourct, zum Beispiel an Pricewaterhouse (PWC) oder McKinsey. So hat Timberland allein 450.000 Dollar im Jahr für die Audits der Gerbereien ausgeben. Irgendwann kam jemand auf die Idee, diese Kosten zu reduzieren. Timberland und andere haben sich zusammengetan und die LWG gegründet. Mit dem Ziel, dass die Audits von den Gerbereien bezahlt werden und dass es ein einheitliches Protokoll gibt, das in Gold, Silber und Bronze bewertet werden kann. Wir waren eines der Gründungsmitglieder dieser Leather Working Group (LWG). Es war sehr interessant, dort mitzuwirken und ein Umweltprotokoll aufzubauen. Heutzutage ist es nicht mehr nur ein Umweltprotokoll, es geht auch um andere Sachen wie Rückverfolgbarkeit, Arbeitsschutz, Artenschutz etc.
Wie hast du es geschafft, dass plötzlich Akteure, die nicht in Europa sitzen, so hohe Standards entwickelt und gesetzt haben?
Unser Markt ist zu 85 – 90 Prozent in den USA und nur zu 10 – 15 Prozent in Europa. Wobei ich Firmen wie Dr Martens und Clarks nicht als europäisch, sondern als international bezeichne. Der große Unterschied zwischen Europa und USA: in den USA wird alles spezifiziert: Leder, Sohle, Ösen, Garn, Nadel. Und dann machen sie Audits bei den Sublieferanten. Sie wollen sichergehen, dass das Leder unter besten Umweltbedingungen hergestellt wird, dass die Ösen kein Nickel enthalten, dass die Baumwolle nicht aus Xinjiang kommt. Der Europäer kauft den Schuh und überlässt das Sourcing der Schuhfabrik. Und (lacht): 70 Prozent aller Rechtsanwälte der Welt sind Amerikaner. Die amerikanischen Marken sind also möglichen Ansprüchen von NGOs viel stärker ausgesetzt. 1998 hatte Nike mit einer Schuhfabrik in Vietnam gearbeitet. Dort hat ein Vorarbeiter die Näherinnen katastrophal behandelt und einige geschlagen. Nike war auf so etwas nicht vorbereitet. Das ging durch die Presse und hat Nike eine Milliarde Dollar gekostet. Daraus hat jeder gelernt, dass man die Schuhfabriken und deren Sublieferanten auditieren muss, nicht nur auf Umweltaspekte, sondern auch auf Menschenrechte. Timberland fing das bereits sehr früh an. Die Europäer haben das nicht gemacht, und sie machen es zum großen Teil heute noch nicht.
Das heißt, die Treiber waren die Amerikaner mit ihren hohen Anforderungen in der Supply Chain – und nicht die so mustergültige EU?
Genau. Und der Vorteil war, dass Kunden wie Timberland ein Protokoll entwickelt hatten, das besagt: Wenn du die Lieferzeiten einhältst und besser wirst, kriegst du mehr Aufträge. Wenn du in der Umweltentlastung besser bist, kriegst du mehr Aufträge. Wenn du in Menschenrechten besser bist, kriegst du mehr Aufträge. Das war eine klare Ansage. Das EU-Lieferkettengesetz, das im Moment sogar noch abgewürgt wird, haben wir in ähnlicher Form in Asien seit über 15 Jahren.
Doc Martens, Clarks, Timberland etc. machen seit langem konsequent Audits zu Menschenrechten. Sie kommen in die Firma, selektieren 20-30 Leute aus der Gehaltsliste und interviewen sie. Gibt es eine Beschwerdebox? Werden die Leute richtig bezahlt? Gibt es Übergriffe? Sie prüfen die Buchhaltung, schauen wie die Überweisungen laufen und ob die Leute maximal 60 Stunden die Woche arbeiten. Das sind Bedingungen, die seit dem Rana Plaza- Einsturz auch für den Standort Bangladesh gefordert werden, bisher jedoch mit mäßigem Erfolg. Eine amerikanische Marke würde deshalb kein Leder aus Bangladesch kaufen. Bangladesch liefert aber massiv Leder nach Deutschland, Italien und Frankreich.
Eine sehr spannende Perspektive. Ein Konkurrent aus Deutschland hat Dir für Deinen Einsatz höchstes Lob gezollt. Das ist ungewöhnlich in einer so hart umkämpften Branche. Woher kommt diese hohe Anerkennung?
Wir haben mit drei Leuten angefangen. Wir waren damals ein kleiner Fisch gegenüber den Großfirmen. Wir mussten einfach mehr bieten. Dazu kam mein inneres Bedürfnis, meinen Werten als Umweltschützer und Verfechter von guten Arbeitsbedingungen und richtiger Bezahlung gerecht zu werden. Mein Großvater und mein Vater waren Vollblut-Unternehmer und haben ihre Leute stets richtig bezahlt. Das war auch mein Ziel: Wenn wir mit Leuten arbeiten, dann sind die Arbeiter und Mitarbeiter ein ganz wichtiges Element in der Firma. Und das zeigt sich auch in unserer phänomenalen Betriebszugehörigkeit.
Außerdem gehen mir gewisse Sachen wie Abfall, Wasserverschwendung und -verschmutzung und Ausbeutung gegen den Strich. Wir haben uns von Anfang an darauf spezialisiert, legal zu arbeiten. Meine Konkurrenten haben viel Geld gemacht, indem sie geschmuggelt haben, ihre Leute nicht richtig bezahlt und die Abwasseranlagen nicht richtig betrieben haben. Diese drei Punkte brachten ihnen zunächst viel Geld ein, aber irgendwann haben sie die großen Strafen bezahlt und mussten ihre Firmen schließen. Für uns hat sich die Ehrlichkeit ausgezahlt: Die Kunden vertrauen ISA Leder, unser LITE-System ist von Ernst & Young und PWC auditiert und wir sind stolz auf langfristige Kundenbeziehungen.
Tom, Du bist ein absoluter Lederfachmann, und doch hast du auch schon Standards bei NextGen Materialien gesetzt. Wie kam es dazu?
Mein Partner und ich haben den Großteil der Firma 2016 an eine Private Equity verkauft. Damals war die Zukunft rosig. Dann kamen 2017/18 die ersten Wolken am Horizont. PETA, die amerikanische Tierrechtsorganisation, startete gewaltige Kampagnen gegen Leder. Es wurde viel darüber geredet, dass für Leder Kühe sterben müssen, ihnen lebendig die Haut abgezogen wird etc. Ich sagte meinen neuen Partnern: Wir müssen uns breiter aufstellen. Wir müssen Produkte anbieten, die nicht auf Leder basieren. Wenn die Leute weg vom Leder gehen, müssen sie irgendwo hin. Im Moment gehen sie auf Plastik und Polyester. Die Polyester-Produktion wächst um 10 Prozent pro Jahr. Wir wollten deshalb eine echte Alternative anbieten, ein ehrliches Produkt mit hohem Bio-Content. Nicht eine Alternative zu Leder – es gibt keine Alternative zu Leder – sondern eine Alternative zu Plastik aus fossilen Rohstoffen. Das war unser Ziel. Wir haben deshalb auch den Firmennamen geändert. Das Rebrandig lautete: ISA TanTec - NextGen Materials. Zum einen, weil wir der Ansicht sind, dass auch Leder, wie es heute von uns bereits mit einem geringen CO2-Footprint oder regenerativ sogar klimapositiv produziert wird, ein NextGen Material ist. Aber auch weil wir vegane NextGen Materialien entwickeln und anbieten wollten, mit maximalem Bio-Anteil, biologisch abbaubar und komfortabel.
Wie kam es zur Entwicklung eines veganen Bio-Materials? Ich hörte da von einer "Garagen-Story"…
Unser Entwicklungsleiter Dr. Reiner Hengstmann hat damals an der Universität Lüneburg gearbeitet und für uns eine Studie erarbeitet welcher Rohstoff wohl die beste Grundlage für ein neues strapazierfähiges Material für die Schuhindustrie sein könnte? Das Ergebnis: Pilze. Wir stellten Dr. Hengstmann sofort bei uns an, und ich wollte gemeinsam mit ihm mit der Forschung und Entwicklung beginnen - im selben Monat kam Corona… Reiner war in Erlangen festgesetzt, ich in Wien. Wir haben Monate lang über FedEx und Telefon kommuniziert und Versuche gemacht. Irgendwann sagten wir: So geht es nicht weiter, wir brauchen ein Labor. Wir sind dann in meine Garage hier bei mir im Schwarzwald umgezogen und haben dort ein Labor aufgebaut. Das hat uns viel Geld gekostet, aber wir konnten die Grundlagenforschung machen. Nach einem halben Jahr haben wir das Ganze dann in unser Werk nach Vietnam verfrachtet und dort weitergemacht.
Das war die Garagen-Story: Nochmal ganz von Null anfangen, in einem kleinen Labor, nochmals start-up-feeling pur. Und heute haben wir ein völlig neues Material: HyphaLite. Wir verwenden zur Herstellung nur Austernpilze aus der Region, die als Lebensmittel unverkäuflich sind, und zertifizierte Rohstoffe wie Viskose, Lyocell und Kautschuk. Die Farbstoffe sind ZDHC MRSL-zertifiziert und haben das Cradle-to-Cradle Materialgesundheitszertifikat. Das Produkt ist OekoTex 100 zertifiziert, besteht alle herkömmlichen Schadstofftests (RSL), ist 100 Prozent bio-basiert, zu 93 Prozent biologisch abbaubar und genügt damit dem DIN EN 13432 Standard. Im Jahr 2023 wurde HyphaLite mit dem international anerkannten Green-Product-Award ausgezeichnet.
Das klingt gut. Welche Branchen seht ihr als Hauptabnehmer für dieses neue, vegane und gleichzeitig biogene, plastikfreie Material? Gibt es bereits konkrete Partnerschaften und Abnehmer?
Wir sind im Schuhbereich mittlerweile bei 14 Brands etabliert, hauptsächlich Sneakers, aber auch Damenschuhe und Herrenschuhe. Der Preis von HyphaLite liegt bei drei Dollar pro Quadratfuß. Er ist also nicht viel teurer als Leder, das etwa bei 2.50 Dollar liegt. Bei einem Verbrauch von 2 Quadratfuß pro Paar Schuhe ist das in der Herstellung gerade mal 1 Dollar mehr pro Paar. Aber: Die Brands vermarkten diese Materialinnovation nicht wirklich. Sie erzählen dem Kunden nicht die Story, damit er weiß, warum er bis zu 20 Dollar mehr zahlen muss. Die Brands vermarkten ihre Markenidentität, aber kein Ausgangs-Produkt.
War das bei Leder auch so? Haben die Marken da auch nicht kommuniziert, dass das jetzt wesentlich nachhaltiger hergestellt ist?
Genau dasselbe Problem. Wir haben eine Marke beliefert mit 450.000 Paar Schuhen aus regenerativem Leder. Das heißt, die Rinder sind durch ihre spezielle Haltung CO2-neutral, eigentlich sogar im Minus. Eine super Story. Der Kunde hat knapp eine Million Quadratfuß gekauft. Es kostete ihn 800.000 Dollar mehr, aber im Laden bzw. gegenüber den Kunden hat er das nicht mal erwähnt, geschweige denn vermarktet. Die Story fiel einfach unter den Tisch.
Das heißt, dein großes Anliegen ist es, dass das, was in der Supply Chain an Einsatz und Innovation passiert, bis zum Endverbraucher durchdringt. Aber warum tun die Brands das nicht?
Unser Entwicklungsleiter Reiner Hengstmann war ja lange Jahre in der Fashion- und Schuhindustrie und sagt: Das ist einfach Nichtwissen und Zeitdruck, denn jeden Tag wird in der Branche eine andere Sau durchs Dorf getrieben. Produkte werden schnell auf den Markt gebracht, dann kommen die nächsten. Es geht nur darum, Marge und Geld zu machen. Nachhaltigkeit war viele Jahre nur ein Alibi. Es ging eher um Window-dressing als um echte Innovationen. Und so gab es dann einen „Ocean-Schuh", angeblich aus gesammelten Plastikabfällen aus dem Meer, doch kein einziges Stück Plastik, das da benutzt wurde, hat jemals Meerwasser gesehen.
Und genau das ist das Problem: Die Konsumenten werden misstrauisch. Firmen werden von Medien hinterfragt und Green-Washing gebrandmarkt. Wenn wir dann mit unserem neuen Material und seinen Vorzügen kommen, müssen die Einkäufer heute erst mit der Rechtsabteilung sprechen. "Ich lasse das mal vom Legal checken", heißt es dann. Und wenn sie das dann mit einem Rechtsanwalt abklären, kommt meist nur Käse raus (lacht). Der Rechtsanwalt muss ja seinen Job machen und auf alle möglichen und unmöglichen Probleme hinweisen. Er überschüttet die Leute mit so vielen Gefahrenmöglichkeiten, dass die dann gar nichts mehr machen. Das ist das eine Problem bei der Markteinführung. Aber: Neue Materialien werden auch deshalb nicht eingesetzt, weil sie angeblich zu teuer sind. Wir sind Gott sein Dank in einer speziellen Situation. Wir haben ein Start-up gegründet, aber innerhalb einer Firma mit 200 Millionen Umsatz. Deswegen können wir es uns leisten, dass diese kleine Abteilung, die uns jedes Jahr eine Million kostet, noch keine Gewinne abwirft. Die anderen Start-ups haben das nicht. Und wenn die Materialeinkäuferin einer sehr großen Schuhfirma in Portland sagt: "Wir beschaffen solche neuen Produkte nur, wenn sie billiger sind als Polyester, und gleichzeitig zugfester und reißfester", dann ist das eine Forderung, die das Todesurteil für die meisten Innovationen ist.
Heißt das, dass selbst die Start-ups, die mit viel Geld ausgestattet werden, trotzdem den Markt nicht erobern können?
Richtig: Da sind einige im Geschäft mit naturbasierten, veganen Materialien unterwegs und zum Teil mit sehr hohen Summen durch Risikokapital finanziert. Doch es wird für sie schwierig werden, neues Geld zu beschaffen, wenn keine nennenswerten Aufträge existieren. Bolt Threads hat letztes Jahr aufgegeben, weil sie kein neues funding bekommen haben. Ähnlich wird es bald Natural Fibre Welding gehen und andere werden leider folgen.
Das wäre doch gut für euch und ihr werdet der nachhaltig erfolgreiche Trendsetter mit Eurem HyphaLite sein...
Ja, aber ich finde das schade. Die Start-ups machen eigentlich einen guten Job, ob bei Leder oder bei anderen Materialien. Sie sind sehr aktiv, bieten neue Sachen an, recyceltes Material etc. Auch in der Chemie hat sich viel getan. Die Fabriken arbeiten zum Beispiel an Polyurethanen, die nicht mehr auf Erdöl basieren. Aber die Marken und letztlich auch die bewussten Kunden müssen verstehen, dass neue Materialien so lange mehr kosten, bis man einen Skalierungseffekt hat. Und man muss mehr daran arbeiten, dass neue Materialien nicht unbedingt immer gleich die Spezifikationen ihrer Vorbilder aus Leder oder Plastik erfüllen können. Man muss das Endprodukt – also zum Beispiel den Schuh - auf das neue Material einstellen, nicht umgekehrt.
Aber da ist ja immer auch noch der höhere Preis…
Der große Hammer sind nicht die Kosten von Material und Herstellung sondern das pricing der Markenartikler! In der Bekleidungsindustrie läuft es seit 50 Jahren nach einem einfachen System: Kostet ein Schuh 10 Dollar ex Fabrik, dann wird er im Einzelhandel mit Faktor 7 – 9 verkauft, also zu 70 – 90 Dollar. Wenn der Schuh jetzt ab Fabrik einen Dollar mehr kostet, kostet er im Einzelhandel 7-9 Dollar mehr. Das ist eine uralte Kalkulation. Wenn er jetzt zum Beispiel HyphaLite nimmt, kostet der Schuh statt 10 Dollar 11,50 Dollar ex Fabrik. Dann sollte er im Laden zwischen 80 und 100 Dollar kosten aber die Marken sind gierig, wollen den Trend ausnutzen und verlangen 20-30 Dollar mehr und würgen damit den Verkauf beim Kunden und gleichzeitig das Materialentwicklungsprojekt ab. Ich habe deshalb bei der FDRA vorgeschlagen, beim pricing zukünftig anders vorzugehen um nachhaltige Materialien zu fördern. Ich würde sagen: Der Standard-Schuh kostet im Laden 100 Dollar. Wenn ein nachhaltiges Material den Schuh um 1.50 und mit Importsteuern um insgesamt ca. 2 Dollar verteuert, dann sollte der Handel nur 5 bis 8 Dollar mehr verlangen und das gesondert ausweisen, also dem Konsumenten erklären, warum und wie die Mehrkosten entstehen. So etwa wie früher bei den Wohlfahrtsmarken. Und auch den Benefit für Mensch und Umwelt muss die Marketingabteilung erklären. Doch diese hat meist keine Lust dazu und macht lieber Imagewerbung.
Es gäbe also noch viel zu tun und zu erklären. Aber mehr zum Thema Leder und NextGen Materialien erfahren unsere Leser im aktuellen forum Nachhaltig Wirtschaften Magazin 1-25, deshalb unsere letzte Frage zum Abschluss: was wünschst du dir für die Branche, für dein Unternehmen, für dich?
Ich selber bin ganz glücklich. Aber der Branche wünsche ich, dass die Endkunden besser informiert werden. Ich wünsche mir, dass wir besser mit den Schuherstellern zusammenarbeiten. Oder wir müssen sie gemeinsam „umgehen", so wie Gore-Tex oder Sympatex das vor vielen Jahren geschafft haben. Da sagt der Kunde etwa: "Ich will Gore-Tex." Das heißt, er sucht nach den Vorzügen des Materials und nicht der Marke. In diese Richtung müssen wir NextGen-Hersteller dann eben gehen. Aber es wäre doch an der Zeit, dass ALLE Mitwirkenden in der Wertschöpfungskette den umwelt- und menschfreundlicheren Materialien Vorteile einräumen, damit der Wandel wesentlich schneller erfolgen kann.
Tom, es ist eine Freude, dir zuzuhören, denn du bist Unternehmer aus Leidenschaft und bereit, für Mensch und Umwelt Verantwortung zu tragen. Grüße auch an Reiner Hengstmann, den wir ja bereits aus seiner Zeit bei Puma als engagierten Nachhaltigkeitskämpfer kennen.
Danke schön für das Kompliment – aber auch dafür, dass forum endlich auch die Sorgen und Nöte in der supply chain aufgreift und vor allem auch die wunderbaren, positiven Entwicklungen vorstellt!
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