Hydrogen Dialogue 2024

Pioniergeist in der Garage

Der Kampf um ein wirklich 100 Prozent biobasiertes Next-Gen-Material

Ein konsequentes Next-Gen-Material – entwickelt von einem der führenden Lederhersteller? Kaum vorstellbar. Aber einmal Pionier, immer Pionier. Das gilt für den „Leatherman" Tom Schneider, der als Gerber und Unternehmer schon maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die Lederherstellung umweltfreundlicher und eine internationale Leather Working Group eingerichtet wurde. Doch auch bei 100 Prozent biobasierten Materialien will der internationale Vorreiter jetzt Maßstäbe setzen und bittet dafür um Mithilfe und Zusammenarbeit.
 
ISA TanTec ist einer der größten Lederhersteller weltweit und hat seinen Hauptsitz in Macau, China, sowie Produktionsstätten in Vietnam und den USA. Tom Schneider, Gründer und Vorstandsvorsitzender der ISA TanTec, beauftragte 2019 die Leuphana Universität Lüneburg mit einer Projektstudie, welche untersuchen sollte, welche innovativen Materialien als zukünftiger Ersatz für Leder dienen könnten. Das Ergebnis: viele interessante Materialien befinden in der Entwicklungsphase. Pilze als Rohstoff besitzen das wohl größte Potential. 
Schneider beschloss daraufhin, neue Materialien zu entwickeln und stellte dafür den engagierten Chemiker Dr. Reiner Hengstmann ein, der langjährige Erfahrung im Bereich Nachhaltigkeit besitzt und für Puma, Hugo Boss und anderen Marken in leitender Position tätig war. Die Umsetzung sollte in den TanTec Produktionsstandorten in Vietnam erfolgen. Doch noch vor dem Start legte der Corona Lock-Down in Asien alles lahm. 

Das Versuchslabor im Schwarzwald
Schneider und Hengstmann, beide Deutsche, gingen für die Zeit des Lock-Downs nach Deutschland. Um die Zeit optimal zu nutzen, funktionierten sie Schneiders Garage zum Labor um, orderten Maschinen, Chemikalien und andere Rohstoffe und stellten so ein provisorisches „Entwicklungszentrum" auf die Beine. Von Anfang an konzentrierte sich das Duo bei der Materialentwicklung auf den Austernpilz. Als organisches Trägermaterial wählten sie viscose/Lyocell, ein FSC-zertifiziertes, Non-woven Material mit einer transparenten Lieferkette. 
Die frischen Pilze wurden mit einem handelsüblichen Entfeuchter getrocknet und unter Zuhilfenahme einer elektrischen Kaffeemühle verarbeitet. Zahlreiche Versuche brachten erste wichtige Erkenntnisse. Parallel dazu wurde der Name HyphaLite gewählt und die zukünftige ISA Geschäftseinheit COSM - Creation of Sustainable Materials - gegründet.

Ein neues, 100 Prozent biobasiertes Material
HyphaLite ist ein Next-Gen-Material aus pflanzlichen Rohstoffen wie regenerierter Cellulose, natürlichem Latex, Naturpigmenten sowie weiteren Rohstoffen pflanzlichen Ursprungs, das mit getrockneten Austernpilzen als Füllmaterial seine Struktur erhält. Erste Muster wurden zur Überprüfung ins Labor von ISA TanTec nach China geschickt und in Videokonferenzschaltungen aus der Garage führten die beiden Entwickler Gespräche mit potenziellen Kunden, um frühzeitig deren Interesse zu wecken. Die „Garagenphase" brachte damit wertvolle Informationen für die weitere Entwicklung des Materials. Ende 2020 ging die Entwicklung dann an den ursprünglichen geplanten Standort Vietnam und es erfolgte der weitere Ausbau durch die Anschaffung von Maschinen und die Einstellung von Personal. 2021 wurde  HyhaLite intensiv weiterentwickelt und 2022 kam das Produkt bereits auf den Markt.

Von Anfang an konsequent ökologisch
Für das Produkt werden laut ISA-TanTec nur zertifizierte Rohstoffe, z.B. FSC-zertifizierte Viskose und Lyocell und zertifizierter Latex eingesetzt. Die Chemikalien bzw. Farbstoffe sind ZDHC MRSL zertifiziert und haben das Cradle-to-Cradle Materialgesundheitszertifikat. Entwicklungsleiter Hengstmann ist stolz auf die Kreation und nennt weitere Vorzüge des Produktes: „Das Material ist OekoTex 100 zertifiziert, besteht alle herkömmlichen Schadstofftests (RSL), ist zu 100 Prozent biobasiert, zu 93 Prozent biologisch abbaubar und genügt damit dem DIN EN 13432 Standard."

Im Jahr 2023 wurde HyphaLite mit dem international anerkannten Green-Product-Award ausgezeichnet. Die Ergebnisse des Lifecycle Assessmenets für das Produkt haben gezeigt, dass HyphaLite einen CO2-Fußabdruck von 4.17 kg CO2eq/kg oder 3.39kg CO2eq/m2 Material aufweist.

Die Macht der Marken
Der SDG#17 Appell zur Zusammenarbeit
  • Politik: Geeignete Rahmenbedingungen dafür setzen, Materialien nachhaltiger zu erzeugen.
  • Akteure in der Wertschöpfungskette, allem voran die Marken in der Schuh- und Bekleidungsindustrie:  nachhaltigere Materialien bevorzugen und dies offensiv und ehrlich dem Konsumenten kommunizieren.
  • Verbraucher: Im Einkaufsverhalten nachhaltige Anbieter bevorzugen.
  • Medien: Den Wandel flankierend unterstützen, damit die Veränderung in höchstmöglicher Geschwindigkeit erfolgt.
Mittlerweile wird das Material von 15 internationalen Marken in deren Schuhkollektionen genutzt. Über 40 weitere (?) internationale Marken prüfen HyphaLite und geben Feedback für die weitere Entwicklung. Denn letztendlich sind es die Marken, die entscheiden, ob neue Materialien in ihren Schuhen verwendet werden. Und diese sind skeptisch und fordern, dass ein neues Material besser sein muss als ein bisheriges - also besser als Leder und auch Synthetik-Produkte. Besser im Hinblick auf das Aussehen, die Haptik und natürlich auch bezüglich der physikalischen Belastbarkeit. Doch Leder ist gewachsen und bieten schon daher eine hervorragende Performance; bei synthetischem, ölbasiertem Kunstleder sorgen erst die chemischen Polymerverbindungen für die gewünschte Stabilität. Zusätzlich sollen die Preise für die Next-Gen-Materialien gleich oder günstiger sein als die bestehenden Materialien. „Das gleicht einer Quadratur des Kreises", wettert Tom Schneider und beklagt, „das ist ein Verlangen, das jede Innovation abwürgt."

Dabei bieten Next-Gen-Materialien, die den Anspruch erheben, auch noch komplett plastikfrei zu sein, viele Vorteile gegenüber den synthetischen Materialien:
  • Geringerer CO2-Fußabdruck und damit besser für das Klima
  • Aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt und deshalb biobasiert
  • Ohne Mikroplastik, das Land und Gewässer belastet
  • Innovativ und in angemessener Zeit biologisch abbaubar
Feuer und Flamme für Next-Gen – aber…
COSM steht für „Creation of Sustainable Materials” und ist mittlerweile als zweite Geschäftseinheit, neben der Lederproduktion, im Unternehmen ISA etabliert. Mit HyphaLite hat ISA erfolgreich das erste Next-Gen-Material auf den Markt gebracht. Nun wird es speziellen Kundenwünschen folgend angepasst und laufend weiter optimiert. Alles schön und gut, könnte man meinen: Ein neues Material für den Konsumgütermarkt, umweltfreundlicher als alle bekannten Materialien und auch noch Cradle to Cralde. Eigentlich ist es doch das, was die Marken und auch die Konsumenten den Herstellern regelrecht aus der Hand reißen müssten…

Die Realität ist leider anders: Trotz intensiver Produkt- und Materialkommunikation der Hersteller ist die Akzeptanz neuer Materialien bei den Schuherstellern begrenzt und der Endverbraucher wird durch deren Markenkommunikation schlecht oder gar nicht informiert. Hier sollten sich Material- und Schuhersteller zusammentun und in gemeinsamen Kommunikationskampagnen dazu beitragen, dass sich Verbaucher für das Thema interessieren, gut informiert fühlen und über bewusste Kaufentscheidungen Next-Gen-Produkte favorisieren. 

Last but not least – wo kommen die Pilze her?
Auf Nachfrage berichtet ISA, dass für die HyphaLite-Produktion nicht Pilze aus der Lebensmittelherstellung entnommen werden. Vielmehr werden Pilz-„Abfälle" genutzt, die nicht den Standards der Lebensmittelindustrie entsprechen und die in der Regel entweder direkt entsorgt oder auch als Futtermittel für die Fischzucht verwendet werden. Der Ankauf von Ausschuss-Pilzen generiert ein zusätzliches Einkommen für die Pilzzüchter.

Technik | Innovation, 04.11.2024

     
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