Energiewende

China führt die Welt an

Vor zehn Jahren erklärten USA und EU, die Energiewende gelinge nicht ohne China. Heute bestrafen sie China mit hohen Zöllen.
 
Im Jahr 2023 installierte China 62 Prozent der Watt-Leistung aller PV-Panels auf der Erde. © chinaimages / Depositphotos China, einst als größter Klimasünder angesehen, hat die Welt in puncto erneuerbare Energien weit hinter sich gelassen. Journalist und Buchautor David Wallace-Wells verweist auf beeindruckende Zahlen, die das rasante Wachstum der chinesischen Kapazitäten verdeutlichen. "China setzt verschiedene grüne Energietechnologien mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit um und übertrifft dabei die Prognosen der Analysten jedes Jahr aufs Neue", so Wallace-Wells. Die Welt außerhalb Chinas mache ebenfalls Fortschritte, aber wesentlich langsamere.
 
Noch im Jahr 2019 installierte China etwa ein Viertel der weltweiten Solarkapazität, die in jenem Jahr dazukam. Im Jahr 2023 gingen 62 Prozent der weltweit in diesem Jahr installierten Solarkapazität auf das Konto von China – mehr als alle anderen Länder zusammen.

© Internationale Energieagentur IEA / Grafik: gusmo
 
Von 2019 bis 2023 hat China die installierte Leistung verachtfacht, während der Rest der Welt sie nicht einmal verdoppelte.

 

© IEA / Grafik: gusmo
Bei der Windenergie sieht es ähnlich aus:
Zusammen haben alle G7-Staaten – die USA, Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan und Großbritannien – im Jahr 2023 kaum ein Viertel so viele neue Anlagen installiert wie China: 
 

 © IEA / Grafik: gusmoBei den E-Fahrzeugen sieht es wiederum ähnlich aus:
China hat im Jahr 2023 54 Prozent aller weltweit hergestellten Elektro-Fahrzeuge verkauft:


China auch bei der Produktion führend © IEA / Grafik: gusmo
Anteil an der weltweiten Produktion im Jahr 2023: China bei Solarzellen und Solarwafern* 90 Prozent und bei Windturbinen 60 Prozent:
 


Der Schwarze Peter liegt jetzt in den Händen der USA und Europas
Journalist und Klimaspezialist David Wallace-Wells erinnert sich: "Noch vor wenigen Jahren klagten westliche Klimadiplomaten, dass die Klimamassnahmen in den reichen Ländern würden verpuffen würden, wenn der chinesische Präsident Xi Jinping, dessen Land im Alleingang fast ein Drittel aller Emissionen produziert, nicht mitspiele. Noch heute behaupten Leute in reichen Ländern, es gebe bei den Investitionen für den Klimaschutz ein Missverhältnis zwischen lokalen Kosten und globalem Nutzen. Deshalb könnten wir das Tempo ruhig drosseln."
 
Unterdessen geht China viel schneller voran als die USA und Europa. Der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze meinte auf Substack: "Es ist irreführend, von einer 'globalen' Energiewende zu sprechen, denn in Wirklichkeit gibt es ein Land, das die gesamte Dynamik der Energiewende dominiert: China."
 
 © National Energy Administration / Grafik: BloombergPräsident Xi Jinping hatte im Dezember 2020 das Ziel proklamiert, dass China bis 2030 mindestens 1200 Gigawatt erneuerbare Energie produziert. Dieses Ziel hat China bereits kürzlich im Juli 2024 erreicht. Der Anteil der Sonnenenergie machte 58 Prozent aus, derjenige der Windenergie 42 Prozent. Das zeigen Zahlen von Bloomberg: 
 


Vergleiche müssen die Zahl der Einwohner berücksichtigen
 © GusmoMit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern stößt China immer noch fast dreimal so viel CO2 aus wie die USA und übertrifft andere Länder bei weitem. Doch pro Kopf der Bevölkerung sah es im Jahr 2023 anders aus:
 

Einfluss auf die CO2-Bilanz
Durch den Ersatz von teilweise veralteten Kohlekraftwerken spart China besonders viel CO2 ein. Laut IEA hat China allein durch den Bau neuer Windkraftanlagen 487 Megatonnen CO2-Emissionen vermieden. Zum Vergleich: Die gesamte Windkraft der restlichen Welt sparte nur 343 Megatonnen ein.
Auch im Bereich der Elektrofahrzeuge hat China mit 22 Megatonnen vermiedener Emissionen mehr beigetragen als die USA (15 Megatonnen) oder die EU (14 Megatonnen).

Zuerst motivierte man China, jetzt verhängt man Zölle
Noch vor einem Jahrzehnt hätten die USA und ihre Verbündeten überlegt, wie sie China – damals wie heute der weltweit größte CO2-Emittent – dazu ermutigen könnten, sich dem Westen im Wettlauf um die Abkehr von Kohle, Erdöl und Erdgas anzuschließen. Doch heute belasten die USA grüne Technologien aus China mit Zöllen, um die amerikanischen Industrien zu schützen – ein Zeichen dafür, meint Wallace-Wells, dass die USA nicht nur den Preiswettbewerb verlieren, sondern auch das Tempo des Einsatzes grüner Energie.
 
Die US-Regierung bezeichnete den vom Kongress verabschiedeten "Inflation Reduction Act" als "die weltweit größte Investition in saubere Energietechnologie aller Zeiten".
 
Im Rennen um diese Zukunftstechnik hat China allerdings einen souveränen Vorsprung. China produziert gegenwärtig fast doppelt so viele Solarmodule und E-Fahrzeuge, wie die Welt nachfragt. Deshalb brachen die Preise ein. Um dieses Überkapazitäten-Dumping abzuwehren, belasten die USA und die EU chinesische Solarmodule und E-Fahrzeugen mit hohen Strafzöllen. Diese Zollpolitik verteuert –trotz eigener massiver Subventionen – die Solarenergie und elektrische Fahrzeuge für amerikanische und europäische Konsumentinnen und Konsumenten.
 
In der Abwehr chinesischer E-Produkte sieht David Wallace-Wells im Hinblick auf die Klimaziele eine "besorgniserregende Gefahr": China könnte sich zurückziehen, seine Unterstützung für die grüne Industrie reduzieren und damit viele Produzenten in China in den Bankrott gehen lassen. So wie China die eigene Immobilienblase bewusst platzen ließ. Der Motor des globalen grünen Wandels könnte noch mehr ins Stocken geraten.
 
Die Energiewende ist aktuell in großem Maße ein chinesisches Projekt. Auch wenn weltweit Fortschritte gemacht werden, ist die Kluft zwischen China und dem Rest der Welt immens. Die Zukunft der globalen Klimapolitik wird maßgeblich davon abhängen, ob China weiterhin als führender Akteur vorangeht oder sich zurückzieht.
 
Zahlen und Zitate von David Wallace-Wells stammten aus der "New York Times" vom 16. September 2024. 
Autor: Urs P. Gasche 
Quelle des Textes: Infosperber. Mit freundlicher Genehmigung.

Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 08.10.2024

     
        
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