Angeklagt wegen Einsatz für Klimagerechtigkeit

Gericht verhängt hohe Strafen für Straßenblockade beim Nürnberger Kirchentag

Am 14. Februar 2025 verhängte das Nürnberger Amtsgericht hohe Strafen gegen drei Aktivist:innen, die im Juni 2023 beim Kirchentag in Nürnberg eine friedliche Straßenblockade als Protest gegen die Klimakrise durchführten. Trotz ihrer fundierten Verteidigung, dass ihre Aktion als legitimer ziviler Widerstand zu werten sei, wurde der Tatbestand der „Nötigung" als ausschlaggebend für das Urteil betrachtet. Die Angeklagten, darunter Pfarrerin Andrea Rickert und Biologin Dr. Maiken Winter, erwägen nun, gegen das Urteil in Revision zu gehen.
 
Einige der Klimaaktivit:innen, unter ihnen auch Pfarrerin Andrea Rickert, die Biologin Dr. Maiken Winter und Michael Schade, bei einer Straßenblockade am Nürnberger Kirichentag 2023. © ehemals ''Letzte Generation''Einige der Klimaaktivit:innen, unter ihnen auch Pfarrerin Andrea Rickert, die Biologin Dr. Maiken Winter und Michael Schade, bei einer Straßenblockade am Nürnberger Kirichentag 2023. © ehemals ''Letzte Generation''
Zu 60 Tagessätzen verurteilte das Nürnberger Amtsgericht drei Aktivist:innen, die im Zuge einer Protestaktion beim Deutschen Evangelischen Kirchentag im Juni 2023 den Bereich vor dem Nürnberger Hauptbahnhof kurzzeitig für den Automobilverkehr friedlich blockierten.
 
Obwohl sich breite Bevölkerungsgruppen seit Jahren große Sorgen um das Klima machen, verschließen die Gerichte die Augen vor den Ängsten der Menschen in diesem Land.

Gericht ignoriert ethische Argumente der Aktivist:innen
Die in der Verteidigung ausführlich und fundiert vorgetragen Argumente, warum diese Aktionsform als friedliche, gewaltfreie Form des zivilen Widerstands als legitim zu bewerten sei und sogar ethisch geboten, wurden vom Gericht zwar gehört, aber in der Urteilsfindung ignoriert. Das Gericht hatte nicht über Fragen der Klimakrise zu befinden, sondern sich ausschließlich mit dem Tatbestand einer angeblichen Nötigung zu beschäftigen und entsprechend zu urteilen.

Aus Sicht der Angeklagten und der Verteidigung wurde dadurch die Motivation der Aktivist:innen ausgeblendet und als irrelevant für das Urteil ausgeklammert.

Glauben und Verantwortung als Antrieb für den Widerstand
Die Beschuldigten, Pfarrerin Andrea Rickert, die Biologin Dr. Maiken Winter und Michael Schade, erwägen, in Revision oder in Berufung zu gehen, darüber wird in den kommenden Tagen entschieden.

An der Protestaktion waren insgesamt 16 kirchennahe Aktivist:innen der Kirchenvernetzungsgruppe der damals „Letzten Generation" beteiligt. Weitere Prozesse für die anderen Beteiligten folgen ab März 2025.

Die Gruppe von engagierten Bürger:innen brachte mit ihrer Aktion ihre tiefe Sorge über die globale Klimakatastrophe zum Ausdruck und ihre Verantwortung gegenüber der Schöpfung. Die Beschuldigten sind meist schon lange im Klimathema aktiv und hatten über Jahre hinweg auf vielfältige Weise versucht, die Dringlichkeit der Klimakrise bekannt zu machen. Der Kirchentag bot einen geeigneten Rahmen, dem Klimathema noch einmal Nachdruck zu verleihen.

Am Kirchentag war das Thema der ökologischen und gesellschaftlichen Verantwortung in Zeiten der Klimakatastrophe in zahlreichen Veranstaltungen präsent. Im Abschlussgottesdienst wies Pastor Quinton Ceasar die Menschenmenge darauf hin, dass „ALLE die Letzte Generation seien" – was mit zustimmendem Jubel quittiert wurde.

Dass die Aktion – wie schon oft davor – als Straftat verurteilt wurde, lässt die Beteiligten fassungslos. „Ich verstehe nicht, warum es eine Straftat ist, friedlich und aus Verantwortungsgefühl die Menschen vor der kommenden Klimakatastrophe auf der Straße sitzend zu warnen – aber es ist keine Straftat, unsere Lebensgrundlagen zu zerstören, indem das nötige Handeln durch Wegsehen, Verharmlosen oder gar Leugnen blockiert bzw. verlangsamt wird. Und ich verstehe nicht, dass die Gerichte nicht das Grundrecht auf Leben, Freiheit, Eigentum für höher bewerten als das Recht von Autofahrern, auf der Straße zu fahren – ein Recht, das es übrigens nicht gibt", meint die Biologin Dr. Maiken Winter.

Ganz ähnlich äußert sich Prof. Dr. Jean-Pascal Ypersele, der ehemalige Vize-Chair des Weltklimarates, IPCC: „Es ist zutiefst beunruhigend, dass diejenigen, die wegen der Klimakrise Alarm schlagen, als Straftäter behandelt werden, während der wahre Schaden – die fortgesetzte Verbrennung fossiler Brennstoffe und die politische Untätigkeit – ungehindert fortbesteht. Anstatt diejenigen zu verfolgen, die unsere gemeinsame Zukunft schützen wollen, sollten sich unsere Institutionen mit der eigentlichen Ursache ihres Protests befassen: dem anhaltenden Versagen, entschlossen gegen die Klimakrise vorzugehen."

Unterstützung aus der christlichen Gemeinschaft und der Wissenschaft
Die Aktivist:innen erhielten viel Zuspruch von christlicher Seite. Prof. Dr. Markus Vogt, Lehrstuhlinhaber für christliche Sozialethik an der LMU, nimmt Stellung: „Der Widerstand ist Ausdruck der Hoffnung, dass doch noch eine ökologische Umkehr möglich ist. Christliche Hoffnung hat sich immer auch im Widerstand gegen Ungerechtigkeit geäußert. Gerade angesichts der stillen Resignation gegenüber den Herausforderungen der Zukunft, die sich gegenwärtig besonders unter Jugendlichen ausbreitet, waren die Aktionen ein verzweifelter, aber zutiefst christlich motivierter und solidarischer Versuch, die Gesellschaft aufzurütteln: Statt zu verdrängen, müssen wir endlich die Dringlichkeit eines raschen Umsteuerns hin zu mehr Klimagerechtigkeit anerkennen. Die hohen Strafen für die Protestaktionen in Bayern sind aus ethischer Sicht unverhältnismäßig."

Pfarrerin Andrea Rickert berief sich auf ihren tiefen Glauben und der daraus folgenden Verantwortung für Gerechtigkeit und den Erhalt der Schöpfung. „Als Christin sehe ich es als meine Verantwortung und als Ausdruck meines Glaubens, deutlich zu machen, dass wir nicht so weiter machen können wie bisher, sondern vielmehr ‚dem Rad in die Speichen fallen‘ müssen (D. Bonhoeffer). Wir können umkehren und unser Leben ändern und eine bessere und gerechtere Welt für alle schaffen. Und daran ändert das heutige Urteil nichts."

Kritik an der Gerichtsurteil: Klimakrise bleibt unbeachtet
Friedfertig auf die massive Ungerechtigkeit aufmerksam machen, das war auch dem überzeugten Pazifisten Michael Schade ein großes Anliegen, der aus Hamburg zum Kirchentag angereist war, um dort mit Tausenden anderen zu diskutieren, zu beten, zu singen. „Es widerspricht meiner Überzeugung, durch mein Handeln Menschen zu verletzen oder zu gefährden. Ich sehe aber, dass schon heute täglich Menschen durch die Klimakatastrophe gefährdet, bedroht werden – oder sogar ihr Leben verlieren." Daher nahm auch er an der Straßenblockade teil.

„Ich finde, ihnen sollte gedankt werden statt sie zu verurteilen", meint der Träger des Alternativen Nobelpreises, Bill McKibben, zu der Aktion. Doch da war das Gericht anderer Meinung und erhob ein Strafmaß von 60 Tagessätzen. Dies erfolgte, obwohl die Versammlung nicht ordnungsgemäß aufgelöst wurde und trotz eingehender Erörterung der Klima-Notlage durch den Verteidiger und die Angeklagten.

„Damit macht sich das Gericht selbst mitschuldig an dem Leid von Millionen, ja Milliarden von Menschen", kommentiert Dr. Maiken Winter. „Es ist unfassbar, dass im Jahr 2025, in dem die Klimawissenschaftler entsetzt den sprunghaften Anstieg der Erd-Temperatur beobachten und das Überschreiten klimatischer Kipp-Punkte unmittelbar bevorsteht, immer noch so geurteilt wird, als hätten wir Zeit. Das ist Verleugnung von Tatsachen und wird – dessen bin ich überzeugt – in Zukunft geahndet werden. Nur ist es dann zu spät für effektives Handeln", empört sich Dr. Winter.

Mit vielen Klima-Wissenschaftler:innen und Christ:innen im Rücken fühlen sich die drei Angeklagten gestärkt, um gegebenenfalls in Revision zu gehen. Denn ihre Aktion halten sie angesichts der jüngsten Klima-Entwicklungen für gerechtfertigter denn je.

Siehe auch: 

Kontakt: Letzte Generation, Pfarrer Karl Mehl | Vernetzung.kirchen@letztegeneration.org


Umwelt | Klima, 16.02.2025

     
        
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