SAVE LAND - UNITED FOR LAND

Klimaschutz durch Bürgerbeteiligung

Lehren aus einem Bürgerrat für eine transparente und gerechte Klimapolitik

Klimapolitik kann nur erfolgreich sein, wenn sie von der Bevölkerung als gerecht und transparent wahrgenommen wird. Derzeit ist dies jedoch nicht der Fall. Bereits vor einigen Jahren hat der „Bürgerrat Klima" konkrete Vorschläge unterbreitet, wie sich die aktuelle Unzufriedenheit hätte vermeiden lassen. Wie könnten Bürgerräte dabei helfen, dass die Klimapolitik von einer breiten Masse der Bevölkerung als gerecht empfunden wird?

Bürgerrat Klima © Manoel EisenbacherBürgerrat Klima © Manoel Eisenbacher
Der nationale Emissionshandel wird als ungerecht empfunden: 54 Prozent der Deutschen lehnen die CO2-Bepreisung in den Bereichen Verkehr und Wärme als unangemessen ab. Nur gut ein Viertel hält den Preis für gerechtfertigt. Das ist das Ergebnis einer Studie des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), die auf einer repräsentativen Befragung basiert und Ende August 2024 veröffentlicht wurde.

CO2-Bepreisung und sozialer Ausgleich
Die CO2-Bepreisung in ihrer rigiden Gleichheit behandelt jedes Gramm Kohlendioxid egalitär: Egal, ob es aus dem Zweit-SUV auf dem Weg in den dritten Urlaub stammt, oder beim notdürftigen Heizen einer schlecht isolierten Wohnung entsteht. Egal, ob die Millionärin zur Kasse gebeten wird oder der Geringverdiener. Mitunter wird der Mieter dafür bestraft, dass die Vermieterin nicht in Dämmung und eine moderne Heizungsanlage investiert. Gerecht? Die Akzeptanz der CO2-Bepreisung, so die Studie, verhält sich proportional zum Einkommen: Menschen, die sich ernsthaft um ihre finanzielle Lage sorgen, lehnen den CO2-Preis häufiger ab als jene ohne derartige Bedenken. Da ein größerer Anteil des Einkommens in den unteren und mittleren Einkommensschichten für Heizung und Mobilität ausgegeben wird, trifft sie die Bepreisung entsprechend härter. Ein sozialer Ausgleich findet nicht statt. Und es mangelt dem Instrument offenbar an Transparenz: Drei Viertel der Deutschen fühlen sich schlecht oder gar nicht über die CO2-Bepreisung informiert, so eines der Ergebnisse der IMK-Studie.

Die Vorschläge des „Bürgerrat Klima"
Es hätte auch anders kommen können: 2021 fand der „Bürgerrat Klima" statt, in dem sich 160 zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger über Maßnahmen zum Klimaschutz in Deutschland berieten. Der Bürgerrat wurde nicht vom Bundestag oder einem Ministerium initiiert, sondern von der privaten Initiative „Bürgerbegehren Klimaschutz". Obwohl dieser Bürgerrat nicht offiziell war, wäre es klug gewesen, seine Empfehlungen in der politischen Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.

Der „Bürgerrat Klima" sprach sich beispielsweise zwar mit 86-prozentiger Mehrheit für eine CO2-Bepreisung aus – jedoch mit einigem „aber": So sollte ein regelmäßiger Klimabericht über Einnahmen der CO2-Bepreisung und deren Verwendung informieren, damit die Berechnung des CO2-Preises, die Höhe der Einnahmen sowie deren Verwendung „transparent und nachvollziehbar für die Bürger­innen und Bürger" erfolge. Zudem sollten die Einnahmen zweckgebunden „in den sozialen Ausgleich, in Forschung und Entwicklung sowie in Infrastruktur" investiert werden.

Der Bürgerrat forderte vor drei Jahren also genau das ein, woran es bis heute mangelt: Transparenz und sozialer Ausgleich. Er äußerte sich allerdings nicht nur zur CO2-Bepreisung, sondern schuf auch Leitsätze für viele weitere Themenfelder wie Energie, Mobilität und Wärme. Ein übergeordneter Leitsatz lautete: „Das 1,5 Grad Ziel hat oberste Priorität." Fragen der sozialen Gerechtigkeit zogen sich jedoch als roter Faden durch das Bürgergutachten.

Ein Thema mit gesellschaftlicher und politischer Sprengkraft
Anstatt konstruktiv Lösungen für die ökologischen Probleme zu erarbeiten, nutzen populistische Parteien die Themen Klimawandel, Energiewende und Artenschutz in negativer Weise, um auf Stimmenfang zu gehen – wissenschaftliche Fakten spielen dabei kaum eine Rolle. Wie viel Sprengkraft die Frage eines gerechten ökologischen Wandels hat, zeigte sich kürzlich im Austritt des gesamten Vorstands der grünen Jugend aus der Partei Ende September. Wer sich beim Klimaschutz weigere, „die Reichen zur Kasse zu bitten, lässt im Ergebnis die breite Bevölkerung bezahlen", ließ der abtrünnige Nachwuchs seine nunmehr ehemalige Partei wissen.
 
Kurzum: „Klimapolitik braucht Akzeptanz, Transparenz und Fairness – sonst wird sie scheitern."

Der Bürgerrat als konstruktive Lösung 
Aber stehen Bürgerräte nicht oft nur für leeres Gerede? Blicken wir nach Irland, wo die Kombination aus Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie es schaffte, zwei gesellschaftliche Großkonflikte aufzulösen. Dabei ging es um Themen, die im „erzkatholischen" Irland hoch umstritten waren: Abtreibung und Ehe für alle. Erst beriet ein losverfahrenbasierter Bürgerrat. Eine niedrig dreistellige Zahl an Personen, die zufällig ausgewählt wurden, jedoch die Gesellschaft im Kleinen widerspiegelten, traf sich und diskutierte miteinander. Die Bürger wurden dabei von Fachleuten beraten und kamen zu Ergebnissen, die in ein Gutachten mündeten. Die Bevölkerung stimmte per Referendum schließlich darüber ab – und die Sache war gegessen.

Wo sonst kommt eine homosexuelle und eine homophobe Person, eine Klimaleugnerin und ein Klimaaktivist, eine wohlhabende und eine gering verdienende Person an einen Tisch, um gemeinsam über gesellschaftliche und politische Fragen zu debattieren? Wo gehen sie aufeinander zu, bauen Vorurteile ab, kommen zu einem gemeinsamen konstruktiven Ergebnis – wenn nicht im Bürgerrat?

Beschließen kann ein Bürgerrat nichts. Am Ende darf in Deutschland, anders als in Irland, die Bevölkerung nicht entscheiden, was mit den Vorschlägen des Bürgerrats geschehen soll. Das gilt zumindest für die nationale Ebene. Denn den bundesweiten Volksentscheid gibt es noch nicht. Der Verein „Mehr Demokratie" und seine Bündnispartnerinnen und Bündnispartner werben dafür seit 35 Jahren – bisher vergeblich. Das letzte Wort hat also der Bundestag. Aber auch der kann und sollte selbstverständlich kluge Vorschläge übernehmen. 

Gewiss, die Jahrhundertaufgabe Klimaschutz bleibt schwer zu lösen. Interesse, Ideologie, Ignoranz, Inflexibilität, Intuition: Die fünf I stehen einem wirkungsvollen Klimaschutz im Wege. Und der Klimawandel ist nun mal nicht die einzige Krise im Mensch-Natur-Verhältnis. Wunder wirken kann auch ein Bürgerrat nicht – wohl aber Antworten auf konkrete Fragen liefern. Und zwar solche, die für eine breite Mehrheit akzeptabel sind. Wer bietet mehr?
 
Marcus Meier ist Pressesprecher von Mehr Demokratie e.V. und hat zuvor rund 25 Jahre als Journalist gearbeitet. Mehr Demokratie wurde 1988 gegründet und setzt sich für ein umfassendes Demokratie-Update in den Bereichen direkte Demokratie, Bürgerbeteiligung, Wahlrecht und Informationsfreiheit Transparenz ein.


Bürgerräte in Deutschland

Jährlich finden in Deutschland rund 30 Bürgerräte statt, 80 Prozent davon auf kommunaler Ebene. Oft heißen diese Bürgerräte auch „Bürgerforum", „Zukunftsforum" oder „Planungszelle". Auf der Website www.buergerrat.de finden Sie lokale Initiativen, die sich vor Ort für Bürgerräte einsetzen.

Weitere Initiativen für mehr Bürgerbeteiligung:
  • Es geht LOS: „Think & Do Tank", der sich für zufallsbasierte Bürgerbeteiligung und deren Verstetigung einsetzt.
    www.esgehtlos.org
  • LOSLAND: Das Projekt LOSLAND organisierte bisher für zehn Gemeinden Beteiligungsprozesse, die durch Bürgerräte inspiriert waren, unter dem Motto: „Gemeinsam für eine enkeltaugliche Zukunft".
    www.losland.org
  • Klima trifft Kommune: Das Modellprojekt engagiert sich für wirkungsvolle Klimabürgerräte, die mit direkter Demokratie gekoppelt werden sollen. In Osterburg (Sachsen-Anhalt) wird ein Bürgerrat klimapolitische Vorschläge erarbeiten und die Bürgerinnen und Bürger stimmen dann in einem Bürgerentscheid darüber ab.
    www.klimatrifftkommune.de 
  • Stiftung Aktive Bürgerschaft: Die Stiftung Aktive Bürgerschaft fördert bürgerschaftliches Engagement in Deutschland, insbesondere durch Unterstützung von Bürgerstiftungen und gemeinnützigen Initiativen, um soziales Engagement und Gemeinwohl nachhaltig zu stärken.
    www.aktive-buergerschaft.de
  • Demokratie leben! Das Programm „Demokratie leben!" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fördert seit 2015 Projekte zur Stärkung von Demokratie, Vielfalt und Extremismusprävention, indem es zivilgesellschaftliche Initiativen und Bildungsangebote unterstützt.
    www.demokratie-leben.de
Hinweis:
Das Handbuch "Kommunale Bürgerräte organisieren" erklärt, wie eine Gemeindeverwaltung einen Bürgerrat starten kann.


Corona-Bürgerrat ist Geschichte

Im Oktober 2024 wurde entschieden, dass es in dieser Legislaturperiode keinen weiteren Bürgerrat im Auftrag des Bundestages geben wird. Das ist eine verpasste Chance für die Demokratie! Ein weiteres Praxisbeispiel hätte die Rolle von Bürgerräten in der parlamentarischen Demokratie weiter stärken können. Doch die Ampel-Koalition konnte sich nicht auf ein Thema einigen. Die Aufarbeitung der Coronapandemie stand lange zur Diskussion. Aus unserer Sicht genau das richtige Thema für einen Bürgerrat! Er hätte die Chance geboten zu einer längst überfälligen Aufarbeitung, zu einer konstruktiven Untersuchung. Eine Chance, bei der auch Bürgerinnen und Bürger involviert gewesen wären, nicht nur Expertinnen und Experten.

Erfahrungen aus Ernährungs-Bürgerrat waren gut
Die Erfahrungen aus dem ersten Bürgerrat des Bundestages zum Thema Ernährung zeigen, dass sich das Instrument im Praxistest bewährt hat. Der Evaluationsbericht nannte das Projekt „erfolgreich im Sinne des Einsetzungsbeschlusses". Außerdem sind die Empfehlungen nicht in einer Schublade verschwunden, sondern werden tatsächlich weiter diskutiert. Uns schmerzt das Aus des Bürgerrats. In Zeiten, in denen das Vertrauen in die Politik schwindet, brauchen wir genau solche Beteiligungsverfahren. Was jetzt passiert, ist das Gegenteil. Aber wir werden an dem Thema dranbleiben, das verspreche ich Ihnen.
(Roman Huber, Geschäftsführender Bundesvorstand Mehr Demokratie e.V.)

Gesellschaft | Politik, 16.12.2024
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