Weltwirtschaftsforum

im Schatten der Weltwirtschaftskrise


Die globale Gemeinschaft sitzt in einem Boot -
und kann sich nicht auf einen gemeinsamen Kurs einigen.
© Swiss-Image GmbH
Der vielbeschworene Geist von Davos spukt wohl noch wochenlang weiter in den Köpfen der Mächtigen dieser Welt. Neben Spitzenpolitikern trifft man dort jährlich auf Manager multinationaler Topkonzerne, die versuchen, neben der Weltwirtschaft zeitgleich das eigene Unternehmen in sichere Gewässer zu rudern. Wird es den selbsternannten Königen der Welt gelingen, eine weltweite Talfahrt in gesicherte Bahnen zu lenken? Eines ist gewiss: Davos war nie so arm an Beschlüssen.

Ja, sie haben es sich schon schwer gemacht, die Strippenzieher dieses Erdballs, dessen Blähbauch sich im vergangenen Jahr mit Nachdruck entlüftet hat. Unter dem Motto "Die Welt nach der Krise gestalten" ging das 39. Weltwirtschaftsforum am 1. Februar 2009 zu Ende. Die Finanzkrise war auf der fünftägigen Konferenz allgegenwärtig. Jeden der 2.500 Teilnehmer verfolgte das Finanzschlamassel. Allen voran die Finanzinvestoren, denen die neue Kleidungsordnung gerade recht kam: Krawatten mussten leider draußen bleiben. Mehr Luft für jene, um deren Hals es eng geworden ist.

Viel Altbekanntes wurde noch einmal gesagt, viele alte Sorgen wie Artensterben und Gewässerschutz durch neue ersetzt, alte Werte hervorgekramt und zur Schaffung einer neuen Welt wiederbelebt. Aus Alt mach Neu. Tatsächlich neu war in diesem Jahr, dass die Mächtigen und Reichen direktes Feedback durch die Weltbevölkerung bekamen. Ob sie es wollten oder nicht. Ob es ihnen gefiel oder nicht. Da gab es die altbewährte Methode der Gegenbewegung, das Weltsozialforum. In Brasilien forderten über 100.000 Menschen aus über 150 Ländern eine Neuordnung der Weltwirtschaft. Einem digitalen Trend folgend verliehen das Internetvideoportal YouTube und der amerikanische Fernsehsender CNN in diesem Jahr der Öffentlichkeit eine Stimme, indem sie kritische Videobotschaften und Fragen der Weltbürger direkt an Spitzenpolitiker und Konzernchefs weiterleiteten und deren Antworten ins World Wide Web stellten. Jene Kritiker, deren Zeit oder Geld keine Reise in die winterkalte Schweiz oder das sonnige Brasilien erlaubten, konnten so ihren Fragen Luft machen. Ob die Fragestellungen und Diskussionen der vermeintlichen Weltelite hierdurch an Geist gewonnen haben, bleibt abzuwarten.

Der Fokus darf nicht nur auf den Banken liegen

Der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan befürchtet, dass die
Löcher der Banken zwar gestopft werden, aber die verheerenden
Auswirkungen der Finanzkrise auf Afrika unbeachtet bleiben.
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Kofi Annan, ehemaliger UN-Generalsekretär, wurde von einem YouTube-User aus Nigeria gefragt, welche Rolle Afrika auf dem 39. Weltwirtschaftsforum spielen werde. Annan antwortete, dass er sich als Botschafter Afrikas in diesem Forum für wirtschaftliche Entwicklung, Bildung, humanitäre Hilfe und gegen Armut auf dem afrikanischen Kontinent einsetzen werde. Bereits seit Wochen spüren vor allem Entwicklungsländer die Folgen der Weltwirtschaftskrise. Investitionen in diese Länder nehmen rasant ab. Neben Kofi Annan warnte auch der südafrikanische Finanzminister Trevor Manuel eindringlich davor, den Fokus zu sehr auf die Rettung der Banken zu legen, sonst würden die Entwicklungsländer wirtschaftlich um 20 Jahre zurückgeworfen. Doch nicht nur Länder der Dritten Welt bekommen die sozialen und politischen Folgen der Finanzkrise zu spüren. Chinas Wachstum ist stark gebremst und Millionen Wanderarbeiter ohne Jobs. Das bleibt in einer globalen Weltgemeinschaft nicht folgenlos.

"Aus den Ruinen, die wir geschaffen haben, werden wir etwas Neues bauen"

"Wir werden ein neues System schaffen müssen, das nicht
nach Geld und Reichtum strebt, sondern nach Werten, die von
Herzen kommen", so Paulo Coelho, Bestsellerautor aus Rio de Janeiro.
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In Davos traf eine junge Journalistin auf den brasilianischen Autor Paulo Coelho. Sie fing seine Meinung zur gegenwärtigen Weltwirtschaftslage ein: "Wir sind vom Weg abgekommen und zwar von jenem Weg, der Ethik heißt. Ich rede von ethischen Werten wie: Gehe achtsam mit deinem Nachbarn um, denke zweimal nach, bevor du handelst, sieh nicht nur dein eigenes Wohl an erster Stelle. Eine Welt ohne gemeinsame ethische Wertvorstellungen wird nicht funktionieren. Sobald wir den Boden dieses Desasters erreicht haben, werden wir feststellen, dass wir nun die Möglichkeit haben, aus den Ruinen, die wir geschaffen haben, etwas Neues zu bauen. Wir werden ein neues System schaffen müssen, das nicht nach Geld und Reichtum strebt, sondern nach Werten, die von Herzen kommen." Coelhos poetisch-weiche Worte mögen angesichts handfester Wirtschaftsprobleme verklärt und ideell wirken. Sie sind im Kern aber richtig. Die Vergangenheit hat gezeigt, wie falsch wirtschaftliches Handeln ist, das Denkstrukturen folgt, die bar jeder moralischen Verpflichtung sind. Jene, die mit Coelho als Autoren bloßer Sinnsucher-Fabeln nichts anzufangen wissen, dürften sich bei einem Genie aufgehoben fühlen, das unsere heutige Herausforderung auf den Punkt gebracht hat: Albert Einstein. Sein Rat, unseren Problemen nicht mit derselben Denkweise zu Leibe zu rücken, mit der wir sie haben entstehen lassen, hat heute mehr Gewicht denn je. Hier schließt sich der Kreis zu Coelho - Handeln ohne ethische Grundsätze führt unweigerlich zu einem Desaster und dieses können wir nicht lösen, indem wir weiter unethisch agieren.

Eine Bilanz ohne Glanz

Eine globale soziale Marktwirtschaft schlägt die deutsche
Bundeskanzlerin vor. Jetzt müssen nur noch Taten folgen.
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Angela Merkel hat in Davos ihre "Charta für nachhaltiges Wirtschaften" vorgestellt. Sie will Protektionismus verhindern, ein offenes Welthandelssystem schaffen und gleichzeitig Klimawandel und Armut bekämpfen. Ein hehres, notwendiges Vorhaben. Dabei weist sie stolz auf das deutsche Modell der sozialen Marktwirtschaft hin. Die Betonung legt sie dabei auf das Wort "sozial". Unser System als Grundlage für ein international gültiges Regelwerk? Kontrolliert von einem Weltwirtschaftsrat? Grundsätzlich eine gute Idee, Frau Merkel. Obwohl wir doch zugeben müssen, dass auch unser "soziales" System seine Krankheiten hat.

Eine gute Idee von vielen, die mal mehr, mal weniger Zustimmung ernteten. Im April treffen sich die G20-Staaten in London. Vielleicht wird dann das erreicht, was in Davos vermisst wurde: Konkrete Beschlüsse. Taten statt Worte.


Weitere Informationen:

www.youtube.com/user/thedavosquestion
www.weforum.org



Das Weltwirtschaftsforum und seine Gegenstimme

Im Jahr 1971 gründete der Wirtschaftsprofessor Klaus Schwab das World Economic Forum (WEF). Die im schweizerischen Genf beheimatete Stiftung veranstaltet seither jährlich im Januar ein Jahrestreffen im Kurort Davos, bei dem international führende Wirtschaftsexperten, Politiker, Intellektuelle und Journalisten die wichtigsten Fragen der Weltgemeinschaft diskutieren. Das von der weltweiten Finanzkrise geprägte Jahrestreffen 2009 fand vom 28. Januar bis zum 1. Februar statt. 1.000 Mitgliedsunternehmen finanzieren das Forum. Eine Teilnahme ist nur auf Einladung gestattet, wobei die rund 2.500 geladenen Gäste in fünf Tagen an 220 offiziellen Sitzungen teilnehmen können. Die Diskussionen behandeln in erster Linie internationale Fragestellungen und Lösungsansätze für Herausforderungen wie Armut, Klimawandel oder Kriege.

Kritiker des Weltwirtschaftsforums organisieren seit 2001 den Gegengipfel Weltsozialforum (WSF). Sie werfen dem WEF vor, kaum ernsthafte wirtschaftswissenschaftliche Analysen in die Diskussionen einzubeziehen und fügen an, dass Davos in erster Linie dazu diene, medienwirksame Themen zu platzieren - um sich als Politiker und Unternehmer entsprechend selbst zu positionieren.






 
 
 Von Sabrina Krebs
 
 

Dieser Beitrag erscheint in der aktuellen Ausgabe von forum Nachhaltig Wirtschaften mit dem Schwerpunkt "Unternehmen im Gesundheitscheck" und dem Special "Green Building".

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Quelle:
Gesellschaft | Globalisierung, 14.04.2009

     
        
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