Im Dialog
Wo bleibt die Eigenverantwortung der Mitarbeiter für ihre Gesundheit?
In erster Linie stehen Unternehmen in der Pflicht, Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) voranzutreiben. Wie sieht es aber mit der Eigenverantwortung der Arbeitnehmer aus? Genügt es nicht, wenn Firmen gute Arbeitsbedingungen im Sinne eines ausreichenden Arbeitsschutzes schaffen? Müssen auch Angebote wie Darmkrebsvorsorge, Rückenschule, Ernährungsberatung angeboten werden oder liegen diese im Verantwortungsbereich der Arbeitnehmer?
Zu dieser Frage haben vier Experten für Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz Stellung bezogen.
Dr. med. Andreas Tautz:
"Individuelle Gesundheitsvorsorgemaßnahmen greifen zu kurz"
Angebote der Betrieblichen Gesundheitsförderung werden noch zu häufig unsystematisch als individuelle Gesundheitsvorsorgemaßnahmen mit Appell an die Eigenverantwortlichkeit der Beschäftigten adressiert. Die Potenziale der gesundheitsförderlichen Gestaltung des Arbeitsplatzes dagegen werden noch zu selten systematisch genutzt. Aus gesellschaftlicher Sicht sind die Unternehmen das ideale Präventionssetting. Hier können Maßnahmen zur Verhinderung von Zivilisationserkrankungen zielgerichtet adressiert werden. Die Arbeitsmedizin sorgt dabei für die Qualitätssicherung bedarfsgerechter Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz und ist das Bindeglied zur kurativen Versorgung. Aus unternehmerischer Sicht ist die Gesundheitsförderung ein Element eines systematischen Gesundheitsmanagements.
Wenn die Weltgesundheitsorganisation und das Weltwirtschaftsforum chronische Erkrankungen als wachsendes Risiko beschreiben, müssen sich die Unternehmen dieser Herausforderung stellen. Denn Gesundheitsmanagement ist klassisches Risikomanagement - es dient der Risikominimierung und der Ressourcenpflege. Wo technisches Kapital regelmäßig gewartet und inspiziert wird, liegt es in der unternehmerischen Verantwortung, auch in die Gesundheit der Beschäftigten zu investieren und dabei gleichermaßen deren Eigenverantwortung zu stärken. Diese Investition dient dem dauerhaften Erhalt von Leistungsfähigkeit und Mitarbeiterengagement und damit der Produktivität der Unternehmen, der Qualität der Produkte und Dienstleistungen und der Zufriedenheit der Kunden.
Dr. med. Andreas Tautz ist Chief Medical Officer von Deutsche Post World Net und leitet das Konzerngesundheitsmanagement.
Prof. Dr. Bernhard Badura:
"Ursachen schlechter Gesundheit liegen meist in den Arbeits- und Organisationsbedingungen"
Gesundheit ist ein hohes Gut, für das jeder Einzelne selbst Verantwortung übernehmen muss - soweit es in seiner/ihrer Kompetenz liegt, die Bedingungen guter Gesundheit selbst zu beeinflussen. Diese Einschränkung gilt es bei der Thematik stets zu berücksichtigen. Denn Studien zum Gesundheitsbewusstsein und zum gesundheitsbewussten Verhalten belegen immer wieder die große Bedeutung von Bildung, Berufsstatus und Einkommen. Akademiker leben in der Regel gesünder und länger als Nichtakademiker. Führungskräfte weisen einen besseren Gesundheitszustand auf als ihre Untergebenen. Diese heute wissenschaftlich weitgehend geklärten Zusammenhänge sollten nicht dafür herhalten, die Eigenverantwortung zu bagatellisieren. Sie betonen vielmehr, wie wichtig es einerseits ist, die Beschäftigten zum eigenverantwortlichen Handeln zu befähigen. Zum anderen unterstreichen sie die große Verantwortung der Unternehmen, bei alternden Belegschaften und steigenden Anforderungen mehr als bisher nicht nur in die Befähigung der Mitarbeiter, sondern auch in gesundheitsförderliche Strukturen und Prozesse zu investieren.
Die Forschung belegt: Maßnahmen, die an den Arbeitsbedingungen, bei der Qualifikation der Beschäftigten sowie an der Qualität der Führung, der Unternehmenskultur und dem Betriebsklima ansetzen, zeigen deutlich nachhaltigere Wirkungen auf die Gesundheit als Gesundheitschecks oder Kurse zur Stressbewältigung. Psychische Belastungen beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft in besonderer Weise und schaden dadurch Beschäftigten und Unternehmen. Präsentismus, also psychisch bedingte Produktivitätsverluste, nicht Absentismus, also das krankheitsbedingte Fernbleiben, ist das Hauptgesundheitsproblem moderner Volkswirtschaften.
Auf das Ergebnis kommt es an - das gilt auch für die betriebliche Gesundheitspolitik. Nachhaltig gute Betriebsergebnisse lassen sich nur durch gesunde Mitarbeiter erwirtschaften. Ursachen schlechter Gesundheit liegen meist in den Arbeits- und Organisationsbedingungen. Mitarbeiter können, wenn sie denn gefragt werden, erheblich dabei helfen, krankmachende Einflüsse zu identifizieren und Vorschläge für ihre Beseitigung zu entwickeln. Für ihre tatsächliche Beseitigung sind sie allerdings auf die Hilfe des Managements und der Gesundheitsexperten angewiesen.
Prof. Dr. Bernhard Badura ist seit 1991 Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Sozialepidemiologie, Stressforschung, Gesundheitsmanagement, Evaluationsforschung, Rehabilitation und Gesundheitspolitik.
Susanne Lexa:
"Gesundheitsvorsorge ist in erster Linie Sache jedes Einzelnen"
Immer mehr Unternehmen betreiben in Ergänzung zum betrieblichen Arbeitsschutz eine aktive und systematische Betriebliche Gesundheitsförderung. Die Palette der Angebote ist breit. Sie reicht von Entspannungskursen, der Beratung zu rückengerechtem Verhalten, Aufklärung zu Themen wie Sucht, Rauchen, Ernährung und Bewegung über die Einrichtung von Gesundheitszirkeln und Mitarbeiterbefragungen zur Arbeitsplatzzufriedenheit bis hin zu Führungskräfteseminaren zur gesundheitsgerechten Mitarbeiterführung.
Fakt ist aber auch: Eigenverantwortliches Handeln kann nicht durch Druck von außen ersetzt werden. Gesund zu bleiben und die Gesundheit zu stärken, ist ohne die eigene Mitwirkung, ohne eigenes Wollen kaum möglich. Nur in ihrem Einflussbereich können Unternehmen präventiv tätig werden und die Gesundheitskompetenz ihrer Mitarbeiter durch geeignete Angebote erhöhen. Die Betriebe können nicht allein der Gesundbrunnen der Gesellschaft sein. Gesundheitsvorsorge ist in erster Linie die Sache eines jeden Einzelnen.
Susanne Lexa ist Referentin für Soziale Sicherung bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).
Dr. Walter Eichendorf:
"Von Betrieblicher Gesundheitsförderung profitieren alle"
Die Arbeitswelt ist ein sehr guter Ansatzpunkt für die Gesundheitsförderung. Viele Menschen verbringen einen Großteil ihrer Zeit dort; viele Gesundheitsprobleme stammen aus dem privaten Umfeld und vom Arbeitsplatz. Betriebliche Gesundheitsförderung entspricht auch dem Präventionsauftrag der Unfallversicherung, die "mit allen geeigneten Mitteln" für die Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sorgen soll. Innerhalb der Initiative Gesundheit und Arbeit (IGA) haben wir uns intensiv mit dem Nutzen der BGF befasst und können begründet sagen: BGF-Maßnahmen haben positive gesundheitliche und betriebswirtschaftliche Effekte. Die Unternehmen profitieren deutlich, da krankheitsbedingte Fehlzeiten und Krankheitskosten signifikant zurückgehen. Bei den Beschäftigten werden bekannte Risikofaktoren reduziert. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer profitieren also von BGF. Gleichermaßen sind sie auch gefragt, Verantwortung zu übernehmen - die Unternehmen in Bezug auf die systematische Bereitstellung von Angeboten zur BGF, die Arbeitnehmer in Bezug auf Teilnahme an angebotenen Programmen und deren Umsetzung.
Dr. Walter Eichendorf ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV).
Zu dieser Frage haben vier Experten für Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz Stellung bezogen.
Dr. med. Andreas Tautz:
"Individuelle Gesundheitsvorsorgemaßnahmen greifen zu kurz"
Angebote der Betrieblichen Gesundheitsförderung werden noch zu häufig unsystematisch als individuelle Gesundheitsvorsorgemaßnahmen mit Appell an die Eigenverantwortlichkeit der Beschäftigten adressiert. Die Potenziale der gesundheitsförderlichen Gestaltung des Arbeitsplatzes dagegen werden noch zu selten systematisch genutzt. Aus gesellschaftlicher Sicht sind die Unternehmen das ideale Präventionssetting. Hier können Maßnahmen zur Verhinderung von Zivilisationserkrankungen zielgerichtet adressiert werden. Die Arbeitsmedizin sorgt dabei für die Qualitätssicherung bedarfsgerechter Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz und ist das Bindeglied zur kurativen Versorgung. Aus unternehmerischer Sicht ist die Gesundheitsförderung ein Element eines systematischen Gesundheitsmanagements.
Wenn die Weltgesundheitsorganisation und das Weltwirtschaftsforum chronische Erkrankungen als wachsendes Risiko beschreiben, müssen sich die Unternehmen dieser Herausforderung stellen. Denn Gesundheitsmanagement ist klassisches Risikomanagement - es dient der Risikominimierung und der Ressourcenpflege. Wo technisches Kapital regelmäßig gewartet und inspiziert wird, liegt es in der unternehmerischen Verantwortung, auch in die Gesundheit der Beschäftigten zu investieren und dabei gleichermaßen deren Eigenverantwortung zu stärken. Diese Investition dient dem dauerhaften Erhalt von Leistungsfähigkeit und Mitarbeiterengagement und damit der Produktivität der Unternehmen, der Qualität der Produkte und Dienstleistungen und der Zufriedenheit der Kunden.
Dr. med. Andreas Tautz ist Chief Medical Officer von Deutsche Post World Net und leitet das Konzerngesundheitsmanagement.
Prof. Dr. Bernhard Badura:
"Ursachen schlechter Gesundheit liegen meist in den Arbeits- und Organisationsbedingungen"
Gesundheit ist ein hohes Gut, für das jeder Einzelne selbst Verantwortung übernehmen muss - soweit es in seiner/ihrer Kompetenz liegt, die Bedingungen guter Gesundheit selbst zu beeinflussen. Diese Einschränkung gilt es bei der Thematik stets zu berücksichtigen. Denn Studien zum Gesundheitsbewusstsein und zum gesundheitsbewussten Verhalten belegen immer wieder die große Bedeutung von Bildung, Berufsstatus und Einkommen. Akademiker leben in der Regel gesünder und länger als Nichtakademiker. Führungskräfte weisen einen besseren Gesundheitszustand auf als ihre Untergebenen. Diese heute wissenschaftlich weitgehend geklärten Zusammenhänge sollten nicht dafür herhalten, die Eigenverantwortung zu bagatellisieren. Sie betonen vielmehr, wie wichtig es einerseits ist, die Beschäftigten zum eigenverantwortlichen Handeln zu befähigen. Zum anderen unterstreichen sie die große Verantwortung der Unternehmen, bei alternden Belegschaften und steigenden Anforderungen mehr als bisher nicht nur in die Befähigung der Mitarbeiter, sondern auch in gesundheitsförderliche Strukturen und Prozesse zu investieren.
Die Forschung belegt: Maßnahmen, die an den Arbeitsbedingungen, bei der Qualifikation der Beschäftigten sowie an der Qualität der Führung, der Unternehmenskultur und dem Betriebsklima ansetzen, zeigen deutlich nachhaltigere Wirkungen auf die Gesundheit als Gesundheitschecks oder Kurse zur Stressbewältigung. Psychische Belastungen beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft in besonderer Weise und schaden dadurch Beschäftigten und Unternehmen. Präsentismus, also psychisch bedingte Produktivitätsverluste, nicht Absentismus, also das krankheitsbedingte Fernbleiben, ist das Hauptgesundheitsproblem moderner Volkswirtschaften.
Auf das Ergebnis kommt es an - das gilt auch für die betriebliche Gesundheitspolitik. Nachhaltig gute Betriebsergebnisse lassen sich nur durch gesunde Mitarbeiter erwirtschaften. Ursachen schlechter Gesundheit liegen meist in den Arbeits- und Organisationsbedingungen. Mitarbeiter können, wenn sie denn gefragt werden, erheblich dabei helfen, krankmachende Einflüsse zu identifizieren und Vorschläge für ihre Beseitigung zu entwickeln. Für ihre tatsächliche Beseitigung sind sie allerdings auf die Hilfe des Managements und der Gesundheitsexperten angewiesen.
Prof. Dr. Bernhard Badura ist seit 1991 Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Sozialepidemiologie, Stressforschung, Gesundheitsmanagement, Evaluationsforschung, Rehabilitation und Gesundheitspolitik.
Susanne Lexa:
"Gesundheitsvorsorge ist in erster Linie Sache jedes Einzelnen"
Immer mehr Unternehmen betreiben in Ergänzung zum betrieblichen Arbeitsschutz eine aktive und systematische Betriebliche Gesundheitsförderung. Die Palette der Angebote ist breit. Sie reicht von Entspannungskursen, der Beratung zu rückengerechtem Verhalten, Aufklärung zu Themen wie Sucht, Rauchen, Ernährung und Bewegung über die Einrichtung von Gesundheitszirkeln und Mitarbeiterbefragungen zur Arbeitsplatzzufriedenheit bis hin zu Führungskräfteseminaren zur gesundheitsgerechten Mitarbeiterführung.
Fakt ist aber auch: Eigenverantwortliches Handeln kann nicht durch Druck von außen ersetzt werden. Gesund zu bleiben und die Gesundheit zu stärken, ist ohne die eigene Mitwirkung, ohne eigenes Wollen kaum möglich. Nur in ihrem Einflussbereich können Unternehmen präventiv tätig werden und die Gesundheitskompetenz ihrer Mitarbeiter durch geeignete Angebote erhöhen. Die Betriebe können nicht allein der Gesundbrunnen der Gesellschaft sein. Gesundheitsvorsorge ist in erster Linie die Sache eines jeden Einzelnen.
Susanne Lexa ist Referentin für Soziale Sicherung bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).
Dr. Walter Eichendorf:
"Von Betrieblicher Gesundheitsförderung profitieren alle"
Die Arbeitswelt ist ein sehr guter Ansatzpunkt für die Gesundheitsförderung. Viele Menschen verbringen einen Großteil ihrer Zeit dort; viele Gesundheitsprobleme stammen aus dem privaten Umfeld und vom Arbeitsplatz. Betriebliche Gesundheitsförderung entspricht auch dem Präventionsauftrag der Unfallversicherung, die "mit allen geeigneten Mitteln" für die Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sorgen soll. Innerhalb der Initiative Gesundheit und Arbeit (IGA) haben wir uns intensiv mit dem Nutzen der BGF befasst und können begründet sagen: BGF-Maßnahmen haben positive gesundheitliche und betriebswirtschaftliche Effekte. Die Unternehmen profitieren deutlich, da krankheitsbedingte Fehlzeiten und Krankheitskosten signifikant zurückgehen. Bei den Beschäftigten werden bekannte Risikofaktoren reduziert. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer profitieren also von BGF. Gleichermaßen sind sie auch gefragt, Verantwortung zu übernehmen - die Unternehmen in Bezug auf die systematische Bereitstellung von Angeboten zur BGF, die Arbeitnehmer in Bezug auf Teilnahme an angebotenen Programmen und deren Umsetzung.
Dr. Walter Eichendorf ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV).
Dieser Beitrag erscheint in der aktuellen Ausgabe von forum Nachhaltig Wirtschaften mit dem Schwerpunkt "Unternehmen im Gesundheitscheck" und dem Special "Green Building". Bestellen Sie hier das Magazin oder sichern Sie sich direkt ein forum-Abonnement! |
Quelle:
Wirtschaft | Führung & Personal, 15.05.2009
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