Branchenreport Energiewirtschaft
Was bewegt die Energieversorger?
Von Erik Ammann
Die Energiewirtschaft ist eine Schlüsselindustrie für die deutsche Volkswirtschaft. In Zeiten des Klimawandels werden die Debatten hitziger denn je geführt, welche Energieträger eingesetzt werden sollen, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden. Verbraucher und die Stromwirtschaft haben unter dem Vorzeichen der Kyoto-Folgekonferenz von Kopenhagen im Dezember dieses Jahres noch enorme Herausforderungen zu meistern, um die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung umzusetzen: eine CO2-Gesamtreduktion von 40 Prozent bis 2020 im Vergleich zu 1990.
Dass die USA in einem weltweiten Kyoto-Folgeabkommen vertreten sein werden, dürfte mit dem Machtwechsel in Washington wahrscheinlicher geworden sein. Entscheidend ist jedoch, ob China und Indien als bedeutende Schwellenländer und verlängerte Werkbänke der Industriestaaten eingebunden werden können. Beide aufstrebende Wirtschaftsmächte verlangen ein starkes Entgegenkommen bei den Klimaschutzzielen. Vor allem Chinas Energiehunger ist ungebrochen, was mit wachsenden Emissionen einhergeht. Neben Wasserkraft, zum Beispiel mit dem ökologisch problematischen Weltbankprojekt Yangtze-Dreischluchtenstaudamm, setzt China auf Kohleverstromung und Kernenergie. Beinahe monatlich geht ein neues Braunkohlekraftwerk ans Netz. Dutzende Atommeiler werden vom französischen Nuklearlieferanten Ariva projektiert. Solar- und Windkraft sind zwar auch im Energiemix der chinesischen Parteiführung vorgesehen, spielen jedoch eine untergeordnete Rolle. Angesichts des Szenarios darf einem um den Klimaschutz bange werden.
Klimawandel gewinnt an Dynamik
Dass Handlungsbedarf besteht, belegte jüngst eine Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) als führende US-Denkfabrik. Die Forscher untersuchten in ihrer Simulationsstudie einen Temperaturanstieg der Weltmeere. Im Ergebnis steigt deren Temperatur im Median um 5,7 Grad Celsius in den nächsten 50 Jahren an. Dies ist weit mehr als doppelt so hoch, als das IPCC-Panel der Vereinten Nationen prognostizierte. Das Abschmelzen der Polkappen und Auftauen der Permafrostböden ist nach Ansicht der Forscher am MIT nur noch eine Frage der Zeit, wenn nicht umgehend gehandelt wird.
Viel hängt davon ab, ob sich die Entscheidungsträger in Kopenhagen auf ambitionierte Ziele verständigen können. Andernfalls geht das Artensterben weiter und Umweltkatastrophen dürften sich rund um den Globus häufen. Der Stern-Report zeigt eindrucksvoll in Zahlen, was ein Nichtstun kostet.
Bedeutung des Emissionshandels
In den vergangenen Handelsperioden standen die großen Energieversorger ernsthaft in der Kritik, aus dem Emissionshandel zu Lasten der Verbraucher Profit geschlagen zu haben. Eine Studie des Öko-Instituts ergab, dass die Konzerne die Kosten für den Ankauf der Papiere, die sie für den CO2-Ausstoß brauchen, voll auf die Strompreise umgelegt haben - obwohl sie 90 Prozent dieser Zertifikate von der Deutschen Emissionshandelsstelle gratis erhalten hatten. Ein Aufschrei ging durch die Öffentlichkeit.
Im seit 2008 gültigen nationalen Allokationsplan, der das Volumen an CO2 für die diversen Branchen festlegt, sind Verschmutzungsrechte nicht mehr vollständig gratis zu haben. Die Energiewirtschaft muss 30 Prozent ihrer Zertifikate ersteigern. Ab 2013 werden es 100 Prozent der Zertifikate sein. Die Energiewirtschaft hat dann die Wahl, viel Geld für den Zertifikatekauf auszugeben, die Produktion zu drosseln, um weniger CO2 zu emittieren, Effizienzmaßnahmen zu ergreifen oder die Energieträger zu wechseln.
Die Energielücke schließen
Doch auf welchen Energiemix werden die Energieversorger setzen? Hildegard Müller, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), betont: "Damit die Energieversorgung auch in Zukunft in Deutschland sicher ist, dürfen wir auf keine Option bei der Stromerzeugung verzichten. Das schließt die Nutzung der Kernenergie ein. Die Energiewirtschaft hat sich verpflichtet, bis 2020 rund 30 Prozent aus Erneuerbaren Energien zu erzeugen. Doch auch dann verbleiben 70 Prozent, die in konventionellen Kraftwerken erzeugt werden. Dazu gehören auch effiziente Kohlekraftwerke, die schon bald mit Technologien zur Abscheidung von CO2 ausgerüstet sein werden." E.ON äußert sich ähnlich zu dieser Frage: "Unser Ziel ist es, bis 2030 die Hälfte unseres Stroms CO2-frei, die andere Hälfte CO2-arm zu erzeugen. Dieses Ziel werden wir mit einem Bündel von Maßnahmen erreichen, zu der vor allem massive Investitionen in Erneuerbare Energien, in hocheffiziente Gas- und Kohlekraftwerke sowie in Forschung & Entwicklung neuer Technologien wie CCS gehören. Hinzu kommt der Ausbau der Kernenergie, denn wir sind davon überzeugt, dass eine wirksame und volkswirtschaftlich verkraftbare Klimapolitik heute nicht auf CO2-freie Kernenergie verzichten kann."
Offen kritisieren Branchenvertreter der etablierten Stromwirtschaft darüber hinaus, dass die Einspeisung Erneuerbarer Energien dank der hohen Vergütungssätze, wie sie das Erneuerbare-Energien-Gesetz für 20 Jahre vorschreibt, als teure Subvention erkauft sei, die alle Stromkonsumenten zu tragen hätten.
Zankapfel Atomausstieg
Vergessen werden sollte mit Blick auf das EEG nicht, dass die Atomkraft in den Anfängen der Bundesrepublik ebenfalls massiv vom Staat subventioniert wurde. Sie mag klimaneutral in ihrer Produktion sein, doch der Kraftwerksbau, der Uranabbau und der Transport setzen ebenfalls CO2 frei. Zudem besteht bis heute die Entsorgungsproblematik von abgebrannten Brennstäben. Der Skandal im Bergwerk Asse bei Wolfenbüttel rückte die potenzielle Gefahr des Atommülls wieder ins Licht der Öffentlichkeit: Die Atomfässer wurden dort unsachgemäß gelagert und Decken drohten einzustürzen, so dass das Bundesamt für Strahlenschutz vom Betreiber Helmholz Zentrum München die Regie übernahm.
Auch die günstigen Erzeugungskosten von Atomstrom überzeugen nicht, wenn man darin die Rückbau- und Entsorgungskosten effektiv einpreist. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage sprechen sich zwei Drittel der Deutschen gegen die Atomkraft aus. Das kommt einem Plazet für den beschlossenen Atomausstieg gleich. Heilsbringer dürfte auch nicht ITER als Fusionsforschungsreaktor werden, der in Frankreich bis 2018 ans Netz geht. Der Wirkungsgrad mag dank der neuen Technik sensationell hoch liegen, steht aber in keinem Kosten-Nutzen-Verhältnis.
Ob Fusionsreaktoren in den nächsten 50 Jahren als Energiequellen dienen werden, steht noch in den Sternen.
Ablenkungstaktik der Energieriesen?
Dietmar Schütz, der Präsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BEE), und Rainer Baake von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) halten den Vorwurf der Stromwirtschaft, dass die Erneuerbaren nicht über einen Grad von 30 Prozent bis zum Jahr 2020 ausgebaut werden können, für eine Nebelkerze. Der Vorstoß diene allein dazu, Druck auf die Parteien im laufenden Bundestagswahlkampf auszuüben, um den beschlossenen Atomausstieg wegen einer drohenden Stromlücke rückgängig zu machen.
Da die bestehenden Atomkraftwerke weitgehend abgeschrieben sind, entstehen in den Gewinn- und Verlustrechnungen der Hauptstromanbieter hohe Erlöse. In den Bilanzen existieren enorme Rückstellungen für den Rückbau der Nuklearmeiler, die sich verzinslich anlegen lassen. Darum sei das Interesse aus reinem Profitstreben groß, den Atomausstieg hinauszuschieben, um die eigene Marktmacht zu zementieren, so die Kritiker. Schließlich werfe ein abgeschriebenes Atomkraftwerk pro Tag rund eine Million Euro ab. Das Grundlastargument, wonach die Stromversorgung von Industrie und Haushalten nur durch konventionelle Kraftwerke gespeist aus Braunkohle oder Atombrennstäben aufrecht erhalten werden kann, sei ein Denkfehler. Es bedürfe keiner permanent laufenden Kraftwerke. Wesentlich sei nur, dass Strom überall und zu jeder Zeit hinreichend verfügbar ist.
Alternativen suchen statt mit Stromlücke drohen
Bewerkstelligen wollen die Atomkraftkritiker dies mittels Hybrid- und Kombikraftwerken sowie dem Ausbau der Kraftwärmekopplung und des Stromnetzes. Weitgehend übersehen werde in der Debatte die grundlastfähige Geothermie, die in Deutschland dank der geologischen Lage stark ausbaufähig sei. Erste Prototypen wie beispielsweise in Unterhaching bei München seien vielversprechend ans Netz gegangen. "Eine Stromlücke wird sich deshalb bei einem zügigen Ausbau der Erneuerbaren auch bei einem pünktlichen Abschalten aller Atomkraftwerke 2023 nicht ergeben", meint BEE-Präsident Schütz mit Verweis auf die aktuelle Branchenprognose seines Verbandes "Stromversorgung 2020".
Auftrieb erhält die regenerative Stromwirtschaft durch die jüngste Richtlinie der Europäischen Union. Bis 2020 müssen 20 Prozent des gesamten EU-Energieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen stammen. Das Modell der Einspeisevergütung wird verbindlich verankert. Die Mitgliedsstaaten werden aufgefordert, die Netzinfrastruktur auszubauen. Geregelt ist ferner die Übertragung erneuerbaren Stroms über Ländergrenzen hinweg. Besonders profitieren wird davon die heimische Windenergiebranche. Langstreckenziel bis 2020 ist eine europaweite Vernetzung von Windanlagen mit anderen regenerativen Energieträgern. Voraussetzung für den Wind- und Photovoltaikkraftwerksverbund ist allerdings der Ausbau der Hochspannungsgleichstromübertragung. Diese garantiert, dass der Strom stets dorthin transportiert und abgenommen wird, wo er akut gebraucht wird.
Anstatt einen ideologischen Grundsatzstreit auszufechten, sollten sich die Beteiligten der Stromwirtschaft im Sinne ihrer Kunden eher den Lösungen und Technologien zuwenden, wie sich der CO2-Ausstoß im Haushalt, in der Produktion und bei der Stromerzeugung minimieren lässt. Hier schlummern enorme Potenziale.
Top-Runner-Prinzip verankern
Es nützt auch nichts, die eine Technologie gegen die andere auszuspielen oder gar zu verteufeln, wie es derzeit bei der Diskussion zur CO2-Abscheidung geschieht. Sinnvoller ist es, einen offenen Wettbewerb der Technologien zuzulassen und die marktwirtschaftlich ökoeffizienteste im Sinne des Top-Runner-Prinzips herauszufiltern.
Kritisiert wird an der CCS-Technologie, der technischen CO2-Abscheidung, dass der Wirkungsgrad mit durchschnittlich 50 Prozent geringer als bei den Braunkohlekraftwerken neuer Generation ausfällt. Die Abscheidung koste circa zehn Prozent an Leistung. Die Technik sei teuer und schlüge sich damit in Folge erhöhter Investitionen im Strompreis nieder. Die Frage, ob sich CCS-Kraftwerke künftig überhaupt wirtschaftlich betreiben lassen, kann jedoch bei heutigem Sachstand noch nicht abschließend bewertet werden, da die Pilotanlagen erst in Betrieb genommen wurden oder projektiert sind.
Ob das giftige Klimagas in großen Volumina flüssig oder gasförmig abgetrennt und gespeichert werden kann, wird sich zeigen. Anbieter von technischen Gasen wie Linde oder Air Liquide forschen akribisch daran. Erprobt wird auch das Abpumpen in Erdstollen (vergleiche FNW 01/2007). Bemängelt wird daran, dass bei einem Leck im Stollensystem CO2 als flüchtiges Gas jederzeit wieder in die Atmosphäre entweichen kann.
Als in den 1990er Jahren die Windbranche mit Windbruchschäden zu kämpfen hatte, wurde die Technologie auch nicht totgeredet. Etliche Anleger und Unterstützer der Windkraft, die Anteile an geschlossenen Fonds gezeichnet hatten, mussten dafür Leergeld bezahlen. Das sind aber heute die Windparks, die derzeit "repowerd", also mit leistungsfähigeren Windturbinen nachgerüstet werden. Probleme wie Windbruch gehören dank neuer Materialien und einer verbesserten Konstruktion der Vergangenheit an, die Offshore-Anlagen im zweistelligen Megawatt-Bereich erlauben. Insoweit verdient auch die CCS-Technik ihre Chance, bis das Gegenteil bewiesen ist.
Trennung von Produktion und Transport
Neben der Frage des Energiemixes bewegt die Energiebranche derzeit, ob und wie die Strominfrastruktur gestaltet und reguliert werden soll. Ein prominentes Beispiel lieferte E.ON im vergangenen Jahr: Als die EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes den deutschen Stromversorger mit einer Geldbuße in Milliardenhöhe wegen Ausnutzung seiner Marktmacht beim Energietransport belegte, kam Bewegung in die Stromlandschaft. E.ON beschloss daraufhin, sich von seinem Versorgungsnetz zu trennen.
Zahlreiche Stromunterbrechungen der Vergangenheit, die zum Beispiel durch Winterstürme verursacht wurden, belegen, dass die Netzinfrastruktur erneuerungsbedürftig ist. So haben hierzulande 38.000 Strommasten ein Durchschnittsalter von über 60 Jahren. Noch ist das deutsche Stromnetz noch nicht so marode wie in den USA. Dort verursachte der letzte Stromausfall in 2003 einen Schaden von rund sechs Milliarden US-Dollar. Hintergrund für fehlende Investitionen in die Netzinfrastruktur dort ist der Umstand, dass ein staatlicher Regulator den Preis für die Netzentgelte festlegt - ein Horrorszenario für Befürworter eines liberalisierten Strommarktes. Wie die Novelle des deutschen Energiewirtschaftsgesetzes ausfallen wird, steht noch nicht fest.
Finanzinvestoren wie die australischen Macquarie Gruppe oder Babcock & Brown, die weltweit in Infrastrukturvorhaben investieren, haben sich in Deutschland deshalb mit Industriepartnern in Stellung gebracht, um Teile der Netze von den Stromversorgern zu erwerben. Lobbyisten drängen den Gesetzgeber, einem möglichst liberalisierten Erwerb der Netze zuzustimmen, und erwarten sich zusätzlich von der Bundesnetzagentur eine minimale Regulierung bei der Festlegung der Nutzungsentgelte für die Leitungen. Gut erhaltene Stromnetze sind bares Geld wert, denn an jedem Einspeisungspunkt lässt sich für die Nutzung und den Stromtransport zum Verbraucher ein Mauthäuschen errichten. Dadurch soll der Kapitaleinsatz für den Netzkauf verzinst und die Investitionsbasis für den Ausbau und die Erneuerung des Stromnetzes erwirtschaftet werden.
Smartes Management für das Stromnetz der Zukunft
Für eine marktwirtschaftliche Lösung spricht sich Dr. Christian Feißt von Cisco Systems aus. Seiner Ansicht nach werden keine Investitionen getätigt, wenn die Erlöse für die Investoren nicht ersichtlich sind. Für Cisco als Infrastrukturausrüster des Internets ist das Thema Green & Smart Grid eines der wichtigsten der nahen Zukunft. Die Vision sieht folgendermaßen aus: Das Stromsystem der Zukunft lässt sich in Echtzeit wie das Internet dank intelligenter Kommunikationstechnologie managen. Derzeit überwiegt bei der Überwachung des Stromnetzes der manuelle Betrieb mit Leitwarten. Zusätzlich verhindern 360 unterschiedliche Kommunikationsprotokolle eine einheitliche Lösung bei der Netzsteuerung. "Mit der Einspeisung von Erneuerbaren Energien im Niederspannungsbereich ergäben sich Schwankungen bei Angebot und Nachfrage", resümiert Dr. Feißt. Dies erfordere ein effizientes "Routing" von Strom. Dazu sei ein Industriestandard auf Basis einer einheitlichen Technologieplattform nötig, die sich des Internetprotokolls bedient.
Einspeisung für alle
Kontrovers diskutiert wird in diesem Zusammenhang die Kraftwerksnetzanschlussverordnung und das in Planung befindliche Energieleitungsausbaugesetz. Danach müssen die großen Energieversorger alternativen Stromproduzenten einen Zugang zur Einspeisung zu Wasser und zu Land ans nächste Umspannwerk schaffen. Die dezentrale Stromgewinnung verhindere Investitionen in die Netzinfrastruktur, sagen die einen. Schließlich habe das lokale Versorgungsunternehmen nichts davon außer Kosten. Dem widerspricht Ralph Kampwirth vom Ökostromanbieter LichtBlick. "Ohne die Steckdose auf See sind Offshore-Windparks, wie sie derzeit gebaut und erprobt werden, gar nicht realisierbar." Er fordert eine vollständige Trennung der Netze von der Stromproduktion: "Nur ein einheitliches und unabhängiges Stromnetz schränkt die Marktmacht der derzeitigen Netzbetreiber ein und schafft endlich vollständigen Wettbewerb. Dadurch könnten auf Dauer zu hohe Netzentgelte wie auch überhöhte Kosten für die Regelenergie vermieden werden."
Neben einer privatwirtschaftlichen Lösung wird darum beim Stromnetz eine unabhängige, jedoch vom Staat kontrollierte Netzgesellschaft ins Spiel gebracht, die den Ausbau, die Nutzung und das Lastenmanagement organisiert. BEE-Präsident Schütz favorisiert diese Lösung, weil damit ein positiver Effekt für den Strommarkt einhergeht: "Eine klare Trennung zwischen Netz und Produktion senkt die Eintrittshürde für neue Anbieter, stellt den bedarfsgerechten Ausbau sicher und sorgt für eine bessere Auslastung des Netzes." Michael Müller, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium, erklärt: "Bereits 2005 hätte die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes die rechtliche und organisatorische Trennung des Netzbetriebs von den übrigen Bereichen der Energieversorgung vorgesehen." Sollte nach der Wahl eine Branchenlösung für den Netzbetrieb gefunden werden, so müssen nicht, wie von der Europäischen Kommission verlangt, die Energieversorger das Eigentum an ihren Netzen aufgeben, stellt Müller klar. Für den Fall des Verkaufs der Netze wie im Fall E.ON plädoyiert der Sozialdemokrat für eine Bündelung bei einer bundesweiten Netzgesellschaft, an der sich der Bund mit Sperrminorität beteiligen sollte. "Schließlich sind Entscheidungen über die Energieinfrastruktur im Interesse des Allgemeinwohls und sollten darum von der öffentlichen Hand mit bestimmt werden."
Ein beschränkter Staatsanteil erscheint im Sinne einer effektiven Corporate Governance nötig, gerade wenn der Ausbau mit öffentlichen Mitteln gefördert wird. Das sorgt dafür, dass die beteiligten Unternehmen nicht nur Geld aus der bestehenden Infrastruktur herausziehen, sondern auch in die Modernisierung stecken. Abschreckende Privatisierungsbeispiele sind aus Großbritannien bekannt, wo sich Eisenbahn, Gleise oder die Wasserwirtschaft in privaten Händen befinden. Auf der Insel sind Wasserleitungen und Gleise veraltet, weil sämtliche Gewinne an die Aktionäre ausgezahlt werden und so für die notwendige Erneuerung kaum Geld bleibt.
Zusätzlicher Ausgleich durch Speicher
Wenn wie geplant bis 2020 eine Millionen Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen rollen, wird sich das Netzmanagement ändern. Hochleistungsfähige Lithium-Ionen-Batterien stehen dann als zusätzliche Speicherkapazitäten zur Verfügung, was unter dem Begriff vehicle-to-grid zusammengefasst wird.
Weitere Schlüssel für einen effizienten Stromtransport der Zukunft zum Ausgleich schwankender Stromerzeugung aus Wind und Solarenergie könnten neue Speichertechnologien wie Druckluftspeicher, untertägige Pumpenspeicher oder Wasserstoffspeicher sein. Mehr zu den Speichertechniken und wie sie funktionieren, können Sie in FNW 02/2008 nachlesen.
Eine zusätzliche Option ist der Ausbau der Hochspannungsgleichstromübertragungstechnik (HGÜ) mit abschaltbaren Hochleistungstransistoren nach Skandinavien und die Alpenländer. Die alpinen und skandinavischen Wasserkräfte erhalten erhebliche Speicherpotenziale. Mit den Projekten NorGer und Nord.Link sind bereits Seekabel-Verbindungen von Deutschland nach Norwegen mit jeweils bis zu 1.400 Megawatt Übertragungskapazität in Planung.
Verantwortung von Verbrauchern und Erzeugern
Der KlimaGAU lässt sich unter Umständen abwenden, wenn Unternehmen, Haushalte und Versorger an einem Strang ziehen. Zur unternehmerischen Verantwortung der Energiewirtschaft zählt es auch, bei den Privatkunden Einsparpotenziale zu mobilisieren. Vermehrt können nämlich verarmte Haushalte in Folge von Arbeitslosigkeit oder Hartz-IV ihre Stromrechnung nur noch mit Mühe oder gar nicht mehr begleichen. Derartige Forderungsausfälle summieren sich und treffen die Gesamtheit der Stromkunden. Aus diesem Grund schloss sich beispielsweise E.ON Bayern mit den kirchlichen Organisationen Caritas und Diakonie sowie anderen Wohlfahrtsverbänden zusammen, die Energieberater in von Armut bedrohte Haushalte entsenden. Diese ermitteln Stromfresser, wie beispielsweise den Fernseher oder Computer, die im Stand-by-Betrieb laufen, und klären über die Energieeffizienzklassen bei Haushaltsgeräten auf. EnBW und RWE haben Kampagnen zum Smart-Metering gestartet: Sie informieren über den Einsatz intelligenter Stromzähler im Haushalt zur Verbesserung der Energieeffizienz.
Fazit: Es wird Zeit, die ideologischen Grabenkämpfe um den "richtigen" Energiemix aufzugeben. Bestmöglich gilt für alle Technologieformen das Top-Runner-Prinzip! Wettbewerb wird genug von reichen Golfstaaten und der künftigen US-Green-Economy kommen, die mit Hochdruck die regenerative Wirtschaft ausbauen. Noch steckt der Bau von Solarthermischen Kraftwerken, Wind- und Photovoltaikparks und hocheffizienten Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerken in den USA in Folge des Tax-Credit-Systems in der Projektpipeline fest, weil es derzeit unmöglich ist, Verluste "grüner Projekte" mit Gewinnen aus anderen zu verrechnen. Dogmatischer Zank wird unseren Technologievorsprung nicht sichern. Wünschenswert ist darum ein gesunder Pragmatismus und mehr Konsensfähigkeit von allen Beteiligten der deutschen Energiewirtschaft. Schließlich geht es um nichts Geringeres als die Märkte der Zukunft, viele Arbeitsplätze und den Klimaschutz.
Weiterführende Infos:
www.un.org/climatechange
www.thema-energie.de
www.kombikraftwerk.de
www.en-q.de
www.energyautonomy.org
www.stromeffizienz.de
www.bmu.de
Die Energiewirtschaft ist eine Schlüsselindustrie für die deutsche Volkswirtschaft. In Zeiten des Klimawandels werden die Debatten hitziger denn je geführt, welche Energieträger eingesetzt werden sollen, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden. Verbraucher und die Stromwirtschaft haben unter dem Vorzeichen der Kyoto-Folgekonferenz von Kopenhagen im Dezember dieses Jahres noch enorme Herausforderungen zu meistern, um die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung umzusetzen: eine CO2-Gesamtreduktion von 40 Prozent bis 2020 im Vergleich zu 1990.
Energiewirtschaft in Zahlen Weltweite Emissionen des Energiesektors in 2008: 29 Gigatonnen CO2 steigt bis 2030 auf 42 Gigatonnen CO2, wenn der bisherige Trend sich fortsetzt.* Beschäftigte 2008: 172.000 bei Unternehmen der Fern-/Nahwärme-, Gas- und Stromversorgung*** 280.000 bei den Unternehmen für Erneuerbare Energien inklusive Zulieferindustrien** Marktteilnehmer: 1.100 Unternehmen auf unterschiedlichen Stufen der Versorgung - von der Erzeugung, Weiterleitung bis hin zur Verteilung an Endkunden***. Marktführer: RWE, E.ON, Vattenfall, EnBW (zusammen rund 80 %) Gesamtumsatz aus Stromlieferungen in 2008: 56 Milliarden Euro*** Stromkunden in 2008: 44 Millionen (Industrie, Gewerbe, Handel, Haushalte)*** Nettostromproduktion in 2008: 599,3 Milliarden Kilowattstunden*** Energieträger: Kohle+Atom 65 %***, Erdgas 14 %***, Erneuerbare Energien: Wind (40TWh)**, Wasser (22 TWh)**, Biomasse (29 TWh)**, Photovoltaik (4TWh) 15,3 %**, Sonstige wie Müllverbrennung 5 %*** CO2-Emissionen per 2006: 289 Millionen Tonnen***, im Jahr 2008 wurden durch den Einsatz Erneuerbarer Energien 87 Millionen Tonnen CO2 eingespart** Investitionen in Erneuerbare Energien im Jahr 2008: 13,12 Milliarden Euro** Investitionen der Stromversorger in Kraftwerke und Infrastruktur: 2008: 8,94 Milliarden Euro*** 2009: 8,68 Milliarden Euro*** Kraftwerksanlagen insgesamt 2008: 1.109 zugeteilte Zertifikate in Tonnen CO2: 273.511**** Durchschnittlicher Wirkungsgrad des Kraftwerksparks im Jahr 2006: 38 %*** Quellen: International Energy Agency World Energy Outlook 2008* | BEE** | BDEW*** | Deutsche Emissionshandelsstelle**** |
Dass die USA in einem weltweiten Kyoto-Folgeabkommen vertreten sein werden, dürfte mit dem Machtwechsel in Washington wahrscheinlicher geworden sein. Entscheidend ist jedoch, ob China und Indien als bedeutende Schwellenländer und verlängerte Werkbänke der Industriestaaten eingebunden werden können. Beide aufstrebende Wirtschaftsmächte verlangen ein starkes Entgegenkommen bei den Klimaschutzzielen. Vor allem Chinas Energiehunger ist ungebrochen, was mit wachsenden Emissionen einhergeht. Neben Wasserkraft, zum Beispiel mit dem ökologisch problematischen Weltbankprojekt Yangtze-Dreischluchtenstaudamm, setzt China auf Kohleverstromung und Kernenergie. Beinahe monatlich geht ein neues Braunkohlekraftwerk ans Netz. Dutzende Atommeiler werden vom französischen Nuklearlieferanten Ariva projektiert. Solar- und Windkraft sind zwar auch im Energiemix der chinesischen Parteiführung vorgesehen, spielen jedoch eine untergeordnete Rolle. Angesichts des Szenarios darf einem um den Klimaschutz bange werden.
Klimawandel gewinnt an Dynamik
Dass Handlungsbedarf besteht, belegte jüngst eine Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) als führende US-Denkfabrik. Die Forscher untersuchten in ihrer Simulationsstudie einen Temperaturanstieg der Weltmeere. Im Ergebnis steigt deren Temperatur im Median um 5,7 Grad Celsius in den nächsten 50 Jahren an. Dies ist weit mehr als doppelt so hoch, als das IPCC-Panel der Vereinten Nationen prognostizierte. Das Abschmelzen der Polkappen und Auftauen der Permafrostböden ist nach Ansicht der Forscher am MIT nur noch eine Frage der Zeit, wenn nicht umgehend gehandelt wird.
Viel hängt davon ab, ob sich die Entscheidungsträger in Kopenhagen auf ambitionierte Ziele verständigen können. Andernfalls geht das Artensterben weiter und Umweltkatastrophen dürften sich rund um den Globus häufen. Der Stern-Report zeigt eindrucksvoll in Zahlen, was ein Nichtstun kostet.
Bedeutung des Emissionshandels
In den vergangenen Handelsperioden standen die großen Energieversorger ernsthaft in der Kritik, aus dem Emissionshandel zu Lasten der Verbraucher Profit geschlagen zu haben. Eine Studie des Öko-Instituts ergab, dass die Konzerne die Kosten für den Ankauf der Papiere, die sie für den CO2-Ausstoß brauchen, voll auf die Strompreise umgelegt haben - obwohl sie 90 Prozent dieser Zertifikate von der Deutschen Emissionshandelsstelle gratis erhalten hatten. Ein Aufschrei ging durch die Öffentlichkeit.
Im seit 2008 gültigen nationalen Allokationsplan, der das Volumen an CO2 für die diversen Branchen festlegt, sind Verschmutzungsrechte nicht mehr vollständig gratis zu haben. Die Energiewirtschaft muss 30 Prozent ihrer Zertifikate ersteigern. Ab 2013 werden es 100 Prozent der Zertifikate sein. Die Energiewirtschaft hat dann die Wahl, viel Geld für den Zertifikatekauf auszugeben, die Produktion zu drosseln, um weniger CO2 zu emittieren, Effizienzmaßnahmen zu ergreifen oder die Energieträger zu wechseln.
Die Energielücke schließen
Doch auf welchen Energiemix werden die Energieversorger setzen? Hildegard Müller, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), betont: "Damit die Energieversorgung auch in Zukunft in Deutschland sicher ist, dürfen wir auf keine Option bei der Stromerzeugung verzichten. Das schließt die Nutzung der Kernenergie ein. Die Energiewirtschaft hat sich verpflichtet, bis 2020 rund 30 Prozent aus Erneuerbaren Energien zu erzeugen. Doch auch dann verbleiben 70 Prozent, die in konventionellen Kraftwerken erzeugt werden. Dazu gehören auch effiziente Kohlekraftwerke, die schon bald mit Technologien zur Abscheidung von CO2 ausgerüstet sein werden." E.ON äußert sich ähnlich zu dieser Frage: "Unser Ziel ist es, bis 2030 die Hälfte unseres Stroms CO2-frei, die andere Hälfte CO2-arm zu erzeugen. Dieses Ziel werden wir mit einem Bündel von Maßnahmen erreichen, zu der vor allem massive Investitionen in Erneuerbare Energien, in hocheffiziente Gas- und Kohlekraftwerke sowie in Forschung & Entwicklung neuer Technologien wie CCS gehören. Hinzu kommt der Ausbau der Kernenergie, denn wir sind davon überzeugt, dass eine wirksame und volkswirtschaftlich verkraftbare Klimapolitik heute nicht auf CO2-freie Kernenergie verzichten kann."
Offen kritisieren Branchenvertreter der etablierten Stromwirtschaft darüber hinaus, dass die Einspeisung Erneuerbarer Energien dank der hohen Vergütungssätze, wie sie das Erneuerbare-Energien-Gesetz für 20 Jahre vorschreibt, als teure Subvention erkauft sei, die alle Stromkonsumenten zu tragen hätten.
Zankapfel Atomausstieg
Vergessen werden sollte mit Blick auf das EEG nicht, dass die Atomkraft in den Anfängen der Bundesrepublik ebenfalls massiv vom Staat subventioniert wurde. Sie mag klimaneutral in ihrer Produktion sein, doch der Kraftwerksbau, der Uranabbau und der Transport setzen ebenfalls CO2 frei. Zudem besteht bis heute die Entsorgungsproblematik von abgebrannten Brennstäben. Der Skandal im Bergwerk Asse bei Wolfenbüttel rückte die potenzielle Gefahr des Atommülls wieder ins Licht der Öffentlichkeit: Die Atomfässer wurden dort unsachgemäß gelagert und Decken drohten einzustürzen, so dass das Bundesamt für Strahlenschutz vom Betreiber Helmholz Zentrum München die Regie übernahm.
Auch die günstigen Erzeugungskosten von Atomstrom überzeugen nicht, wenn man darin die Rückbau- und Entsorgungskosten effektiv einpreist. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage sprechen sich zwei Drittel der Deutschen gegen die Atomkraft aus. Das kommt einem Plazet für den beschlossenen Atomausstieg gleich. Heilsbringer dürfte auch nicht ITER als Fusionsforschungsreaktor werden, der in Frankreich bis 2018 ans Netz geht. Der Wirkungsgrad mag dank der neuen Technik sensationell hoch liegen, steht aber in keinem Kosten-Nutzen-Verhältnis.
Ob Fusionsreaktoren in den nächsten 50 Jahren als Energiequellen dienen werden, steht noch in den Sternen.
Ablenkungstaktik der Energieriesen?
Dietmar Schütz, der Präsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BEE), und Rainer Baake von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) halten den Vorwurf der Stromwirtschaft, dass die Erneuerbaren nicht über einen Grad von 30 Prozent bis zum Jahr 2020 ausgebaut werden können, für eine Nebelkerze. Der Vorstoß diene allein dazu, Druck auf die Parteien im laufenden Bundestagswahlkampf auszuüben, um den beschlossenen Atomausstieg wegen einer drohenden Stromlücke rückgängig zu machen.
Da die bestehenden Atomkraftwerke weitgehend abgeschrieben sind, entstehen in den Gewinn- und Verlustrechnungen der Hauptstromanbieter hohe Erlöse. In den Bilanzen existieren enorme Rückstellungen für den Rückbau der Nuklearmeiler, die sich verzinslich anlegen lassen. Darum sei das Interesse aus reinem Profitstreben groß, den Atomausstieg hinauszuschieben, um die eigene Marktmacht zu zementieren, so die Kritiker. Schließlich werfe ein abgeschriebenes Atomkraftwerk pro Tag rund eine Million Euro ab. Das Grundlastargument, wonach die Stromversorgung von Industrie und Haushalten nur durch konventionelle Kraftwerke gespeist aus Braunkohle oder Atombrennstäben aufrecht erhalten werden kann, sei ein Denkfehler. Es bedürfe keiner permanent laufenden Kraftwerke. Wesentlich sei nur, dass Strom überall und zu jeder Zeit hinreichend verfügbar ist.
Alternativen suchen statt mit Stromlücke drohen
Bewerkstelligen wollen die Atomkraftkritiker dies mittels Hybrid- und Kombikraftwerken sowie dem Ausbau der Kraftwärmekopplung und des Stromnetzes. Weitgehend übersehen werde in der Debatte die grundlastfähige Geothermie, die in Deutschland dank der geologischen Lage stark ausbaufähig sei. Erste Prototypen wie beispielsweise in Unterhaching bei München seien vielversprechend ans Netz gegangen. "Eine Stromlücke wird sich deshalb bei einem zügigen Ausbau der Erneuerbaren auch bei einem pünktlichen Abschalten aller Atomkraftwerke 2023 nicht ergeben", meint BEE-Präsident Schütz mit Verweis auf die aktuelle Branchenprognose seines Verbandes "Stromversorgung 2020".
Auftrieb erhält die regenerative Stromwirtschaft durch die jüngste Richtlinie der Europäischen Union. Bis 2020 müssen 20 Prozent des gesamten EU-Energieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen stammen. Das Modell der Einspeisevergütung wird verbindlich verankert. Die Mitgliedsstaaten werden aufgefordert, die Netzinfrastruktur auszubauen. Geregelt ist ferner die Übertragung erneuerbaren Stroms über Ländergrenzen hinweg. Besonders profitieren wird davon die heimische Windenergiebranche. Langstreckenziel bis 2020 ist eine europaweite Vernetzung von Windanlagen mit anderen regenerativen Energieträgern. Voraussetzung für den Wind- und Photovoltaikkraftwerksverbund ist allerdings der Ausbau der Hochspannungsgleichstromübertragung. Diese garantiert, dass der Strom stets dorthin transportiert und abgenommen wird, wo er akut gebraucht wird.
Anstatt einen ideologischen Grundsatzstreit auszufechten, sollten sich die Beteiligten der Stromwirtschaft im Sinne ihrer Kunden eher den Lösungen und Technologien zuwenden, wie sich der CO2-Ausstoß im Haushalt, in der Produktion und bei der Stromerzeugung minimieren lässt. Hier schlummern enorme Potenziale.
Top-Runner-Prinzip verankern
Es nützt auch nichts, die eine Technologie gegen die andere auszuspielen oder gar zu verteufeln, wie es derzeit bei der Diskussion zur CO2-Abscheidung geschieht. Sinnvoller ist es, einen offenen Wettbewerb der Technologien zuzulassen und die marktwirtschaftlich ökoeffizienteste im Sinne des Top-Runner-Prinzips herauszufiltern.
Kritisiert wird an der CCS-Technologie, der technischen CO2-Abscheidung, dass der Wirkungsgrad mit durchschnittlich 50 Prozent geringer als bei den Braunkohlekraftwerken neuer Generation ausfällt. Die Abscheidung koste circa zehn Prozent an Leistung. Die Technik sei teuer und schlüge sich damit in Folge erhöhter Investitionen im Strompreis nieder. Die Frage, ob sich CCS-Kraftwerke künftig überhaupt wirtschaftlich betreiben lassen, kann jedoch bei heutigem Sachstand noch nicht abschließend bewertet werden, da die Pilotanlagen erst in Betrieb genommen wurden oder projektiert sind.
Ob das giftige Klimagas in großen Volumina flüssig oder gasförmig abgetrennt und gespeichert werden kann, wird sich zeigen. Anbieter von technischen Gasen wie Linde oder Air Liquide forschen akribisch daran. Erprobt wird auch das Abpumpen in Erdstollen (vergleiche FNW 01/2007). Bemängelt wird daran, dass bei einem Leck im Stollensystem CO2 als flüchtiges Gas jederzeit wieder in die Atmosphäre entweichen kann.
Als in den 1990er Jahren die Windbranche mit Windbruchschäden zu kämpfen hatte, wurde die Technologie auch nicht totgeredet. Etliche Anleger und Unterstützer der Windkraft, die Anteile an geschlossenen Fonds gezeichnet hatten, mussten dafür Leergeld bezahlen. Das sind aber heute die Windparks, die derzeit "repowerd", also mit leistungsfähigeren Windturbinen nachgerüstet werden. Probleme wie Windbruch gehören dank neuer Materialien und einer verbesserten Konstruktion der Vergangenheit an, die Offshore-Anlagen im zweistelligen Megawatt-Bereich erlauben. Insoweit verdient auch die CCS-Technik ihre Chance, bis das Gegenteil bewiesen ist.
Trennung von Produktion und Transport
Neben der Frage des Energiemixes bewegt die Energiebranche derzeit, ob und wie die Strominfrastruktur gestaltet und reguliert werden soll. Ein prominentes Beispiel lieferte E.ON im vergangenen Jahr: Als die EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes den deutschen Stromversorger mit einer Geldbuße in Milliardenhöhe wegen Ausnutzung seiner Marktmacht beim Energietransport belegte, kam Bewegung in die Stromlandschaft. E.ON beschloss daraufhin, sich von seinem Versorgungsnetz zu trennen.
Nicht nur der Kraftwerkspark ist erneuerungsbedürftig, |
Zahlreiche Stromunterbrechungen der Vergangenheit, die zum Beispiel durch Winterstürme verursacht wurden, belegen, dass die Netzinfrastruktur erneuerungsbedürftig ist. So haben hierzulande 38.000 Strommasten ein Durchschnittsalter von über 60 Jahren. Noch ist das deutsche Stromnetz noch nicht so marode wie in den USA. Dort verursachte der letzte Stromausfall in 2003 einen Schaden von rund sechs Milliarden US-Dollar. Hintergrund für fehlende Investitionen in die Netzinfrastruktur dort ist der Umstand, dass ein staatlicher Regulator den Preis für die Netzentgelte festlegt - ein Horrorszenario für Befürworter eines liberalisierten Strommarktes. Wie die Novelle des deutschen Energiewirtschaftsgesetzes ausfallen wird, steht noch nicht fest.
Finanzinvestoren wie die australischen Macquarie Gruppe oder Babcock & Brown, die weltweit in Infrastrukturvorhaben investieren, haben sich in Deutschland deshalb mit Industriepartnern in Stellung gebracht, um Teile der Netze von den Stromversorgern zu erwerben. Lobbyisten drängen den Gesetzgeber, einem möglichst liberalisierten Erwerb der Netze zuzustimmen, und erwarten sich zusätzlich von der Bundesnetzagentur eine minimale Regulierung bei der Festlegung der Nutzungsentgelte für die Leitungen. Gut erhaltene Stromnetze sind bares Geld wert, denn an jedem Einspeisungspunkt lässt sich für die Nutzung und den Stromtransport zum Verbraucher ein Mauthäuschen errichten. Dadurch soll der Kapitaleinsatz für den Netzkauf verzinst und die Investitionsbasis für den Ausbau und die Erneuerung des Stromnetzes erwirtschaftet werden.
Smartes Management für das Stromnetz der Zukunft
Für eine marktwirtschaftliche Lösung spricht sich Dr. Christian Feißt von Cisco Systems aus. Seiner Ansicht nach werden keine Investitionen getätigt, wenn die Erlöse für die Investoren nicht ersichtlich sind. Für Cisco als Infrastrukturausrüster des Internets ist das Thema Green & Smart Grid eines der wichtigsten der nahen Zukunft. Die Vision sieht folgendermaßen aus: Das Stromsystem der Zukunft lässt sich in Echtzeit wie das Internet dank intelligenter Kommunikationstechnologie managen. Derzeit überwiegt bei der Überwachung des Stromnetzes der manuelle Betrieb mit Leitwarten. Zusätzlich verhindern 360 unterschiedliche Kommunikationsprotokolle eine einheitliche Lösung bei der Netzsteuerung. "Mit der Einspeisung von Erneuerbaren Energien im Niederspannungsbereich ergäben sich Schwankungen bei Angebot und Nachfrage", resümiert Dr. Feißt. Dies erfordere ein effizientes "Routing" von Strom. Dazu sei ein Industriestandard auf Basis einer einheitlichen Technologieplattform nötig, die sich des Internetprotokolls bedient.
Einspeisung für alle
Kontrovers diskutiert wird in diesem Zusammenhang die Kraftwerksnetzanschlussverordnung und das in Planung befindliche Energieleitungsausbaugesetz. Danach müssen die großen Energieversorger alternativen Stromproduzenten einen Zugang zur Einspeisung zu Wasser und zu Land ans nächste Umspannwerk schaffen. Die dezentrale Stromgewinnung verhindere Investitionen in die Netzinfrastruktur, sagen die einen. Schließlich habe das lokale Versorgungsunternehmen nichts davon außer Kosten. Dem widerspricht Ralph Kampwirth vom Ökostromanbieter LichtBlick. "Ohne die Steckdose auf See sind Offshore-Windparks, wie sie derzeit gebaut und erprobt werden, gar nicht realisierbar." Er fordert eine vollständige Trennung der Netze von der Stromproduktion: "Nur ein einheitliches und unabhängiges Stromnetz schränkt die Marktmacht der derzeitigen Netzbetreiber ein und schafft endlich vollständigen Wettbewerb. Dadurch könnten auf Dauer zu hohe Netzentgelte wie auch überhöhte Kosten für die Regelenergie vermieden werden."
"Nachhaltigkeit ist der Kern unseres Geschäftsmodells. |
Neben einer privatwirtschaftlichen Lösung wird darum beim Stromnetz eine unabhängige, jedoch vom Staat kontrollierte Netzgesellschaft ins Spiel gebracht, die den Ausbau, die Nutzung und das Lastenmanagement organisiert. BEE-Präsident Schütz favorisiert diese Lösung, weil damit ein positiver Effekt für den Strommarkt einhergeht: "Eine klare Trennung zwischen Netz und Produktion senkt die Eintrittshürde für neue Anbieter, stellt den bedarfsgerechten Ausbau sicher und sorgt für eine bessere Auslastung des Netzes." Michael Müller, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium, erklärt: "Bereits 2005 hätte die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes die rechtliche und organisatorische Trennung des Netzbetriebs von den übrigen Bereichen der Energieversorgung vorgesehen." Sollte nach der Wahl eine Branchenlösung für den Netzbetrieb gefunden werden, so müssen nicht, wie von der Europäischen Kommission verlangt, die Energieversorger das Eigentum an ihren Netzen aufgeben, stellt Müller klar. Für den Fall des Verkaufs der Netze wie im Fall E.ON plädoyiert der Sozialdemokrat für eine Bündelung bei einer bundesweiten Netzgesellschaft, an der sich der Bund mit Sperrminorität beteiligen sollte. "Schließlich sind Entscheidungen über die Energieinfrastruktur im Interesse des Allgemeinwohls und sollten darum von der öffentlichen Hand mit bestimmt werden."
Ein beschränkter Staatsanteil erscheint im Sinne einer effektiven Corporate Governance nötig, gerade wenn der Ausbau mit öffentlichen Mitteln gefördert wird. Das sorgt dafür, dass die beteiligten Unternehmen nicht nur Geld aus der bestehenden Infrastruktur herausziehen, sondern auch in die Modernisierung stecken. Abschreckende Privatisierungsbeispiele sind aus Großbritannien bekannt, wo sich Eisenbahn, Gleise oder die Wasserwirtschaft in privaten Händen befinden. Auf der Insel sind Wasserleitungen und Gleise veraltet, weil sämtliche Gewinne an die Aktionäre ausgezahlt werden und so für die notwendige Erneuerung kaum Geld bleibt.
Zusätzlicher Ausgleich durch Speicher
Wenn wie geplant bis 2020 eine Millionen Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen rollen, wird sich das Netzmanagement ändern. Hochleistungsfähige Lithium-Ionen-Batterien stehen dann als zusätzliche Speicherkapazitäten zur Verfügung, was unter dem Begriff vehicle-to-grid zusammengefasst wird.
Weitere Schlüssel für einen effizienten Stromtransport der Zukunft zum Ausgleich schwankender Stromerzeugung aus Wind und Solarenergie könnten neue Speichertechnologien wie Druckluftspeicher, untertägige Pumpenspeicher oder Wasserstoffspeicher sein. Mehr zu den Speichertechniken und wie sie funktionieren, können Sie in FNW 02/2008 nachlesen.
Eine zusätzliche Option ist der Ausbau der Hochspannungsgleichstromübertragungstechnik (HGÜ) mit abschaltbaren Hochleistungstransistoren nach Skandinavien und die Alpenländer. Die alpinen und skandinavischen Wasserkräfte erhalten erhebliche Speicherpotenziale. Mit den Projekten NorGer und Nord.Link sind bereits Seekabel-Verbindungen von Deutschland nach Norwegen mit jeweils bis zu 1.400 Megawatt Übertragungskapazität in Planung.
Verantwortung von Verbrauchern und Erzeugern
Der KlimaGAU lässt sich unter Umständen abwenden, wenn Unternehmen, Haushalte und Versorger an einem Strang ziehen. Zur unternehmerischen Verantwortung der Energiewirtschaft zählt es auch, bei den Privatkunden Einsparpotenziale zu mobilisieren. Vermehrt können nämlich verarmte Haushalte in Folge von Arbeitslosigkeit oder Hartz-IV ihre Stromrechnung nur noch mit Mühe oder gar nicht mehr begleichen. Derartige Forderungsausfälle summieren sich und treffen die Gesamtheit der Stromkunden. Aus diesem Grund schloss sich beispielsweise E.ON Bayern mit den kirchlichen Organisationen Caritas und Diakonie sowie anderen Wohlfahrtsverbänden zusammen, die Energieberater in von Armut bedrohte Haushalte entsenden. Diese ermitteln Stromfresser, wie beispielsweise den Fernseher oder Computer, die im Stand-by-Betrieb laufen, und klären über die Energieeffizienzklassen bei Haushaltsgeräten auf. EnBW und RWE haben Kampagnen zum Smart-Metering gestartet: Sie informieren über den Einsatz intelligenter Stromzähler im Haushalt zur Verbesserung der Energieeffizienz.
Fazit: Es wird Zeit, die ideologischen Grabenkämpfe um den "richtigen" Energiemix aufzugeben. Bestmöglich gilt für alle Technologieformen das Top-Runner-Prinzip! Wettbewerb wird genug von reichen Golfstaaten und der künftigen US-Green-Economy kommen, die mit Hochdruck die regenerative Wirtschaft ausbauen. Noch steckt der Bau von Solarthermischen Kraftwerken, Wind- und Photovoltaikparks und hocheffizienten Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerken in den USA in Folge des Tax-Credit-Systems in der Projektpipeline fest, weil es derzeit unmöglich ist, Verluste "grüner Projekte" mit Gewinnen aus anderen zu verrechnen. Dogmatischer Zank wird unseren Technologievorsprung nicht sichern. Wünschenswert ist darum ein gesunder Pragmatismus und mehr Konsensfähigkeit von allen Beteiligten der deutschen Energiewirtschaft. Schließlich geht es um nichts Geringeres als die Märkte der Zukunft, viele Arbeitsplätze und den Klimaschutz.
Weiterführende Infos:
www.un.org/climatechange
www.thema-energie.de
www.kombikraftwerk.de
www.en-q.de
www.energyautonomy.org
www.stromeffizienz.de
www.bmu.de
Dieser Beitrag erscheint in der Ausgabe von forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2009 mit dem Schwerpunkt "Zukunft gestalten - Demografischer Wandel & Fachkräftemangel als Herausforderung" und dem Special "Green IT & Energieeffizienz". Bestellen Sie hier das Magazin oder sichern Sie sich direkt ein forum-Abonnement! |
Quelle:
Wirtschaft | Branchen & Verbände, 17.07.2009
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