Die Bio-Branche hat viele Facetten

(R-)Evolution!

Von Franz-Theo Gottwald

Bio-Lebensmittel sind ein Versprechen umfassender Verantwortung. So jedenfalls nehmen Verbraucherinnen und Verbraucher Bio-Lebensmittel wahr und richten entsprechend ihre Kaufentscheidungen aus. Die Bio-Produktion steht für einen besseren Umgang mit der Natur und den Verzicht auf Pestizide, sprich: Sie erhält die biologische Vielfalt und schafft deutlich bessere Lebensbedingungen für landwirtschaftliche Nutztiere. Doch Bio ist mehr als eine Anbauform: Bio-Landwirte arbeiten gleich auf sechsfache Weise nachhaltig.

© Slow Food Stefan Abtmeyer
Neben Fauna und Flora sollen auch die Menschen, die in der Herstellung und Verarbeitung biologischer Lebensmittel tätig sind, profitieren. Käufer und Käuferinnen von Bio-Lebensmitteln erwarten, dass die sozialen Standards der Herstellung, Verarbeitung und des Handels von Bio-Lebensmitteln deutlich über denen der konventionellen Lebensmittelwirtschaft liegen. Kinderarbeit sollte ausgeschlossen sein, die Alters-Gesundheitsvorsorge und -versorgungsleistungen wie auch die Bildungschancen, sollten deutlich menschenfreundlicher ausfallen.

In Teilen ist dies zweifelsohne auch so. Nicht zuletzt die EU-Bio-Verordnung sorgt für einen entsprechenden rechtlichen Rahmen. Auch die zusätzlichen Reglements der unterschiedlichen Anbauverbände wie etwa Bioland, Naturland und Demeter tun das ihre, um die Wirklichkeit der Herstellung von Bio-Lebensmitteln den Erwartungen der Kundschaft und der Mitarbeiter anzupassen.

Mehr als nur eine Anbauform

Gerade im Feld der Sozialstandards könnte allerdings noch das eine oder andere getan werden. Unter dem Motto "Alle reden von Bio und Fair. Wir sind's!" gründeten Unternehmen aus der Bio-Lebensmittelbranche daher im Frühjahr 2008 anlässlich der Bio-Fach-Messe in Nürnberg die bundesweite Initiative "Bestes Bio - Fair für Alle". Ziel des Vereins ist es, möglichst viele Menschen davon zu überzeugen, dass Bio mehr ist als nur eine Anbauform.

Angesichts dieser neuesten Initiative und der verschiedenen Bemühungen, auch bei Anbauverbänden Themen der sozialen Verantwortung nach vorne zu schieben, zeigt sich, dass die Nachhaltigkeitsdiskussion die biologische Land- und Lebensmittelwirtschaft deutlich beeinflusst. Im Rahmen dieser Diskussion haben aber auch die konventionellen Lebensmittelhersteller, wie etwa Unilever, Kraft Foods und Danone, neue Programme entwickelt. Sie legen besonderen Wert auf eine ganzheitliche Unternehmensverantwortung, mit Fokus auf die sozialen Bedingungen der Lebensmittelherstellung.

Sozialunternehmen in der Bio-Branche

Entsprechende Projekte sind in den Nachhaltigkeitsberichten der erwähnten Unternehmen dokumentiert. Ein derzeit viel diskutiertes Beispiel ist das Engagement von Danone in Bangladesh. "Grameen Danone Foods - Social Business Enterprise" - so heißt das Joint Venture von Danone und der Grameen Bank, mit dem Danone in Bangladesh neue Wege geht. Es ist ein Sozialunternehmen - im Vordergrund steht nicht der Gewinn, sondern das soziale Engagement für die Armutsbekämpfung in der Dritten Welt. Erwirtschaftete Renditen werden ins Unternehmen reinvestiert. "Erlaubt" ist eine Dividende von maximal einem Prozent.

Danone produziert in lokalen Fabriken mit Milch von einheimischen Bauern den Joghurt "Schokti Doi". Die Milch wird zu einem festen Preis abgenommen und ein kostenloser Veterinärservice sichert die Gesundheit der Tiere und damit die Milchqualität. Der Joghurt wird von den "Grameen-Ladies" verkauft. Sie gehen mit einer Kühltasche von Tür zu Tür und verkaufen das Produkt für sechs Cent pro Becher. Das entspricht dem lokalen Konsumniveau. Pro verkauften Becher erhalten die Grameen-Ladies einen kleinen Betrag und erwirtschaften so ihren Lebensunterhalt.

Pioniere für eine dauerhafte (R-)Evolution

In Deutschland haben vor allem die Bio-Pioniere Besonderes geleistet. Beispielsweise wurde die Firma Lebensbaum 2003 im Rahmen des Wettbewerbs "Innovationspreis Bio-Lebensmittelverarbeitung" dafür ausgezeichnet, dass sie eine ganz besondere Unternehmenskultur entwickelt hatte, in der sie unter anderem durch den Bau einer neuen Kantine zeigte, welche Verantwortung sie für das ganzheitliche Wohl ihrer Mitarbeiter übernahm. In der Begründung zur Preisverleihung an Lebensbaum heißt es: "Ein weiteres Kriterium für die positive Beurteilung war das hohe Engagement der Geschäftsleitung für ihre Mitarbeiter sowie das Sponsoring in den Bereichen Kinder- und Jugendarbeit, Ökologie und Gesundheit sowie Kunst und Kultur."

Auch andere Themen, die von welterhaltender beziehungsweise weltverändernder Bedeutung sind, wie beispielsweise Gentechnikfreiheit, werden von Bio-Unternehmen im Sinne sozialer Verantwortung angegangen. Beispielsweise war der Gründer der Firma Rapunzel Joseph Wilhelm 2009 zum zweiten Mal mit einem "Genfrei Gehen"-Lauf durch ganz Deutschland unterwegs und hat Tausende von Menschen auf die kritische Bedeutung der Grünen Gentechnik aufmerksam gemacht und sie für biologische Alternativen in der Zucht sensibilisiert.

Nicht nur der Blick auf die Bio-Pioniere, zu denen Ulrich Walter und Joseph Wilhelm zweifelsohne genauso gehören wie Susanne Schöning von der Firma Zwergenwiese, dokumentieren durch ihre Form von CSR, dass sie an der dauerhaften "(R-)Evolution" in Richtung eines nachhaltigen Lebensstils mitwirken. Auch Neueinsteiger in den Bio-Markt, wie die Firma Roggenkamp Organics, die hochwertige, frische Lebensmittel in einem innovativen Fertigungsprozess herstellt, zeigen, dass sie soziale Verantwortung ernst nehmen. Roggenkamp Organics gehört zu den ersten echten Social Entrepreneurs in Deutschland, weil sie mit den Überschüssen die Deutsche Demenzstiftung Vergissmeinnicht nachhaltig und langfristig unterstützt.

Schnellboot statt Fregatte

All diese Unternehmen zeigen, dass die ursprünglichen Werte der Bio-Bewegung, mit ganzheitlicher Güte Lebensmittel herzustellen, zu verarbeiten und zu vermarkten, sich ständig weiterentwickeln und vertiefen. In gewisser Weise zeichnet sich die Bio-Welt dadurch aus, dass sie diese Werte schneller umsetzt als die Lebensmittelindustrie - und zwar besser angepasst an die jeweilige Unternehmenskultur und die jeweiligen Kundenerwartungen.

Die Firmen der Bio-Bewegung sind flexible Schnellboote, die den großen Fregatten der Industrie einiges voraus haben: Sie können schneller aktuelle Themen aufgreifen, sie können transparenter agieren, sie bringen eine Kultur der umfassenden Verantwortung mit sich oder, wenn sie neu in den Markt einsteigen, Wissen um die kulturelle Notwendigkeit von umfassender Für- und Vorsorge, die weit über das vom Lebensmittelrecht Erwartete hinausgeht.

Ein Beispiel für die herausragende Anpassungsgeschwindigkeit der Bio-Lebensmittelbranche ist das Aufgreifen der Werte, die mit regionaler Produktion, Verarbeitung und Vermarktung einhergehen. Durch Bewegungen wie den "Slow Food"-Ableger Terra Madre oder den Bundesverband der Regionalbewegung stimuliert, entsteht ein neues Bewusstsein für regionales Rohstoff-Sourcing, regionales Energiemanagement, regionale Vernetzung mit Lebensmittelhandwerkern, die in ökologischer Qualität Rohstoffe be- und verarbeiten und vermarkten können. In vorzüglicher Weise haben Firmen wie die Bohlsener Mühle seitens der Hersteller und "Die Regionalen" seitens der Vermarkter dieses Werteportfolio aufgegriffen, das sich bewusst gegen die Globalisierung wendet. Sie setzen Werte wie regionale Zugehörigkeit, traditionelle regionale Rezepte, Saisonalität und regionalen Naturschutz um.

Ganzheitliche Verantwortung

Schaut man auf die Geschichte der Bio-Lebensmittelwirtschaft zurück und nimmt ihre nähere Zukunft in den Blick, so ist die Bio-Branche ein besonderer Kulturträger für eine nachhaltige Nahrungsmittelindustrie. Sie setzt Verantwortung ganzheitlich um: als Verantwortung für die natürlichen Ressourcen, für die Ökosysteme, in denen produziert wird und auch als Verantwortung gegenüber jetzigen und zukünftigen Generationen. Damit wirkt sie schöpferisch in der Markterschließung und zugleich schöpfungsbewahrend.

Im vergangenen Jahr hat der Bundesverband Naturkost Naturwaren Großhandel e.V. mit seinem Kodex ein Beispiel dafür gesetzt, wie eine Dachorganisation das Zukunftsfeld ethisch fundierter, unternehmerischer Arbeit rund um Lebensmittel proaktiv gestaltet. Der erste Teil des Kodexes ist das "Selbstverständnis der Naturkostbranche". Er nennt die zentralen Werte, die die Unternehmen der Naturkostbranche leiten und prägen, insbesondere eine sozial-ökologische Gestaltung der Marktwirtschaft, Verantwortung für Natur und Umwelt, Chancengleichheit und Ressourcengerechtigkeit, Transparenz, ganzheitliche Qualität und Partnerschaftlichkeit.

So können beispielsweise durch langjährige Kooperation mit Lieferanten intelligente Wege der Kostenreduktion entwickelt werden, die nicht zu Lasten eines Partners in der Wertschöpfungskette gehen. Für das einzelne Unternehmen muss der Katalog nicht vollständig sein, aber er zeigt den Grundkonsens und damit das Profil der ganzen Branche

Nachhaltigkeit hoch sechs

Unternehmer der Bio-Land- und Lebensmittelwirtschaft schaffen in wenigstens sechsfacher Weise nachhaltige Zukunftswerte: Sie sind nachhaltiger Rohstoff- und Energiewirt, Lebensmittelwirt, Umwelt-, Markt- und Kulturwirt. Als Rohstoffwirt setzen sie sich für den Erhalt der Biodiversität ein und für den sorgfältigen Umgang mit nachwachsenden Rohstoffen. Als Energiewirt fördern sie eine regionale Abfall- und Kreislaufwirtschaft und steigern die Energieeffizienz in ihren Unternehmen. Als Lebensmittelwirt tun sie alles für eine lebensgerechte Produktion von Pflanzen und Tieren und tragen zu einer dauerhaften Ernährungssicherung bei. Als Umweltwirt beachten sie die Verkürzung der Verkehrswege, den Erhalt von Naturräumen, die Reinhaltung von Böden, Wasser und Luft. Als Marktwirt wissen sie um ihr verantwortliches Eingebundensein in regionale, bundes- und europaweite Märkte, teilweise sogar in Weltmärkte. Sie konzentrieren sich auf eine Marktgestaltung in regionalen Bezügen. Als Kulturwirt bemühen sie sich um eine nachhaltige Bewirtschaftung öffentlicher Güter im Sinne einer anerkennenswerten Kulturleistung, beispielsweise im Engagement für den Erhalt von Kulturlandschaften. Sie gestalten ihre Unternehmenskulturen im Sinne von CSR-Maßnahmen und erweisen sich vor Ort als guter Unternehmensmitbürger (Corporate Citizenship).

Weiterführende Informationen:

www.innovationspreis-bio-verarbeitung.de
www.terramadre.de
www.regionalbewegung.de
www.biohandwerk.de
www.n-bnn.de
www.biofairverein.de


Im Profil

Professor Dr. Franz-Theo Gottwald ist Vorstand der Schweisfurth-Stiftung in München und Honorarprofessor für Agrar- und Umweltethik an der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt Universität Berlin sowie Lehrbeauftragter für Politische Ökologie an der Hochschule für Politik München. Er ist Unternehmensberater und Autor von Fachpublikationen in den Bereichen Philosophie, Bewusstseinsforschung und Management.

Quelle:
Wirtschaft | Branchen & Verbände, 07.01.2010

     
        
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