Reformierung der EU-Chemikalienpolitik
Eine kurze Zusammenfassung
Mit Ihrem Vorschlag zu einer "Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe" (Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals - REACh) aus dem Jahr 2003 kommt die EU ihren selbst auferlegten Ansprüchen aus der Agenda 21 nach. Dabei geht sie insbesondere auf den Vollzug eines Vorsichtsprinzips im Bereich der Chemiewirtschaft ein. Vor allen Dingen beseitigt sie Missstände in der Chemikalienregulierung, die seitens der Kommission bereits seit Jahren benannt werden. Denn seit 1981 gibt es eine Zwei-Klassengesellschaft in der Chemie: Alle Substanzen (es handelt sich um über 100.000), die im September 1981 auf dem Markt waren, mussten registriert werden, aber nur gut 140 von ihnen wurden Risikotests unterzogen. Substanzen die danach auf den Markt kommen sollten, wurden in einem sehr aufwendigen und bürokratischen Verfahren evaluiert. Dies hatte zur Folge, dass in den letzten zwanzig Jahren Innovationen vornehmlich Prozessneuerungen unter Einbezug alter Stoffe waren - mit der bekannten Unterscheidung bezüglich der Testanforderungen.
Das seit geraumer Zeit in Europa auch von anderer Seite diskutierte Ansinnen einer Reformierung der Chemikalienregulierung läuft nun auf vier Punkte hinaus: Zum einen Betonung des Vorsichtsprinzips und damit eine Umkehrung der Beweislast hinsichtlich der Eigenschaften bzw. Unbedenklichkeit chemischer Substanzen hin zur chemischen Industrie. Daneben die Harmonisierung bestehender Richtlinien und Eingliederung in internationale Programme und damit Stärkung des europäischen Binnenmarktes. Hierbei geht es darum darum, die Dichotomie zwischen alten und neuen Substanzen aufzuheben. Zusätzlich beinhaltet REACh die Erhöhung der Transparenz innerhalb von Wertschöpfungsketten bezüglich der Charakteristika von Chemikalien und schließlich die Substitution gefährlicher Substanzen und damit der langfristige Schutz von Mensch und Umwelt.
Charakteristisch für REACh ist, dass der Umfang der Produktion als Annäherungsgröße für dessen potenzielle Gefahr definiert wird. Entsprechend werden für Produktionsvolumina unter 1 Jahrestonne (JaTo) überhaupt keine Registrierungspflichten aufgestellt, während ab 10 JaTo (bzw. 100 oder 1000) zusätzliche Anforderungen an Sicherheitsberichte und Testanforderungen definiert werden.
Um den gesamten Aufwand so gering wie möglich zu halten und Verantwortlichkeiten zu verteilen, beinhaltet der Verordnungsvorschlag diverse Vorgaben für den Austausch von Informationen zu Stoffeigenschaften - bspw. in sog. "Substance Information Exchange Fora" (SIEF nach Art. 27 des Verordnungsvorschlags). Hierin müssen sich alle Unternehmen austauschen, die dieselbe Substanz zur Registrierung vorlegen, um die Anzahl insbesondere von Tierversuchen zu minimieren. Diese und ähnliche Verfahren über die gesamte Lieferkette hinweg, rufen den Argwohn der Industrie hervor. Die Preisgabe elementarer Betriebsgeheimnisse wird befürchtet.
Was die praktische Durchführung der Unbedenklichkeitstest betrifft, lässt der Vorschlag ausdrücklich die Verwendung von quantitativen Struktur-Aktivitäts-Relationsmodellen (Quantitative Structure-Activity Relationships - QSAR) zu. Diese lassen eine Abschätzung der Eigenschaften einer Substanz aufgrund ihrer strukturellen Ähnlichkeit mit bekannten Substanzen zu. Die Hoffnung besteht hierbei, dass Tierversuche durch QSAR ersetzt werden können. Eine Prognose, die von mehreren Seiten aus sehr kritisch eingeschätzt wird.
Dass REACh innerhalb der nächsten zwei Jahre kommen wird, wird von keiner Seite aus mehr ernsthaft in Frage gestellt. Vielmehr gehen nach wie vor die Vorstellungen darüber auseinander, ab welchen Grenzen in welchem Umfang die Darlegungen der Unbedenklichkeit obligatorisch werden. Zusätzlich wird noch sehr kontrovers diskutiert, wie der Schutz von betrieblichen Informationen, Minimierung von Testumfängen und Verbrauchersicherheit in Einklang gebracht werden können.
Die aktuelle Implementationsforschung konzentriert sich für den Moment hauptsächlich auf die Kosten-Nutzen-Verhältnisse der Tests für die "alten" Substanzen. Solche Stoffe, die bereits seit Jahren in Umlauf sind, aber noch keiner Unbedenklichkeitsprüfung unterzogen wurden. Weitergehende Projekte betrachten die darüber hinaus gehenden Effekte für die Zusammenstellung von Stoffgemischen sowie den generellen gesellschaftlichen Umgang mit Risiko und Unsicherheit.
Von besonderem Interessen wird sein, inwiefern die notwendige Reformierung der EU-Chemikalienpolitik durch Partikularinteressen einerseits und mangelnde Einbindung bestehenden Wissens und Praktiken andererseits in ihrer Effizienz und Effektivität beeinträchtigt wird. Am Centre for Sustainability Management der Universität Lüneburg läuft derzeit ein entsprechendes Forschungsprojekt.
Heinrich Tschochohei -
Dozent im MBA-Studiengang Sustainability Management der Universität Lüneburg
Aktuelle Literatur zum Thema:
HANSJÜRGENS, B. & NORDBECK, R. (Hrsg.) (2005): Chemikalienregulierung und Innovationen zum nachhaltigen Wirtschaften, Springer: Heidelberg u.a.
FÜHR, M. & BIZER, K. (2005, forthcoming): "REACh as a paradigm shift in chemical policy - responsive regulation and behavioural models", in: Environmental Science and Pollution Research.
Links:
Bundesinstitut für Risikobewertung http://www.bfr.bund.de/cd/223
Umweltbundesamt http://www.umweltbundesamt.de/reach/
EU, Generaldirektion Wirtschaft http://europa.eu.int/comm/enterprise/chemicals/chempol/index.htm
Das seit geraumer Zeit in Europa auch von anderer Seite diskutierte Ansinnen einer Reformierung der Chemikalienregulierung läuft nun auf vier Punkte hinaus: Zum einen Betonung des Vorsichtsprinzips und damit eine Umkehrung der Beweislast hinsichtlich der Eigenschaften bzw. Unbedenklichkeit chemischer Substanzen hin zur chemischen Industrie. Daneben die Harmonisierung bestehender Richtlinien und Eingliederung in internationale Programme und damit Stärkung des europäischen Binnenmarktes. Hierbei geht es darum darum, die Dichotomie zwischen alten und neuen Substanzen aufzuheben. Zusätzlich beinhaltet REACh die Erhöhung der Transparenz innerhalb von Wertschöpfungsketten bezüglich der Charakteristika von Chemikalien und schließlich die Substitution gefährlicher Substanzen und damit der langfristige Schutz von Mensch und Umwelt.
Charakteristisch für REACh ist, dass der Umfang der Produktion als Annäherungsgröße für dessen potenzielle Gefahr definiert wird. Entsprechend werden für Produktionsvolumina unter 1 Jahrestonne (JaTo) überhaupt keine Registrierungspflichten aufgestellt, während ab 10 JaTo (bzw. 100 oder 1000) zusätzliche Anforderungen an Sicherheitsberichte und Testanforderungen definiert werden.
Um den gesamten Aufwand so gering wie möglich zu halten und Verantwortlichkeiten zu verteilen, beinhaltet der Verordnungsvorschlag diverse Vorgaben für den Austausch von Informationen zu Stoffeigenschaften - bspw. in sog. "Substance Information Exchange Fora" (SIEF nach Art. 27 des Verordnungsvorschlags). Hierin müssen sich alle Unternehmen austauschen, die dieselbe Substanz zur Registrierung vorlegen, um die Anzahl insbesondere von Tierversuchen zu minimieren. Diese und ähnliche Verfahren über die gesamte Lieferkette hinweg, rufen den Argwohn der Industrie hervor. Die Preisgabe elementarer Betriebsgeheimnisse wird befürchtet.
Was die praktische Durchführung der Unbedenklichkeitstest betrifft, lässt der Vorschlag ausdrücklich die Verwendung von quantitativen Struktur-Aktivitäts-Relationsmodellen (Quantitative Structure-Activity Relationships - QSAR) zu. Diese lassen eine Abschätzung der Eigenschaften einer Substanz aufgrund ihrer strukturellen Ähnlichkeit mit bekannten Substanzen zu. Die Hoffnung besteht hierbei, dass Tierversuche durch QSAR ersetzt werden können. Eine Prognose, die von mehreren Seiten aus sehr kritisch eingeschätzt wird.
Dass REACh innerhalb der nächsten zwei Jahre kommen wird, wird von keiner Seite aus mehr ernsthaft in Frage gestellt. Vielmehr gehen nach wie vor die Vorstellungen darüber auseinander, ab welchen Grenzen in welchem Umfang die Darlegungen der Unbedenklichkeit obligatorisch werden. Zusätzlich wird noch sehr kontrovers diskutiert, wie der Schutz von betrieblichen Informationen, Minimierung von Testumfängen und Verbrauchersicherheit in Einklang gebracht werden können.
Die aktuelle Implementationsforschung konzentriert sich für den Moment hauptsächlich auf die Kosten-Nutzen-Verhältnisse der Tests für die "alten" Substanzen. Solche Stoffe, die bereits seit Jahren in Umlauf sind, aber noch keiner Unbedenklichkeitsprüfung unterzogen wurden. Weitergehende Projekte betrachten die darüber hinaus gehenden Effekte für die Zusammenstellung von Stoffgemischen sowie den generellen gesellschaftlichen Umgang mit Risiko und Unsicherheit.
Von besonderem Interessen wird sein, inwiefern die notwendige Reformierung der EU-Chemikalienpolitik durch Partikularinteressen einerseits und mangelnde Einbindung bestehenden Wissens und Praktiken andererseits in ihrer Effizienz und Effektivität beeinträchtigt wird. Am Centre for Sustainability Management der Universität Lüneburg läuft derzeit ein entsprechendes Forschungsprojekt.
Heinrich Tschochohei -
Dozent im MBA-Studiengang Sustainability Management der Universität Lüneburg
Aktuelle Literatur zum Thema:
HANSJÜRGENS, B. & NORDBECK, R. (Hrsg.) (2005): Chemikalienregulierung und Innovationen zum nachhaltigen Wirtschaften, Springer: Heidelberg u.a.
FÜHR, M. & BIZER, K. (2005, forthcoming): "REACh as a paradigm shift in chemical policy - responsive regulation and behavioural models", in: Environmental Science and Pollution Research.
Links:
Bundesinstitut für Risikobewertung http://www.bfr.bund.de/cd/223
Umweltbundesamt http://www.umweltbundesamt.de/reach/
EU, Generaldirektion Wirtschaft http://europa.eu.int/comm/enterprise/chemicals/chempol/index.htm
Quelle:
Gesellschaft | Politik, 22.03.2006
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