Böses Alu, gutes Holz?

Warum sich die Ökobilanz von Baustoffen nicht pauschal bewerten lässt

Auch Bauprodukte kommen am Thema Nachhaltigkeit nicht vorbei. Wo es früher nur Kennzeichnungsmöglichkeiten wie "natürlich" und "nachwachsend" gab, gibt es heute eine Vielzahl an Kriterien, welche ein Produkt bewertbar machen. forum sprach mit Prof. Alexander Rudolphi, der sich seit den 1970er Jahren mit der ökologischen Bewertung von Bauprodukten beschäftigt.

Holger König
Herr Prof. Rudolphi, die Definition des nachhaltigen Bauens verlangt, dass der gesamte Lebenszyklus von Baustoffen berücksichtigt wird. Bedeutet das nicht automatisch, dass Baustoffe aus nachwachsenden Rohstoffen - wie Fenster aus Holz oder Dämmstoffe aus Stroh - die nachhaltigsten Baustoffe sind?
Beim Lebenszyklus eines Baustoffs betrachtet man Umweltwirkungen, wie den Bedarf an begrenzt verfügbaren Rohstoffen und den Primärenergiebedarf. Auch die Einträge in die Umwelt müssen erfasst werden - von der Gewinnung über die Herstellung und möglichst mehrfache Nutzung bis zur Beseitigung. Dabei spielt die Zeit eine wichtige Rolle: Ein Gebäude und seine Bauteile sollen möglichst lange und ohne großen Instandsetzungsaufwand nutzbar sein. Ein schlechtes Holzfenster ist daher nicht nachhaltig, wenn es bereits nach kurzer Zeit ausgetauscht und für den gewünschten Nutzungszeitraum mehrfach hergestellt werden muss.

Welche Kriterien sind bei nachhaltigen Baustoffen entscheidend?
Das wichtigste Instrument ist die Ökobilanz. Dabei können wesentliche Wirkungen wie der Treibhauseffekt, die Versauerung von Böden und Gewässern usw. bereits quantitativ ermittelt werden. Doch leider ist es bis heute nicht möglich, wichtige Umweltaspekte wie z.B. die Einschränkung der Biodiversität, die Flächenkonkurrenz oder toxische Wirkungen auf den Menschen oder die Umwelt mit der Ökobilanz zu erfassen. Hierfür fehlt die Kenntnis über die Wirkungszusammenhänge und damit die notwendigen Datengrundlagen. Daher müssen die entsprechenden Produktbestandteile oder Eigenschaften zusätzlich abgefragt werden, z.B. der Gehalt an Schwermetallen, Bioziden und Halogenen bzw. gesundheits- oder umweltschädlichen organischen Substanzen.

Gibt es einen einheitlichen Wert, etwa in Form eines ökologischen Fußabdrucks, an dem man nachhaltige Baustoffe erkennen kann?
Nicht ohne Betrachtung des Nutzens. Zur Bewertung der Nachhaltigkeit gehören neben den Ausgangsmaterialien immer auch die Qualität, Funktionalität, Dauerhaftigkeit und Sicherheit während der Nutzung. Aber auch weitere Aspekte, wie etwa die Recyclingtauglichkeit müssen beachtet werden. Bei der Beurteilung ist auch die gewünschte Bauteilfunktion zu berücksichtigen: Ein modernes energiesparendes Gebäude verlangt teilweise hochkomplexe Eigenschaftsprofile von Materialien. Dabei vergleicht man immer Bauteilvarianten mit gleichem Nutzwert. Natürlich gibt es bereits viele bewährte bautechnische Standards, deren ausgewiesene Nachhaltigkeit bekannt ist.

Kann man zwischen "nachhaltigen" und "konventionellen" Baustoffen unterscheiden?
Diese Unterscheidung gibt es eigentlich nicht. Holz als der wichtigste nachwachsende Rohstoff im Bauwesen ist gleichzeitig konventionell und sehr modern, wenn man hochwertige Holzprodukte und -werkstoffe betrachtet. Gleiches gilt z.B. für Lehm als Baustoff. Das Material selbst ist konventionell, erst die moderne gütegesicherte Herstellungstechnik von Platten und Steinen hat daraus ein modernes und wirtschaftliches Produkt erzeugt, das wir auch bei anspruchsvollen Bauvorhaben ausschreiben und wirtschaftlich anwenden können. Gleichzeitig gibt es eine ganze Reihe von bauchemischen "modernen" Produkten, die aufgrund ihrer gesundheits- oder umweltschädigenden Wirkung aussortiert werden sollten wie z.B. bekämpfend wirkende Holzschutzmittel im Gebäude oder der zur Zeit heftig diskutierte hormonelle Schadstoff Bisphenol-a als Bestandteil von verwendeten Kunststoffen und Kunstharzen im Bauwesen.

Wie verändert sich der Baustoffmarkt?
Ich beschäftige mich schon seit Anfang der achtziger Jahre mit der ökologischen Bewertung von Bauprodukten Seitdem hat sich der Bauproduktemarkt massiv verändert. Ein Grund ist die wachsende Sensibilität in Umwelt- und Gesundheitsfragen. Damals fehlten uns nahezu alle wichtigen Informationen über Herkunft, Verarbeitung, Zusammensetzung und Wirkung von Materialien. Stichworte wie "natürlich" oder "nachwachsend" waren häufig die einzigen Bewertungsgrundlagen. Dann wurde das Instrument der Ökobilanz entwickelt, die heute eine weitaus differenziertere und wirklichkeitsnähere Bewertung erlaubt. Gefördert wurde diese positive Entwicklung durch zunehmend verfügbare Daten und Informationen, vor allem durch die REACH-Richtlinie zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe, die Kennzeichnungen der Gefahrstoffverordnung, die Produktdeklaration, die erweiterte Definition der "Brauchbarkeit" von Produkten in der Bauproduktenrichtlinie, aber auch ganz allgemein durch die Forderung der Kreislaufwirtschaft.

Die Baustoffindustrie hat teilweise schnell und innovativ reagiert und ihre Produkte und Herstellungsprozesse verbessert. Der wichtigste Anreiz ist immer der Markt, also die Nachfrage nach ökologisch optimierten Produkten. Das Deutsche Gütesiegel für Nachhaltiges Bauen der DGNB schafft und fördert diese Nachfrage. Die entsprechenden Anforderungen und Bewertungsinstrumente müssen daher weiterentwickelt und stärker verbreitet werden. Es muss sich lohnen, ökologisch optimierte Produkte herzustellen - der Markt wird dann schon folgen.

Lohnt es sich für Bauherren, nachhaltige Produkte und ökologisch optimierte Bauteile zu verwenden?
Auf längere Sicht in jedem Fall. Entscheidend ist, dass man die Produkte kritisch prüft und die bestehenden Informationsquellen und Deklarationen abruft. Dabei helfen zahlreiche kundenfreundliche Produktzertifizierungen wie z.B. der Blaue Engel, die RAL-Gütezeichen, Produktlabel wie natureplus usw.. Für den Experten gibt es Deklarationen wie die Umweltproduktdeklaration EPD und Informationen in zahlreichen Online-Portalen. Wichtig ist dabei festzustellen, dass diese optimierten Produkte keineswegs teuer sein müssen - dies ist mehr eine Frage der Auswahl. Hierbei kann es sich lohnen, einen Experten hinzuzuziehen. Der Bauherr sollte aber wissen, dass auch das nachhaltigste Produkt nichts nützt, wenn es schlecht verarbeitet oder falsch eingesetzt ist. Nachhaltiges Bauen bedeutet eben nicht nur eine energiesparende, sondern auch eine gütegesicherte Planung, Ausschreibung und Umsetzung des Bauvorhabens.

Sind nachhaltige Baustoffe die Zukunft?
Es wird keine Alternative geben. Die wachsende Bevölkerung, die wachsenden Bedürfnisse in den Schwellenländern, die Klimaveränderung und die Verknappung der Ressourcen zwingen uns dazu, den Ressourcenverbrauch oder den Verbrauch an fossilen Energieträgern, Wasser, Flächen usw. drastisch zu senken.
 

Ein Interview von Kirstin Abitz
 
 
 

Kontakt

Prof. Ing. Alexander Rudolphi ist Mitbegründer und Geschäftsführer der Gesellschaft für ökologische Bautechnik Berlin mbH, sowie Gründer und Geschäftsführer der RAL Gütegemeinschaft Holzschutz und Bautenschutz. Des Weiteren ist er Mitbegründer und Gründungspräsident der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen DGNB und Berater zur ökologischen Bauteiloptimierung und Gütesicherung.






Kommentar: Da bremst doch wer!
Von Dipl. Ing. Architekt Holger König,Experte für ökologische und baubiologische Gebäude
Dass einige Umweltauswirkungen bis heute nicht Teil der Ökobilanz sind, ist den politischen Grundlagen geschuldet. Schon heute ist es möglich, die toxischen Belastungen für die Umwelt und die langfristigen Wirkungen auf den Menschen zu beurteilen. Durch die beiden Indikatoren Ecotox und Humantox können diese Belastungen greifbar gemacht werden. Sie werden jedoch von der Industrie und von der Regierung nicht als relevant angesehen und finden somit bislang keinen Eingang in die Ökobilanz von Bauprodukten. So verhindern das Sicherheitsdatenblatt und die Deklarationsrichtlinien der DGNB/BNB im Moment nicht, dass Dämmstoffe auf dem Markt sind, die mit problematischen Flammhemmern ausgerüstet sind.

Diese Zertifikate sind jedoch in der Lage, diese Tatsache zu ändern und eine Entwicklung hin zu besseren Gebäuden zu ermöglichen.








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Quelle:
Technik | Green Building, 16.03.2011

     
        
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