Internationaler B.A.U.M.-Sonderpreis 2011

Schon vor der Revolution revolutionär

Interview mit Prof. Dr. Ibrahim Abouleish, Träger des Internationalen B.A.U.M.-Sonderpreises 2011. Der Gründer der Organisation SEKEM spricht über Lebenskraft, seinen ganzheitlichen Ansatz und warum Menschenrechte bei SEKEM an erster Stelle stehen.

Prof. Dr. Ibrahim Abouleish glaubt an nachhaltige Entwicklung, auch in Ländern mit politischen Schwierigkeiten.
Herr Prof. Abouleish, SEKEM bedeutet "Lebenskraft". Inwiefern symbolisiert diese alte ägyptische Hieroglyphe das Konzept der von Ihnen gegründeten Organisation?

Kein anderes Wort beschreibt die ständige Verwandlung, ein Anpassen an neue Gegebenheiten besser. Diese Fähigkeiten ermöglichen es uns, uns auf neue Situationen und Entwicklungen einzustellen. Dazu bedarf es einer lebendigen Gemeinschaft, die diesen Entwicklungsprozess geht und mit trägt.

Die Keimzelle von SEKEM war eine biologisch-dynamisch bewirtschaftete Farm. Auch heute steht die Landwirtschaft noch im Zentrum Ihrer Aktivitäten. Weltweit trägt sie erheblich zum Klimawandel bei - die Zahlen schwanken zwischen zehn und 30 Prozent. Was muss hier geschehen?

Ägypten ist ein Land, in dem über 50 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in der Agrikultur beschäftigt sind. Um dem Klimawandel entgegenzuwirken, muss es eine Revolution geben. Nur nachhaltige Landwirtschaft wird in den kommenden Jahrzehnten dem wachsenden Druck knapper werdender Ressourcen standhalten können. Gleichzeitig werden die Emissionen verringert und es wird mehr Kohlenstoff im Boden gebunden. Chemische Dünger, deren Produktion viel Energie verbraucht, erreichen keinen höheren Ertrag, sondern schaden vielmehr der Umwelt und der Qualität der Lebensmittel. International wäre es wünschenswert, dass nachhaltige Landwirtschaft in verbindlichen Verträgen wie dem LCA-Text (Long-term Cooperative Action) des UNFCCC verankert wird.

Das Gesamtkonzept von SEKEM ruht auf allen Säulen der Nachhaltigkeit gleichermaßen. Was ist Ihnen im sozialen Bereich besonders wichtig?

Der ganzheitliche Ansatz von SEKEM umfasst Umwelt, Wirtschaft, Soziales und Kultur. Im sozialen Bereich stehen Menschenwürde und Menschenrechte an oberster Stelle. In Ländern wie Ägypten, die über tausend Jahre besetzt waren, wurden Menschen oft versklavt, entrechtet und ausgebeutet. Erst in der jüngsten Geschichte fand ein Wandel statt. Der Nachholbedarf ist groß und SEKEM hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein Modell zu schaffen, in dem der Entwicklung des Menschen höchste Aufmerksamkeit zuteil wird.

Die politische Situation in Nordafrika und im Nahen Osten befindet sich derzeit im Umbruch. Sehen Sie neue Chancen für eine nachhaltige Entwicklung der Region?

Der Umbruch bedeutet das Ende der Ära mehrerer Regierungen, die über Jahrzehnte das Aufkeimen einer pluralistischen politischen Landschaft weitgehend unterdrückt haben. In solch einem Klima ist nachhaltige Entwicklung kaum möglich. Der Umbruch bedeutet daher auch die Chance, Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft zu verankern. Man wird entdecken, dass nachhaltige Konzepte tragfähige Lösungen bieten.

Der Ansatz von SEKEM war schon Jahrzehnte vor der Revolution dieses Jahres revolutionär. Heute kommen Journalisten und interessierte Menschen aus der Region auf SEKEM zu, die gegenüber Ansätzen, die vom "business as usual" abweichen, viel aufgeschlossener sind als zuvor. In dieser Offenheit liegt eine große Chance.

Wie könnte SEKEM als Modellprojekt auf andere Länder übertragen werden?

Der Schlüssel liegt in der Bildung. Die im Aufbau stehende Heliopolis-Universität - die erste Universität der Welt, die die nachhaltige Entwicklung konsequent zu ihrem Leitbild erhebt - wird das Wissen, auf dem der ganzheitliche Ansatz von SEKEM basiert, an Studierende aus aller Welt vermitteln. So lassen sich die Grundlagen und praktischen Anwendungen des Modellprojekts SEKEM auch auf andere Länder übertragen.




SEKEM hat seinen Sitz in Kairo und umfasst neben Unternehmen, die Lebensmittel, Heilpflanzen und Baumwolle anbauen, verarbeiten und vertreiben, auch soziale und Bildungseinrichtungen.
www.sekem.com


Quelle:
Gesellschaft | Social Business, 05.07.2011
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2011 - Schöne Aussichten erschienen.
     
        
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