Nachhaltigkeit und Vertrauen
Über die Notwendigkeit von Werten für die Marktwirtschaft
Seit einigen Jahren erleben wir einen besorgniserregenden Vertrauensverlust in öffentlichen Institutionen. Auch Wirtschaftsunternehmen und Finanzinstitute sind öffentliche Institutionen in diesem Sinn. Dieser Vertrauensverlust hat viele und komplexe Gründe, gerade in unserem Land. Jetzt hat er einen Grad erreicht, der zu entschlossenem Handeln nötigt.
Wie anstrengend es ist, einen solchen Vertrauensverlust auszugleichen, haben wir in den letzten Jahren am Beispiel der Kirche gemerkt. Bei allen Unterschieden: Auch im Fall der Wirtschaft ist es nicht leicht. Man macht es sich zu einfach, wenn man behauptet, der Vertrauensverlust liege ausschließlich daran, dass das Publikum Wirtschaft nicht richtig versteht; wenn dagegen die Menschen die Wirtschaft erst richtig verstünden, dann wäre das Vertrauen auch wieder hergestellt.
Doch aus einem Mangel an Vertrautheit allein sind die zum Teil dramatischen Vertrauensverluste nicht zu erklären, unter denen auch die Wirtschaft derzeit leidet.
In dieser Situation spüren wir, dass für die Wirtschaft Vertrauen ebenso wichtig ist wie Kapital. Ebenso wichtig wie eine stabile Unternehmensfinanzierung ist es, das Vertrauen durch vertrauenswürdiges Handeln und Verhalten zu erneuern. Beides hat die gleiche Priorität. Denn in all seinen Funktionen ist unternehmerisches Handeln auf Vertrauen angewiesen. Dieses Vertrauen hängt davon ab, dass Unternehmerinnen und Unternehmer, Managerinnen und Manager als öffentliche Personen in ihrem alltäglichen Handeln selbst grundlegende ethische Werte und Tugenden vertreten.
Verlässlichkeit, Transparenz, Ehrlichkeit gelten dabei als Werte, von denen das Vertrauen, das Unternehmern entgegengebracht wird, im besonderen Maß abhängt. Der Umgang mit diesen öffentlichen Tugenden ist deshalb von besonderer Bedeutung. So kann kein Unternehmen der Welt lange existieren, wenn von den leitenden Personen öffentlich zerstörerische Werte wie Gier oder Neid vertreten werden, weil diese Werte jede Form des Zusammenhalts in einem Unternehmen und des Vertrauens zwischen den Unternehmen zerstören. Die Unterscheidung zwischen berechtigtem Eigeninteresse, das es braucht, damit Selbstverantwortung möglich ist und Wirtschaft überhaupt in Gang kommt, und zerstörerischer Gier ist von fundamentaler Bedeutung. Die Grenze zwischen beiden lässt sich nicht ein für alle Mal endgültig oder gar zahlenmäßig fixieren. Die Selbstverantwortlichkeit aller Beteiligten aber dafür freizuhalten, über diese Grenze immer wieder nachzudenken und sie im Blick zu behalten, ist für unsere Wirtschaftskultur von schlichtweg entscheidender Bedeutung.
Nicht allein um Zahlen geht es in der Ökonomie, sondern es geht ebenso um Vertrauen und Bindung. Das ist ein dramatisch unterschätzter Faktor. Es ist an der Zeit, dass dieser Faktor wieder gewürdigt wird. Denn wir stellen fest: Vertrauen ist noch schwerer wieder aufzubauen als Kapital.
Die Tugend des Maßes spielt in diesem Zusammenhang sowohl mit Blick auf die Gewinne von Unternehmen als auch mit Blick auf die Bezahlung von Managern eine große Rolle. Grundsätzlich, so formuliert die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in ihrer Unternehmerdenkschrift, sollen die höchsten Gehälter in einem Unternehmen vor den Geringsten gerechtfertigt werden können. Und sicherlich muss es in Zukunft stärker so sein, dass zusätzliche Leistungsbezahlungen an die langfristige und nachhaltige Ertrags- und Wertsteigerung eines Unternehmens geknüpft sein müssen, statt an kurzfristige Renditemaximierung. Dass die Aufsichtsgremien der Unternehmen insgesamt und nicht nur die Personalausschüsse die Festlegung der Vorstandsvergütungen zu verantworten haben, ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger, ja unerlässlicher Schritt.
Unternehmerisches Handeln ist in Deutschland fest eingebunden in unser System der Sozialen Marktwirtschaft, bei dem wir davon ausgehen, dass ein starker Staat den wirtschaftlichen Wettbewerb effizient gestaltet und auf diese Weise für unternehmerische Freiheit sorgt. Der Staat hat in dieser Funktion nicht die Aufgabe, selbst Wirtschaft zu machen, sondern Wirtschaft zu ermöglichen und auf diese Weise auch der Wirtschaft Grenzen zu setzen. Notwendig ist deshalb eine gewisse Distanz des Staates zur Wirtschaft. Gerade in der gegenwärtigen Krisensituation zeigt sich, wie wichtig und schwierig zugleich diese Grenzziehung ist. Auch in einer Krise ist es nicht der richtige Weg, wenn der Staat wieder selbst zum Unternehmer wird. Dass er dabei die gleichen Fehlentscheidungen treffen kann wie die Privatwirtschaft, hat sich an den staatlich gesteuerten Banken drastisch gezeigt; in manchen Fällen traten solche Fehler sogar in gesteigerter Form auf.
Auch bei den notwendigen staatlichen Regulierungen, die gerade im Blick auf die Finanzwirtschaft unerlässlich sind, kommt es nicht nur darauf an, dass, sondern wie reguliert wird. Gute, rechtlich wirksame und wirtschaftlich vernünftige Rahmensetzungen müssen gefunden werden. Die Stärkung der wirtschaftlichen Funktionsfähigkeit muss mit Transparenz für die Kunden, Erkennbarkeit und klarer Begrenzung der Risiken sowie einer unzweideutigen Haftung der Verursacher von unverantwortbaren Risiken verbunden sein. Ebenso deutlich sehen wir heute die Notwendigkeit, bei den staatlichen Rahmensetzungen für wirtschaftliches Handeln und bei den Maßnahmen zur Krisenbewältigung das Gebot der Nachhaltigkeit zum Zuge zu bringen.
In diesem Sinn ist es notwendig, die Soziale Marktwirtschaft nicht nur in ihrer - während der letzten Jahre zum Teil sträflich vernachlässigten - Bedeutung zur Geltung zu bringen, sondern sie zu einer nachhaltigen und global verantworteten Sozialen Marktwirtschaft weiterzuentwickeln. Das wird heute im Grundsatz von vielen eingesehen, aber noch immer nicht ausreichend in die Tat umgesetzt. Denn gegen alle derartigen Vorschläge wird immer wieder der Einwand vorgebracht, sie seien international nicht durchsetzbar. Doch dieses Argument erinnert an die abwartende Haltung einer Gruppe von Männern, die um ein Schwimmbad herumstanden, in das ein Kind gefallen war. Jeder wartete, ob die anderen springen; das Kind ertrank.
Samuel Keller, der frühere Direktor der Art Basel und jetzige Direktor der Fondation Beyeler in Basel, wurde einmal gefragt, was die Wirtschaft von der Kunst lernen kann. Seine Antwort: "Vielleicht, dass Krisensituationen und Veränderungen notwendig sind. Vielleicht, dass man Dinge nicht nur für Geld, sondern aus Leidenschaft tun kann. Vielleicht, dass 'anders sein' gut sein kann."
Kontakt Autor:
Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Huber
c/o Stiftung Garnisonkirche Potsdam
Gutenbergstraße 71/72
D-14467 Potsdam
www.wolfganghuber.info
Als Querdenker und Visionär zählt er zu den über 200.000 interdisziplinären Entscheidern und kreativen Machern des QUERDENKER-Clubs. Die Community ist eines der größten Ideen- und Kreativitäts-Netzwerke. Mehr Informationen finden Sie unter www.querdenker.de.
Professor Dr. Dr. h.c. Wolfgang Huber ist einer der profiliertesten Theologen Deutschlands und ein Vordenker in ethischen Fragen. |
Doch aus einem Mangel an Vertrautheit allein sind die zum Teil dramatischen Vertrauensverluste nicht zu erklären, unter denen auch die Wirtschaft derzeit leidet.
In dieser Situation spüren wir, dass für die Wirtschaft Vertrauen ebenso wichtig ist wie Kapital. Ebenso wichtig wie eine stabile Unternehmensfinanzierung ist es, das Vertrauen durch vertrauenswürdiges Handeln und Verhalten zu erneuern. Beides hat die gleiche Priorität. Denn in all seinen Funktionen ist unternehmerisches Handeln auf Vertrauen angewiesen. Dieses Vertrauen hängt davon ab, dass Unternehmerinnen und Unternehmer, Managerinnen und Manager als öffentliche Personen in ihrem alltäglichen Handeln selbst grundlegende ethische Werte und Tugenden vertreten.
Verlässlichkeit, Transparenz, Ehrlichkeit gelten dabei als Werte, von denen das Vertrauen, das Unternehmern entgegengebracht wird, im besonderen Maß abhängt. Der Umgang mit diesen öffentlichen Tugenden ist deshalb von besonderer Bedeutung. So kann kein Unternehmen der Welt lange existieren, wenn von den leitenden Personen öffentlich zerstörerische Werte wie Gier oder Neid vertreten werden, weil diese Werte jede Form des Zusammenhalts in einem Unternehmen und des Vertrauens zwischen den Unternehmen zerstören. Die Unterscheidung zwischen berechtigtem Eigeninteresse, das es braucht, damit Selbstverantwortung möglich ist und Wirtschaft überhaupt in Gang kommt, und zerstörerischer Gier ist von fundamentaler Bedeutung. Die Grenze zwischen beiden lässt sich nicht ein für alle Mal endgültig oder gar zahlenmäßig fixieren. Die Selbstverantwortlichkeit aller Beteiligten aber dafür freizuhalten, über diese Grenze immer wieder nachzudenken und sie im Blick zu behalten, ist für unsere Wirtschaftskultur von schlichtweg entscheidender Bedeutung.
Nicht allein um Zahlen geht es in der Ökonomie, sondern es geht ebenso um Vertrauen und Bindung. Das ist ein dramatisch unterschätzter Faktor. Es ist an der Zeit, dass dieser Faktor wieder gewürdigt wird. Denn wir stellen fest: Vertrauen ist noch schwerer wieder aufzubauen als Kapital.
Die Tugend des Maßes spielt in diesem Zusammenhang sowohl mit Blick auf die Gewinne von Unternehmen als auch mit Blick auf die Bezahlung von Managern eine große Rolle. Grundsätzlich, so formuliert die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in ihrer Unternehmerdenkschrift, sollen die höchsten Gehälter in einem Unternehmen vor den Geringsten gerechtfertigt werden können. Und sicherlich muss es in Zukunft stärker so sein, dass zusätzliche Leistungsbezahlungen an die langfristige und nachhaltige Ertrags- und Wertsteigerung eines Unternehmens geknüpft sein müssen, statt an kurzfristige Renditemaximierung. Dass die Aufsichtsgremien der Unternehmen insgesamt und nicht nur die Personalausschüsse die Festlegung der Vorstandsvergütungen zu verantworten haben, ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger, ja unerlässlicher Schritt.
Unternehmerisches Handeln ist in Deutschland fest eingebunden in unser System der Sozialen Marktwirtschaft, bei dem wir davon ausgehen, dass ein starker Staat den wirtschaftlichen Wettbewerb effizient gestaltet und auf diese Weise für unternehmerische Freiheit sorgt. Der Staat hat in dieser Funktion nicht die Aufgabe, selbst Wirtschaft zu machen, sondern Wirtschaft zu ermöglichen und auf diese Weise auch der Wirtschaft Grenzen zu setzen. Notwendig ist deshalb eine gewisse Distanz des Staates zur Wirtschaft. Gerade in der gegenwärtigen Krisensituation zeigt sich, wie wichtig und schwierig zugleich diese Grenzziehung ist. Auch in einer Krise ist es nicht der richtige Weg, wenn der Staat wieder selbst zum Unternehmer wird. Dass er dabei die gleichen Fehlentscheidungen treffen kann wie die Privatwirtschaft, hat sich an den staatlich gesteuerten Banken drastisch gezeigt; in manchen Fällen traten solche Fehler sogar in gesteigerter Form auf.
Auch bei den notwendigen staatlichen Regulierungen, die gerade im Blick auf die Finanzwirtschaft unerlässlich sind, kommt es nicht nur darauf an, dass, sondern wie reguliert wird. Gute, rechtlich wirksame und wirtschaftlich vernünftige Rahmensetzungen müssen gefunden werden. Die Stärkung der wirtschaftlichen Funktionsfähigkeit muss mit Transparenz für die Kunden, Erkennbarkeit und klarer Begrenzung der Risiken sowie einer unzweideutigen Haftung der Verursacher von unverantwortbaren Risiken verbunden sein. Ebenso deutlich sehen wir heute die Notwendigkeit, bei den staatlichen Rahmensetzungen für wirtschaftliches Handeln und bei den Maßnahmen zur Krisenbewältigung das Gebot der Nachhaltigkeit zum Zuge zu bringen.
In diesem Sinn ist es notwendig, die Soziale Marktwirtschaft nicht nur in ihrer - während der letzten Jahre zum Teil sträflich vernachlässigten - Bedeutung zur Geltung zu bringen, sondern sie zu einer nachhaltigen und global verantworteten Sozialen Marktwirtschaft weiterzuentwickeln. Das wird heute im Grundsatz von vielen eingesehen, aber noch immer nicht ausreichend in die Tat umgesetzt. Denn gegen alle derartigen Vorschläge wird immer wieder der Einwand vorgebracht, sie seien international nicht durchsetzbar. Doch dieses Argument erinnert an die abwartende Haltung einer Gruppe von Männern, die um ein Schwimmbad herumstanden, in das ein Kind gefallen war. Jeder wartete, ob die anderen springen; das Kind ertrank.
Samuel Keller, der frühere Direktor der Art Basel und jetzige Direktor der Fondation Beyeler in Basel, wurde einmal gefragt, was die Wirtschaft von der Kunst lernen kann. Seine Antwort: "Vielleicht, dass Krisensituationen und Veränderungen notwendig sind. Vielleicht, dass man Dinge nicht nur für Geld, sondern aus Leidenschaft tun kann. Vielleicht, dass 'anders sein' gut sein kann."
Kontakt Autor:
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Quelle:
Wirtschaft | CSR & Strategie, 26.07.2011
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