BIOFACH 2025

Utopie für Schwellenländer

Rekultivierung nach Tagebau-Braunkohleabbau in Deutschland setzt weltweit Standards

Die strengste Umweltgesetzgebung der Welt sorgt in Deutschland für hochtechnisierten Braunkohleabbau. Was schon in Deutschland mit massiven Eingriffen in soziale Strukturen, Biodiversität und Klimaschutzziele verbunden ist, bleibt anderorts unerreichbar - Rekultivierung ist ein Luxus für die Reichen.

Von Regina Körner

In 70 Jahren nicht mehr zu sehen: Der Braunkohletagebau bei Köln soll komplett rekultiviert werden.
Foto: © Regina Körner

"Natürlich muss man denen wie allen Energieerzeugern die Daumenschrauben anlegen, bevor sie etwas tun", sagt einer der rund 80 Teilnehmer eines Workshops zum Thema Energie und Ökosysteme am Rande der Nexus Konferenz Wasser, Energie und Ernährungssicherung 2011 in Bonn. "Von alleine macht da niemand was." Gemeint sind der von der RWE Power vorgestellte nachhaltige Braunkohleabbau und die Rekultivierung des Gebietes um den Tagebau nordwestlich von Köln.

Mit rund 10 Konferenzteilnehmern aus Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländern hat der Hydrogeologe Dr. Michael Klingler von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) einen Ausflug zum Tagebaugebiet Garzweiler II organisiert: Bis 2045 sollen hier auf einer Fläche von rund 48 km² rund 40 Millionen Tonnen Braunkohle pro Jahr abgebaut werden. Den Gästen soll der Abbau gezeigt werden - Kohlendioxidausstoß und Klimagefährdung durch die Kraftwerke sind heute nicht das Thema.

"Durch diese Exkursion wollte ich deutlich machen, dass für uns in Deutschland das Ressourcenmanagement von Wasser, Energie und Ernährung ganz praktische Relevanz hat", erklärt Klingler. "Als Hochtechnologieland brauchen wir viel Energie, die zum Teil auch fossil vorhanden ist und die wir auf eine Weise nutzen müssen, die umwelt- und gesellschaftspolitisch tragbar ist." Die RWE Power ist der größte Stromerzeuger in Deutschland. Rund ein Viertel des Energiebedarfs hierzulande wird durch Braunkohle gedeckt.

Die wandernde Grube
Dem Tagebauprojekt Garzweiler II müssen insgesamt 12 Dörfer und rund 7.600 Menschen weichen. Seit dem Zweiten Weltkrieg waren es bisher rund 35.000. Was an der einen Seite mit den größten Schaufelbaggern der Welt an Erdreich über dem Kohleflötz abgeräumt wird, wird um eine gigantische Grube - rund 3 km lang, 5,5 km breit und bis zu bis zu 170 m tief - herumgefahren und gleich auf der anderen Seite wieder aufgeschüttet: Das ist pro Tag soviel, wie man bräuchte, um das Kölner Fußballstadion bis zum Dach anzufüllen. Das Loch bewegt sich so rund 400 Meter im Jahr nach Norden.

Unglaublich: Der Aufwand, der in Deutschland zur Rekultivierung betrieben wird, scheint für die Besucher aus Schwellenländern unerschwinglich.
Foto: © Regina Körner
Das 30 bis 50 Meter dicke Kohleflötz selbst wird meist an der tiefsten Schicht der terrassenförmig angelegten Grube abgebaut und über ein rund 320 km langes Schienennetz oder per Förderband zu drei naheliegenden Kraftwerken transportiert. Insbesondere den Staub versucht die RWE Power durch Schutzmaßnahmen wie Wasserschleier und Berieselung sowie Bepflanzung und Schutzwälle gegen Luftverschmutzung zu kontrollieren.

Mit im RWE-Bus sitzt eine Direktorin des thailändischen Umwelt- und Ressourcenministeriums. "Bei uns leiden die Menschen sehr unter den negativen Auswirkungen des Tagebaus", konstatiert Pakawan Chufamanee, während ihr Blick über die riesige Grube mit der zaghaften Begrünung am Rand schweift. "Das sind insbesondere auch lebensbedrohliche Erkrankungen der Atemwege, sauerer Regen, der die Ernten vernichtet, und am Ende eine zerstörte Landschaft." Das Vertrauen in den Tagebau in Thailand sei daher auf Null gesunken. Eine wirkliche Verbesserung der Situation sei aber für Jahrzehnte nicht abzusehen.

Der Bus holpert über die Kiesstrecke an der Grube entlang. Nur eine Handvoll der rund 1.700 Mitarbeiter ist hier zu sehen - um einen der riesigen Schaufelbagger zu bedienen sind nur fünf Menschen nötig. "In Indien wäre das alles hier undenkbar", sagt eine Mitarbeiterin der indischen Umweltbehörde. "Wir müssen erst einmal dafür sorgen, dass wir Hunger und Armut bekämpfen. Und auch, wenn wir die meisten 'grünen' Gebäude in der Welt haben und insofern schon an Umweltschutz denken - niemals würde ich tausende von Leuten aus dem Bergbau entlassen, weil die Arbeit ungesund ist! Dies ist meist die einzige Arbeit, die Sie bekommen können und Sie müssen doch ihre Familien ernähren!"

In 70 Jahren alles wie vorher?
Über die Jahre hat es auch hier im Rheinischen Braunkohlerevier unzählige Proteste gegeben - bis heute. An der "social license to operate", der (zivil-)gesellschaftlichen Zustimmung zur Geschäftsausübung, muss Deutschlands größter Energiekonzern deswegen kontinuierlich arbeiten. "Von zentraler Bedeutung wird auch zukünftig ein hohes Maß an Akzeptanz insbesondere bei den regionalen Betroffenen wie z.B. Behörden, Kommunen, Landwirtschaft, Industrie, Kirchen und Anwohner sein", erklärt Dr. Jacobus Drijver von der RWE Power. "Fragen der Ökologie und Umweltverträglichkeit werden auch in Zukunft weiter an Gewicht gewinnen. Die nachvollziehbare Darlegung der Umweltverträglichkeit ist für Vorhaben mitentscheidend. Hierzu wird ein intensiver Betroffenendialog durchgeführt."

Nach mühsam ausgehandelten Kompromissen mit besagten Betroffenen soll von diesem Tagebau in rund 70 Jahren nichts mehr zu sehen sein. Laut RWE Power wurden in bisher wieder rekultivierten Bereichen rund 2.200 Tier- und mehr als 700 Pflanzenarten ausgemacht.

"Der Standard ist schon einzigartig auf der Welt", erklärt Michael Klingler von der GIZ. "Das liegt aber im Wesentlichen daran, dass wir in Deutschland eine entsprechend strenge Umweltgesetzgebung haben, an der sich die Energieerzeuger schon mit Beginn der Genehmigungsverfahren orientieren müssen."

Ein wichtiges Problem ist das Wassermanagement. Braunkohle kann nur trocken abgebaut werden, das heißt, das Grundwasser wird bis zu rund 200 Metern Tiefe abgepumpt, während die nahegelegenen Feuchtgebiete geschützt werden müssen. Ackerland und Wälder werden weiterhin über Regenwasser versorgt. Zur Bewässerung der Feuchtgebiete hat die RWE Power nicht zuletzt rund 150 km Pipelines gebaut.

Ein See, der hier später als Ersatz für die fehlende Braunkohle entstehen soll, soll dank modernster Wasseraufbreitungsmethoden und Planung später keine Schwefelsäure enthalten. In der Vergangenheit war diese oft durch chemische Prozesse in mit Grundwasser aufgefüllten Gruben entstanden und hatte kaum Leben in den Seen zugelassen. Zur Weiterentwicklung von Methoden und Prozessen betreibt die RWE-Power zudem eine eigene Forschungsstelle und organisiert internationale Rekultivierungskongresse.

Auf die Frage, ob und wann Standards wie diese in den Entwicklungs- und Schwellenländern vorstellbar sind, lachen die Exkursionsteilnehmer im Bus nur - für sie bleibt moderner Tagebau mit einem veritablen Nachhaltigkeitseffekt wie dieser erst einmal eine nicht zu finanzierende Utopie.

"In Deutschland haben wir nicht nur die Technologie- und Finanzressourcen, sondern auch den politischen Willen der Bürger", erklärt GIZ-Experte Klingler. "Und ohne politischen Willen geht es nicht."

Quelle:
Umwelt | Biodiversität, 15.12.2011

     
        
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