Kultur und Nachhaltigkeit
Tanz auf dem Vulkan
Der jüngste Vulkan Europas verändert die Öko-Modellinsel El Hierro. Christoph Santner, seit 15 Jahren mit der Insel verbunden, berichtet über die gelebten Visionen am südwestlichsten Punkt Europas.
Es brodelt, es zischt. Permanent stößt El Discreto, so der Name des aktiven Vulkans, Lava aus. Noch liegt er unter Wasser, aber er arbeitet sich stetig aus den Tiefen des Meeres nach oben, täglich rund sieben Meter. Es kommt nicht oft vor, dass Neuland - im wahrsten Sinn des Wortes - entsteht. Auf El Hierro, der kleinsten der Kanarischen Inseln, geschieht es gerade. "Wir bekommen ein neues Kind", sagen die Herreños stolz über ihren jüngsten Vulkan. Und doch sind sie zugleich betrübt. Denn El Discreto bringt die Öko-Modellinsel gehörig durcheinander: La Restinga, der Fischerort im Süden, wurde bereits zweimal evakuiert. Wiederkehrende kleine Beben begleiten den Vulkanausbruch. Die Situation, von den Medien aufgebauscht, hält die wenigen Touristen fern: Hotels und Pensionen stehen leer, Restaurants laufen schlecht oder schließen ganz, Mietautos stehen still, im Süden der Insel sind Fischerboote und Tauchschulen lahmgelegt. Aufgrund der erhöhten Schwefelkonzentration im Wasser verlassen die Fische das heimische Gewässer. "Doch uns schmiedet dieses Naturereignis zusammen. Es ist unglaublich, wie wir alle zusammenhalten", sagt Sabine Willmann, Mitinitiatorin des Projektes Bimbache openART, das von El Hierro aus international wirkt und sich dem Thema "nachhaltige Kultur" verschrieben hat.
Artenvielfalt statt Raketenabschuss
Die Insel hat schon früh gelernt, mit Veränderungen umzugehen. Bereits 1996, als die spanische Regierung eine angeblich zivile Raketenabschussbasis und eine militärische Radaranlage auf die Insel pflanzen wollte, standen die Inselbewohner erstmals vor großen Herausforderungen. Der größte amerikanische Anlagenbauer Bechtel Corporation trieb das Projekt voran. "Mit dieser Ziegeninsel kann man das schon machen", war die Überzeugung der Festland-Politiker. Sie hatten den Widerstand der Herreños unterschätzt: Jung und Alt zeigten persönlichen Einsatz und fuhren gemeinsam zu einer riesigen Demonstration auf die Hauptinsel Teneriffa: "Wir sind vielleicht nur 8.000 Menschen auf der Insel, aber wir sind 8.000 aus El Hierro!" Mich informierte damals die Kulturmanagerin Sabine Willmann, die auf El Hierro das Retreat Center und Kulturzentrum El Sitio betreibt, einen Ort der Verständigung zwischen kulturell interessierten Öko-Reisenden und Einheimischen. "Kannst Du uns nicht helfen?", rief sie mich an. Wir drehten damals einen Beitrag für Focus-TV. Ich war beeindruckt vom Engagement der Menschen, gerade auch der Älteren. Unser gemeinsamer Widerstand hatte Erfolg! Das Projekt wurde verhindert, die Insel umgehend zum UNESCO-Weltbiosphärenreservat erklärt.
Die Cradle-to-Cradle-Insel
Seither ist viel geschehen: Im Unterschied zu den anderen kanarischen Inseln voller Bettenburgen und Ballermann-Touristen hat El Hierro einen ganz eigenen, nachhaltigen Weg beschritten. Es gibt keinen Massentourismus, denn Sandstrände sind dünn gesät. Dies zieht jedoch Wanderer und Naturliebhaber an, die sofort von der kleinen Insel verzaubert sind. Uralte Kiefernwälder schaffen ein angenehmes Klima. Und El Hierro ist die einzige Kanareninsel ohne Wasserprobleme. Nun wird sie auch noch komplett energieautark. Die Vision: Grünste Insel Europas sein. In Sachen Energie gelingt das aktuell. Gorona del Viento heißt das Projekt in Inselhand, das gerade ein Wasser-Pumpspeicherkraftwerk fertigstellt. 700 Meter hoch wird entsalztes Meerwasser durch Windkraft in einen erloschenen Vulkankrater gepumpt. Bei Bedarf wird das Wasser aus diesem Stausee durch Turbinen gejagt, die genügend Strom für die ganze Insel erzeugen werden. Die Bauarbeiten des 26 Millionen Euro Projektes stehen kurz vor dem Abschluss.
Diese Clean-Energy-Anlage, kombiniert mit der etablierten Biolandwirtschaft der Insel - in Kooperativen werden Obst und Gemüse, Wein und Käse erzeugt - ist der entscheidende Grund, warum Prof. Michael Braungart El Hierro zu seinen "Cradle-to-Cradle-Islands" hinzufügen möchte. Er selbst ist mittlerweile ein echter Hierro-Fan. Zu seinem Cradle-to-Cradle-Festival 2011 in Berlin leistete die nachhaltige Kulturinitiative Bimbache openART mit Konzerten, Podiumsdiskussionen und bildender Kunst einen wichtigen Beitrag. Sabine Willmann und der musikalische Direktor des Projektes Torsten de Winkel, sehen die Kreation einer nachhaltigen Kultur und Geisteshaltung als unverzichtbar an. "Die meisten verstehen Nachhaltigkeit als ein technisches oder politisches Problem. Wir verstehen sie als kulturelle und humane Herausforderung", ist der Jazzgitarrist überzeugt. Deshalb veranstaltet diese Initiative jeden Sommer das renommierte Bimbache openART Festival auf El Hierro, in dem seit 2005 mehr als 100 Musiker und Künstler aus aller Welt beispielhaft zusammenwirken. Integriert sind auch behinderte Musiker und betagte Künstler wie Maria Merida, die "große Stimme der Kanaren". Es geht um Hinhören, um Verständigung, um voneinander lernen.
Labor der Nachhaltigkeit
So wuchs rund um das Zentrum El Sitio eine Community und Künstlerkolonie heran, die mit dem CasArte (Haus der Kunst) Musikern und Künstlern anbietet, sich als Artist in Residence auf die Magie der Insel einzulassen. De Winkel, Willmann und ihre Bimbache-Community halten fest an ihrem "Traum vom Wir, von einer großen, weltweiten Family und von einem nachhaltigen Zusammenleben der Menschen". Das Motto 2012 lautet: Der Tanz auf dem Vulkan.
Christoph Santner schreibt für forum regelmäßig über Zukunftsfragen. Der Autor, Redner und Berater ist seit 25 Jahren auf dieses Thema spezialisiert.
Bei Fragen zu El Hierro schreiben Sie an Christoph Santner.
Das aktuelle Lied der Inselbewohner: "Kommt auf El Hierro!"
Es brodelt, es zischt. Permanent stößt El Discreto, so der Name des aktiven Vulkans, Lava aus. Noch liegt er unter Wasser, aber er arbeitet sich stetig aus den Tiefen des Meeres nach oben, täglich rund sieben Meter. Es kommt nicht oft vor, dass Neuland - im wahrsten Sinn des Wortes - entsteht. Auf El Hierro, der kleinsten der Kanarischen Inseln, geschieht es gerade. "Wir bekommen ein neues Kind", sagen die Herreños stolz über ihren jüngsten Vulkan. Und doch sind sie zugleich betrübt. Denn El Discreto bringt die Öko-Modellinsel gehörig durcheinander: La Restinga, der Fischerort im Süden, wurde bereits zweimal evakuiert. Wiederkehrende kleine Beben begleiten den Vulkanausbruch. Die Situation, von den Medien aufgebauscht, hält die wenigen Touristen fern: Hotels und Pensionen stehen leer, Restaurants laufen schlecht oder schließen ganz, Mietautos stehen still, im Süden der Insel sind Fischerboote und Tauchschulen lahmgelegt. Aufgrund der erhöhten Schwefelkonzentration im Wasser verlassen die Fische das heimische Gewässer. "Doch uns schmiedet dieses Naturereignis zusammen. Es ist unglaublich, wie wir alle zusammenhalten", sagt Sabine Willmann, Mitinitiatorin des Projektes Bimbache openART, das von El Hierro aus international wirkt und sich dem Thema "nachhaltige Kultur" verschrieben hat.
Artenvielfalt statt Raketenabschuss
Inmitten von Weinbergen liegt El Sitio, die natürliche "Recreation Zone" für Ökotouristen und Menschen mit (Nachhaltigkeits-)Sinn. |
Die Cradle-to-Cradle-Insel
Die Bimbache-Künstler musizieren weltweit und setzen sich für mehr Nachhaltigkeit und Menschlichkeit ein. |
Seither ist viel geschehen: Im Unterschied zu den anderen kanarischen Inseln voller Bettenburgen und Ballermann-Touristen hat El Hierro einen ganz eigenen, nachhaltigen Weg beschritten. Es gibt keinen Massentourismus, denn Sandstrände sind dünn gesät. Dies zieht jedoch Wanderer und Naturliebhaber an, die sofort von der kleinen Insel verzaubert sind. Uralte Kiefernwälder schaffen ein angenehmes Klima. Und El Hierro ist die einzige Kanareninsel ohne Wasserprobleme. Nun wird sie auch noch komplett energieautark. Die Vision: Grünste Insel Europas sein. In Sachen Energie gelingt das aktuell. Gorona del Viento heißt das Projekt in Inselhand, das gerade ein Wasser-Pumpspeicherkraftwerk fertigstellt. 700 Meter hoch wird entsalztes Meerwasser durch Windkraft in einen erloschenen Vulkankrater gepumpt. Bei Bedarf wird das Wasser aus diesem Stausee durch Turbinen gejagt, die genügend Strom für die ganze Insel erzeugen werden. Die Bauarbeiten des 26 Millionen Euro Projektes stehen kurz vor dem Abschluss.
Das "neue Kind" brodelt munter vor sich hin ... doch El Discreto bedroht die Existenz der Inselbewohner. |
Diese Clean-Energy-Anlage, kombiniert mit der etablierten Biolandwirtschaft der Insel - in Kooperativen werden Obst und Gemüse, Wein und Käse erzeugt - ist der entscheidende Grund, warum Prof. Michael Braungart El Hierro zu seinen "Cradle-to-Cradle-Islands" hinzufügen möchte. Er selbst ist mittlerweile ein echter Hierro-Fan. Zu seinem Cradle-to-Cradle-Festival 2011 in Berlin leistete die nachhaltige Kulturinitiative Bimbache openART mit Konzerten, Podiumsdiskussionen und bildender Kunst einen wichtigen Beitrag. Sabine Willmann und der musikalische Direktor des Projektes Torsten de Winkel, sehen die Kreation einer nachhaltigen Kultur und Geisteshaltung als unverzichtbar an. "Die meisten verstehen Nachhaltigkeit als ein technisches oder politisches Problem. Wir verstehen sie als kulturelle und humane Herausforderung", ist der Jazzgitarrist überzeugt. Deshalb veranstaltet diese Initiative jeden Sommer das renommierte Bimbache openART Festival auf El Hierro, in dem seit 2005 mehr als 100 Musiker und Künstler aus aller Welt beispielhaft zusammenwirken. Integriert sind auch behinderte Musiker und betagte Künstler wie Maria Merida, die "große Stimme der Kanaren". Es geht um Hinhören, um Verständigung, um voneinander lernen.
Labor der Nachhaltigkeit
So wuchs rund um das Zentrum El Sitio eine Community und Künstlerkolonie heran, die mit dem CasArte (Haus der Kunst) Musikern und Künstlern anbietet, sich als Artist in Residence auf die Magie der Insel einzulassen. De Winkel, Willmann und ihre Bimbache-Community halten fest an ihrem "Traum vom Wir, von einer großen, weltweiten Family und von einem nachhaltigen Zusammenleben der Menschen". Das Motto 2012 lautet: Der Tanz auf dem Vulkan.
Christoph Santner schreibt für forum regelmäßig über Zukunftsfragen. Der Autor, Redner und Berater ist seit 25 Jahren auf dieses Thema spezialisiert.
Bei Fragen zu El Hierro schreiben Sie an Christoph Santner.
Wir können El Hierro helfen: mit dem Kauf einer Bimbache-CD gehen 5 Euro an die vom unterseeischen Vulkanausbruch betroffenen Fischerfamilien von La Restinga. www.bimbache.info/cd-la-condicion-humana |
Das aktuelle Lied der Inselbewohner: "Kommt auf El Hierro!"
Quelle:
Umwelt | Biodiversität, 04.01.2012
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