BIOFACH 2025

Wachstum versus Nachhaltigkeit:

Ein unlösbarer Konflikt?

Seit mindestens 20 Jahren können die großen globalen Probleme der Menschheit nicht mehr verharmlost werden. Viele dieser Probleme werden durch ein Entwicklungsmodell, das auf dem größtmöglichen wirtschaftlichen Wachstum beruht, verschärft. Auf der Rio-Konferenz 1992 hat sich die Menschheit daher auf das neue Leitbild "Nachhaltige Entwicklung" verständigt. Dieses Entwicklungsziel beruht auf den ethischen Prinzipien der intra- und intergenerativen Gerechtigkeit, Verantwortung, Vorsorge, Angemessenheit und Dauerhaftigkeit. Die Einhaltung dieser Prinzipien fordert nicht weniger als den vollständigen Umbau der Volkswirtschaften mit ihren Produkten und Produktionsverfahren, so dass diese bis 2050 die Managementregeln der Nachhaltigkeit einhalten können. Viele ökologisch orientierte Autoren der Gegenwart ziehen daraus den Schluss, dass zur unverzichtbaren Senkung des Ressourcenverbrauchs auch auf jegliches wirtschaftliches Wachstum verzichtet werden müsse. Die Mehrheit der Vertreter der Nachhaltigen Ökonomie hingegen sieht die damit verbundenen Probleme und fordert stattdessen eine wirtschaftliche Entwicklung in den Grenzen der natürlichen Tragfähigkeit.

Mögliche Gefahren einer auf Wachstum fixierten Gesellschaft

Wachstumskritiker verweisen auf die ökologischen und sozialkulturellen Gefahren einer auf wirtschaftliches Wachstum fixierten Gesellschaft.
  • Ökologische Gefahren: Zunehmende (1) Freisetzung von Treibhausgasen mit einer Klimaerwärmung von 2-6°C, (2) Zerstörung von Naturräumen und Artensterben, (3) Verbrauch nicht-erneuerbarer Ressourcen (4) Übernutzung erneuerbarer Ressourcen, (5) Freisetzung von Schadstoffen.
  • Ökonomische Risiken: (1) Keine Befriedigung der Grundbedürfnisse von immer mehr Menschen z. B. durch Rückgang der Nahrungsmittelproduktion, (2) drastische Preissteigerungen aufgrund von Übernutzung natürlicher Ressourcen.
  • Sozialkulturelle Gefahren: (1) Extremer Flexibilisierungszwang und dadurch Bindungslosigkeit aller Gesellschaftsmitglieder, (2) Rohstoffsicherungspolitiken, die zu gewaltsamen Konflikten führen können (Ressourcenkriege), (3) Innovationszwang, bei dem es um Neues nur um des neuen Angebots Willen geht.
Zwischenfazit: Ein ungezügeltes Wachstum bringt unvertretbar hohe sozial-ökologische Kosten mit sich, die weder ethisch noch ökonomisch akzeptabel sind.

Verhältnis von Einkommen zu Glück und Lebenserwartung

Bewiesen ist der Zusammenhang zwischen sehr geringen durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen zur Lebenserwartung und Zufriedenheit der Bevölkerung 6). Sind die Grundbedürfnisse jedoch erfüllt, steigt die Lebenserwartung nur noch langsam, das Zufriedenheitsgefühl nicht mehr 2). Dann spielt weniger die absolute Höhe der Konsumgüterausstattung eine Rolle, als das Gefühl, das Einkommen sei im Vergleich zu anderen gerecht 6).

Schrumpfende Wirtschaft als Lösung?

Ein Teil der wachstumskritischen Autoren fordert eine Steady-State-Economy, d. h. ein Wirtschaftssystem, das darauf ausgerichtet ist, eine "konstante Ausstattung mit materiellen Gütern zu gewährleisten" 7). Das globale Wirtschaftssystem soll so schnell wie möglich zu einer Gleichgewichtsökonomie mit konstantem oder schrumpfendem BIP umgebaut werden. Ein solcher Schrumpfungsprozess kann aber eine Reihe von ökonomischen Problemen mit sich bringen, z. B. 4):
  1. Stagnation der Einkommen, Deflation und Arbeitslosigkeit
  2. Meritorische Güterausstattung stagniert (Bildungs- und soziale Sicherungssysteme aber auch Wärmesanierungsprogramme, Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs): Eine nachhaltige Entwicklung benötigt aber mehr Mittel, um den nachhaltigen Umbau der Industriegesellschaft finanzieren zu können.
  3. Kapitalkosten werden drückender, Finanzierung des Sozialsystems wird noch schwieriger.
Zwischenfazit: Die vergangenen Jahrzehnte zeigen, dass wirtschaftliches Wachstum nicht bedeutet, dass die dargestellten Probleme automatisch gelöst werden. Allerdings zeigen sie auch, dass ein kurzfristiger, bewusst herbeigeführter Schrumpfungsprozess des BIP in den Industriestaaten die Lösung der ökonomischen Probleme des 21. Jahrhunderts nicht erleichtert. Vertreter der Steady-State-Ökonomie müssen daher die Fragen beantworten, wie ohne eine Steigerung der Einkommen die daraus folgenden ökonomischen Probleme zu lösen wären. Weiterhin, wie die Bevölkerung von Einkommenssenkungen überzeugt werden soll, und schließlich, wie dieser "systemsprengende Transformationsprozess" bewerkstelligt werden kann. Sollte das in einer kapitalistischen, aber sozial-ökologisch umorientierten Markt- oder Gemischtwirtschaft nicht möglich sein, in welcher Wirtschaftsordnung dann?

Bedingungen einer Entwicklung in den Grenzen der Natur

Viele Vertreter der Nachhaltigen Ökonomie fordern eine wirtschaftliche Entwicklung in den Grenzen der natürlichen Tragfähigkeit (ein "selektives Wachstum"). Sie verfolgen das Ziel, innerhalb der kommenden 40 Jahre ausreichend hohe ökologische, ökonomische und sozialkulturelle Standards für alle Menschen zu erreichen und trotz moderater Wachstumsraten durch einen nachhaltigen Umbau der Volkswirtschaften (Transformation) den Ressourcenverbrauch mit Hilfe der drei Strategiepfade der Nachhaltigen Ökonomie (Effizienz, Konsistenz, Suffizienz) global absolut um 50 Prozent (in den Industrieländern um 80 bis 95 Prozent) zu senken und damit die wirtschaftliche Entwicklung der natürlichen Tragfähigkeit unterzuordnen. Eine derartige Entwicklung wollen wir erreichen, indem die Rahmenbedingungen mittels politisch-rechtlicher Instrumente geändert werden. Um die Grenzen der natürlichen Tragfähigkeit hierbei einhalten zu können, muss die Steigerung der Ressourcenproduktivität ständig größer sein als die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts, so dass Jahr für Jahr der absolute Ressourcenverbrauch sinkt (wir nennen diesen Zusammenhang Formel für nachhaltiges Wirtschaften: Ressourcenproduktivität > BIP). Hierbei empfehlen wir, einen global wirkenden Steuerungsmechanismus einzuführen, der die Einhaltung der Formel sicherstellt (Abgaben oder Natur-Nutzungszertifikate). Hierdurch würden auch der zu erwartende Reboundeffekt und eine zwischenzeitliche Änderung der politischen Prioritäten begrenzt werden 4). Der dann erfolgende nachhaltige Umbau der Volkswirtschaften würde zunächst eine deutliche Steigerung der Wertschöpfung und Beschäftigung sowie eine Senkung der Materialkosten zur Folge haben. Vertreter der Nachhaltigen Ökonomie sprechen in diesem Zusammenhang von einer Green Economy.

Ist ein selektives Wachstum möglich?

Einige Wachstumskritiker halten eine Ressourcenverbrauchsminderung bei wirtschaftlichem Wachstum für unmöglich 3). In der Tat ist dies die entscheidende Frage des vorliegenden Beitrags. Nach den Indikatoren der Umweltgesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes (UGR) konnte die oben erläuterte Nachhaltigkeitsformel seit 1990 eingehalten werden (Tab. 1). Eine Senkung des Ressourcenverbrauchs ist also auch bei einem moderaten Wachstum möglich. Diese Aussage wird durch Studien des Wuppertal Instituts sowie des Öko-Instituts mit dem Fraunhofer ISI-Institut bestätigt. Die Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass trotz der Reboundeffekte durch politisch-rechtliche Instrumente eine absolute Abkopplung erreicht werden kann 1).

Trotz des Erfolgs ist die erzielte Reduktion jedoch nicht ausreichend. Bei gleichbleibender Entwicklung können die Minderungsziele nicht erreicht werden. Dennoch halten wir fest, dass bei verstärktem Einsatz politisch-rechtlicher Instrumente, moderaten Wachstumsraten und der konsequenten Umsetzung der drei Strategiepfade die Formel für nachhaltiges Wirtschaften für eine bestimmte Zeit (nicht für immer) einhaltbar ist.

Fazit
Ein exponentielles Wachstum des Ressourcenverbrauchs ist weder wünschenswert, noch dauerhaft möglich. Nur ein nachhaltiger Umbau der Volkswirtschaften, ein neuer naturschonender Wachstums- und Entwicklungstyp in den Schwellen- und Entwicklungsländern und die zur Verfügungsstellung nachhaltigerer Produkte und Techniken zeigen eine zukunftsfähige Perspektive auf. Das Nachhaltigkeitsparadigma läuft hierbei auf einen Transformationsprozess hinaus, indem einige Sektoren deutlich ausgebaut werden, andere Sektoren aber im Volumen abnehmen müssen.

Quellen
1) Distelkamp, M. u.a. (2010): Quantitative und qualitative Analyse der ökonomischen Effekte einer forcierten Ressourceneffizienzstrategie. Abschlussbericht zu AS5.2 und AS5.3 Ressourceneffizienzpaper 5.5, Wuppertal Institut.
2) Frey, B.; Stutzer, A. (2002): Happiness and Economics, Princeton.
3) Jackson, T. (2009): Prosperity without Growth. Economics for a Finite Planet, London.
4) Rogall, H. (2012): Nachhaltige Ökonomie, 2. erweiterte Auflage, Marburg.
5) Statistisches Bundesamt (2000/11,2007/11 und 2011/12): Wirtschaft und Statistik, Bericht zu den umweltökonomischen Gesamtrechnungen.
6) Wilkinson, R.; Pickett, K. (2009): Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind, Berlin.
7) Daly, H. (1999): Wirtschaft jenseits vom Wachstum - Die Volkswirtschaftslehre nachhaltiger Entwicklung, Salzburg, München, original: Daly (1996): Beyond Growth, The Economics of Sustainable Development, Boston.
 
Von Prof. Dr. Holger Rogall, Nachhaltige Ökonomie, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR)
 
  
Prof. Dr. Holger Rogall ist Professor für Nachhaltige Ökonomie an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR), Leiter des Instituts für Nachhaltige Ökonomie (INa) und geschäftsführender Herausgeber des Jahrbuchs Nachhaltige Ökonomie. Er ist Autor zahlreicher Lehrbücher zur nachhaltigen Wirtschaftslehre, mit denen er die traditionelle Ökonomie grundlegend reformieren will. Der Hochschullehrer initiierte mit Hilfe der Gesellschaft für Nachhaltigkeit (GfN), deren Vorsitzender er ist, die Gründung des Netzwerkes Nachhaltige Ökonomie. Heute unterstützen über 200 Personen und Organisationen diese Aussagen, darunter mehr als 90 Professoren und Dozenten aus Brasilien, Deutschland, Österreich, Polen, der Schweiz und Vietnam.

www.holger-rogall.de
www.nachhaltige-oekonomie.de
Rogall@hwr-berlin.de

Quelle:
Gesellschaft | Politik, 03.04.2012

     
        
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