BIOFACH 2025

Die Ökonomie der Gemeingüter

Nachhaltigkeit ist Erhaltung der Gemeinressourcen

Eine Wirtschaftsweise ist nachhaltig, wenn sie dauerhaft betrieben werden kann. Dauerhaft kann sie nur sein, wenn die naturgegebenen Lebens- und Produktionsgrundlagen in ihrem Potenzial über unbegrenzt viele Generationen erhalten werden: die Bodenfruchtbarkeit, die Artenvielfalt, das Klimasystem, die Rohstoffe und Energiequellen, der Fischreichtum der Weltmeere. Sie zu erhalten erfordert Ersatzinvestitionen, nicht anders als für die privaten Produktionsmittel. Doch mit wenigen Ausnahmen behandelt man die naturgegebenen Lebensgrundlagen noch heute so, als seien sie freie Güter, unerschöpflich und - jedenfalls für die Privilegierten - beliebig verfügbar.

Wir nutzen die Ressourcen, als hätten wir vier Erden. Doch wir haben nur einen Planeten, mit dem wir sorgsam umgehen müssen. Das heißt nachhaltig leben und wirtschaften.
Foto: © Wuppertal Institut/VisLab
Ähnlich ist es bei den soziokulturell gestalteten Lebens- und Produktionsgrundlagen wie der menschlichen Gesundheit, den Menschenrechten, der gesellschaftlichen Integration, der kreativen und kooperativen Zusammenarbeit, der Beschäftigung. Von diesen weiß man zwar schon länger, dass in sie investiert werden muss. Doch das hält man überwiegend für die Aufgabe anderer - der Regierung, der Justiz, der Lehrer, der Ärzte, der Pharmaindustrie. Auch ihr Nutzen fließt überwiegend den Privilegierten zu. Aber auch sie sind Gemeingüter, wirtschaftlich gesehen Gemeinressourcen. Sie sind für alle da, und alle sind für ihre Erhaltung verantwortlich.

Das wird heute deutlicher erkennbar. Es gibt keine freien Güter mehr. Das Gesundheitssystem ist nicht mehr bezahlbar, Integration und Beschäftigung sind gefährdet, das Klimasystem ist labil, der Anteil der fruchtbaren Böden nimmt dramatisch ab, die Weltmeere sind überfischt, die Rohstoffe und fossilen Energiequellen werden knapp. Die Ökonomie der Gemeingüter verlangt, deren Nutzung so zu begrenzen, dass sie sich entweder selbst regenerieren oder wiederhergestellt oder ersetzt werden können.

Externalisierung verzehrt die Substanz

Mit einem Wort: Die Gemeinressourcen müssen ebenso behandelt werden wie die privaten Produktionsmittel, ihre Nutzer müssen in ihre Erhaltung investieren:
  • Wer dazu beiträgt, mehr Klimaschadgase zu emittieren, als vom Klimasystem problemlos absorbiert werden können, muss seine Emissionen in dem ihm zuzurechnenden Umfang reduzieren, in Deutschland im Mittel um 80 Prozent.
  • Wer Rohstoffe verbraucht, um Produkte herzustellen, muss zusammen mit seinen Abnehmern dafür aufkommen, dass die Produkte nach Gebrauch zurückgenommen, in ihre Ausgangsstoffe zerlegt und diese wiederverwendet werden.
  • Wer Geld auf Finanzmärkten anlegt, darf das nur tun, wenn sein Kauf oder Verkauf eines Finanzprodukts einer Transaktion realer Güter entspricht und keine Aufblähung reinen Finanzkapitals zur Folge hat, die von Seiten der Profiteure letztlich eine "Akkumulation durch Enteignung" darstellt.
Die Beispiele zeigen, welche Aufgaben für die nachhaltige Entwicklung gelöst werden müssen und machen anschaulich, dass Nachhaltigkeit sich zwar mit Unternehmenswachstum verträgt, in einer "reifen" Volkswirtschaft aber nicht mehr mit quantitativem Wachstum der Gesamtwirtschaft; denn hier wird das Wachstum derer, die an der Erhaltung der Gemeinressourcen verdienen, durch das Schrumpfen derer kompensiert, die den bisherigen Verzehr von Gemeinressourcen aufgeben müssen.

Was aufgegeben werden muss, ist die "Externalisierung" von Kosten auf die Gemeinressourcen - das unzeitgemäße Beibehalten der prähistorischen Vorstellung, diese stünden außerhalb des eigenen Verantwortungsbereichs. Bisher können Ersatzinvestitionen unterlassen (und damit auf die Gemeinressourcen abgewälzt) werden. Das spart Kosten, senkt Preise, überhöht Umsätze und Gewinne im Vergleich zu denen, die bei Nachhaltigkeit erzielt würden. Es bringt aber einen Wohlstand hervor, der durch Übernutzung und Dezimierung der Gemeinressourcen - also durch Substanzverzehr - erkauft wird und deshalb nicht durchgehalten werden kann.

Wird die Praxis der Externalisierung nicht aufgegeben, so wird es nicht zu nachhaltiger Entwicklung kommen, sondern zu Hungersnöten, sozialen Revolten, Ressourcenkriegen. Wer vor der Umstellung zurückschreckt, die die nachhaltige Entwicklung mit sich bringt, wird die weit schwereren Lasten tragen müssen, die mit der Fortsetzung der Politik des "Wachstums durch Externalisierung" verbunden sein werden.

Die Marktwirtschaft ist noch nicht verwirklicht

Hier drängt sich die Frage auf, ob wir etwa unsere marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung aufgeben sollen, weil es ja offensichtlich der Wettbewerb ist, der unter den heutigen Bedingungen zur Externalisierung zwingt. Denn überall wo diese nicht verboten ist, ist derjenige im Nachteil, der in die Erhaltung der genutzten Gemeinressourcen reinvestiert: Seine externalisierenden Konkurrenten können billiger anbieten, weil sie Aufwendungen sparen, oder ihre Produkte aufwendiger - größer, schwerer, schneller, komfortabler - ausstatten, weil sie Ressourcen verschwenden. Nicht nur der niedrige Preis, auch die aufwendige Qualität kann Ergebnis der Abwälzung von Ersatzinvestitionen sein.

Doch genau genommen wird die Externalisierung durch den Wettbewerb deshalb erzwungen, weil die Marktbedingungen die Externalisierung erlauben. Wird es dagegen den Unternehmen zur Pflicht gemacht, in die Erhaltung der von ihnen genutzten Gemeinressourcen zu investieren, so wird der Wettbewerb sie zur Internalisierung der Aufwendungen zwingen. Der Markt ist so gut wie die Regeln, die ihm gesetzt sind; wenn er Nachhaltigkeit hervorbringen soll, muss man ihn so regeln, dass er die Gemeinressourcen erhält, statt sie aufzuzehren.

Deshalb setzt nachhaltige Entwicklung keine Ökodiktatur und keine Planwirtschaft voraus, sondern eine Weiterentwicklung der Marktwirtschaft. Die bisherige Einseitigkeit des Eigentumsrechts muss korrigiert werden. Es ermöglicht jedem, die natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen zu nutzen und dadurch Privateigentum zu erwerben, macht den Eigentümer aber nicht für die Abnutzung verantwortlich, obwohl das Grundgesetz in Art. 14 Abs. 2 ("Eigentum verpflichtet") eben diese Verantwortung einfordert.

Bedingungen für die Ökonomie der Gemeingüter

Um die Verantwortung für die Gemeinressourcen zu verwirklichen, müssen die Nutzer zu Ersatzinvestitionen verpflichtet und in die Lage versetzt werden, einander auf die Einhaltung dieser Pflicht zu überwachen:
  • Das Eigentumsrecht muss in § 903 BGB im Sinn des folgenden Einschubs ergänzt werden: "Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter oder die Erhaltung der Lebensgrundlagen entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen." Der Begriff Lebensgrundlagen wird in Art. 20a GG bereits verwendet. Er ist ein unbestimmter Rechtsbegriff wie Eigentum und kann wie dieser in spezifischen Vorschriften, Gerichtsurteilen und Kommentaren konkretisiert werden.
  • Wenn die Gemeinschaftsgüter in das Eigentumsrecht einbezogen sind, kann der Gesetzgeber im Aktiengesetz den Vorstand der AG verpflichten, in die Erhaltung genutzter Gemeinschaftsgüter ebenso zu reinvestieren wie in die Erhaltung der unternehmenseigenen Produktionsanlagen; heute können Aktionäre ihn wegen derartiger Aufwendungen verklagen, mindern sie doch ihr Privateigentum. Auch andere Akteure auf den Finanzmärkten müssen an jeder Ausbeutung von Gemeinressourcen gehindert werden, die durch Aufblähung des Finanzkapitals ermöglicht wird.
  • Die Ergänzung des Eigentumsrechts erlaubt es auch, das Verschweigen einer Externalisierung in § 4 UWG zum unlauteren Wettbewerb zu zählen. Dadurch bekommen internalisierungsbereite Unternehmen eine Handhabe, externalisierende Konkurrenten mit Hilfe der Wettbewerbszentrale zu verklagen; sie kennen sich in den Kostenstrukturen aus und können einander kompetenter auf Einhaltung der Nutzungsregeln überwachen als es Außenstehenden möglich ist.
So kann der Wettbewerb für die Rationierung der begrenzten Gemeinressourcen sorgen, ohne seine Fähigkeit als Entdeckungsverfahren für neue Problemlösungen zu verlieren.

Auf der Website www.nehmenundgeben.de ist dieser Gedanke im Einzelnen nachzulesen.
 
Von Prof. Dr. Gerhard Scherhorn, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH 

Quelle:
Umwelt | Biodiversität, 19.09.2012

     
        
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