Proteste in Rio
Wie Grüne Ökonomie ein Streitthema wurde
Rio de Janeiro im Juni 2012: Großdemonstration anlässlich der UN-Konferenz zur nachhaltigen Entwicklung (Rio+20). Unübersehbar die Slogans, Poster und T-Shirts, die gegen Grüne Ökonomie mobil machen. Neben Nichtregierungsorganisationen weltweit sind es auch die Regierungen des globalen Südens, die sich gegen Grüne Ökonomie als neues Paradigma für Entwicklung stemmen.
Woher stammt der Begriff Grüne Ökonomie?
Selten ist ein Begriff wie die Grüne Ökonomie, der erst seit Kurzem überhaupt in der internationalen Debatte auftaucht, so schnell ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Das Abschlussdokument der Rio+20 Konferenz, die nach EU-Wünschen eigentlich eine UN-Roadmap für die Grüne Ökonomie verabschieden sollte, bleibt zur Grünen Ökonomie nichtssagend, weil sich Gegner und Befürworter blockiert haben.
Doch der Reihe nach. Wie kam dieser Begriff eigentlich in die Welt? Und was löst die Kontroverse aus?
Zunächst war es das Umweltprogramm der UNO, UNEP, das einen umfassenden Versuch unternahm, Grüne Ökonomie zu definieren. Heute sind es die OECD, die Weltbank und große Think Tanks wie McKinsey, die sich des Begriffs bedienen und durchaus in der Stoßrichtung differieren. Vor der Rio-Konferenz unterzeichneten auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und das Bundesumweltministerium (BMU) ein "Memorandum für eine Green Economy".
Wo kommt die Ablehnung der Grünen Ökonomie her?
Technikgläubigkeit:
Allen Konzepten der Grünen Ökonomie ist gemeinsam, dass sie den Klimawandel und die weltweite Ressourcenknappheit als Fakten akzeptieren und ein Umsteuern einfordern. Das ist letztlich eine gute Botschaft, die jedoch bei multilateralen Verhandlungen so kein Gehör findet. Bei allen Unterschieden: Die Konzepte Grüner Ökonomie singen ausschließlich das Hohelied der Technologieinnovation und Effizienz. Der Privatsektor soll es richten und braucht dafür politische Rahmenbedingungen wie Forschung und Entwicklung und politische Anreize.
Dass massive Effizienzsteigerungen nötig sind, ist Konsens. Aber mit welchen Maßnahmen und Technologien? Und reicht Effizienz überhaupt aus, um in den Grenzen der Erde zu bleiben? Das Misstrauen und der Widerstand gegen Technologien, die zu Recht als Hochrisikotechnologien gelten, wachsen. Dazu zählen Gentechnik, Hightech im Weltall
oder Ozeandüngung als Klimaschutz, aber auch Atomkraft und Großstaudämme. Sie sind Synonyme dafür, dass die Kritik an Technologien weltweit zunimmt, die sich als 'grün' verbrämen.
'Grüne Ökonomie' braucht Menschenrechts- und Sozialstandards:
Die 'Grüne' Wirtschaft pflegt gerne das Image sogenannter Win-win-Optionen, als ob es beim 'Grünen' Wirtschaften keine sozialen Folgen und Verteilungsaspekte mehr zu bedenken gäbe. Spätestens seit Agrotreibstoffe politisch gefördert werden und deren Anbau um Nahrungsmittel konkurriert, wissen wir, dass eine knappe Ressource nicht unbedingt eine andere Ressource ersetzen kann. Sorgfältig müssen Zielkonflikte abgewogen werden. Das neue, grüne, kohlenstoffarme Business muss sich überall seiner ethischen und sozialen Verantwortung stellen. Nicht jedes Ziel heiligt die Mittel, auch nicht im Namen der Kohlenstofffreiheit.
Wertschätzen oder in Wert setzen?
Ein weiterer Aspekt, warum Grüne Ökonomie vor allem im globalen Süden in Misskredit gerät, sind die Initiativen zur weiteren Ökonomisierung von sogenanntem Naturkapital. Das bringt viele Akteur/innen im Süden - vor allem in Lateinamerika - auf die Barrikaden, weil sie hier nicht nur einen weiteren Ausverkauf der Natur sehen, sondern deren Umwandlung in Handelsgüter und Privateigentum vor allem gemeinwirtschaftlich lebende Bevölkerungsgruppen enteignen und vertreiben wird.
Die Ablehnungsfront einiger Südregierungen ist scheinheilig
Grüne Ökonomie hat es anders als beabsichtigt auf der Rio+20 Konferenz nicht geschafft, zum neuen Leitbild für nachhaltige Entwicklung zu werden. Während NGOs kritisieren, dass die Konzepte der Grünen Ökonomie die soziale Dimension und die Verteilungs- und Machtfragen ausblenden, argumentieren die Regierungen des Südens wegen des Zugangs zu Technologie, Wissen und Märkten gegen Grüne Ökonomie. Sie vermuten Protektionismus oder fürchten neue Konditionen. Vor allem Schwellenländer sind jedoch bei einer ganzen Anzahl neuer Technologien längst wettbewerbsfähig. An sozialen und menschenrechtsorientierten Standards sind sie wenig interessiert, das gilt als protektionistisch oder Einmischung in die nationale Souveränität.
Mancher Fürsprecher und manches Konzept Grüner Ökonomie verstärken die Skepsis und Vorbehalte von NGOs und sozialen Bewegungen auf der ganzen Welt. Wir brauchen deshalb auch für die Grüne Ökonomie Prüfungen der Sozial- und Technologieverträglichkeit. Wir brauchen demokratische Teilhabe und Partizipation - überall. Soziale und ökologische Gerechtigkeit, politische, soziale, kulturelle Menschenrechte gehören unverbrüchlich zusammen. Effizienzsteigerungen alleine werden zudem nicht ausreichen, wenn wir nicht auf Kosten künftiger Generationen die Ressourcen des Planeten plündern und das Treibhaus weiter anheizen wollen.
Wir brauchen keine weitere Ökonomisierung der Umwelt, sondern politische Führung und Vorgaben wie Obergrenzen für den Ressourcen- und Naturverbrauch, der die Wirtschaft verpflichtet und nicht nur neue ökonomische Geschäftsfelder und Nischen bedient. Nötig sind Obergrenzen für den Kohlendioxidausstoß, für Fischfangquoten, der Schutz noch intakter Ökosysteme, Moratorien, die die Ausbeutung fossiler und mineralischer Rohstoffe dort stoppen, wo die einheimische Bevölkerung vertrieben und ökologisch wertvolle Ökosysteme zerstört werden.
Im Profil
Barbara Unmüßig ist seit 2002 Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie verantwortet die strategische Ausrichtung der Stiftung, u.a. für Lateinamerika, Afrika, Asien und Nahost. Ihre Schwerpunkte liegen auf den Themen Globalisierung und internationale Klimapolitik, nationale und internationale Geschlechterpolitik sowie Demokratieförderung und Krisenprävention. 1992 hat sie beim Erdgipfel von Rio die deutschen Umwelt- und Entwicklungsorganisationen koordiniert. Auch zum Rio+20-Gipfel im vergangenen Juni war sie in Brasilien.
www.boell.de
www.boell.de/publikationen/publikationen-boell-thema-gruene-oekonomie-14749.html
Aus Sicht der Aktivisten auf dem People's Summit, der parallel zum Rio+20 Erdgipfel stattfand, ist die "Green Economy" nur ein Wolf im Schafspelz, unter dem sich die Interessen machtvoller Industrie- und Lobbyverbände verbergen. Sie befürchten, dass die Privatisierung der Natur die weltweiten Krisen nur verschlimmert. |
Selten ist ein Begriff wie die Grüne Ökonomie, der erst seit Kurzem überhaupt in der internationalen Debatte auftaucht, so schnell ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Das Abschlussdokument der Rio+20 Konferenz, die nach EU-Wünschen eigentlich eine UN-Roadmap für die Grüne Ökonomie verabschieden sollte, bleibt zur Grünen Ökonomie nichtssagend, weil sich Gegner und Befürworter blockiert haben.
Doch der Reihe nach. Wie kam dieser Begriff eigentlich in die Welt? Und was löst die Kontroverse aus?
Zunächst war es das Umweltprogramm der UNO, UNEP, das einen umfassenden Versuch unternahm, Grüne Ökonomie zu definieren. Heute sind es die OECD, die Weltbank und große Think Tanks wie McKinsey, die sich des Begriffs bedienen und durchaus in der Stoßrichtung differieren. Vor der Rio-Konferenz unterzeichneten auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und das Bundesumweltministerium (BMU) ein "Memorandum für eine Green Economy".
Wo kommt die Ablehnung der Grünen Ökonomie her?
Technikgläubigkeit:
Allen Konzepten der Grünen Ökonomie ist gemeinsam, dass sie den Klimawandel und die weltweite Ressourcenknappheit als Fakten akzeptieren und ein Umsteuern einfordern. Das ist letztlich eine gute Botschaft, die jedoch bei multilateralen Verhandlungen so kein Gehör findet. Bei allen Unterschieden: Die Konzepte Grüner Ökonomie singen ausschließlich das Hohelied der Technologieinnovation und Effizienz. Der Privatsektor soll es richten und braucht dafür politische Rahmenbedingungen wie Forschung und Entwicklung und politische Anreize.
Dass massive Effizienzsteigerungen nötig sind, ist Konsens. Aber mit welchen Maßnahmen und Technologien? Und reicht Effizienz überhaupt aus, um in den Grenzen der Erde zu bleiben? Das Misstrauen und der Widerstand gegen Technologien, die zu Recht als Hochrisikotechnologien gelten, wachsen. Dazu zählen Gentechnik, Hightech im Weltall
oder Ozeandüngung als Klimaschutz, aber auch Atomkraft und Großstaudämme. Sie sind Synonyme dafür, dass die Kritik an Technologien weltweit zunimmt, die sich als 'grün' verbrämen.
'Grüne Ökonomie' braucht Menschenrechts- und Sozialstandards:
Die 'Grüne' Wirtschaft pflegt gerne das Image sogenannter Win-win-Optionen, als ob es beim 'Grünen' Wirtschaften keine sozialen Folgen und Verteilungsaspekte mehr zu bedenken gäbe. Spätestens seit Agrotreibstoffe politisch gefördert werden und deren Anbau um Nahrungsmittel konkurriert, wissen wir, dass eine knappe Ressource nicht unbedingt eine andere Ressource ersetzen kann. Sorgfältig müssen Zielkonflikte abgewogen werden. Das neue, grüne, kohlenstoffarme Business muss sich überall seiner ethischen und sozialen Verantwortung stellen. Nicht jedes Ziel heiligt die Mittel, auch nicht im Namen der Kohlenstofffreiheit.
Wertschätzen oder in Wert setzen?
Ein weiterer Aspekt, warum Grüne Ökonomie vor allem im globalen Süden in Misskredit gerät, sind die Initiativen zur weiteren Ökonomisierung von sogenanntem Naturkapital. Das bringt viele Akteur/innen im Süden - vor allem in Lateinamerika - auf die Barrikaden, weil sie hier nicht nur einen weiteren Ausverkauf der Natur sehen, sondern deren Umwandlung in Handelsgüter und Privateigentum vor allem gemeinwirtschaftlich lebende Bevölkerungsgruppen enteignen und vertreiben wird.
Die Ablehnungsfront einiger Südregierungen ist scheinheilig
Grüne Ökonomie hat es anders als beabsichtigt auf der Rio+20 Konferenz nicht geschafft, zum neuen Leitbild für nachhaltige Entwicklung zu werden. Während NGOs kritisieren, dass die Konzepte der Grünen Ökonomie die soziale Dimension und die Verteilungs- und Machtfragen ausblenden, argumentieren die Regierungen des Südens wegen des Zugangs zu Technologie, Wissen und Märkten gegen Grüne Ökonomie. Sie vermuten Protektionismus oder fürchten neue Konditionen. Vor allem Schwellenländer sind jedoch bei einer ganzen Anzahl neuer Technologien längst wettbewerbsfähig. An sozialen und menschenrechtsorientierten Standards sind sie wenig interessiert, das gilt als protektionistisch oder Einmischung in die nationale Souveränität.
Mancher Fürsprecher und manches Konzept Grüner Ökonomie verstärken die Skepsis und Vorbehalte von NGOs und sozialen Bewegungen auf der ganzen Welt. Wir brauchen deshalb auch für die Grüne Ökonomie Prüfungen der Sozial- und Technologieverträglichkeit. Wir brauchen demokratische Teilhabe und Partizipation - überall. Soziale und ökologische Gerechtigkeit, politische, soziale, kulturelle Menschenrechte gehören unverbrüchlich zusammen. Effizienzsteigerungen alleine werden zudem nicht ausreichen, wenn wir nicht auf Kosten künftiger Generationen die Ressourcen des Planeten plündern und das Treibhaus weiter anheizen wollen.
Wir brauchen keine weitere Ökonomisierung der Umwelt, sondern politische Führung und Vorgaben wie Obergrenzen für den Ressourcen- und Naturverbrauch, der die Wirtschaft verpflichtet und nicht nur neue ökonomische Geschäftsfelder und Nischen bedient. Nötig sind Obergrenzen für den Kohlendioxidausstoß, für Fischfangquoten, der Schutz noch intakter Ökosysteme, Moratorien, die die Ausbeutung fossiler und mineralischer Rohstoffe dort stoppen, wo die einheimische Bevölkerung vertrieben und ökologisch wertvolle Ökosysteme zerstört werden.
Manch "grüne" Ideen haben ihre Unschuld verloren und sind zum Schauplatz widersprüchlicher und komplexer Prozesse geworden. Welche Transformation brauchen und wollen wir? Diese Frage darf sich nicht ausschließlich daran ausrichten, wie viele Kohlendioxidemissionen wir dabei vermeiden. Diese Debatte wird uns weit über Rio hinaus beschäftigen. Ob mit dem Begriff der 'Grünen Ökonomie' oder ohne ihn.
Von Barbara Unmüßig
Im Profil
Barbara Unmüßig ist seit 2002 Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie verantwortet die strategische Ausrichtung der Stiftung, u.a. für Lateinamerika, Afrika, Asien und Nahost. Ihre Schwerpunkte liegen auf den Themen Globalisierung und internationale Klimapolitik, nationale und internationale Geschlechterpolitik sowie Demokratieförderung und Krisenprävention. 1992 hat sie beim Erdgipfel von Rio die deutschen Umwelt- und Entwicklungsorganisationen koordiniert. Auch zum Rio+20-Gipfel im vergangenen Juni war sie in Brasilien.
www.boell.de
www.boell.de/publikationen/publikationen-boell-thema-gruene-oekonomie-14749.html
Quelle:
Gesellschaft | Politik, 15.10.2012
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