Die neue EU-Fischereipolitik:

Ein Ende der Überfischung?

Das Ergebnis der Gemeinsamen Fischereipolitik der Europäischen Union in den vergangenen 30 Jahren ist: desaströs. Ändert die jüngste Reform der EU etwas daran? Anna Holl vom WWF bezweifelt das.

Kollateralschaden der Fischerei: Meeresbewohner, die kein Geld einbringen, gehen als Beifang zurück ins Meer - meist tot.
Foto: © Brian j. Skerry / National Geographic Stock WWF
Zwei von drei Fischbeständen in Europa sind überfischt. Die ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen gefährden die Zukunft der Fischbestände und der Fischerei. Die Ende Mai 2013 ausgehandelte Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik der Europäischen Union (GFP) schafft die Möglichkeit, durch nachhaltiges Wirtschaften langfristig wieder eine gesunde Fischerei und damit lebendige Meere zu erhalten. Die EU will die Überfischung bremsen und den Rückwurf von unerwünscht gefangenem Fisch beenden - jedoch muss sich die Wirksamkeit der Reform erst in der Praxis erweisen.

Leere Meere - wie Europa die See ausbeutet

Traurig aber wahr: Europa ist Weltmeister darin, Meere leer zu fischen. Weltweit gelten 30 Prozent aller Fischbestände als überfischt. Im Nordostatlantik sind es 39 Prozent, im Mittelmeer sogar 88 Prozent. Über Jahre haben Fischer mehr Fische aus dem Wasser geholt, als nachwachsen konnten. Zwischen 2000 und 2009 ging daher die Anlandemenge, also der Fisch, der an Land gebracht wurde, in den EU-Mitgliedsstaaten um 22 Prozent zurück.

Überfischung bedroht nicht nur die Fischbestände, sondern unsere Meere insgesamt. Denn sie bringt die Nahrungsketten in marinen Ökosystemen durcheinander und zerstört fragile Unterwasserhabitate. Billigend hat Europa jahrzehntelang in Kauf genommen, dass Meerestiere, die zum Teil vom Aussterben bedroht sind, als Beifang in den Netzen landen und tot wieder über Bord gehen. Beifang macht weltweit etwa 40 Prozent des jährlichen Fangs aus.

Ein wichtiges politisches Steuerungselement, um das Management der Fischbestände zu regeln, sind die Fangquoten. Im Auftrag der EU-Kommission ermitteln Wissenschaftler, wie viel Fisch pro Jahr gefangen werden darf, ohne den Bestand zu bedrohen. Allerdings genehmigten die Fischereiminister zwischen 2003 und 2012 Fangmengen, die durchschnittlich 45 Prozent über den Empfehlungen der Wissenschaftler lagen. Damit gestatteten sie der Fischereiindustrie, sechs Millionen Tonnen Fisch zusätzlich aus den europäischen Meeren zu ziehen und stellten damit kurzfristige wirtschaftliche Interessen über eine ökologisch nachhaltige Bewirtschaftung.


Der Blauflossenthun kostete noch vor wenigen Jahrzehnten zwanzig US-Cent das Kilo. Heute wird dieselbe Menge für 900 Dollar gehandelt, denn der Fisch ist knapp geworden und gilt als stark gefährdet.
Foto: © Alex Hofford / Greenpeace
Alle zehn Jahre kommt die EU Fischereipolitik auf den Prüfstand

Die EU-Kommission läutete im Jahr 2009 mit einer öffentlichen Konsultation den Reformprozess ein - das ungewöhnlich deutliche sowie niederschmetternde Urteil: Die EU-Fischereipolitik sei schlichtweg gescheitert. Abgesehen von einer zu großen Fischerei-Flotte identifizierte die EU-Kommission weitere strukturelle Schwächen der Fischereipolitik. Sie attestierte der Industrie ein zu geringes Verantwortungsbewusstsein, der Politik Nachlässigkeit beim Durchsetzen eigener Vorschriften und ein Fischereimanagement, das auf kurzfristigen Interessen basiert.

Diese Einsicht bot für die Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik eine große Chance. Sie sollte die Fischerei grundsätzlich neu gestalten und in einen nachhaltigen Wirtschaftszweig umbauen. So würden sich nicht nur viele Fischbestände bis 2020 erholt haben. Auch die Wirtschaft und Gesellschaft würden profitieren: Studien ergeben nämlich, dass mit einer nachhaltigen Fischerei bis zu 35.000 Arbeitsplätze bei höherem Einkommen gesichert werden könnten. Denn erholte Beständen geben langfristig mehr Fisch her.

Ein holpriger Weg zum politischen Kompromiss

Im Februar 2013 hatte das EU-Parlament mit großer Mehrheit den fortschrittlichen Bericht zur GFP der deutschen Berichterstatterin Ulrike Rodust verabschiedet und sich deutlich dafür ausgesprochen, die Überfischung zu beenden. Im Fischereiministerrat gab es für dieses Votum jedoch keine Mehrheit. Der Rat beharrte in den Verhandlungen in vielen Bereichen auf dem Status quo, besonders als es darum ging, die Fangquoten auf ein Niveau zu senken, das die Erholung der Fischbestände erlaubt. Auf Druck einiger Mitgliedsstaaten, darunter klassischer Fischereinationen wie Frankreich, Spanien, aber auch Polen und Litauen, verwässerte der Ministerrat daher die historische Entscheidung des EU-Parlaments.

Was hat die Reform erreicht?

Auch wenn man den Ende Mai 2013 erzielten Kompromiss wohl nicht als historisch bezeichnen kann, so hat diese neue Fischereipolitik dennoch das Potenzial, eine neue Epoche im Fischereimanagement einzuläuten. Der WWF bewertet die Einführung einiger Kernelemente ausdrücklich positiv, doch es gibt auch Grund zur Skepsis. Wie sehen die Kernelemente der Reform aus?

  • Ein Rückwurfverbot von unerwünscht gefangenem Fisch und die Begrenzung des Beifangs:
    Bisher mussten Fischer alle Fische, die ihre Quote übersteigen oder die Mindestanlandegröße unterschreiten, wieder über Bord werfen. Das überleben die Tiere meist nicht. Die Reform schreibt nun vor, auch diese Fische anzulanden und auf die Fangquote des Fischers anzurechnen, statt den Beifang ins Meer zu kippen. Den Gesamtfang auf die Fangquote des Fischers zu verrechnen, schafft den Anreiz, selektiver zu fischen. So soll unerwünschter Beifang schon auf See vermieden werden. Allerdings erlauben Ausnahmeregelungen auch weiterhin, bis zu fünf Prozent von bestimmten Fängen über Bord zu werfen. Dieses Schicksal ereilt vor allem Fisch von geringem wirtschaftlichem Interesse, wie Leierfische. So verwässert die Summe der Ausnahmen die gute Neuregelung und erschwert es, die Einhaltung des Verbots zu kontrollieren.
  • Mehrjährige Bewirtschaftungspläne für alle Fischereien:
    Sie ersetzen das herrschende Prinzip kurzfristiger Wirtschaftsinteressen zugunsten einer langfristigen, auf Erhalt der Fischbestände ausgerichteten Fischerei. Statt wie bisher jährlich Höchstfangmengen völlig neu auszuhandeln, dürfen sie nun über mehrere Jahre nur innerhalb wissenschaftlich vorgegebener Grenzen angepasst werden. Ein guter Nachwuchsjahrgang wird also nicht gleich wieder weggefischt, sondern trägt zur Bestandserholung bei. Allerdings ist noch ungeklärt, wie und bis wann man die Mehrjahrespläne umsetzen will. Die EU-Institutionen müssen dringend die Zuständigkeiten klären, damit die Pläne schnellstmöglich erarbeitet und in Kraft treten können.
  • Die Einbeziehung der externen Dimension (EU-Fischerei außerhalb von EU-Gewässern):
    Es ist erstmals vorgesehen, dass Schiffe der EU-Flotte, die außerhalb der EU-Gewässer fischen, den grundlegenden Prinzipien der GFP folgen sollen. Dies ist ein wichtiger Schritt, weil die EU-Flotte jahrelang mit dazu beigetragen hat, etwa die Gewässer vor den Küsten Westafrikas zu überfischen.
  • Die Bewirtschaftung nach dem sogenannten "höchstmöglichen Dauerertrag":
    Das Prinzip einer verantwortungsvollen Nutzung natürlicher Ressourcen in der Fischerei zu verankern, war von Anfang an die Kernforderung des WWF. Unser zentraler Anspruch war ein Nachhaltigkeitsziel, basierend auf dem Konzept des sogenannten "höchstmöglichen Dauerertrags" oder "maximum sustainable yield (MSY)", welches zunächst eine Erholung der Bestände in einem bestimmten Zeitrahmen sichert. Indem man nach der Erholung den Fischbeständen nur so viel entnimmt, wie auch nachwachsen kann, beendet man die Überfischung, erzielt aber dank gesunder, größerer Bestände höhere Fangmengen. Ist das "Grundkapital" der Fischbestände groß genug, kann die Fischerei profitabel arbeiten, indem sie nur die "Fischzinsen" fängt.
Grundsätzlich hat die EU "MSY" - die Erreichung des höchstmöglichen Dauerertrags durch eine nachhaltige Befischung - zu einem der zentralen Ziele der neuen GFP erklärt. Allerdings ist der nötige erste Schritt - die Erholung der Fischbestände - zwar als Absichtserklärung in das neue Gesetz miteingeflossen, es gibt dafür jedoch keine gesetzliche Verpflichtung. Man hat sich lediglich auf eine sukzessive Einführung von nachhaltigen Fangmengen auf Basis des höchstmöglichen Dauerertrages geeinigt, jedoch in einem Zeitrahmen bis 2020. Die Anpassung der Fangquoten wäre auch sofort umsetzbar gewesen, weshalb eine mögliche Verschleppung bis 2020 bedauerlich ist. Faktisch könnte dies bedeuten, dass Bestände, die noch überfischt sind, nun als "nachhaltig befischt" (Fangmenge auf Basis des Nachhaltigkeitsprinzips MSY) gelten. Die Überfischung geht zurück, die Erholung der übernutzen Fischbestände bleibt aber eine Absichtserklärung.

Die Wirksamkeit der Reform muss sich nun in der Praxis erweisen. Ob sie einen Übergang in eine neue Epoche markieren kann, in der die Nachhaltigkeitsprinzipien effektiv umgesetzt und kontrolliert werden, hängt zudem maßgeblich von der Ausrichtung des zukünftigen Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF) ab, der die Vergabe von Subventionen für den Fischerei- und Aquakultursektor regelt. Zukünftige EU-Beihilfen für den Fischereisektor müssen die Nachhaltigkeitsprinzipien der GFP flankieren und dürfen diese nicht untergraben. Derzeit ist die Fangflotte der EU mehr als doppelt so groß wie nachhaltig wäre. Trotzdem sollen in den weiteren Flottenausbau Subventionen fließen. Über dieses letzte Puzzleteil der Reform wollen die EU-Institutionen bis Endes des Jahres eine politische Einigung erzielen.

 

Im Profil

Anna Holl hat Wirtschaftswissenschaften, EU-Recht und -Politik studiert. Sie hat mehrere Jahre in Brüssel gearbeitet und war dort bei auf EU-Politik spezialisierten Beratungsunternehmen tätig, bevor sie 2010 zum WWF ging. Zunächst tätig im Europa-Büro des WWF in Brüssel, arbeitet sie seit 2012 als Referentin für EU-Fischereipolitik & Markt im Internationalen WWF-Zentrum für Meeresschutz des WWF Deutschland in Hamburg.

 

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Quelle:
Umwelt | Umweltschutz, 17.10.2013
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2013 - Hallo Klimawandel erschienen.
     
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