Titan der erneuerbaren Energien
Warum Meeresenergie stärker als Windkraft ist
In den Wellen der Ozeane schlummern gewaltige Energiemengen. Einzelne Länder könnten ihren Strombedarf vollständig aus Meeresenergie decken - bei Industriekonsortien weltweit wächst das Interesse.
Die Kraft, die dem Meer innewohnt, die Macht der Wellen, Gezeiten und Meeresströmungen, bewunderten und fürchteten die Menschen seit jeher als eine der mächtigsten auf der Welt. In der griechischen Mythologie galt Okeanos als der stärkste der Titanen. Und in der Tat: Meeresenergie ist stärker als die Windkraft, da Wasser durch seine höhere Masse konzentriertere kinetische Energie beinhaltet als Luft. Daher kann die Meeresenergie auch effizienter genutzt werden als Windenergie. Zugleich ist sie gefährlicher und zerstörerischer für die Anlagen - aber mächtig in der Energieerzeugung.
Mehr als 75 Prozent der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt, doch bislang liegen diese titanischen Energiereserven in den Weltmeeren völlig brach. Dabei ist das Energiepotenzial der Ressource Meeresenergie ähnlich unerschöpflich und groß wie das der Wind- und Sonnenenergie. Auch hier schlummert ein Vielfaches des Weltenergiebedarfs als theoretisches Potenzial. So errechnet der Berliner Wellenenergiespezialist Gerhard Brandl, dass eine Meeresfläche in der Größe Spaniens den gesamten Weltenergiebedarf decken kann, wenn man die Fläche auf die besten Meeresgebiete weltweit verteilt. Einzelne Länder wie z.B. Irland mit seiner günstigen Lage im Atlantik und ständigen Westwinden können bis zu 100 Prozent ihres Strombedarfs alleine aus Wellenkraft erzeugen. Für Europa hat das Centre for Renewable Energy Sources (CRES) in einem EU-Projekt ein Wellenenergiepotenzial von 290 Gigawatt (GW) im nordöstlichen Atlantik und in der Nordsee errechnet und weitere ca. 30 GW für den Mittelmeerraum. Das entspricht einer Leistung von 200 Atomkraftwerken. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages recherchiert ein Wellenpotenzial von ca. 15 Prozent des weltweiten Strombedarfs. Für die USA schätzt das amerikanische Forschungsinstitut EPRI das Stromerzeugungspotenzial rund viermal so hoch wie den Stromverbrauch Deutschlands. Außer Betrachtung blieben bei diesen Potenzialstudien jedoch küstenferne offene Meere.
Meeresenergie lässt sich auf verschiedene Weise nutzen, vor allem durch:
Die Technologie mit dem größten Verbreitungspotenzial ist die direkte Nutzung der Wellenkraft, denn Wellen gibt es überall (siehe Infokasten). Für die Wellenenergie besonders gut geeignet sind die Küsten Schottlands oder Portugals, die von westlichen Winden getriebene Atlantikwellen auffangen. Dort sind auch die ersten europäischen Testzentren angesiedelt. Die schottische Regierung, die das Ziel hat, bis zum Jahr 2020 den Strom zu 100 Prozent aus regenerativen Energien zu gewinnen, erkennt das Potenzial der Meeresenergie und fördert die Erprobung mit dem 2003 gegründeten "European Marine Energy Centre" in Orkney. Das Centre bietet Tests für kommerzielle Meeresenergieentwickler an und hat seit 2011 gut gefüllte Auftragsbücher.
Schon eine Ein-Meter-Welle reicht
Europa gehört weltweit zu den potenzialreichsten Gebieten für die Nutzung der Wellenenergie. Die Energie der Wellen wird in Kilowatt Leistung pro Meter (kW/m) senkrecht zur Wellenrichtung gemessen. Entlang der europäischen Atlantikküste messen Forscher hohe und sehr effizient nutzbare Wellenenergiestärken, von 48-65 kW/m in Portugal bis hin zu 70 kW/m um Irland. Im offenen Atlantik vor den Küsten Europas beträgt die Wellenkraft sogar 92 kW/m. Das ist weitaus höher, als an vielen nord- und südamerikanischen, australischen oder afrikanischen Küsten, die nur ca. halb so hohe Wellenkraftniveaus aufweisen. In einem zukünftigen europäischen Stromverbund könnte auch Deutschland von diesen Potenzialen profitieren.
Ab rund 40 Meter Wassertiefe ist die Wellenenergienutzung sinnvoll. Dann wird der Wellengang nicht durch Reibungskräfte am Meeresboden behindert. Eine Wellenhöhe von ca. einem Meter reicht bereits zur Stromgewinnung aus. Daher könnte Wellenenergie auch in der deutschen Nordsee genutzt werden. Zugleich steht die Meeresenergienutzung vor den gleichen "Chancen und Risiken" wie die Offshore-Windenergie: Sie bewegt sich in einem sehr zerstörerischen Terrain. Die Anlagen müssen den Wellen auch standhalten und sind dabei extremen mechanischen und chemischen Materialanforderungen ausgesetzt.
Wind- und Wellenkraft: Die ideale Kombination
Vorteilhaft gegenüber anderen erneuerbaren Energien ist, dass die Menge der Wellen sich gut voraussagen lässt. Recht stetig bläst der Wind auf dem offenen Meer und die Windwellen werden nahezu verlustfrei tausende von Kilometern weitergeleitet. Daher kann die Windmessung den kommenden Wellengang schon viele Stunden im Voraus bestimmen. Da die Wellenkraft zeitversetzt zum Wind an den Küsten ankommt, kann sie einen wichtigen Beitrag zum Ausgleich der Windkraft liefern und diese optimal ergänzen. Interessant ist daher die Idee, die Systeme zu mischen: Beide Stromerzeuger können die gleichen Unterseekabel benutzen. Auch das wäre ein wichtiger Beitrag zur wechselseitigen Kostenreduktion. Dies könnte umso bedeutender werden, als derzeit gemäß dem Offshore-Netzentwicklungsplan in der deutschen Nordsee Netzanschlusspunkte für Offshore-Windparks beauftragt und gebaut werden, die mit 6,2 GW mehr als doppelt so leistungsstark sind wie die bislang konkret durchfinanzierten Projekte in der Größe von 2,9 GW Leistung. Laut einer Studie der Offshore Management Resources vom April 2013 droht ein Milliardenverlust, der nach der aktuellen Rechtslage vom Stromkunden zu bezahlen wäre. Der Wellenkraft die gleichen Anschlussbedingungen und dieselbe EEG-Förderung wie der Offshore- Windkraft zu gestatten, wäre ein wichtiger Schritt zur Markteinführung dieser Technologie. Doch auch der Erforschung der Wellenkraft könnte Deutschland mehr Aufmerksamkeit schenken.
Die Rolle Deutschlands bei der Wellenenergienutzung sieht Prof. Pentscho Pentschew vom Institut für Maschinenbau und Schiffstechnik an der Universität Rostock vor allem in der Erforschung, Entwicklung und Produktion von Wellenkraftanlagen mit dem Know-how der deutschen Forschungs- und Industrielandschaft. Die schwimmenden Anlagen haben den Vorteil, dass sie optisch kaum in Erscheinung treten, da nur ein kleiner Teil der Anlage aus dem Wasser ragt. Durch die geringe Höhe tritt so keine Beeinträchtigung der Naturlandschaft auf.
Ein weiterer Vorteil der Wellenkraftwerke gegenüber der Offshore-Windenergienutzung ist, dass die schwimmenden Wellenkraftwerke in der Regel mit Schleppankern und Gewichten am Meeresboden gesichert werden. So entfallen die Fundamente, die Offshore-Windräder benötigen. Und gerade das Einrammen der Offshore-Fundamente verursacht sehr starke Geräuschbelastungen, die das Bundesamt für Naturschutz (BfN)in diesen sensiblen Meeresgebieten als größten Nachteil aufführt. "Abhängig von der Technik und der Größe der Anlagen sind die zu erwartenden Auswirkungen auf die Meeresumwelt unterschiedlich", sagt Kathrin Ammermann vom BfN. Es bestehe noch "erheblicher Forschungsbedarf", denn bisher wurden Wellenkraftwerke nur im kleineren Maßstab getestet, in Deutschland fast noch gar nicht. Doch "in den bisherigen Dimensionen haben wir keine Bedenken gegenüber der Nutzung", sagt Nadja Ziebarth vom Projektbüro Meeresschutz des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND). Im Gegensatz zu Windkraftanlagen beeinflussen die Meeresbojen nicht die Flugrouten der Zugvögel, ebenso entfällt die weite Sichtbarkeit. Zwischen Offshore-Windrädern gelegen, könnten neben den gemeinsamen Kabeln auch die gleichen Gebiete jenseits von Schifffahrtsrouten genutzt werden.
Wellenstrom für unter vier Cent pro kWh
Wellenforscher sind sich einig, dass die momentan erforschten Techniken in jeder Hinsicht aussichtsreiche Kandidaten zur regenerativen Energieerzeugung sind. Alleine am bislang zu geringen Kapitaleinsatz liege es, dass noch kein wirtschaftlicher Durchbruch gelungen sei. Langer Atem für die Entwicklung einiger Systeme zur Praxisreife würde benötigt. Die wirtschaftlichen Aussichten sind dabei durchaus rosig, wie eine Studie von Prof. Pentscho Pentschew, der 27 Wellenenergiekonverter evaluierte, bestätigt. Bei insgesamt drei verschiedenen Systemen kann langfristig ein Preis von unter vier Eurocent pro kWh Wellenstrom erzielt werden. Auch das amerikanische Energy Power Research Institute (EPRI) sieht die Kosten der Wellenenergie deutlich unter denen der Offshore-Windkraft.
Aktuelle Projekte unterstützen diese Berechnungen. So kalkuliert der Berliner Wellenkraftentwickler Gerhard Brandl die Stromerzeugungskosten für sein System einer schwimmenden Boje mit Lineargenerator auf ca. drei bis sechs Eurocent pro kWh - sofern das System in die Massenproduktion kommt. Derzeit arbeitet Brandl mit der norddeutschen Firma HAB Hallen- und Anlagenbau zusammen, die selbst bereits einen Prototypen eines Wellenenergiekonverters entwickelt und getestet hat. Brandl konzipiert das neue Wellenkraftwerk als vollständig gekapselte schwimmende Boje, die als Ganzes auf und ab schwimmt. So werden die empfindlichen beweglichen Teile nicht dem Meerwasser ausgesetzt - der Wellengang bewegt den Antrieb ausschließlich im Inneren der Boje. Zur Verankerung ist nur eine Kette vorgesehen, die an einem Gewicht als Schleppanker befestigt ist.
Kraftschwimmer und Seeschlangen?
Bereits weiter entwickelt ist das System einer schwimmenden Wellenboje der amerikanischen Firma Ocean Power Technologies, ein Partner der Waffenschmiede Lockhead Martin. Hintergrund: Militärische Einrichtungen der USA sollen energieautark autonom versorgt werden. Nach erfolgreichen Prototypentests in Hawaii, New Jersey und Spanien ist die "Powerbuoy" in das so genannte "Loyds Register" aufgenommen worden. Dieses Zertifikat bestätigt, dass die Boje einer Wellenhöhe von bis zu 28 Metern standhalten kann. Größtes aktuelles Vorhaben ist der Bau eines Wellenenergieparks mit 28 Power-Bojen vor der Küste Australiens mit einer Leistung von 19 MW. Gefördert wird es von der australischen Regierung mit 66 Millionen australischer Dollar. Produzieren soll es 75.000 MWh pro Jahr.
Die Vorarbeiten laufen bereits. Bis 2020 sollen die Kosten pro Kilowattstunde unter 100 Dollar pro MWh sinken - das entspricht acht Eurocent pro Kilowattstunde und ist damit nur etwas teurer als der Strom aus neu gebauten Kohlekraftwerken in Deutschland, der derzeit rund sechs Eurocent kostet.
Das am weitesten voran geschrittene europäische Wellenkraftsystem ist die so genannte Wellenschlange "Pelamis". Bereits seit rund zehn Jahren wird sie vor der Küste Portugals im Wave Energy Centre erforscht. Seit nunmehr einem Jahr testet das European Marine Energy Centre in Orkney ein weiter entwickeltes Modell in Schottland. Bereits 160 MWh Strom sind ins öffentliche Netz eingespeist worden - das entspricht dem Jahresverbrauch von rund 50 Haushalten. An dem Forschungsprojekt sind die Energieversorger E.ON und Scottish Power Renewables beteiligt, Vattenfall folgt mit einer weiteren Testschlange. Der Bau größerer Projekte ist im Anschluss an die Testphase geplant. Die "Pelamis" kann auch in flachen Gewässern küstennah schwimmen. Innerhalb von nur 15 Minuten lässt sich die Schlange von ihrer Verankerung lösen und in den Schutz des Hafens bringen, wenn ein Unwetter aufzieht, das die Schlange zerstören könnte. Im ausgereiften Zustand soll die Seeschlange aber auch dem härtesten Wetter trotzen können.
Ziel der deutschen Forschung und Entwicklung sollte es sein, den internationalen Entwicklungsvorsprung einzuholen. Auch in der Nordsee lässt sich aus den Meereswellen elektrische Energie rentabel erzeugen. Die Synergien mit der Offshore-Windkraft liegen auf der Hand: Wenn man gemeinsame geeignete Meeresgebiete ausweist und Stromeinspeisungspunkte festlegt, lassen sich die gleichen "Steckdosen" im Meer nutzen. Zwischen den ohnehin von der durchfahrenden Schifffahrt ausgenommenen Offshore-Turbinenfeldern könnten auch Wellenenergiebojen schwimmen. So ließe sich der Stromertrag des Gesamtgebiets erhöhen - doch vor allem würde die Energieproduktion durch das versetzte Auftreten der Wellen stetiger. Wenn Deutschland diese innovative Technologie entwickelt, kommt das dem deutschen Anlagen- und Maschinenbau zugute - und die globale Umwelt profitiert durch weitere CO2-Einsparungen.
Wünschenswert wäre dafür ein deutsches Wellenkraft-Testfeld zur Erforschung der Meeresenergie in der Nordsee.
Unentdeckte und sich neu entwickelnde Potenziale erneuerbarer Energien faszinieren sie.
astrid@astrid-schneider.de
www.astrid-schneider.de
Nessi aus Schottland: Forscher testen die Wellenschlange Pelamis gerade am European Marine Energy Centre (EMEC). Sie hat bereits 160 MWh Strom ins öffentliche Netz gespeist - so viel wie rund 50 Haushalte im Jahr verbrauchen. |
Mehr als 75 Prozent der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt, doch bislang liegen diese titanischen Energiereserven in den Weltmeeren völlig brach. Dabei ist das Energiepotenzial der Ressource Meeresenergie ähnlich unerschöpflich und groß wie das der Wind- und Sonnenenergie. Auch hier schlummert ein Vielfaches des Weltenergiebedarfs als theoretisches Potenzial. So errechnet der Berliner Wellenenergiespezialist Gerhard Brandl, dass eine Meeresfläche in der Größe Spaniens den gesamten Weltenergiebedarf decken kann, wenn man die Fläche auf die besten Meeresgebiete weltweit verteilt. Einzelne Länder wie z.B. Irland mit seiner günstigen Lage im Atlantik und ständigen Westwinden können bis zu 100 Prozent ihres Strombedarfs alleine aus Wellenkraft erzeugen. Für Europa hat das Centre for Renewable Energy Sources (CRES) in einem EU-Projekt ein Wellenenergiepotenzial von 290 Gigawatt (GW) im nordöstlichen Atlantik und in der Nordsee errechnet und weitere ca. 30 GW für den Mittelmeerraum. Das entspricht einer Leistung von 200 Atomkraftwerken. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages recherchiert ein Wellenpotenzial von ca. 15 Prozent des weltweiten Strombedarfs. Für die USA schätzt das amerikanische Forschungsinstitut EPRI das Stromerzeugungspotenzial rund viermal so hoch wie den Stromverbrauch Deutschlands. Außer Betrachtung blieben bei diesen Potenzialstudien jedoch küstenferne offene Meere.
Meeresenergie lässt sich auf verschiedene Weise nutzen, vor allem durch:
- Gezeitenkraftwerke
- Wellenkraftwerke
- Strömungskraftwerke
- Meereswärmekraftwerke
- Osmose-Kraftwerke
Die Technologie mit dem größten Verbreitungspotenzial ist die direkte Nutzung der Wellenkraft, denn Wellen gibt es überall (siehe Infokasten). Für die Wellenenergie besonders gut geeignet sind die Küsten Schottlands oder Portugals, die von westlichen Winden getriebene Atlantikwellen auffangen. Dort sind auch die ersten europäischen Testzentren angesiedelt. Die schottische Regierung, die das Ziel hat, bis zum Jahr 2020 den Strom zu 100 Prozent aus regenerativen Energien zu gewinnen, erkennt das Potenzial der Meeresenergie und fördert die Erprobung mit dem 2003 gegründeten "European Marine Energy Centre" in Orkney. Das Centre bietet Tests für kommerzielle Meeresenergieentwickler an und hat seit 2011 gut gefüllte Auftragsbücher.
Schon eine Ein-Meter-Welle reicht
Europa gehört weltweit zu den potenzialreichsten Gebieten für die Nutzung der Wellenenergie. Die Energie der Wellen wird in Kilowatt Leistung pro Meter (kW/m) senkrecht zur Wellenrichtung gemessen. Entlang der europäischen Atlantikküste messen Forscher hohe und sehr effizient nutzbare Wellenenergiestärken, von 48-65 kW/m in Portugal bis hin zu 70 kW/m um Irland. Im offenen Atlantik vor den Küsten Europas beträgt die Wellenkraft sogar 92 kW/m. Das ist weitaus höher, als an vielen nord- und südamerikanischen, australischen oder afrikanischen Küsten, die nur ca. halb so hohe Wellenkraftniveaus aufweisen. In einem zukünftigen europäischen Stromverbund könnte auch Deutschland von diesen Potenzialen profitieren.
Ab rund 40 Meter Wassertiefe ist die Wellenenergienutzung sinnvoll. Dann wird der Wellengang nicht durch Reibungskräfte am Meeresboden behindert. Eine Wellenhöhe von ca. einem Meter reicht bereits zur Stromgewinnung aus. Daher könnte Wellenenergie auch in der deutschen Nordsee genutzt werden. Zugleich steht die Meeresenergienutzung vor den gleichen "Chancen und Risiken" wie die Offshore-Windenergie: Sie bewegt sich in einem sehr zerstörerischen Terrain. Die Anlagen müssen den Wellen auch standhalten und sind dabei extremen mechanischen und chemischen Materialanforderungen ausgesetzt.
Gigant aus Deutschland: Die norddeutsche Firma "HAB Hallen- und Anlagenbau" hat bereits einen Wellenenergiekonverter getestet. Die Stromerzeugungskosten der schwimmenden Boje könnten in Massenproduktion auf drei Eurocent sinken. |
Vorteilhaft gegenüber anderen erneuerbaren Energien ist, dass die Menge der Wellen sich gut voraussagen lässt. Recht stetig bläst der Wind auf dem offenen Meer und die Windwellen werden nahezu verlustfrei tausende von Kilometern weitergeleitet. Daher kann die Windmessung den kommenden Wellengang schon viele Stunden im Voraus bestimmen. Da die Wellenkraft zeitversetzt zum Wind an den Küsten ankommt, kann sie einen wichtigen Beitrag zum Ausgleich der Windkraft liefern und diese optimal ergänzen. Interessant ist daher die Idee, die Systeme zu mischen: Beide Stromerzeuger können die gleichen Unterseekabel benutzen. Auch das wäre ein wichtiger Beitrag zur wechselseitigen Kostenreduktion. Dies könnte umso bedeutender werden, als derzeit gemäß dem Offshore-Netzentwicklungsplan in der deutschen Nordsee Netzanschlusspunkte für Offshore-Windparks beauftragt und gebaut werden, die mit 6,2 GW mehr als doppelt so leistungsstark sind wie die bislang konkret durchfinanzierten Projekte in der Größe von 2,9 GW Leistung. Laut einer Studie der Offshore Management Resources vom April 2013 droht ein Milliardenverlust, der nach der aktuellen Rechtslage vom Stromkunden zu bezahlen wäre. Der Wellenkraft die gleichen Anschlussbedingungen und dieselbe EEG-Förderung wie der Offshore- Windkraft zu gestatten, wäre ein wichtiger Schritt zur Markteinführung dieser Technologie. Doch auch der Erforschung der Wellenkraft könnte Deutschland mehr Aufmerksamkeit schenken.
Die Rolle Deutschlands bei der Wellenenergienutzung sieht Prof. Pentscho Pentschew vom Institut für Maschinenbau und Schiffstechnik an der Universität Rostock vor allem in der Erforschung, Entwicklung und Produktion von Wellenkraftanlagen mit dem Know-how der deutschen Forschungs- und Industrielandschaft. Die schwimmenden Anlagen haben den Vorteil, dass sie optisch kaum in Erscheinung treten, da nur ein kleiner Teil der Anlage aus dem Wasser ragt. Durch die geringe Höhe tritt so keine Beeinträchtigung der Naturlandschaft auf.
Ein weiterer Vorteil der Wellenkraftwerke gegenüber der Offshore-Windenergienutzung ist, dass die schwimmenden Wellenkraftwerke in der Regel mit Schleppankern und Gewichten am Meeresboden gesichert werden. So entfallen die Fundamente, die Offshore-Windräder benötigen. Und gerade das Einrammen der Offshore-Fundamente verursacht sehr starke Geräuschbelastungen, die das Bundesamt für Naturschutz (BfN)in diesen sensiblen Meeresgebieten als größten Nachteil aufführt. "Abhängig von der Technik und der Größe der Anlagen sind die zu erwartenden Auswirkungen auf die Meeresumwelt unterschiedlich", sagt Kathrin Ammermann vom BfN. Es bestehe noch "erheblicher Forschungsbedarf", denn bisher wurden Wellenkraftwerke nur im kleineren Maßstab getestet, in Deutschland fast noch gar nicht. Doch "in den bisherigen Dimensionen haben wir keine Bedenken gegenüber der Nutzung", sagt Nadja Ziebarth vom Projektbüro Meeresschutz des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND). Im Gegensatz zu Windkraftanlagen beeinflussen die Meeresbojen nicht die Flugrouten der Zugvögel, ebenso entfällt die weite Sichtbarkeit. Zwischen Offshore-Windrädern gelegen, könnten neben den gemeinsamen Kabeln auch die gleichen Gebiete jenseits von Schifffahrtsrouten genutzt werden.
Wellenstrom für unter vier Cent pro kWh
Wellenforscher sind sich einig, dass die momentan erforschten Techniken in jeder Hinsicht aussichtsreiche Kandidaten zur regenerativen Energieerzeugung sind. Alleine am bislang zu geringen Kapitaleinsatz liege es, dass noch kein wirtschaftlicher Durchbruch gelungen sei. Langer Atem für die Entwicklung einiger Systeme zur Praxisreife würde benötigt. Die wirtschaftlichen Aussichten sind dabei durchaus rosig, wie eine Studie von Prof. Pentscho Pentschew, der 27 Wellenenergiekonverter evaluierte, bestätigt. Bei insgesamt drei verschiedenen Systemen kann langfristig ein Preis von unter vier Eurocent pro kWh Wellenstrom erzielt werden. Auch das amerikanische Energy Power Research Institute (EPRI) sieht die Kosten der Wellenenergie deutlich unter denen der Offshore-Windkraft.
Aktuelle Projekte unterstützen diese Berechnungen. So kalkuliert der Berliner Wellenkraftentwickler Gerhard Brandl die Stromerzeugungskosten für sein System einer schwimmenden Boje mit Lineargenerator auf ca. drei bis sechs Eurocent pro kWh - sofern das System in die Massenproduktion kommt. Derzeit arbeitet Brandl mit der norddeutschen Firma HAB Hallen- und Anlagenbau zusammen, die selbst bereits einen Prototypen eines Wellenenergiekonverters entwickelt und getestet hat. Brandl konzipiert das neue Wellenkraftwerk als vollständig gekapselte schwimmende Boje, die als Ganzes auf und ab schwimmt. So werden die empfindlichen beweglichen Teile nicht dem Meerwasser ausgesetzt - der Wellengang bewegt den Antrieb ausschließlich im Inneren der Boje. Zur Verankerung ist nur eine Kette vorgesehen, die an einem Gewicht als Schleppanker befestigt ist.
Kraftschwimmer und Seeschlangen?
Bereits weiter entwickelt ist das System einer schwimmenden Wellenboje der amerikanischen Firma Ocean Power Technologies, ein Partner der Waffenschmiede Lockhead Martin. Hintergrund: Militärische Einrichtungen der USA sollen energieautark autonom versorgt werden. Nach erfolgreichen Prototypentests in Hawaii, New Jersey und Spanien ist die "Powerbuoy" in das so genannte "Loyds Register" aufgenommen worden. Dieses Zertifikat bestätigt, dass die Boje einer Wellenhöhe von bis zu 28 Metern standhalten kann. Größtes aktuelles Vorhaben ist der Bau eines Wellenenergieparks mit 28 Power-Bojen vor der Küste Australiens mit einer Leistung von 19 MW. Gefördert wird es von der australischen Regierung mit 66 Millionen australischer Dollar. Produzieren soll es 75.000 MWh pro Jahr.
Die Vorarbeiten laufen bereits. Bis 2020 sollen die Kosten pro Kilowattstunde unter 100 Dollar pro MWh sinken - das entspricht acht Eurocent pro Kilowattstunde und ist damit nur etwas teurer als der Strom aus neu gebauten Kohlekraftwerken in Deutschland, der derzeit rund sechs Eurocent kostet.
Das am weitesten voran geschrittene europäische Wellenkraftsystem ist die so genannte Wellenschlange "Pelamis". Bereits seit rund zehn Jahren wird sie vor der Küste Portugals im Wave Energy Centre erforscht. Seit nunmehr einem Jahr testet das European Marine Energy Centre in Orkney ein weiter entwickeltes Modell in Schottland. Bereits 160 MWh Strom sind ins öffentliche Netz eingespeist worden - das entspricht dem Jahresverbrauch von rund 50 Haushalten. An dem Forschungsprojekt sind die Energieversorger E.ON und Scottish Power Renewables beteiligt, Vattenfall folgt mit einer weiteren Testschlange. Der Bau größerer Projekte ist im Anschluss an die Testphase geplant. Die "Pelamis" kann auch in flachen Gewässern küstennah schwimmen. Innerhalb von nur 15 Minuten lässt sich die Schlange von ihrer Verankerung lösen und in den Schutz des Hafens bringen, wenn ein Unwetter aufzieht, das die Schlange zerstören könnte. Im ausgereiften Zustand soll die Seeschlange aber auch dem härtesten Wetter trotzen können.
Ziel der deutschen Forschung und Entwicklung sollte es sein, den internationalen Entwicklungsvorsprung einzuholen. Auch in der Nordsee lässt sich aus den Meereswellen elektrische Energie rentabel erzeugen. Die Synergien mit der Offshore-Windkraft liegen auf der Hand: Wenn man gemeinsame geeignete Meeresgebiete ausweist und Stromeinspeisungspunkte festlegt, lassen sich die gleichen "Steckdosen" im Meer nutzen. Zwischen den ohnehin von der durchfahrenden Schifffahrt ausgenommenen Offshore-Turbinenfeldern könnten auch Wellenenergiebojen schwimmen. So ließe sich der Stromertrag des Gesamtgebiets erhöhen - doch vor allem würde die Energieproduktion durch das versetzte Auftreten der Wellen stetiger. Wenn Deutschland diese innovative Technologie entwickelt, kommt das dem deutschen Anlagen- und Maschinenbau zugute - und die globale Umwelt profitiert durch weitere CO2-Einsparungen.
Wünschenswert wäre dafür ein deutsches Wellenkraft-Testfeld zur Erforschung der Meeresenergie in der Nordsee.
Anspruchsvoll: Strömungs- und Gezeitenkraftwerke brauchen spezielle Bedingungen Während Osmose- und Meereswärmekraftwerke noch in der Entwicklung stecken, benötigen Gezeiten- und Strömungskraftwerke sehr spezielle räumliche Gegebenheiten, die nicht so weit verbreitet sind. Das European Marine Energy Centre in Schottland testet seit 2011 ein neues Strömungskraftwerk, das wie ein "Windrad im Meer" aussieht und funktioniert. Dort engt die natürliche Topografie die Strömung zwischen zwei nahe nebeneinander gelegenen Inseln so ein, dass sie sich beschleunigt und sich durch eine Turbine im Wasser direkt in Strom umwandeln lässt. Ein Kraftwerk, das mit dem Tidenhub der Gezeiten arbeitet, gibt es bereits seit 1966 in Frankreich. Dort verwandelte man die ganze Mündung des Flusses Rance durch einen 750 Meter langen Damm in einen Stausee. Der acht Meter große Unterschied von Ebbe und Flut dient zur Energiegewinnung. Bei Flut läuft das Meerwasser über eine Turbine in den Stausee, bei Ebbe läuft es in Gegenrichtung wieder über die Turbine hinaus. Allerdings hat das Gezeitenkraftwerk das Ökosystem des Flusses und der Mündung stark verändert. Und wirtschaftlich möglich ist das Gezeitenkraftwerk nur durch diesen Landschaftseingriff und den weltweit nahezu einmalig großen Tidenhub. Erst 2011 wurde ein zweites Gezeitenkraftwerk am künstlich angelegten Sihwa-See in Südkorea gebaut, nachdem die ursprüngliche Absicht, den See als Süßwasserreservoir zu nutzen, gescheitert war. |
Von Astrid Schneider
Im Profil
Astrid Schneider ist Energieexpertin und Solararchitektin in Berlin. Ihre Leidenschaft gehört einer Wende hin zu 100% Erneuerbaren Energien, dafür engagiert sie sich beruflich und energiepolitisch.Unentdeckte und sich neu entwickelnde Potenziale erneuerbarer Energien faszinieren sie.
astrid@astrid-schneider.de
www.astrid-schneider.de
Quelle:
Technik | Energie, 17.10.2013
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2013 - Hallo Klimawandel erschienen.
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