Kompensieren statt spenden

Welchen Klimaschutz-Standards kann man vertrauen?

Es reicht nicht, die Natur zu preisen. Wir müssen sie auch einpreisen, um in unserem Wirtschaften weiter mit ihren Leistungen planen zu können.


CO2-Kompensationsprojekte mit Agroforstwirtschaft wie im Kongo binden durch Baum-Pflanzungen und Waldschutz CO2 aus der Atmosphäre, helfen aber auch der lokalen Bevölkerung. Arbeitsplätze entstehen, die lokale Biodiversität blüht auf.
Foto: © Uwe Bergeest, pixelio.de
Klimaschutz ist ein Generationenprojekt: Wir werden nicht über Nacht ohne Treibhausgasemissionen auskommen. Die ersten Schritte, CO2-Emissionen von Unternehmen zu senken, heißen: Erneuerbare Energien und Effizienz. Im zweiten Schritt geht es ums Kompensieren - also den Ausgleich durch CO2-Einsparungen an anderer Stelle. Zyniker nennen das gern "Ablasshandel". Doch ein Teil der Kompensationsprojekte erhält nicht nur das Atmosphärengleichgewicht, sondern auch die ökologische Infrastruktur des Planeten am Leben - und damit wichtige Dienstleistungen der Natur, die auch die Wirtschaft braucht.

Das Grundgesetz fordert den Ausgleich bei Landschaften

Der Kompensationsgedanke ist nicht neu. Wir kennen ihn hierzulande aus der Flächennutzung. In der Bundeskompensationsverordnung heißt es: "Die Verpflichtung zur Vermeidung und Kompensation von Beeinträchtigungen bei Eingriffen in Natur und Landschaft stellt [.] einen wesentlichen Beitrag zur Umsetzung des Verfassungsgebots zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen [.] dar." CO2-Kompensation wendet dieses Prinzip an: auf den Klimaschutz und auf das globale öffentliche Gut, die Atmosphäre. Noch freiwillig.

Für den CO2-Ausgleich gibt es viele Wege: In Windfarmen, Solar- oder Wasserkraft zu investieren ist eine Lösung, weil erneuerbare Energieträger im Gegensatz zu fossilen Energien weitgehend CO2-frei Strom und Wärme produzieren. Auch die Energieeffizienz bietet ein CO2-Einsparungspotenzial, das noch nicht ansatzweise ausgeschöpft ist. Doch um den Klimawandel abzumildern reicht es nicht, Technik und Abläufe zu verbessern - wir müssen auch Schäden ausgleichen. Land- und Forstwirtschaft auf nachhaltige Bewirtschaftung umzustellen bietet dabei die Möglichkeit, die natürliche CO2-Speicherfähigkeit von Biomasse und Böden zu erhöhen. Diese Variante hat eine weitaus größere Hebelwirkung.

Ohne Waldschutz kein Klimaschutz

Gut geplante Forst- und Agroforstprojekte bieten neben der CO2-Bindung einen deutlich größeren sozialen und ökologischen Nutzen in den Projektregionen. Sie kommen gerade jenen ländlichen und marginalisierten Bevölkerungen in Entwicklungsländern zugute, die keine Lobby und Marktzugänge haben.

Abholzung und Brandrodung verursachen 17 Prozent der weltweiten Emissionen - mehr als der gesamte Verkehr. Wer das Klima schützen will, sollte also den Wald erhalten.

Zudem sind Wälder als Rohstoffquelle unverzichtbar und ein milliardenschwerer Wirtschaftsfaktor. Deshalb bildet die CO2-Kompensation über nachhaltiges Waldmanagement einen Weg, ökologische Vermögenswerte und "Dienstleistungen" der Natur gewissermaßen einzupreisen. Dazu gehört etwa, dass ein intaktes Ökosystem (z.B. ein Meer oder Wald) Leistungen wie "Regen bilden" oder "Stoffkreisläufe regulieren" erbringt.

Deutschland ist einer der größten Geldgeber für bi- und multilaterale Waldprogramme. Bereits heute sind namhafte Unternehmen wie die Allianz, Danone, Walt Disney, PPR, Eneco oder der deutsche Energieversorger HSE AG substantiell im Wald- und Klimabereich engagiert. Das Thema wird auch vom Senat der Wirtschaft* der deutschen Sektion des Global Economic Network, mit seiner "Welt Wald Klima Initiative" unterstützt.

Kerngeschäft statt CSR

Mehr als Ablasshandel? Unternehmen und Energieversorger emittieren Treibhausgase, die das Klima beeinflussen.
Foto: © Uwe Bergeest, pixelio.de
Immer mehr Unternehmen folgen hierbei einer veränderten Logik: Weg von der rein externen Corporate Social Responsibility (CSR), hinein ins Kerngeschäft. Es geht darum, Produkte und Prozesse umzubauen und ökologische Vermögenswerte langfristig in die Bilanzen einzubeziehen. Denn CSR funktioniert im Grunde wie eine Spende. Das Engagement passt zwar thematisch ins Geschäftsfeld der Unternehmen. Der Mitteleinsatz ist jedoch oft beliebig und abhängig vom Weitblick der Nachhaltigkeitsabteilungen. Bei der Kompensation geht es hingegen, neben Überzeugung, um handfeste betriebswirtschaftliche Argumente: Lieferanten und Kunden gewinnen und binden sowie sich strategisch positionieren. Hier entscheiden Geschäftsführung, Vertrieb und Marketing.

Die Vorreiter setzen dabei auf Differenzierung und wollen das Thema konsequenter als die Wettbewerber umsetzen. So bietet in der Logistikbranche der Paketdienstleister DPD mit seinem "Total Zero" Programm den klimaneutralen Versand automatisch als Standard an, während die Deutsche Post DHL ihr "Go Green" Projekt nur als Option bereithält; in der Energiewirtschaft bietet der Versorger Entega seine Ökogas-Produkte als "default", die meisten anderen Anbieter dagegen weiterhin nur auf Kundenwunsch. Und das, obwohl die Mehrkosten für hochwertigen CO2-Ausgleich bei vielen Produkten deutlich unter einem Prozent liegen und sich entweder durch höhere Preise, Marktanteile oder Kundenbindung wieder ausgleichen lassen.

Vorsicht vor Ramsch bei Schutzprojekten

International agierende Großunternehmen integrieren Umwelt- und Klimaschutz darüber hinaus zunehmend in ihr Risikomanagement, richten ihre Beschaffungspolitik entsprechend aus und setzen auf globale Imagepflege. Dies funktioniert in einer wachen Medien- und Interessengruppengesellschaft langfristig nur über Glaubwürdigkeit und Qualität. Und die hat ihren Preis. So gibt es nicht nur Gammelfleisch im Lebensmittel-Discounter, sondern auch Ramsch unter den Klimaschutzprojekten. Für wenige Cent kann man CO2-Zertifikate erwerben, deren ökologisch-sozialer Mehrwert und CO2-Ersparnis mehr als zweifelhaft sind. Auf der anderen Seite gibt es solide gemachte und gemanagte Projekte, die auf Klima- und Artenschutz sowie verbesserte Lebensbedingungen der Menschen vor Ort einzahlen. Ausweis hierfür sind weltweit etablierte Gütesiegel wie der Voluntary Carbon Standard, Climate, Community and Biodiversity Alliance Standard oder Gold Standard (siehe Infokasten). Deren Integrität wird dadurch gewährleistet, dass Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft die gemeinsam erarbeiteten Qualitätskriterien ständig überprüfen und weiterentwickeln.

CO2 als Ersatzwährung

Unternehmen nutzen Umweltgüter wie Luft, Wasser und Boden meist ohne dafür zu zahlen - und die Kosten der Umweltauswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit tragen sie meist auch nicht selbst. Die Kosten werden also "externalisiert": Die Gesellschaft zahlt. Wenn ein Kompensationsprojekt den natürlichen CO2-Speicher von Ökosystemen erhöht, werden damit auch Naturverbrauch und -schäden durch das kompensierende Unternehmen zumindest teilweise internalisiert. Das unterscheidet Wald- und Forstprojekte von den Kompensationsprojekten, die technologische Modernisierung fördern.

Kohlendioxid ist eine global sowohl gut messbare als auch verrechenbare Einheit und Ware. Und weil sich Biodiversität, Wasser, Arten und Stoffkreisläufe ungleich schwerer (wenn überhaupt) verrechnen lassen, dient CO2 als Währung, über die lebenswichtige Funktionen von Naturräumen mitfinanziert werden können.

Bisher gibt es keine Patentlösung auf dem Weg zu wahren Preisen. Doch die Kompensation ist ein nützlicher Katalysator, um den ökologischen Fußabdruck von Unternehmen nicht nur zu bestimmen, sondern auch zu minimieren.



Die wichtigsten Standards für CO2-Kompensationen

Verified Carbon Standard (VCS)

Der VCS ist einer der führenden Standards zur Qualitätssicherung von Klimaschutzprojekten. Er bilanziert und zertifiziert die Emissionseinsparungen sowohl aus forstwirtschaftlichen Projekten als auch solchen, die Energie einsparen oder aus erneuerbaren Quellen produzieren. Das Gütesiegel muss jedoch auch von unabhängigen Dritten geprüft werden.

Climate, Community and Biodiversity Alliance Standard (CCBA)

Der CCBA analysiert und bewertet die positiven Effekte von Klimaschutzprojekten für Klima, Regionalentwicklung und Artenvielfalt. Er stellt eine Art Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung dar und ist eine Initiative von überwiegend nordamerikanischen und internationalen Wissenschafts- und Umweltorganisationen.

Gold Standard (GS)

Der WWF hat gemeinsam mit zahlreichen anderen Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen den GS initiiert. Sie entwickelten einen Kriterienkatalog, der insbesondere prüft, ob und wie Klimaschutzprojekte sozial und ökologisch nachhaltig sind. Ursprünglich nur für Projekte angewandt, die Energieeffizienz und erneuerbare Energien fördern, hat sich die tragende Gold Standard Foundation 2012 entschlossen, nunmehr auch Projekte zu nachhaltiger Landnutzung und Forstwirtschaft zu begutachten und zu zertifizieren.


* Der Senat der Wirtschaft besteht aus Persönlichkeiten der Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zusammen, die ethische Grundsätze wie Fairness und Partnerschaft im Wirtschaftsleben sowie soziale Kompetenz von Unternehmern und Führungskräften in ihr Umfeld tragen wollen.
 
 
 
Von Michael Sahm
 
 
 

Zum Weiterlesen:

So schützen Unternehmen das Klima

Umweltminister a.D. Klaus Töpfer zum Klimaschutz: "Wir können beim besten Willen nicht zufrieden sein"

Der Weg zur Klima-Stadt

Quelle:
Umwelt | Klima, 23.10.2013
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2013 - Hallo Klimawandel erschienen.
     
        
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