Alles beginnt im Kopf

Wie muss ein nachhaltiges Produkt gedacht sein?

Von Bernd Draser

Jede Großstadt kennt das Problem: Aus Bequemlichkeit bringen Getränkekäufer ihre Pfandflaschen nicht zurück, sondern legen sie in, auf oder neben städtische Mülleimer. Doch fällt die Flasche hinunter, ist der Schaden und Reinigungsaufwand durch die Scherben groß.

Mit dem von Paul Ketz an der Ecosign entwickelten Pfandring können Passanten ihr Pfand so abstellen, dass es nicht durch Bruch aus dem Recycling-Kreislauf ausscheidet und auch nicht mühsam von Flaschensammlern herausgesucht werden muss.
Foto: © Paul Ketz

An der Designschule ecosign haben wir ein Verständnis von nachhaltigem Design, das dem unmittelbaren Formgeben eine sorgfältige Reflexion zugrunde legt. Als Philosoph, der mit Studenten des Nachhaltigen Designs arbeitet, diskutiere ich mit den jungen Kreativen Fragen wie diese:

Welche Problemstellung soll das neue Produkt zu lösen helfen? Welches menschliche Bedürfnis liegt dem zugrunde? Ist dafür wirklich ein Produkt die richtige Lösung? Oder nicht eher ein Service? Oder sogar eine andere Haltung? Denn schließlich haben unsere Probleme in Sachen nachhaltiger Entwicklung viel damit zu tun, dass wir zu viele und nicht etwa zu wenige Produkte haben.

Und handelt es sich überhaupt um ein echtes Bedürfnis, oder um eine flüchtige Laune, eine Mode? Wenn wir dann ein neues Produkt haben, wird unser Leben dadurch besser? Sind wir freier? Oder ist das nur ein flüchtiges Lüstchen, das sich in biografischen Ballast verwandelt, wenn es abkühlt?

Soll es wirklich ein Objekt sein, dann stellt sich die Frage nach der Auflagenhöhe, denn davon hängt fast alles ab. Ein einziges Objekt kann in sich wunderbar funktional sein. Wie wirkt es aber in Massen? Was bedeutet das für Materialverbrauch und Infrastruktur? Und wie wirkt es sich auf Energieverbrauch, Emissionen und Lebensqualität aus? Wie lang kann ich es gebrauchen?


Will ich mit Marketing erfolgreich sein - oder mit einem Produkt, das die Menschen wirklich brauchen?

Eine Studie der Europäischen Kommission hat ergeben, dass rund 80 Prozent der ökologischen Auswirkungen eines Produkts schon im Entwurfsprozess determiniert werden. Damit sitzen Designer an einer Schlüsselstelle. Ein Unternehmen, das sich für ein Primat des Marketings entscheidet, entzieht sich damit selbst die entscheidenden Kompetenzen. De?signer können hier aber verantwortlich agieren.

Ein Produkt, das nachhaltig werden soll, bedarf dann einer sorgfältigen Analyse. Welche komplexen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft sind zu erwarten? Wo liegen die Hauptverursacher von solchen Auswirkungen? An welchen Stellschrauben kann man folgerichtig drehen, um deutliche Verbesserungen zu erzielen? Sind es die Materialien oder das Herstellungsverfahren? Sind es der Gebrauch und die damit verbundenen Effekte wie Energiekonsum, Emissionen? Oder passieren die schädlichen Effekte sogar auf der kulturellen und symbolischen Ebene? Das heißt: Beschädigen sie unsere Werte, unsere Bildung, unsere Traditionen, unseren Umgang miteinander?

Nachhaltiges Design zeichnet sich dadurch aus, dass es solche vielschichtigen Überlegungen anstellt, sehr sorgfältig recherchiert und plant, die komplexen Wechselwirkungen bewertet und auf einer gut informierten Grundlage gestalterische Entscheidungen trifft. Und daraus ergibt sich dann auch die Entscheidung, ob ein Produkt oder eine Dienstleistung zielführend ist, oder vielleicht sogar der Versuch, kommunizierend Haltungen zu verändern.


Im Profil

Bernd Draser lehrt seit 2004 Philosophie und Kulturwissenschaften an der ecosign. Folglich beschäftigt er sich mit allerlei schönen Themen, u.a. mit derFrage, wie eine Ästhetik der Nachhaltigkeit aussehen könnte und wie sie sich aus unserer Kulturgeschichte erschließt. Denn Nachhaltigkeit ist eine Frage der klassischen Bildung.
www.ecosign.net

Quelle:
Technik | Wissenschaft & Forschung, 13.01.2014
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2014 - Smarte Produkte erschienen.
     
        
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