"Wir wachsen oder wir kollabieren"
Tim Jackson will eine Welt ohne Wirtschaftswachstum
Ein Interview von Joseph Gepp
Ein System, das Wachstum um jeden Preis brauche, hat die Welt 2008 in die Wirtschaftskrise gestürzt. Wie sich der britische Ökonom Tim Jackson eine Welt ohne Wirtschaftswachstum vorstellt.
Immer weiter immer höher. Glaubt man dem Ökonomen Tim Jackson, hat der Zwang, zu wachsen, die Wirtschaftskrise ausgelöst. Dem widerspricht Wirtschaftsethiker Karl Homann entschieden (s.u.). Er hält viele Thesen der Wachstumskritiker für "gefährlichen Humbug". |
Herr Jackson, Ihrer Ansicht nach hat das Streben nach Wirtschaftswachstum zur Wirtschaftskrise seit 2008 geführt. Was hat die Krise mit dem Wachstum zu tun?
Vordergründig lösten deregulierte Finanzmärkte die Krise aus. Aber wir müssen uns fragen, warum wir sie dereguliert haben. Die wichtigste Antwort lautet: um das Wachstum anzutreiben. Die Konsumenten sollten weiter Dinge kaufen, die Firmen expandieren. Deshalb sorgte man dafür, dass eine deregulierte Finanzindustrie massenhaft Kredite zur Verfügung stellt. Deshalb gab es so viel Liquidität, eine derartige Expansion der Verschuldung.
Die Verschuldung sollte den Konsum am Laufen halten?
Die Wirtschaft braucht den Konsum, sonst wird sie instabil. Steuereinnahmen sinken, die Staatsverschuldung steigt. All dies kann nur durch Wirtschaftswachstum verhindert werden. So ist das System: Wir wachsen oder wir kollabieren.
In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass der Wettbewerb die Wirtschaft insgesamt effizienter macht. Immer weniger Menschen können immer mehr produzieren. Im selben Ausmaß muss das System jedoch auch wachsen, sonst werden die Leute arbeitslos.
Ja, und jetzt stößt das Modell an seine Grenzen. In Großbritannien werden wir voraussichtlich um das Jahr 2040 ein Nullwachstum erreichen. Uns bleibt nur die vage Hoffnung, dass alles weitergeht wie bisher: zwei bis drei Prozent BIP-Wachstum pro Jahr im Westen, fünf bis acht in den Entwicklungsländern. Aber das ist Selbsttäuschung.
Es gibt genug Potenzial in Ländern wie China oder Indien. Kann sich das Wachstum nicht einfach verlagern?
Man kann die Konsummuster des Westens nicht einfach auf die Schwellenländer übertragen, dafür fehlen dem Planeten die Ressourcen. Außerdem geht es am Wesentlichen vorbei, sich weiter auf Wachstum und Materialzuwachs zu richten. Die sozialen, altruistischen Teile unserer Persönlichkeit sind essenziell für unser Wohlbefinden, kommen aber in der Wachstumsgesellschaft unter die Räder. Wir müssen stattdessen überlegen, wie wir das System prinzipiell reformieren können.
Wie denn?
Wir brauchen einen Begriff von Wohlstand, dem die Wirtschaft dient: Sie soll Dienste zuliefern, die unsere Lebensqualität verbessern. Dies erreicht man nicht allein durch kurzfristige Investments, sondern auch durch solche, deren Gewinne auch sozialer und ökologischer Natur sind.
Das klingt sehr allgemein. Wachstumskritiker wie Sie schlagen kürzere Arbeitszeiten oder Alternativen zum BIP vor. Auch das sind eher fragmentarische Maßnahmen. Warum gibt es keine große Theorie des Post-Wachstums?
Wir stehen vor der Herausforderung, diese zu erarbeiten. Sie müsste die theoretischen Grundlagen für einen beschäftigungsintensiven Firmensektor, ein langfristiges Finanzierungssystem und eine Neuorganisation von Arbeit und Arbeitszeit schaffen. Dafür braucht man geeignete Institutionen und eine makroökonomische Funktionsweise. Trotzdem sind Modelle immer nur so gut wie ihre dahinterliegenden Annahmen.
Könnte das Zeitalter nach dem Wachstum auch einfach so beginnen, ohne Theorie?
Ja, vielleicht. Regierungen werden schließlich gewählt, um Wohlstand zu schaffen. Langfristig werden sie nur solange auf Wachstum setzen, solange Wachstum auch Wohlstand hervorbringt.
Um das Wachstum abzuschaffen, müssen Sie an eine Wurzel des Kapitalismus gehen: den Wettbewerb. Kann es Kapitalismus ohne Wachstum überhaupt geben?
Begreift man Selbst- und Konkurrenzbezogenheit als die alleinige Basis des Kapitalismus, sprechen wir tatsächlich von seinem Ende. Aber die kapitalistische Realität ist nuancierter. Es gibt etwa den chinesischen und den schuldengetriebenen Kapitalismus sowie die sozialen Marktwirtschaften. Zwar steckt in diesen Formen durchaus das Element des Wettbewerbs. Aber man muss ja nicht alles gleich wegwerfen.
Die beiden vielleicht friedlichsten Epochen der Weltgeschichte waren das 19. Jahrhundert und die Zeit nach 1945. In beiden expandierten Handel und weltwirtschaftliche Verflechtung massiv. Wenn die Globalisierung zurückgeht - wie kann dann der Frieden bewahrt werden?
In manchen Bereichen wird die Globalisierung in dieser neuen Vision des Wohlstands, wie ich sie hier skizziere, sicher zurückgehen - etwa in der Finanzwirtschaft. Aber diese Bereiche schaffen ja ihrerseits Instabilität. Es ist schon richtig, dass eine potenzielle Gefahr des Wandels die Entstehung isolierter Gemeinschaften möglicherweise feudalen Zuschnitts ist. Nur gibt es diese Gefahr auch jetzt schon - denken Sie nur an die horrende Jugendarbeitslosigkeit. Sollte das Wirtschaftssystem kollabieren, müssen wir sowieso zurück zu isolierten Gemeinschaften. Da ist es das kleinere Übel, vorher eine Struktur zu errichten, die den Crash vielleicht noch abwendet - etwa indem sie Arbeitslose auffängt und somit die Grundlage für Konflikte entschärft.
Im Profil
Tim Jackson ist ehemaliger Umweltberater der britischen Regierung und Professor für Nachhaltige Entwicklung an der University of Surrey in England. Jackson studierte Mathematik, Philosophie und Physik. Sein Bestseller "Wohlstand ohne Wachstum" erschien 2009 und sorgte beim UN-Klimagipfel in Kopenhagen für Aufsehen.
Quelle:
Gesellschaft | Megatrends, 20.01.2014
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2014 - Smarte Produkte erschienen.
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