"Ohne Wachstum gibt es keinen Umweltschutz"

Karl Homann hält eine Welt ohne Wirtschaftswachstum für gefährlich

Von den Thesen Tim Jackons hält er wenig und eine De-Globalisierung, wie sie Postwachstumsökonomen forderten, ist für Wirtschaftsethiker Karl Homann sogar "gefährlich". Gerade um die Umwelt zu schützen, müsse man wachsen. 
 
Karl Homann hält De-Globalisierung für "gefährlich".
Foto: © Roman Herzog Institut

Der britische Ökonom Tim Jackson meint, dass es nur vordergründig deregulierte Finanzmärkte waren, die uns in die Wirtschaftskrise getrieben haben. Schuld sei unser Streben nach Wachstum. Hat er Recht?
Nein. Es gibt mindestens ein Dutzend Ursachen für die Krise, wie die Geldpolitik der US-Notenbank, der Wunsch der Regierung Clinton, jedem sein Eigenheim zu ermöglichen, zu wenig an Regulierung, eine zu niedrige Eigenkapitalquote der Banken usw. Was Tim Jackson fordert, ließe sich wohl nur mit diktatorischen Maßnahmen, die dann auch noch global greifen müssten, durchsetzen.


Wachstumskritiker würden argumentieren, dass die Ursachen, die Sie nennen, nur Symptome sind. Die Krankheit sei ein System, dass uns zwinge, zu wachsen und zu konsumieren.
Wachstumskritiker wie Tim Jackson verwenden den Begriff Wachstum viel zu undifferenziert. Wissenschaftlich ist damit keineswegs nur materielles Wachstum gemeint. Denn alles, was einen Preis hat, geht in die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ein und hat so Einfluss auf das Wachstum. Das sind also auch Gesundheitsleistungen, Bildungsinvestitionen oder Investitionen zur Schonung natürlicher Ressourcen. Natürlich verkraftet die Welt nicht, wenn China und Indien die gleiche Autodichte wie die USA oder Westeuropa erlangen, jedenfalls nicht mit dem Schadstoffausstoß vergangener Jahrzehnte. Aber gerade weil wir Emissionen reduzieren wollen, brauchen wir Wachstum. Außerdem lebt knapp eine Milliarde Menschen von weniger als einem Dollar pro Tag und hungert. Was soll ihnen denn anderes helfen als Wachstum? Wie soll man außerdem ohne Wachstum die Staatsschulden begleichen?


Ist das nicht ein Teufelskreis? Machen wir nicht immer neue Schulden, um einen mitunter verschwenderischen Lebensstandard zu finanzieren?
Natürlich finanzieren wir Wachstum größtenteils über Kredite, also über Schulden. Werden diese Kredite für Investitionen verwendet, verbessern sich die Lebensverhältnisse der Menschen. Allerdings muss man die Erfolgsaussichten der Investitionsprojekte gründlich prüfen. Gründen die Kredite spekulativ auf steigenden Immobilienpreisen wie in den USA geschehen, entsteht eine Blase, die irgendwann platzt. Das ging auf die Finanzinstitute und die Weltwirtschaft über. Verstärkt hat sich die Finanzkrise, weil die Mindestreservepflicht der Banken umgangen wurde und Staatsschulden von der Mindestreservepflicht ganz ausgenommen waren. Der Staat musste sog. systemrelevante Banken mit hunderten Milliarden Euro retten, um noch größere Schäden für die Bürger in Form einer weltweiten Depression abzuwehren. Es sind haarsträubende Fehler gemacht worden. Doch was heißt verschwenderisch? Würden wir alle gemeinsam ab morgen auf alles verzichten, was nicht unbedingt zum Leben nötig ist, hätten wir bald ein Ausmaß an Arbeitslosigkeit, das sich niemand vorstellen kann.


Aber wo kommt das Geld für neue Kredite her? Müssen Banken nicht immer mehr Geld drucken, was letztlich zu Inflation führt?
Natürlich: Eine Vermehrung der Geldmenge führt langfristig zu Inflation. Allerdings kann sogar eine unkontrollierte Erhöhung der Geldmenge durch die Banken kurzfristig durchaus Konjunktur- und Wachstumsimpulse geben. Grundsätzlich ist es auch möglich, dass die Banken nach Rückzahlung durch die Schuldner das geschöpfte Geld wieder zum Verschwinden bringen. Aber das tun sie nicht. Vielmehr nutzen sie den wiedergewonnenen Spielraum für neue Geldschöpfung. So kommt es mittel- bis langfristig zur Geldentwertung - sei es durch Inflation, sei es durch die partielle Enteignung der Sparer bei negativen Realzinsen wie gegenwärtig infolge der Geldflutung durch die Zentralbanken. Um Inflation zu vermeiden, müsste man die Geldschöpfung durch die Banken stärker kontrollieren.


Wie das?
Indem man die Mindestreservesätze erhöht und auch für Staatsanleihen Mindestreserven Pflicht werden. Außerdem kann man die Leitzinsen und damit die Schuldzinsen erhöhen und die faktische Bestandsgarantie für die "systemrelevanten" Banken zurücknehmen und für sie ein geregeltes Insolvenzverfahren einführen.


Zurück zum Wachstum: Jackson sagt, "wir wachsen, oder wir kollabieren".
Eine schöne Floskel. Natürlich kollabieren wir, wenn wir stehen bleiben. Die Resonanz auf solche Thesen ist in meinen Augen ein Anzeichen für ein müde gewordenes Europa, das den Wettbewerbsdruck und den Wachstumsstress leid ist. In anderen Erdteilen sehen die Menschen das völlig anders. Denen einen Wachstumsstopp zu predigen, empfinden sie als Zynismus und Kulturimperialismus. Diese Menschen brauchen nachhaltiges Wachstum, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können.


Sie haben eben das Wort nachhaltig gebraucht. Was verstehen Sie unter Wachstum?
Klassisch ist Wachstum nichts anderes als die Steigerung des BIP. Und gerade durch die Beseitigung von Umweltschäden und neue Umweltschutzmaßnahmen wachsen wir enorm. Der Umbau der Industrie hin zu erneuerbaren Energien, das alles schlägt sich in Wachstum nieder. All diese riesigen Überlandleitungen, die Elektroautos - das wäre ohne Wachstum gar nicht zu machen. Dass die archaische Form der Industrialisierung nicht mehr funktioniert, dämmert mittlerweile auch den Chinesen.


Das BIP wächst aber auch, wenn etwa nach Kriegen Neuaufbau ansteht. Warum ist Wachstum des BIP ein guter Indikator?
Kriege und Katastrophen sind das Gegenteil von Wachstum. Sie zerstören Wohlstand, auch wenn sie danach Wachstum wieder ankurbeln. Es gibt auch andere wichtige Indikatoren für Wohlstand, wie die durchschnittliche Lebenserwartung; manche Forscher nehmen die Körpergröße der Menschen als Indikator, weil sie davon ausgehen, dass gut ernährte Menschen größer werden. Auch mit Glück versucht man zu arbeiten. Das BIP pro Kopf ist allerdings immer noch der beste Indikator für den Wohlstand einer Gesellschaft, will man sich nur auf einen Indikator beschränken. Natürlich muss man sich fragen, wie man wachsen will. Wachstum geht auch mit Kokainanbau, mit Fracking, aber eben auch mit Erneuerbaren Energien. Wie eine Gesellschaft ihr Wachstum ankurbeln will, muss sie für sich entscheiden. Dann braucht es die entsprechenden Anreize, damit es in die richtige Richtung geht.


Kritiker sagen, unendliches Wachstum könne auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen nicht funktionieren.
Wer mit globaler Ressourcenknappheit für einen Wachstumsstopp argumentiert, missachtet die Probleme, vor denen Milliarden Menschen in den nächsten 50 Jahren stehen. Natürlich können wir den Planeten nicht einfach ausbeuten, ohne die ökologischen Risiken im Blick zu haben. Modernes Wachstum läuft darauf hinaus, Ressourcen zu schonen. Gerade deshalb und um Wachstum nachhaltig zu machen, muss man wachsen.


Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Nehmen Sie die Wiederverwertung: Wir werden irgendwann unsere alten Mülldeponien umgraben, weil wir die Werkstoffe darin benötigen.

Der Arbeitslohn, die Maschinen, die neuen Technologien, die wir dafür brauchen, den Müll umzuschichten: Das ist Wachstum und dafür braucht man Wachstum. All das führt zu einer Steigerung des BIP. Gegen diese Art von Wachstum wird man doch nicht polemisieren können.


Nein, aber dagegen, zu produzieren, nur um zu wachsen.
Das geschieht nicht wegen des Wachstums, sondern um die Versorgung der Menschen sicherzustellen. Wachstum ist kein Selbstzweck. Wir werden die Millenniumsziele der Vereinten Nationen ohne Wachstum meilenweit verfehlen.


Mit einer De-Globalisierung wie sie Niko Paech in seiner Postwachstumsökonomie fordert, braucht man Ihnen vermutlich nicht zu kommen.
Ich halte die Idee einer De-Globalisierung für gefährlichen Humbug. Das erinnert an die Dependenztheorien aus dem 1970er-Jahren, wo den sogenannten Entwicklungsländern die Abkopplung von den Industrieländern empfohlen wurde, ein Rückzug von den Märkten also. 20 Jahre später mussten diese Wissenschaftler ihre Theorien widerrufen: Die Länder, die sich dem Weltmarkt geöffnet hatten, wiesen höhere Pro-Kopf-Einkommen und größeren Wohlstand auf als die, die dieser Empfehlung gefolgt waren. Das Zurück in die schöne heile Welt, die so heil gar nicht war, hatten wir also schon.


Kann es also keinen Wohlstand ohne Wachstum geben?
Nein, die Idee eines stationären Zustands ist eine Illusion! Es gibt in der Wirtschaft langfristig nur Wachstum oder Rückschritt.
 
Ein Interview von Anna Gauto

Quelle:
Technik | Wissenschaft & Forschung, 20.01.2014
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2014 - Smarte Produkte erschienen.
     
        
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