Die Illusion des "nachhaltigen Wachstums"
Nachhaltigkeit als Beruhigung für das schlechte Gewissen unserer Gesellschaft
Das Versprechen eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums ist ein Widerspruch in sich. Wir müssen uns entscheiden: Wachstum wie bisher mit verheerenden Folgekosten oder Einsicht in die Begrenztheit aller irdischen Güter.
Politiker und Ökonomen singen pausenlos das Hohelied vom Wachstum als Verheißung und nie endendem Antrieb allen Schaffens. Und der Wachstums- und somit Renditehunger der Kapitaleigner scheint ebenso unendlich zu sein. Doch kein vernunftbegabter Mensch, zumal wenn er nicht durch die Gehirnwäsche eines Studiums der Wirtschaftswissenschaften gegangen ist, kommt an der Erkenntnis der Begrenztheit alles Irdischen vorbei. Die Bestseller von Meinhard Miegel ("Exit"), Harald Welzer ("Selbst Denken") und Robert & Edward Sidelsky ("Wie viel ist genug?") belegen deshalb ein großes Unbehagen vieler Menschen am Paradigma des endlosen Wirtschaftswachstums.
Nachhaltigkeit als Beruhigung für das schlechte Gewissen unserer Gesellschaft
Das schlechte Gewissen des Wohlstandsmenschen angesichts der Folgen des Wachstumswahns artikuliert sich in einem allgegenwärtigen Begriff: "Nachhaltigkeit". Er wurde 1987 von der Brundtland-Kommission der Vereinten Nationen geboren, besser: wiedergeboren. Ursprünglich stammt er vom Begründer der Forstwirtschaft Hans Carl von Carlowitz. Der hatte 1713 eine klare Vorstellung davon, "wie eine sothane [solche] Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen, daß es eine continuirliche beständige und nachhaltige Nutzung gebe, weil es eine unentbehrliche Sache ist, ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag".
Nur so viel verbrauchen, wie nachwächst. So viele Bäume pflanzen, wie man fällt. So einfach ist das. Die Automobilindustrie zum Beispiel wäre nur nachhaltig, wenn Energie und Rohstoffe, die zu Autos verarbeitet werden, komplett aus verschrotteten Altwagen oder nachwachsendem organischem Material gewonnen würden. Eine Automobilindustrie, die wächst, also morgen mehr Autos als heute baut, wird unweigerlich auf zusätzliche Rohstoffe angewiesen sein, selbst wenn sie immer weniger Erz und Erdöl pro zusätzlich produziertem Auto benötigt. Eine richtig verstandene Nachhaltigkeit bedeutet aber nicht, weniger begrenzte Ressourcen zu verbrauchen, sondern gar keine. Mehr zu verbrauchen, als nachwächst, oder begrenzte Vorräte der Natur auszubeuten, die gar nicht nachwachsen, ist nicht nachhaltig. Ein unbegrenztes Wachstum von was auch immer kann also keinesfalls nachhaltig sein.
Was macht der Kapitalismus aus der Nachhaltigkeit?
Das Konzept der Nachhaltigkeit ist einleuchtend einfach und überzeugend als Gegenentwurf zum kapitalistischen Versprechen eines unendlichen Wirtschaftswachstums. Doch der Kapitalismus umarmt bekanntlich, was ihm in die Quere kommt. Wie die antikapitalistische Jugendprotestbewegung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bald zu einer Sparte der Unterhaltungsindustrie wurde, soll nun auch die "Nachhaltigkeit" zu einem integralen Teil des Wirtschaftslebens werden.
Das Wunder des grünen Puddings
Wenn der Gedanke der Nachhaltigkeit das Unbehagen der Konsumenten, Angestellten und Wähler besänftigt, dann haben Unternehmen und Regierungen ein Interesse daran, ihn aufzugreifen. "Ihr könnt beides haben", lautet seither das Versprechen. Doch um einzuhalten, was nicht einzuhalten ist, muss der Nachhaltigkeitsbegriff entschärft werden. Die Brundtland-Kommission definierte 1987 eine "nachhaltige Entwicklung" als eine, "die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können." Dies lässt reichlich Interpretationsspielraum...
Diesen nutzen seither professionelle Nebelwerfer in Unternehmen, Parteien und Interessenverbänden ausgiebig. Sie drehen das Wörtchen "nachhaltig" solange durch den Fleischwolf der PR-Abteilungen und verwursten es mit "grün", bis kaum etwas vom ursprünglichen Sinn übrig bleibt - außer dem guten Image. Das Ziel der Sprachpanscherei ist, was Harald Welzer das "Wunder des grünen Puddings" nennt: Die scheinbare Aufhebung des Gegensatzes von Nachhaltigkeit und Wachstum. Nachhaltiges Wachstum ist ein ebenso unerfüllbarer Wunsch wie ein Pudding, den man gleichzeitig essen und behalten kann. Doch der grüne Pudding ist allzu verlockend für das Gewissen. Aus dem Widerspruch kommt man nur heraus, wenn man entweder von "qualitativem Wachstum" spricht, was Glück oder Lebensfreude oder was auch immer sein mag, nur eben kein Wirtschaftswachstum, das sich an der Produktion von Waren und Dienstleistungen bemisst. Oder dadurch, dass man die Wunschvorstellung von einem "nachhaltigen", "grünen" Wirtschaftswachstum nährt. So proklamiert zum Beispiel der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, "Intelligent wachsen!" sei die Lösung. In seinem gleichnamigen Buch skizziert er eine grüne Revolution. Statt Grenzen des Wachstums fordert Fücks das "Wachsen der Grenzen" oder "Wachsen mit der Natur". Von neuen "hocheffizienten Technologien" ist da viel die Rede und vor allem von der "Entkoppelung" des Ressourcenverbrauchs vom Wirtschaftswachstum. Aus meiner Sicht handelt es sich hier um eine "Grüne Illusion".
Effizienzgewinne sind nicht nachhaltig
Die Wirtschaftspolitiker aller Parteien versprechen sich von solch einer "grünen" Wirtschaftsstrategie Arbeitsplätze, Wettbewerbsvorteile, neue Märkte - kurz: neues Wirtschaftswachstum und einen "green new deal".
Tatsächlich ist das einzig neue und revolutionäre daran nur die grüne oder nachhaltige Worthülse. Denn der Inhalt ist alt: Effizienzsteigerungen gehören seit jeher zum Kapitalismus. Auch ein Hüttenbetreiber im frühindustriellen England kochte den Stahl dank verbesserter Verfahren mit immer weniger Kohle. Aber das Ergebnis solcher Fortschritte war nie, dass mit weniger Aufwand das Gleiche produziert, sondern dass der Gewinn sofort in Mehrproduktion umgesetzt wurde. Wirklich nachhaltig wären Effizienzsteigerungen nur, wenn sie bedeuteten, dass der Verbrauch an nicht nachwachsenden Rohstoffen und Land sowie die Belastung der Aufnahmefähigkeit der Ökosysteme durch Schadstoffe völlig aufhörte. Auch wer weniger Öl, Gas, Kohle, Erz oder was auch immer verbraucht, konsumiert endliche Naturressourcen. Er wirtschaftet vielleicht effizienter als seine Vorgänger, aber nicht wirklich nachhaltig. Es gibt sicher noch unentdeckte Vorräte in der Erde, aber sie sind eindeutig endlich. Eines Tages wird auch durch Fracking kein Gas oder Öl mehr aus den Tiefen zu pressen sein. Dann ist eine absolute Grenze des Wachstums erreicht - egal ob man es zuvor "grün" oder "nachhaltig" nannte. Wollen wir es wirklich so weit treiben?
Das rechte Maß finden
Wirtschaftswachstum erscheint derzeit für das Funktionieren staatlicher Institutionen notwendig. Aber das ist kein unabänderliches Naturgesetz, sondern liegt in der von Menschen gemachten Organisation der Wirtschaft und der Staaten begründet. Und die verändert sich, wenn Menschen es wollen. Nur wir selbst verdammen uns zum endlosen Wirtschaftswachstum. Wir sollten uns deshalb nicht aus Habgier und Verantwortungslosigkeit einreden, wir könnten beides zugleich haben: Unbegrenztes Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit, steigenden materiellen Wohlstand und ein unbeflecktes gutes Gewissen angesichts der Belastungen, die wir der Umwelt und unseren Nachkommen aufbürden. Die mahnende Inschrift des Orakels von Delphi ist aktueller als je zuvor: Nichts im Übermaß!
Des einen Freud, des anderen Leid: Regenerative Energieerzeugung gegen Landschaftsverschandelung und Naturschutz. |
Nachhaltigkeit als Beruhigung für das schlechte Gewissen unserer Gesellschaft
Das schlechte Gewissen des Wohlstandsmenschen angesichts der Folgen des Wachstumswahns artikuliert sich in einem allgegenwärtigen Begriff: "Nachhaltigkeit". Er wurde 1987 von der Brundtland-Kommission der Vereinten Nationen geboren, besser: wiedergeboren. Ursprünglich stammt er vom Begründer der Forstwirtschaft Hans Carl von Carlowitz. Der hatte 1713 eine klare Vorstellung davon, "wie eine sothane [solche] Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen, daß es eine continuirliche beständige und nachhaltige Nutzung gebe, weil es eine unentbehrliche Sache ist, ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag".
Nur so viel verbrauchen, wie nachwächst. So viele Bäume pflanzen, wie man fällt. So einfach ist das. Die Automobilindustrie zum Beispiel wäre nur nachhaltig, wenn Energie und Rohstoffe, die zu Autos verarbeitet werden, komplett aus verschrotteten Altwagen oder nachwachsendem organischem Material gewonnen würden. Eine Automobilindustrie, die wächst, also morgen mehr Autos als heute baut, wird unweigerlich auf zusätzliche Rohstoffe angewiesen sein, selbst wenn sie immer weniger Erz und Erdöl pro zusätzlich produziertem Auto benötigt. Eine richtig verstandene Nachhaltigkeit bedeutet aber nicht, weniger begrenzte Ressourcen zu verbrauchen, sondern gar keine. Mehr zu verbrauchen, als nachwächst, oder begrenzte Vorräte der Natur auszubeuten, die gar nicht nachwachsen, ist nicht nachhaltig. Ein unbegrenztes Wachstum von was auch immer kann also keinesfalls nachhaltig sein.
Was macht der Kapitalismus aus der Nachhaltigkeit?
Das Konzept der Nachhaltigkeit ist einleuchtend einfach und überzeugend als Gegenentwurf zum kapitalistischen Versprechen eines unendlichen Wirtschaftswachstums. Doch der Kapitalismus umarmt bekanntlich, was ihm in die Quere kommt. Wie die antikapitalistische Jugendprotestbewegung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bald zu einer Sparte der Unterhaltungsindustrie wurde, soll nun auch die "Nachhaltigkeit" zu einem integralen Teil des Wirtschaftslebens werden.
Das Wunder des grünen Puddings
Wenn der Gedanke der Nachhaltigkeit das Unbehagen der Konsumenten, Angestellten und Wähler besänftigt, dann haben Unternehmen und Regierungen ein Interesse daran, ihn aufzugreifen. "Ihr könnt beides haben", lautet seither das Versprechen. Doch um einzuhalten, was nicht einzuhalten ist, muss der Nachhaltigkeitsbegriff entschärft werden. Die Brundtland-Kommission definierte 1987 eine "nachhaltige Entwicklung" als eine, "die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können." Dies lässt reichlich Interpretationsspielraum...
Nachhaltige Entwicklung im Jahre 2014: Götterspeise oder grüner Wackelpudding? |
Diesen nutzen seither professionelle Nebelwerfer in Unternehmen, Parteien und Interessenverbänden ausgiebig. Sie drehen das Wörtchen "nachhaltig" solange durch den Fleischwolf der PR-Abteilungen und verwursten es mit "grün", bis kaum etwas vom ursprünglichen Sinn übrig bleibt - außer dem guten Image. Das Ziel der Sprachpanscherei ist, was Harald Welzer das "Wunder des grünen Puddings" nennt: Die scheinbare Aufhebung des Gegensatzes von Nachhaltigkeit und Wachstum. Nachhaltiges Wachstum ist ein ebenso unerfüllbarer Wunsch wie ein Pudding, den man gleichzeitig essen und behalten kann. Doch der grüne Pudding ist allzu verlockend für das Gewissen. Aus dem Widerspruch kommt man nur heraus, wenn man entweder von "qualitativem Wachstum" spricht, was Glück oder Lebensfreude oder was auch immer sein mag, nur eben kein Wirtschaftswachstum, das sich an der Produktion von Waren und Dienstleistungen bemisst. Oder dadurch, dass man die Wunschvorstellung von einem "nachhaltigen", "grünen" Wirtschaftswachstum nährt. So proklamiert zum Beispiel der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, "Intelligent wachsen!" sei die Lösung. In seinem gleichnamigen Buch skizziert er eine grüne Revolution. Statt Grenzen des Wachstums fordert Fücks das "Wachsen der Grenzen" oder "Wachsen mit der Natur". Von neuen "hocheffizienten Technologien" ist da viel die Rede und vor allem von der "Entkoppelung" des Ressourcenverbrauchs vom Wirtschaftswachstum. Aus meiner Sicht handelt es sich hier um eine "Grüne Illusion".
Effizienzgewinne sind nicht nachhaltig
Die Wirtschaftspolitiker aller Parteien versprechen sich von solch einer "grünen" Wirtschaftsstrategie Arbeitsplätze, Wettbewerbsvorteile, neue Märkte - kurz: neues Wirtschaftswachstum und einen "green new deal".
Tatsächlich ist das einzig neue und revolutionäre daran nur die grüne oder nachhaltige Worthülse. Denn der Inhalt ist alt: Effizienzsteigerungen gehören seit jeher zum Kapitalismus. Auch ein Hüttenbetreiber im frühindustriellen England kochte den Stahl dank verbesserter Verfahren mit immer weniger Kohle. Aber das Ergebnis solcher Fortschritte war nie, dass mit weniger Aufwand das Gleiche produziert, sondern dass der Gewinn sofort in Mehrproduktion umgesetzt wurde. Wirklich nachhaltig wären Effizienzsteigerungen nur, wenn sie bedeuteten, dass der Verbrauch an nicht nachwachsenden Rohstoffen und Land sowie die Belastung der Aufnahmefähigkeit der Ökosysteme durch Schadstoffe völlig aufhörte. Auch wer weniger Öl, Gas, Kohle, Erz oder was auch immer verbraucht, konsumiert endliche Naturressourcen. Er wirtschaftet vielleicht effizienter als seine Vorgänger, aber nicht wirklich nachhaltig. Es gibt sicher noch unentdeckte Vorräte in der Erde, aber sie sind eindeutig endlich. Eines Tages wird auch durch Fracking kein Gas oder Öl mehr aus den Tiefen zu pressen sein. Dann ist eine absolute Grenze des Wachstums erreicht - egal ob man es zuvor "grün" oder "nachhaltig" nannte. Wollen wir es wirklich so weit treiben?
Das rechte Maß finden
Wirtschaftswachstum erscheint derzeit für das Funktionieren staatlicher Institutionen notwendig. Aber das ist kein unabänderliches Naturgesetz, sondern liegt in der von Menschen gemachten Organisation der Wirtschaft und der Staaten begründet. Und die verändert sich, wenn Menschen es wollen. Nur wir selbst verdammen uns zum endlosen Wirtschaftswachstum. Wir sollten uns deshalb nicht aus Habgier und Verantwortungslosigkeit einreden, wir könnten beides zugleich haben: Unbegrenztes Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit, steigenden materiellen Wohlstand und ein unbeflecktes gutes Gewissen angesichts der Belastungen, die wir der Umwelt und unseren Nachkommen aufbürden. Die mahnende Inschrift des Orakels von Delphi ist aktueller als je zuvor: Nichts im Übermaß!
Von Ferdinand Knauß, Redakteur der WirtschaftsWoche
Quelle:
Umwelt | Ressourcen, 1/22/2014
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