Was kostet die Welt?
Begeisterung für Unternehmerische Naturkapitalbilanzierung
Die Begeisterung für die unternehmerische Naturkapitalbilanzierung wächst. Erste Unternehmen wie Otto, Puma und Novo Nordisk erfassen den Wert der Natur und integrieren ihn erfolgreich in die betriebliche Entscheidungsfindung. forum zeigt, wie Sie die Naturkapitalbilanzierung als neues Managementinstrument nutzen können.
Wasser- und Landverbrauch, CO2-Emissionen, Abfallproduktion und Luftverschmutzung, Ressourcen- und Energieeinsatz – heruntergebrochen auf diese oder andere Schlüsselindikatoren versuchen Unternehmen, die Umweltkosten zu berechnen, die bei der Produktion ihrer Güter entstehen. Puma kam so auf 145 Millionen Euro, der dänische Pharmakonzern Novo Nordisk errechnete 223 Millionen Euro und die Otto Group schätzt ihren ökologischen Fußabdruck auf mehr als 10 Prozent des Gesamtumsatzes. In all diesen Beispielen wird auch die Wertschöpfungskette der Unternehmen betrachtet, zurückverfolgt bis hin zur Produktion der Rohstoffe wie Baumwolle, Leder, Glukose oder Metalle. Genau in diesen Produktionsvorstufen liegt der Löwenanteil der Umweltschädigungen. Bei PUMA sind es 57 Prozent der ermittelten Umweltkosten, bei Novo Nordisk 39 Prozent. Die Emissionen von Treibhausgasen sind dabei der größte Kostenfaktor. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass das Beratungsunternehmen Trucost die Umweltkosten der Kohlestromerzeugung mit Abstand am höchsten einschätzt. Dementsprechend stehen Kohlestromanbieter auch an der Spitze des Rankings der größten Umweltverschmutzer.
Wie profitiert Business von der Natur?
Die Studien „The Economics of Ecosystems and Biodiversity (TEEB)" zeigen, dass Unternehmen von den (meist) kostenlos bereitgestellten Leistungen der Natur profitieren. Dies kann indirekt erfolgen, zum Beispiel durch die Schädlingsbekämpfung der Vögel oder Fledermäuse, die natürliche Wasseraufbereitung der Wälder, die CO2-Speicherleistung der Moore oder ganz offensichtlich durch die Nutzung von natürlichen Rohstoffen wie Holz oder Nahrungsmitteln wie Fisch. Wie groß dieser Beitrag für das wirtschaftliche Wohlergehen eines Unternehmens ist und welche positiven Effekte Unternehmen durch ihr Umweltengagement schaffen, ist ein weiterer Erkenntnisgewinn aus der Naturkapitalbilanzierung.
Der Baustoffkonzern Holcim hat zum Beispiel eine ökologische Kosten-Nutzen-Rechnung für die Renaturierung seiner Abbaustätten aufgestellt. Daraus ergibt sich, dass sich durch diese Maßnahmen ein gesellschaftlicher Nettonutzen von 1,1 Millionen Pfund (ca. 1,35 Millionen Euro) erzielen lässt. Der Chemieriese Dow Chemical wiederum untersucht, welche gesellschaftlichen Nutzen ökologische Lösungen zum Flutschutz oder zur Luftreinhaltung im Vergleich zu technischen Lösungen haben. Die Ergebnisse belegen die Vorteile der ökologischen Optionen und Dow Chemical nutzt dies u.a. als Argument, Aufforstung als Möglichkeit zur Luftreinhaltung von den staatlichen Behörden anerkennen zu lassen.
Was wird gemessen?
Immer mehr Unternehmen erkennen das Potenzial der ökonomischen Bewertung als unterstützendes Managementinstrument. Die Unternehmen identifizieren ihre ökologischen Hotspots und identifizieren damit wunde Punkte. Sie erhöhen die Transparenz ihres Betriebes und können die Risiken z.B. innerhalb der Lieferkette besser managen. Wird beispielsweise Wasser als natürliche Ressource immer knapper, hat dies unmittelbare Auswirkungen für viele Produktionsstätten, die den Betrieb im schlimmsten Fall sogar unterbrechen müssten. Eine Naturkapitalbilanzierung hilft Risiken zu minimieren und vorausschauend zu agieren. So können die Unternehmen frühzeitig auf neue gesetzliche Regulierungen – etwa neue Wasserspargesetze – reagieren, die andernfalls die Produktionskosten in die Höhe schießen lassen würden.
Warum der Aufwand?
Auch die Umweltauswirkungen verschiedener Materialien und Produktionstechnologien werden verglichen und abgewogen. Die Analyse der Lieferkette hilft dabei, unternehmensinterne Nachhaltigkeitsinitiativen dort zu lancieren, wo sie den größten Effekt haben. Schließlich belegen Unternehmen mit dem Instrument der Naturkapitalbilanzierung ihren positiven Beitrag für Umwelt und Gesellschaft und schaffen letztendlich eine Basis für ihre „soziale Betriebsgenehmigung" („social license to operate"). Unternehmen mit einer großen direkten Einwirkung auf die Natur wie Bergbau-Gesellschaften können damit zeigen, welchen Wert sie – beispielsweise durch die Renaturierung einer Abbaustätte nach der Nutzung – für die Gesellschaft schaffen.
Wie kommt man an Zahlen?
Das Interesse von Unternehmen, neben dem wirtschaftlichen auch das natürliche Kapital zu bilanzieren, wächst, doch es gilt noch Herausforderungen zu überwinden. Besonders die Verfügbarkeit von Daten stellt eine Hürde dar. Die Datenerhebung zur Analyse komplexer Lieferketten ist kostspielig. Ersatzweise werden deshalb ökonometrische Modelle zu Rate gezogen. Bei der eigentlichen monetären Bewertung gibt es eine Vielzahl von Methoden und Berechnungsgrundlagen, die auf Marktpreisen, vermiedenen Kosten oder auf Befragungen der betroffenen Bevölkerung basieren – alle haben Vor- und Nachteile. Hinzu kommt, dass es bisher noch kein allgemeingültiges Verfahren für die Naturkapitalbilanzierung gibt, weshalb Initiativen wie die Natural Capital Coalition derzeit intensiv an der Entwicklung solcher Rahmenwerke arbeiten. Die hohe Komplexität der Beziehung zwischen Emission und Schaden sowie der Funktions- und Regenerationsfähigkeit der Natur lassen vermuten, dass die Diskussionen noch einige Zeit brauchen werden. Beispielswiese stellt sich weiterhin die Frage, wie man mit irreversiblen Schäden oder mit zeitlicher Verzögerung der Schädigung, wie z.B. bei der Übernutzung der Fischbestände umgeht.
Bei allen noch ungelösten Fragen gilt, dass das Potenzial der ökonomischen Bewertung überwiegt. Um die Naturkapitalbilanzierung mittelfristig zu standardisieren und zu vereinfachen, bedarf es weiterer Unternehmensfallstudien. Informationen darüber, welche Schritte Unternehmen schon jetzt tun können, finden Sie in der Box auf der vorherigen Seite.
Was macht die Politik?
Auf Seiten der Politik wird die Naturkapitalbilanzierung erst zögerlich aufgenommen. So hat die EU- Kommission jüngst eine Plattform zum Austausch und Test von Methoden für Unternehmen ins Leben gerufen. Die spannende Frage bleibt, ob und welche Anreize und Auflagen die Politik den Unternehmen mit Blick auf die Bilanzierung von Naturkapital machen wird. Dies kann einerseits in Form von Projektförderungen oder Steuervergünstigungen erfolgen, andererseits in Form neuer Regulierungen und der Verpflichtung, die (externen) Umweltkosten offenzulegen. Das langfristige Ziel sollte es sein, die externen Kosten zu internalisieren, z.B. in Form einer umfassenden „Externalitätensteuer".
Gelingt es nicht, die Auswirkungen unseres Wirtschaftens auf die Natur zu messen und dafür Verantwortung zu tragen und im gesellschaftlichen „Mainstream" zu verankern, wird die Naturkapitalbilanzierung in Vergessenheit geraten. Dadurch würde eine große Chance für den Umbau der Wirtschaft hin zu einer ressourcenschonenden und emissionsarmen Green Economy vertan.
Mehr Informationen und eine ausführliche Studie zur Naturkapitalbilanzierung finden Sie unter
www.naturkapitalbilanzierung.de
Schritte zur Naturkapitalbilanzierung
Was Unternehmen schon jetzt tun können
1. Identifizieren Sie die für Sie wichtigen Ökosystemdienstleistungen und damit verbundene Risiken.
Welche Naturkapitalkomponenten sind für Sie am wichtigsten? Zur Identifikation der für Sie relevantesten Ökosystemdienstleistungen gibt es eine Vielzahl an Tools. Der vom Global Nature Fund entwickelte Biodiversitäts-Check beispielsweise hilft Ihnen, Abhängigkeiten und Auswirkungen auf die Biodiversität zu erkennen.
2. Nutzen Sie die Nachhaltigkeitsberichterstattung und das integrierte Reporting.
Ihr Nachhaltigkeitsreporting oder integriertes Reporting gewinnt an Qualität durch eine systematische unternehmerische Bewertung des Naturkapitals. Die ökonomische Bewertung kann Ihnen bei der Identifikation und dem Vergleich der wesentlichen Umweltaspekte dazu dienen, Risiken aufzeigen und Ihr Nachhaltigkeitsengagement messbar zu machen.
3. Fangen Sie klein an.
Sie brauchen nicht sofort mit einer konzernweiten ökologischen Gewinn- und Verlustrechnung zu beginnen. Im ersten Schritt können Sie die ökonomische Bewertung an einem Standort für eine bestimmte Entscheidungssituation oder zur Messung des Fußabdrucks eines Produkts entlang Ihrer Lieferkette verwenden. Beginnen Sie mit den Umweltauswirkungen, für die Daten und Methoden verfügbar sind.
4. Engagieren Sie sich in existierenden Initiativen.
Es gibt eine Vielzahl von internationalen Initiativen die sich mit dem Thema Naturkapitalbilanzierung beschäftigen. Durch eine aktive Beteiligung können Sie von den Erfahrungen von Pilot-Testern profitieren und die Weiterentwicklung der Methoden und Instrumente mitgestalten.
Naturkapitalbilanzierung als Inspiration für Nachhaltigkeitsberichte gemäß GRI
Im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung gehört es zu den spannendsten und herausforderndsten Aufgaben, die Inhalte für den Bericht festzulegen. Im Sinne der 2013 von der Global Reporting Initiative (GRI) veröffentlichten Leitlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (GRI G4) sollen Unternehmen über ihre positiven und negativen Auswirkungen auf Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft berichten. In der Praxis tun sich viele Unternehmen damit schwer, Themen auszuwählen und die Auswirkungen zu beziffern. Hier liefern die Bewertungskonzepte der Naturkapitalbilanzierung wertvolle Ideen und Ansatzpunkte. Denn durch die finanzielle Bewertung von externen Auswirkungen wird deren Vergleichbarkeit ermöglicht. Folgende Leitfragen können einen Expertendialog zur Bestimmung der wesentlichen Auswirkungen bereichern:
• Wie hoch wäre der finanzielle Aufwand für die Gesellschaft, um den entstandenen Schaden an Umwelt und Gesellschaft zu kompensieren bzw. dem Schaden vorzubeugen? (Ersatzkostenansatz) Bzw. wie hoch wäre der finanzielle Aufwand für die Gesellschaft, wenn das Unternehmen den positiven Beitrag nicht erbringen würde? (Net Positive Ansatz)
• Welche Wertschöpfungspotenziale gehen der Volkswirtschaft durch den Schaden verloren bzw. entstehen durch die positive Auswirkung? (Produktionswertansatz)
• Was ist es der Gesellschaft wert, sich für oder gegen eine Auswirkung der Unternehmenstätigkeit einzusetzen, bspw. durch Spenden oder Engagement in einer NGO? (Geäußerte Präferenzen Ansatz)
Naturkapitalbilanzierung ermöglicht damit nicht nur eine bessere Vergleichbarkeit von Abhängigkeiten und Auswirkungen, sondern auch eine bessere Einschätzung relevanter Wirkungszusammenhänge und Folgen unternehmerischer Tätigkeit. Natürlich gelten auch hier die klassischen Kritikpunkte an der Naturkapitalbilanzierung. Beispielsweise besteht oft ein unzureichendes Wissen über die Relevanz und den Wert einzelner Teile in einem komplexen ökologischen System (z.B. eines seltenen Falters). Da aber in praktischen Entscheidungssituationen schwer zu greifende und vergleichende Sachverhalte gegeneinander abgewogen werden müssen, bietet die Naturkapitalbilanzierungs-Debatte interessante Anstöße für die Wesentlichkeitsanalyse nach GRI G4.
Josephine Herzig und Thomas Petruschke
arbeiten im Bereich Strategieentwicklung und Kommunikation bei BSD Consulting.
Tobias Hartmann
ist Projektmanager beim Global Nature Fund, verfolgt die (internationalen) Entwicklungen im Bereich der Naturkapitalbilanzierung und sucht mit interessierten Unternehmen nach Problemlösungen und Verbesserungsmöglichkeiten.
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Umwelt | Biodiversität, 01.07.2014
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2014 - Tooooor! 3:0 für Nachhaltigkeit erschienen.
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