In den MINT-Fächern ist der Lehrkräftemangel besonders prekär
Interview mit den Autoren der MINT-Lehrerbedarfsprognose für NRW
An vielen allgemeinbildenen Schulen gehört Lehrkräftemangel bereits jetzt zum Alltag – in den MINT-Fächern ist die Situation besonders prekär.
Doch wie wird sich der Bedarf an MINT-Lehrkräften (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) und die Bedarfsdeckung bis zum Jahr 2025 entwickeln? In welchen MINT-Fächern wird die Deckung der Bedarfsquote besonders gering ausfallen? Welche Lösungen könnten dieser Entwicklung entgegenwirken?
Im Auftrag der Deutsche Telekom Stiftung ist der Essener Bildungsforscher Professor Klaus Klemm diesen Fragen nachgegangen und hat eine MINT-Lehrerbedarfsprognose für die Sekundarstufe I und II am Beispiel Nordrhein-Westfalens erstellt. Unter http://www.telekom-stiftung.de/klemm-studie stehen die Studienergebnisse zum Download zur Verfügung. Im gemeinsamen Interview mit Stiftungsgeschäftsführer Dr. Ekkehard Winter erläutert Professor Klemm die Ergebnisse.
Stiftung: Professor Klemm, welche Situation zeigen Ihre Untersuchungsergebnisse auf?
Klemm:
An weiterführenden Schulen in Nordrhein-Westfalen hat heute fast jede zweite MINT-Lehrkraft das 50. Lebensjahr bereits überschritten. Bis zum Jahr 2025 wird von den derzeit rund 52.000 Fachkräften knapp die Hälfte überwiegend altersbedingt aus dem Schuldienst ausscheiden.
Stiftung: Aber es rücken doch auch junge Lehrkräfte nach. Können diese die entstehende Lücke nicht ausfüllen?
Klemm: Natürlich rücken junge Lehrkräfte nach. Wenn aber nicht deutlich mehr Studienanfänger ein MINT-Fach wählen, wird der Nachwuchs in keinem der MINT-Fächer die entstehende Lücke schließen können. Ein ganz besonders hoher Mangel wird in den Fächern Technik, Physik und Chemie entstehen. Hier wird um 2025 nur zwischen etwa 20 und knapp 50 Prozent des Bedarfs gedeckt werden können.
Stiftung: Warum interessiert sich die Deutsche Telekom Stiftung für diese Zahlen?
Winter: Ein wichtiger Schwerpunkt unseres Stiftungsengagements ist die MINT-Lehrerbildung. Wir möchten nicht nur die Qualität der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften verbessern, sondern auch das Image des Berufs stärken. Das Lehramtsstudium und der spätere Beruf müssen für Abiturienten ein attraktives Ziel werden, vor allem in den MINT-Fächern, wo die Lücke besonders groß ausfällt. Professor Klemms Zahlen bestärken unsere Annahme, dass wir zwar auf dem richtigen Weg sind, aber noch stärker daran arbeiten müssen, um dem Mangel entgegen zu wirken.
Stiftung: Professor Klemm, welche Lösungsansätze schlagen Sie vor, um gegen diese Entwicklung vorzugehen?
Klemm: Um die derzeitige Situation zu verbessern, schlage ich vor, die vorhandenen MINT-Lehrkräfte an Schulen besser einzusetzen. Nicht alle Lehrkräfte mit Lehrbefähigung in einem MINT-Fach werden tatsächlich im entsprechenden Fachunterricht eingesetzt. Im Schuljahr 2012/13 reichten die Quoten der in ihrem MINT-Fach eingesetzten Gymnasiallehrkräfte von nur 70,6 Prozent bei Informatiklehrern bis hin zu 91,8 Prozent bei Mathematiklehrern. Die Gründe hierfür liegen unter anderem in der Schulorganisation, aber auch in dem derzeit praktizierten Rekrutierungsverfahren von Lehrkräften. So gibt es je nach Schule nicht nur eine Unter-, sondern zum Teil sogar eine Überversorgung mit MINT-Lehrkräften.
Stiftung: Welche Rolle spielen die ausbildenden Hochschulen bei der Lösung des Problems?
Klemm: Die Hochschulen sollten ihre Anstrengungen verstärken, mehr Lehramtsstudierende, die sich für ein MINT-Fach entschieden haben, zu einem erfolgreichen Studienabschluss zu führen. Dazu könnten sie durch eine Verbesserung der Qualität der Lehre ebenso wie durch verbesserte Beratung beitragen. Ebenso wichtig wäre es – aber darauf haben die Hochschulen kaum Einfluss – die Zahl der Studienanfänger und insbesondere die der Studienanfängerinnen in MINT-Fächern zu steigern. Wie viel da noch zu tun ist, zeigt zum Bespiel die Tatsache, dass Frauen derzeit nur etwa ein Viertel der Informatik-Lehrkräfte stellen.
Winter: Wichtig ist, dass nicht nur mehr junge Menschen sich für ein Lehramtsstudium entscheiden, sondern vor allem, dass diese Kandidaten hierfür besonders geeignet sind. Dieses Ziel verfolgt der von der Telekom-Stiftung unterstützte Hochschulverbund „Recruiting, Assessment, Support". Die TUM School of Education, die TU Berlin, die Leuphana Universität Lüneburg und die Universität Tübingen wollen Schülerinnen und Schüler für den Beruf des MINT-Lehrers begeistern, ihre Eignung für den Beruf frühzeitig feststellen, den Übergang Schule-Hochschule wirkungsvoll gestalten und die künftigen Lehrkräfte im Laufe ihres Studiums unterstützend begleiten. Wir sind der Überzeugung, dass dieses gemeinsame Projekt ein wichtiger Baustein ist um mehr geeignete Kandidaten für den Lehrerberuf zu finden und unterstützen die Hochschulen bis 2017 daher mit insgesamt 820.000 Euro.
Stiftung: Professor Klemm, in wieweit lassen sich die Ergebnisse von NRW auf das gesamte Bundesgebiet übertragen?
Klemm: In nahezu allen Bundesländern ist der Anteil der Lehrkräfte, die älter als 50 Jahre sind und daher innerhalb der kommenden 15 Jahre aus dem Schuldienst ausscheiden, hoch. Dies gilt für die neuen Bundesländer noch stärker als für die alten. Während in den westlichen Bundesländern die Schülerzahlen stagnieren oder auch sinken, werden sie – folgt man den Prognosen der Kultusministerkonferenz - in den östlichen Bundesländern noch ansteigen, was wiederum einen erhöhten Lehrerbedarf mit sich bringen wird. In den westlichen Bundesländern wird die Zahl der Studienanfänger in den kommenden Jahren sinken, so dass hier auch generell weniger angehende MINT-Lehrkräfte zu erwarten sind. Die Übertragbarkeit der für Nordrhein-Westfalen gefundenen Entwicklung – darauf muss ich ausdrücklich hinweisen – muss allerdings noch durch tiefer gehende Analysen überprüft werden.
Vielen Dank für das Interview.
Stiftung: Aber es rücken doch auch junge Lehrkräfte nach. Können diese die entstehende Lücke nicht ausfüllen?
Klemm: Natürlich rücken junge Lehrkräfte nach. Wenn aber nicht deutlich mehr Studienanfänger ein MINT-Fach wählen, wird der Nachwuchs in keinem der MINT-Fächer die entstehende Lücke schließen können. Ein ganz besonders hoher Mangel wird in den Fächern Technik, Physik und Chemie entstehen. Hier wird um 2025 nur zwischen etwa 20 und knapp 50 Prozent des Bedarfs gedeckt werden können.
Stiftung: Warum interessiert sich die Deutsche Telekom Stiftung für diese Zahlen?
Winter: Ein wichtiger Schwerpunkt unseres Stiftungsengagements ist die MINT-Lehrerbildung. Wir möchten nicht nur die Qualität der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften verbessern, sondern auch das Image des Berufs stärken. Das Lehramtsstudium und der spätere Beruf müssen für Abiturienten ein attraktives Ziel werden, vor allem in den MINT-Fächern, wo die Lücke besonders groß ausfällt. Professor Klemms Zahlen bestärken unsere Annahme, dass wir zwar auf dem richtigen Weg sind, aber noch stärker daran arbeiten müssen, um dem Mangel entgegen zu wirken.
Stiftung: Professor Klemm, welche Lösungsansätze schlagen Sie vor, um gegen diese Entwicklung vorzugehen?
Klemm: Um die derzeitige Situation zu verbessern, schlage ich vor, die vorhandenen MINT-Lehrkräfte an Schulen besser einzusetzen. Nicht alle Lehrkräfte mit Lehrbefähigung in einem MINT-Fach werden tatsächlich im entsprechenden Fachunterricht eingesetzt. Im Schuljahr 2012/13 reichten die Quoten der in ihrem MINT-Fach eingesetzten Gymnasiallehrkräfte von nur 70,6 Prozent bei Informatiklehrern bis hin zu 91,8 Prozent bei Mathematiklehrern. Die Gründe hierfür liegen unter anderem in der Schulorganisation, aber auch in dem derzeit praktizierten Rekrutierungsverfahren von Lehrkräften. So gibt es je nach Schule nicht nur eine Unter-, sondern zum Teil sogar eine Überversorgung mit MINT-Lehrkräften.
Stiftung: Welche Rolle spielen die ausbildenden Hochschulen bei der Lösung des Problems?
Klemm: Die Hochschulen sollten ihre Anstrengungen verstärken, mehr Lehramtsstudierende, die sich für ein MINT-Fach entschieden haben, zu einem erfolgreichen Studienabschluss zu führen. Dazu könnten sie durch eine Verbesserung der Qualität der Lehre ebenso wie durch verbesserte Beratung beitragen. Ebenso wichtig wäre es – aber darauf haben die Hochschulen kaum Einfluss – die Zahl der Studienanfänger und insbesondere die der Studienanfängerinnen in MINT-Fächern zu steigern. Wie viel da noch zu tun ist, zeigt zum Bespiel die Tatsache, dass Frauen derzeit nur etwa ein Viertel der Informatik-Lehrkräfte stellen.
Winter: Wichtig ist, dass nicht nur mehr junge Menschen sich für ein Lehramtsstudium entscheiden, sondern vor allem, dass diese Kandidaten hierfür besonders geeignet sind. Dieses Ziel verfolgt der von der Telekom-Stiftung unterstützte Hochschulverbund „Recruiting, Assessment, Support". Die TUM School of Education, die TU Berlin, die Leuphana Universität Lüneburg und die Universität Tübingen wollen Schülerinnen und Schüler für den Beruf des MINT-Lehrers begeistern, ihre Eignung für den Beruf frühzeitig feststellen, den Übergang Schule-Hochschule wirkungsvoll gestalten und die künftigen Lehrkräfte im Laufe ihres Studiums unterstützend begleiten. Wir sind der Überzeugung, dass dieses gemeinsame Projekt ein wichtiger Baustein ist um mehr geeignete Kandidaten für den Lehrerberuf zu finden und unterstützen die Hochschulen bis 2017 daher mit insgesamt 820.000 Euro.
Stiftung: Professor Klemm, in wieweit lassen sich die Ergebnisse von NRW auf das gesamte Bundesgebiet übertragen?
Klemm: In nahezu allen Bundesländern ist der Anteil der Lehrkräfte, die älter als 50 Jahre sind und daher innerhalb der kommenden 15 Jahre aus dem Schuldienst ausscheiden, hoch. Dies gilt für die neuen Bundesländer noch stärker als für die alten. Während in den westlichen Bundesländern die Schülerzahlen stagnieren oder auch sinken, werden sie – folgt man den Prognosen der Kultusministerkonferenz - in den östlichen Bundesländern noch ansteigen, was wiederum einen erhöhten Lehrerbedarf mit sich bringen wird. In den westlichen Bundesländern wird die Zahl der Studienanfänger in den kommenden Jahren sinken, so dass hier auch generell weniger angehende MINT-Lehrkräfte zu erwarten sind. Die Übertragbarkeit der für Nordrhein-Westfalen gefundenen Entwicklung – darauf muss ich ausdrücklich hinweisen – muss allerdings noch durch tiefer gehende Analysen überprüft werden.
Vielen Dank für das Interview.
Die Ergebnisse finden Sie hier http://www.telekom-stiftung.de/klemm-studie
Quelle: Deutsche Telekom AG
Gesellschaft | Bildung, 20.01.2015
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