Reisen mit Herz und Verstand
Die Reiseindustrie ist im Kreuzfeuer der Kritik.
Die Reiseindustrie ist im Kreuzfeuer der Kritik. Sie verbraucht zu viele Ressourcen, zerstört Landschaftsbilder, missachtet Menschenrechte und produziert zu viel Dreck. Das muss sich ändern und Nachhaltigkeit ist keine Utopie, sondern eine Chance. Wer sie nutzt, gewinnt! Neue Ideen und Projekte helfen Emissionen zu senken und machen das bewusste Reisen zu einem besonderen Erlebnis. Auch Firmen können profitieren: Nachhaltige Geschäftsreisen senken Kosten, steigern die Effektivität und verbessern die CO2-Bilanz! Das haben einige Akteure erkannt und so gibt es bereits viele Initiativen für grünes und soziales Engagement. Firmen passen ihre Reiserichtlinien an, Tourismusbetriebe lassen sich zertifizieren und Verbraucher entdecken neue Wege. In der Branche brodelt es, doch Umdenken fällt einigen nicht leicht. Mit unserem Schwerpunktthema bekommen Sie einen Einblick in die Reiseindustrie.
„Faireisen" geht
nur gemeinsam
Staat,
Unternehmen und Verbraucher sind die maßgeblichen Akteure einer nachhaltigen
Entwicklung – das gilt auch im Tourismus. In 23 Ländern, darunter
Großbritannien, Polen und Kanada, gibt es ein Ministerium für Tourismus; in
Deutschland spielt sich die Tourismuspolitik in 5 der 14 Ministerien ab. Das
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) nimmt sich dabei
federführend des Themas an: Es stellt den Tourismusbeirat mit der amtierenden
Tourismusbeauftragten, Iris Gleicke und „Nachhaltigkeit und soziale
Verantwortung" ist eines der 7 Kernthemen der Tourismuspolitik im BMWi.
Auch das Bundesumweltministerium betätigt sich auf diesem Gebiet: Im Rahmen der Reiseanalyse 2014 wurde die Einstellung der Deutschen zum nachhaltigen Reisen untersucht. Das Ergebnis lässt sich sehen: 31 Prozent empfinden die ökologische Verträglichkeit ihrer Urlaubsreise als wichtig, 38 Prozent möchten sozialverträglich reisen!
Das
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft fördert den Tourismus für
die Entwicklung des ländlichen Raumes. Das Bundesministerium für wirtschaft Zusammenarbeit nutzt den Tourismus als Instrument für Entwicklungsarbeit. Und die
Themen „Corporate Social Responsibility" und „Barrierefreies Reisen" werden im
Bundesministerium für Arbeit und Soziales besprochen. Zur Förderung des nachhaltigen
Reisens werden Projekte umgesetzt,
Leitfäden entwickelt und Studien erstellt. Die touristischen Akteure arbeiten
dabei Hand in Hand.
Grünes Engagement
der Wirtschaftsverbände
Als Dachverband
Deutscher Tourismusregionen setzt sich der Deutsche Tourismusverband in
Nachhaltigkeitsfragen ein: Mit dem neuesten Projekt: „Kriterienentwicklung für
nachhaltige Tourismusdestinationen" will der Verein seinen 100 Mitgliedern
einen weiteren Wegabschnitt zur Nachhaltigkeit aufzeigen. Auch der Deutsche
Reiseverband (DRV) als führender Interessensvertreter deutscher
Reiseveranstalter und Reisevermittler engagiert sich: 2009 übernahm er die
Schirmherrschaft von Futouris, der größten Nachhaltigkeitsinitiative in
Deutschland. Die Verbesserung der Lebensverhältnisse, der Erhalt der
biologischen Vielfalt und der Umwelt- und Klimaschutz sind die drei Kernthemen
von Futouris. Mit der eigenen Nachhaltigkeitsauszeichnung „EcoTrophea" prämiert
der DRV außerdem jährlich Initiativen, die einen besonderen Beitrag zur
nachhaltigen Tourismusentwicklung leisten. Und hier dürfte die Entscheidung
nicht leicht fallen: Längst gehen viele touristische Unternehmen weit über die
gesetzlichen Mindeststandards hinaus und erfüllen damit die Ansprüche eines
verantwortlichen Wirtschaftens, also der Corporate Social Responsibility (CSR).
Im Rahmen des CSR-Engagements der Unternehmen dürfte nachhaltiges Reisen in den
kommenden Jahren sehr stark in den Fokus rücken. Das unterstützt auch der
Verband Deutsches Reisemanagement (VDR). Jüngst veröffentlichte der VDR
„Empfehlungen für grüne Elemente in der Reiserichtlinie". Ein sehr wichtiger
Beitrag, denn trotz steigendem Bewusstsein für Nachhaltigkeit haben bislang nur
wenige Unternehmen ihre Reiserichtlinien angepasst. Mit dem Siegel Certified
Green Hotel® hat der VDR bereits 2011
ein umweltfreundliches Zertifikat für die Geschäftshotellerie entwickelt.
Im Dschungel der
Siegel
Insgesamt gibt es
140 Siegel und Zertifikate für nachhaltigen Tourismus weltweit! Die ersten
deutschen Siegel wurden Ende der 90er-Jahre entwickelt. Sie sollen das
nachhaltige Engagement der Hotels, Reiseveranstalter und Destinationen
bezeugen. Doch gezeigt hat sich bislang vor allem zweierlei: Chaos und Verwirrung
für Nutzer und Reisende. Die Branche spricht vom Zertifikate-Dschungel. Dabei
sucht sie händeringend nach einem Zertifikate-Leuchtturm. Doch das scheitert
an der geringen Marktdurchdringung, unzureichender Bekanntheit und am
fehlenden Vertrauen von Anbietern und Nachfragern. Erste Bündelungsversuche gab
es kurz nach der Jahrtausendwende: Etwa die europäische Initiative VISIT, eine Plattform
für Öko-Labels, oder die deutsche Dachmarke Viabono. 2002 wurde sie als
einheitliches Ökolabel für das Gastgewerbe konzipiert und hat aktuell rund 100
Hotels im Bestand. Das erfolgreiche Biohotel-Siegel ist vielen Hoteliers
einerseits zu anspruchsvoll und andererseits zu sehr auf Bio beschränkt. Das
gewünschte Flaggschiff unter den Hotel-Zertifikaten lässt somit auf sich
warten. Die Schwierigkeit liegt darin, ein Zertifikat zu entwickeln, dessen
Kriterien und Kontrollen stark genug sind, um Nachhaltigkeit zu erzielen und
Glaubwürdigkeit zu verbreiten, ohne dabei die Hürden für Unternehmen zu hoch zu
stecken. Und so gibt es immer neue Verbände, Initiativen und Projekte, die es
noch „besser" machen wollen. Für mehr Durchblick im Label-Treiben
veröffentlichte Tourism Watch zusammen mit ECOTRANS und anderen im April dieses
Jahres einen „Wegweiser durch den Labeldschungel 2014" (siehe Graphik).
Bewusste
Verbraucher finden Angebote nicht
Für 70 Prozent
der Geschäftsreisenden ist Nachhaltigkeit bei der Buchung von großer Bedeutung.
84 Prozent gehen davon aus, dass die Bedeutung noch steigen wird. Dies besagt
die Studie „Chefsache Business Travel 2014" des Deutschen Reiseverbandes. Bei
den Urlaubsreisenden sind es knapp 40 Prozent, die nachhaltig reisen möchten.
Dennoch ist der Marktanteil nachhaltiger Hotelbetriebe vergleichsweise klein.
Die jüngste Veröffentlichung des Bundesumweltministeriums zeigt warum: Die
größten Buchungshürden für Interessierte an nachhaltigen Reisen sind fehlende
Informationen (43 Prozent) und ein begrenztes Angebot (32 Prozent). Die
Schwierigkeit liegt in der geringen Reichweite der nachhaltigen Hotels. Sie
schaffen es nicht, ihr Engagement ausreichend zu bewerben und so mangelt es
ihnen an Bekanntheit. Schlimmer noch: Sie bewerben es falsch und laufen Gefahr,
unglaubwürdig zu erscheinen.
Gatekeeper Buchungsportale
Um ihre
Reichweite zu erhöhen, schließen sich viele Hotels den Buchungsportalen an: Wer
eine Unterkunft sucht, vergleicht die Angebote bei HRS, Booking.com, Expedia
oder Trip-Advisor. Das gilt für Geschäfts- und Privatreisen gleichermaßen.
Laut einer Studie des Deutschen Reiseverbandes buchen 65 Prozent aller
Angestellten in deutschen Unternehmen ihr Hotel selbst – überwiegend online.
Auch Travelmanager arbeiten häufig mit den Hotelportalen zusammen. Insgesamt
haben fast 24 Millionen Deutsche bereits ein Hotelzimmer im Netz gebucht –
größtenteils über Portale. Bis 2017, schätzt Roland Schegg von der
Schweizerischen Tourismusfachschule in Siders, wird die Hälfte aller
Hotelbuchungen auf diesem Weg erfolgen. Kein Wunder: Inzwischen sind 90 Prozent
aller Hotels in Deutschland an mindestens ein Portal angeschlossen. Doch
darin gehen die nachhaltigen Angebote oft unter. Die ersten Buchungsportale
haben zwar begonnen, „grüne" Filter
einzubauen, aber es geht nur langsam voran.
„Viele Hotels haben sich bereits zertifizieren lassen, werden jedoch nicht sichtbar gemacht. Viele Reisende wollen diese Hotels buchen, finden sie aber nicht. Vermutlich schrecken die Buchungsportale vor einem zu hohen administrativen Aufwand zurück.", so Marco Giraldo von TourCert.
Der TourCert-Check - Ein Zertifikat für Einsteiger
Das Programm soll den touristischen Unternehmen den Einstieg in das Thema Nachhaltigkeit im eigenen Alltagsgeschäft erleichtern. Es wurde als ein einfaches Selbstbewertungssystem entwickelt, das den Unternehmen unkompliziert und schnell einen Überblick geben soll, wie es um die eigene Nachhaltigkeit steht. Es handelt sich hier also um ein erstes Commitment zu Nachhaltigkeit, das eine spätere Zertifizierung erleichtern soll. Durch das Selbstbewertungssystem wird ein CSR-Index berechnet und nach Erreichung einer „Mindestpunktzahl" wird das Unternehmen mit dem Logo „TourCert Check" gekennzeichnet. Das Unternehmen muss ein Mal pro Jahr 3 Verbesserungsmaßnahmen bei TourCert einreichen und die Erreichung der vergangenen Ziele nachweisen.
Lifestyle | Sport & Freizeit, Reisen, 01.01.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2015 - Grünes Reisen im Trend erschienen.
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