Wir bauen eine neue Stadt
Aus dem Konzept Cradle to Cradle kann eine neue Bildungsidee entstehen. Schulen werden dann Labore des Wandels und Kathedralen einer neuen Gesellschaft.
„Wir bauen eine neue Stadt" heißt es in dem Singspiel für Kinder, das Paul Hindemith 1930 komponierte und das mir in der Neue-Deutsche-Welle-Fassung der Gruppe „Palais Schaumburg" nie mehr aus dem Kopf ging. „Holst du mir Wasser, rühr ich den Kalk. ... Wir bauen eine neue Stadt, sie soll die allerschönste sein."
Dieses Stück ist mir der Sound zu der Idee geworden, dass Schulen die Kathedralen der Gesellschaft werden sollten. Kathedralen? Sie waren im Mittelalter Treffpunkte und Besinnungsorte. Markt und Andacht. Politik und Messe. Meinungsund sogar Liebesmarkt. Das alles in einem Bau, der wie eine Skulptur verkörperte, woran die Menschen glaubten. Vielleicht überblenden wir das Bild von der „Kathedrale" mit dem vom „Labor". Im Labor wird das moderne, säkulare Jenseits erschaffen, unsere Zukunft. Labore wären in diesem Fall nicht nur in den Räumen untergebracht. Die Räume selbst, ihre Gestaltung und Verwandlung wären Labor, wenn an deren baulicher wie geistiger Architektur gearbeitet wird, inklusive des benutzten Materials. Das "Kathedralenlabor" wäre also ein großer Selbstversuch.
Neue Schulen braucht das Land
Dieser Gedanke hat mich erneut ergriffen, seit ich Michael Braungart kennen gelernt habe. Für Schulen steckt in seinen Cradle to Cradle Ideen viel drin. Es beginnt wie immer bei einem selbst, also mit der Untersuchung der unmittelbaren Umgebung. Zum Beispiel die Baumaterialien der Gebäude, die Stoffe der Einrichtungen und der alltäglichen Dinge ernst nehmen, sie untersuchen und erneuern. Was wäre das für ein Einstieg der Schüler in die Naturwissenschaften! Denn, es kommt auf eine andere Haltung an. „Nichts ist egal" – so könnte das Motto von Schulen und anderen Bildungshäusern lauten, die Labore des Wandels werden. Statt ständiger Belehrung, häufig vermischt mit schlechter Laune, eine Schule, in der Lehrer aufhören zu jammern und sich erlauben, die Probleme selbst zu lösen. Und statt in alter Pädagogentradition mit dem sogenannten späteren Leben zu drohen, nun vielleicht auch noch angereichert mit der angekündigten Umweltkatastrophe oben drauf, ab sofort der Einstieg in das große Projekt der Erneuerung unserer Zivilisation. Ihrer Verschönerung und Verbesserung. Eine neue Bildung der Bildung durch Genauigkeit, durch intelligente und lustvolle Partnerschaften mit der Natur. Bildung würde das Abenteuer von Verwandlungen.
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Zukunftswerkstätten für Sinn
Vielleicht ist dies das Hauptproblem der vielen in der Schule verbrachten Jahre: dass es kaum lohnende Aufgaben gibt. Immer nur Simulation. Es wird selten etwas gemacht, das positive Spuren in der Welt hinterlässt. Dabei wird Sinn zur Mangelressource. Da helfen auch keine Methoden zur Motivation. Aber wenn man weiß, dass heute Teppiche entwickelt sind, die, statt mit ihren Ausdünstungen schlechte Luft zu machen, diese reinigen, dass Häuser möglich sind, die mehr Energie erzeugen als verbrauchen, ja selbst Fabriken, die das für die Produktion benötigte Wasser sauberer abgeben können, als sie es aufgenommen haben, dann kann man doch nicht länger zusehen, dann muss man doch in seiner Umgebung und bei sich selbst anfangen. So könnten Schulen wirklich Zukunftswerkstätten werden. Oder eben Kathedralenlabore. Und natürlich müssen sie schön sein!
Von Reinhard Kahl
REINHARD KAHL
ist Erziehungswissenschaftler, Journalist und Filmemacher. Im Zentrum seiner Arbeit stehen die Lust am Denken und Lernen, die Zumutung belehrt zu werden und die endlosen Dramen des Erwachsenwerdens. Er ist GrimmePreisträger, Mitbegründer des Cradle to Cradle – Wiege zur Wiege e.V. und Vorstandsmitglied.
Foto: © David Aussenhofer
Gesellschaft | Bildung, 15.11.2014
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