Das Adrenalinzeitalter

Leben auf der Überholspur

Sie leben unter der Diktatur des Adrenalins. Sie suchen immer den neuen Kick und das nicht nur im beruflichen Umfeld. Sie kommen selbst in der Freizeit nicht zur Ruhe. Dann sollten Sie vorsichtig sein: Adrenalinjunkies von heute sind die Burnout-Patienten von morgen.

© KKHMehr als 41 Prozent aller Beschäftigten geben an, sich in der Freizeit nicht mehr erholen zu können. Tendenz steigend. Wen wundert es? Anstatt sich mit „Power-Napping", also dem guten alten Nickerchen oder „Extrem-Couching" in der Freizeit Ruhe und Entspannung zu gönnen, betreiben sie vermehrt Extremsportarten wie Fallschirmspringen, Para­gliding, Extremclimbing oder Marathonlauf. Sie hasten aber nicht nur atemlos durchs Tempoland Freizeit und Familie, sondern auch durch ihr Berufsleben.

Vollgas per Flatrate
Ständige Erreichbarkeit heißt die Lebens-Losung, eine so genannte Blackberry-Manie ist ausgebrochen. SMS, E-Mails und virtuelle Kommunikation über die halbe Weltkugel bestimmen das Leben. Wer heute seine E-Mails nicht überall online checken kann, ist out. Smartphones, PDAs und Laptops mit den unterschiedlichsten Kommunikationsmöglichkeiten machen dieses Turboleben möglich und bezahlbar. Flatrates der Telekommunikationsanbieter begünstigen den Adrenalin-Junkie. Klar, die Anforderungen im Beruf werden immer größer. Ein Meeting jagt das nächste, ständig klingelt das Telefon, viele Tätigkeiten sollen gleichzeitig erledigt werden. Da ist Multitasking gefragt. Aber irgendwann ist dieser Druck Stress pur.

Stress kostet Geld
60 Prozent der Fehltage gehen inzwischen auf Stress zurück. Stress ist mittlerweile das zweithäufigste arbeitsbedingte Gesundheitsproblem. Nicht umsonst hat die Weltgesundheitsorganisation WHO Stress zur größten Gesundheitsgefahr im 21. Jahrhundert erklärt. Schätzungen zufolge belaufen sich die Kosten, die der Wirtschaft in den EU-Ländern dadurch entstehen im dreistelligen Milliardenbereich. Die häufigsten Auslöser für den Stress sind unsichere Arbeitsverhältnisse, hoher Termindruck, unflexible und lange Arbeitszeiten, Mobbing und nicht zuletzt die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie. Neue Technologien, Materialien und Arbeitsprozesse bringen ebenfalls Risiken mit sich.

Mit jeder Krise steigt der Druck
Achtung: Karriereleitern sind ohne bewusste Auszeiten keineswegs Einbahnstrassen nach oben! © KKHGerade in Zeiten von Wirtschaftskrisen bauen Unternehmen und Verwaltungen immer mehr Personal ab. Hetze und Mehrarbeit aufgrund von Arbeitsverdichtung sind die Folge. Zieht die Wirtschaft wieder an, werden viele offene Stellen nicht mehr neu besetzt. Das Ergebnis: Viele Arbeitnehmer leisten massive Überstunden.

Auch Arbeitnehmer, welche sich nicht angemessen wertgeschätzt fühlen, leiden unter Stress. Sie haben ein doppelt so hohes Risiko, an einem Herzinfarkt oder einer Depression zu erkranken. Druck und Mehrarbeit über einen langen Zeitraum führen somit zu einer Produktivitäts-Senkung. Gemäß einer Schätzung des Kölner Angstforschers Wilfried Panse leisten Mitarbeiter schon lange vor einem Zusammenbruch 20 bis 40 Prozent weniger als gesunde Mitarbeiter.

Vorgesetzte verursachen Stress
Wenn Vorgesetzte Ziele schwach oder ungenau formulieren und gleichzeitig Druck ausüben, erhöhen sich die stressbedingten Ausfallzeiten, die dann von den stressresistenteren Mitarbeitern aufgefangen werden müssen. Eine Spirale, die sich immer weiter in Richtung Abgrund bewegt. Laut Gesundheitsbericht der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) geht jeder zehnte Fehltag auf das Konto stressbedingter Krankheiten. Vielleicht sollten die Krankenkassen verstärkt in die Vermeidung Stress verursachender Aufgaben und Tätigkeiten investieren, statt Milliarden in die Behandlung von gestressten oder bereits von Burnout betroffenen Menschen zu stecken. In meiner Managerausbildung lernte ich bereits vor 20 Jahren: „Du musst das Problem an der Wurzel anpacken". Vorbeugen ist immer besser als reparieren.

Wann hören Sie auf, Geld aus dem Fenster zu werfen?
Haben Sie sich mal für Ihr Unternehmen gefragt, wie viel Geld Sie für durch Stress verursachte Ausfallzeiten bezahlen? Unternehmer, Führungskräfte, Personalverantwortliche und Selbstständige müssen sich deshalb die Frage stellen, wie Stress im Unternehmen verhindert oder gemindert werden kann um somit die Produktivität und Effektivität zu steigern und Kosten zu sparen. Doch anstatt in Stresspräventionstrainings zu investieren, stehen weiterhin die Verkaufs- und Kommunikationsfähigkeiten des Personals im Fokus.

Streichen Sie das Wort Stress aus Ihrem Vokabular!
Der Satz „Ich bin im Stress" ist zum Statussymbol geworden, denn wer so viel zu tun hat, dass er gestresst ist, scheint eine gefragte und wichtige Persönlichkeit zu sein. Es gehört zum guten Ton keine Zeit zu haben und im Stress zu sein, sonst könnte ja Ihr Gegenüber meinen, Sie seien faul, hätten keine Arbeit oder seien ein Versager. Überprüfen Sie einmal bei sich selbst oder in Ihrem unmittelbaren Freundeskreis die Wortwahl: Die Mutter hat Stress mit ihrer Tochter, die Nachbarn haben Stress wegen der neuen Garage, der Vater hat Stress, weil er die Winterreifen wechseln muss, der Arbeitsweg ist stressig, weil so viel Verkehr ist, der Sohn kann nicht zum Sport, weil die Hausaufgaben ihn stressen, die Tochter hat Stress mit ihrer besten Freundin – und dadurch keine Zeit sich um den gestressten Hund zu kümmern, …

Ich bin gespannt, wie viele dieser Aussagen Sie in Ihrer Familie und in Ihrem Freundeskreis entdecken. Unterscheidet man diese Bagatellen nicht von echtem Stress, dann besteht die Gefahr, dass wirkliche Stress- und Burnout-Signale nicht mehr erkannt werden. Die Gefahr, in die Stress-Spirale zu geraten, steigt. Eine Studie des Schweizer Staatssekretariats für Wirtschaft untermauerte dies bereits damit, dass sich 82 Prozent der Befragten gestresst fühlen, aber 70 Prozent laut eigenen Aussagen Ihren Stress im Griff haben. Entschuldigen Sie meine provokante Aussage: Dann haben Sie keinen Stress.

Überlastung
Wenn die Arbeit zur dauerhaften Überlastung führt, drohen gesundheitliche Schäden. Sowohl Mitarbeiter, als auch das Unternehmen leiden darunter und Kollegen müssen Ausfälle kompensieren. © KKHEs gibt viele Situationen von Überlastung. In Medizin, Technik, Psyche und Sport etc. sehen wir jeden Tag Überlastungen. Das Internet, das Stromnetz oder das Telefonnetz kann ebenso überlastet sein, wie der Kreislauf oder das Herz. Die Fachliteratur bezeichnet Überlastung als „momentan über dem Limit" oder „kurzzeitig mehr als erlaubt". Wichtig ist hier das Wörtchen „momentan". Jeder von uns Menschen ist so gebaut, dass er kurzzeitig über seine Grenzen hinausgehen kann. Jeder von Ihnen kennt das Gefühl etwas Besonders geleistet zu haben. Sie fühlen sich wohl dabei und sind hinterher meist stolz auf das in der Überlastung Geleistete. Sehen Sie Licht am Horizont, dann spricht die Stressforschung von Überlastung und nicht von Stress. Also dann, wenn der Vorgang, die Tätigkeit oder die Aufgabe für Sie absehbar und kalkulierbar ist. Dieser Vorgang ist aber von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Zum Beispiel fühlt sich ein Marathonläufer nach 20 km überhaupt nicht überlastet, aber der übergewichtige Mensch, der Schwierigkeiten hat, zwei Stockwerke hochzusteigen, mit Sicherheit. Für den einen ist es keine Überlastung, für den anderen ist es Stress.  

Echter Stress
Echten Stress hat ein Mensch, der dauerhaft zu viel Arbeit, zu viele Aufgaben, zu viele Sorgen hat. Es gibt unzählige Definitionen von Stress und leider ist eine Eindeutigkeit oder eine Norm bis heute nicht gegeben. Stress ist individuell, unberechenbar, nicht greifbar. Es gibt kein Allheilmittel dagegen, da jeder Mensch Stress anders empfindet und somit auch die Vorbeuge- und Behandlungsmaßnahmen unterschiedlich sind.

Nachfolgende Definition von Stress gilt als richtungsweisend:

„Stress ist heute die allgemeine Bezeichnung für körperliche und seelische Reaktionen auf äußere oder innere Reize, die wir Menschen als anregend oder belastend empfinden. Stress ist das Bestreben des Körpers, nach einem irritierenden Reiz so schnell wie möglich wieder ins Gleichgewicht zu kommen". (Schweizer Institut für Stressforschung, 2005)

Die Verwaltungsberufsgenossenschaft hat diesbezüglich auch eine eigene mathematische Formel aufgestellt.

Diese einfache Rechenformel zeigt, je mehr eigene Möglichkeiten Sie haben, je mehr Unterstützung Sie intern und extern bekommen und je mehr Faktoren Sie zur Stressbewältigung unter dem Bruchstrich einsetzen, desto geringer ist Ihr Stressfaktor.

Burnout
Als letzte Stufe des Stresses tritt das sogenannte Burnout auf. Nun hilft keine Medizin und Prävention mehr; jetzt muss eine langfristige Auszeit unter professioneller Begleitung her. Ohne fremde Hilfe können Sie der Burnout-Spirale nicht entkommen. Die Wiedereingliederung eines Burnout-Klienten zurück in die Arbeitswelt ist sehr aufwendig. Meist gelingt das erst nach einem Jahr Auszeit, oft auch gar nicht. Nach einer Studie der Freiburger Unternehmensgruppe Saaman haben 45 Prozent von 10.000 befragten Managern Burnout-Symptome.

Die gebräuchlichste Definition von Burnout stammt von Maslach & Jackson: „Burnout ist ein Syndrom der emotionalen Erschöpfung, der Depersonalisation und der reduzierten persönlichen Leistung, das bei Individuen auftreten kann, die auf irgendeine Art mit Leuten arbeiten oder von Leuten beeinflusst werden".

Burnout entsteht nicht in Tagen oder Wochen. Burnout entwickelt sich über Monate bis hin zu mehreren Jahren. Das Symptom steigert sich stufenweise mit physischen, emotionalen und mentalen Erschöpfungszuständen. Dabei kann es immer wieder zu zwischenzeitlicher Besserung und Erholung kommen. Der fließende Übergang von der normalen Erschöpfung über den Stress zu den ersten Stadien des Burnouts wird oft nicht erkannt, sondern als „normale" Entwicklung akzeptiert. Reagiert der Betroffene in diesem Zustand nicht auf die Signale, die sein Körper ihm permanent mitteilt und ändert der Klient seine inneren oder äußeren Einfluss- und Stressfaktoren nicht, besteht die Gefahr einer sehr ernsten Erkrankung. Diese Signale können dauerhafte Niedergeschlagenheit, Ermüdung, Lustlosigkeit aber auch Verspannungen und Kopfschmerzen sein. Meist kommt es zu einer kreisförmigen, gegenseitigen Verstärkung der einzelnen Komponenten.

Burnout verbrennt Geld und Menschen
Leider ist Burnout in den meisten Firmen ein Tabuthema – die Dunkelziffer ist groß. Betroffene Arbeitnehmer und Führungskräfte schieben oft andere Begründungen für ihren Ausfall vor – aus Angst vor negativen Folgen, wie zum Beispiel den Verlust des Arbeitsplatzes. Oder einfach weil man sich sein Problem nicht eingestehen will. Zum Wohle aller Beteiligten muss deshalb ein Umdenken stattfinden! Wen kann es treffen? Theoretisch sind alle Menschen gefährdet, die nicht auf die Signale des Körpers achten. Vorwiegend trifft es einsatzbereite und engagierte Mitarbeiter, Führungskräfte und Selbstständige. Meist werden diese von Vorgesetzten geschätzt, von Kollegen bewundert, vielleicht auch beneidet. Mein Tipp: Als verantwortlicher Manager und Unternehmer sollten Sie deshalb nicht nur auf Ihre Mitarbeiter, sondern auch auf sich selbst achten.

Peter Buchenau
ist mehrfach ausgezeichneter Führungsquerdenker, Geschäftsführer der eibe AG, Keynote-Speaker, Autor, Kabarettist, Dozent an der Hochschule Karlsruhe und Referent an der Hochschule St. Gallen. Seinen Karriereweg startete Buchenau als Führungskraft bei internationalen Konzernen. 2002 gründete er in der Schweiz das Beratungsunternehmen The Right Way. 2007 folgte die Niederlassung in Deutschland.


Wirtschaft | Führung & Personal, 01.01.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2015 - Grünes Reisen im Trend erschienen.
     
        
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