Das Gift muss raus!

Schritte zum nachhaltigen Schadstoffmanagement

Kinder-Regenstiefel mit Stoffen, die Krebs erregen können. Jeans mit Stoffen, die das Hormonsystem beeinflussen. Sandalen, die Allergien auslösen: Mode ist nicht nur schick, sondern auch riskant.
 
© Chepko, iStockOb im Rahmen von Fernsehberichterstattungen, Untersuchungen von Umweltschutz- und Verbraucherorganisationen wie Greenpeace und Stiftung Warentest oder Veröffentlichungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, der Markt reagiert auf die chemische Belastung von Textilien, denn ein Drittel aller Chemikalien weltweit landet in der Kleidung. Die meisten davon sind allerdings nie für den Hautkontakt vorgesehen gewesen. Betrachtet man die in den unterschiedlichen Textilprodukten durch Test- oder Kontrollinstanzen auffällig gewordenen Substanzen genauer, so stößt man immer wieder auf die gleichen Stoffgruppen:
  1. Phthalate, also Weichmacher wie PVC, Nitrocellulose oder synthetisches Gummi werden oft in Aufdrucken von Textilien verwendet. Viele dieser Phthalate sind als potenziell schädigend für die Fortpflanzung eingestuft, wobei einigen dieser Stoffe darüber hinaus auch eine schädigende Wirkung auf die inneren Organe unterstellt wird.
  2. Chrom VI: 80 Prozent des weltweit produzierten Leders werden mit Chrom gegerbt. In manchen Fällen wird nach wie vor die sechswertige Variante (Chrom VI) benutzt, die hoch toxisch und als erbgutverändernd eingestuft ist und als starkes Allergen wirkt.
  3. PFOS: Gleichermaßen bedenklich sind PFOS, die als krebserregend gelten. Nicht zuletzt wegen der fortpflanzungsschädigenden Wirkung ist geregelt, dass in Textilien beispielsweise nur ein Mikrogramm Perfluoroctansulfonat pro Quadratmeter Stofffläche enthalten sein darf.
  4. Zinnorganische Verbindungen, die hauptsächlich in Aufdrucken, Beflockungen, Applikationen, Polyurethanbeschichtungen und -schäumen gefunden werden, können laut des Bundesinstituts für Risikobewertung das Immun- und Hormonsystem des Menschen gefährden. Wo genau hier die Grenze liegt, lässt sich wissenschaftlich allerdings noch nicht festlegen.
  5. Formaldehyd, eingesetzt in knitterfreier Kleidung, kann die Schleimhäute von Augen, Nase und Rachen reizen. Wenn Formaldehyd über die Kleidung mit der Haut in Berührung kommt, kann dies eine Kontaktallergie auslösen. Die Haut juckt, ist gerötet und schwillt an. Bei dauerhafter Belastung mit extrem hohen Konzentrationen kann Formaldehyd Krebs auslösen.
 Die Menge an eingesetzten und immer wieder neu durch den Gesetzgeber reglementierten Chemikalien macht eine konsequente Überwachung und ggf. Substitution insbesondere der im textilen Stoff verbleibenden Substanzen für Hersteller und Händler von Textilien unabdingbar.
 
 Um Schadstoffe in Produkten und damit Risiken zu vermeiden, sollten Unternehmen eine lückenlose Schadstoffverfolgung aufbauen. Idealerweise reicht das Management von den Rohstoffen bis zum Einsatz des Produktes beim Verbraucher.REACH – Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien
Die gesetzliche Grundlage, die in Europa den Einsatz und die Verwendung von Chemikalien regelt, ist die REACH-Verordnung. In ihren Geltungsbereich fallen sämtliche Stoffe, Zubereitungen und Erzeugnisse, die in der EU hergestellt, importiert und/oder gehandelt werden. Aus REACH ergeben sich sowohl für Hersteller, als auch für Händler und Verwender von Chemikalien neben den Registrierungs-, Notifizierungs- und Kennzeichnungspflichten (gemäß CLP) insbesondere Kommunikationspflichten innerhalb der Lieferkette (Graphik 1). Die zu Beginn erläuterten, REACH-reglementierten Stoffe, finden eindeutig ihren Niederschlag in der Textilindustrie. Die Schnelllebigkeit des Designs und die damit verbundenen Änderungen in Stoffen, Farben und Applikationen sowie die meist global ausgerichtete Lieferantenstruktur sorgen für erhebliche Aufwendungen, zur Befolgung der Vorschriften. Ein Nicht-Einhalten der REACH-Vorgaben kann zu erheblichen Markteinbußen führen und das Image eines Labels nachhaltig schädigen. Andererseits beinhaltet die bewusste Einhaltung von Gesetzen und Kundenanforderungen auch ein erweitertes Vertriebspotenzial. Kunden sind durchaus bereit, einem schadstofffreien und nachhaltigen Produkt den Vorzug zu geben und eventuelle Mehrkosten zu tragen. Eine branchenweite Umsetzung der Vorgaben bietet die Möglichkeit, einen Standard bei Marktaufsichtbehörden aufzubauen, welcher nicht-konforme Produkte in der Vermarktungsfähigkeit innerhalb Europas einschränkt.
 
Schritte zum nachhaltigen Schadstoffmanagement
Um den Anforderungen gerecht zu werden, ist es erforderlich, ein ganzheitliches Schadstoffmanagement einzuführen. Hierbei setzt insbesondere die REACH-Compliance das Wissen um das eigene Produkt sowie dessen Inhaltstoffe voraus. In der Praxis hat sich zur Prozessintegration und Umsetzung der folgende 5-Schritte-Plan bewährt:
  1. Statusanalyse zur Ermittlung der Betroffenheit und des Risikos des eigenen Produktportfolios sowie der Lieferantenstruktur und Bestandaufnahme der geltenden Vorgaben und des derzeitigen Umsetzungsgrads.
  2. Erstellung eines Maßnahmenplans, wie die Lieferanten zur kontinuierlichen Datenkommunikation angehalten werden können und wie die gesammelten Informationen intern verwertbar sind.
  3. Implementierung der Anforderungen in bestehende Prozesse, ausgehend von einem Workshop mit allen betroffenen Unternehmensbereichen, in dem u.a. die folgenden Fragen beantwortet werden: Welche Prozesse sind zur Datenbearbeitung notwendig? Welche Dokumente (Einkaufsbedingungen, Lieferantenerklärungen etc.) müssen angepasst werden? Wie und wo im Prozess kann ein Stoffmonitoring insbesondere bzgl. besonders besorgniserregender Stoffe und zulassungspflichtiger Stoffe eingerichtet werden? Ist die Prozessintegration vollzogen, müssen die Prozesse mit internen und externen Ressourcen (z.B. Beratung) und Budget gestützt werden.
  4. Integration geeigneter Softwareanwendungen, die zur Datenkommunikation, Auswertung und rechtssicheren Dokumentation geeignet sind und so im Rahmen der Lieferantenkommunikation bei der Sicherstellung der erforderlichen Datenbasis unterstützen.
  5. Kontinuierliche Verbesserung der Datenqualität durch regelmäßige Überprüfung des internen/externen Datenprozesses und Sensibilisierung und Qualifizierung der Lieferanten und Mitarbeiter.
Diese Schritte helfen dabei, ein funktionierendes und vor allem schnell agierendes Schadstoffmanagement im Unternehmen einzuführen, das den Anforderungen der REACH-Verordnung, aber auch dem Druck der Öffentlichkeit und des Marktes im Hinblick auf nachhaltige Produkte gerecht wird. Teure und aufwendige chemische Analysen können so erheblich minimiert und auf wenige Proben zur Absicherung oder Validierung von Lieferantenaussagen beschränkt werden. Die dazu notwendigen Maßnahmen sind überschaubar und auch für mittelständische Strukturen wirtschaftlich zu bewältigen.
 
 
Dipl.-Ing. (FH) Stefan Nieser, Umweltbetriebsprüfer sowie QM-Auditor und Gefahrstoffbeauftragter, ist seit 2013 Geschäftsführer der tec4U-Solutions GmbH, einer Ingenieurgesellschaft, die Unternehmen bei der Umsetzung von umwelt- und arbeitsschutzrelevanten Regelwerken wie REACH, CLP und Gefahrstoffverordnung unterstützt.

Lifestyle | Mode & Kosmetik, 01.04.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2015 - Nachhaltige Mode erschienen.
     
        
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