„Mehr Stromer in der Stadt“
Wird München zum deutschen Vorreiter in Sachen E-Mobilität?
Ein Kommentar von forum-Autor Michael Valentine-Urbschat
Die von München geplanten Fördermaßnahmen sind nunmehr bekannt. Das im Münchner Stadtrat diskutierte Förderprogramm zur Stärkung der Elektromobilität kann grundsätzlich nur begrüßt werden, denn die letzten 4 Jahre Erfahrung in Deutschland und weltweit zeigen eindeutig, dass sich der Markt für E-Fahrzeuge (EV) ohne ein massives Anreizprogramm nur sehr langsam entwickelt – viel zu langsam, um einen nennenswerten Beitrag zur Lösung dringender Metropolprobleme wie Luftschadstoff- oder Lärmbelastung zu leisten.
Inhaltlich springt das vorgeschlagene Programm für München leider noch viel zu kurz und setzt, zumindest teilweise, die falschen Schwerpunkte. Nachdem Deutschland aber bereits kurz davor steht, den Anschluss an internationale Leitmärkte wie Kalifornien oder Norwegen zu verlieren, können wir uns einen weiteren Fehlstart nicht mehr leisten.
Folgende Fragen brennen auf den Nägeln: Wieso der ausschließliche Fokus auf den Wirtschaftsverkehr? Ein Pflegedienst wird sich auch mit 2.500 EUR Zuschuss sehr schwer tun, den Kauf eines VW e-up für 27.000 EUR als Ersatz für einen halb so teuren, konventionellen VW up betriebswirtschaftlich zu rechtfertigen. Das gilt auch für Pizzaservices und andere Gewerbetreibende, die sich heute eine Kleinwagenflotte für ihren Geschäftsbetrieb halten. Und was machen diese Unternehmen, wenn die aktuelle Reichweite des Fahrzeugs nicht für die dringende Belieferung eines Kunden ausreicht? Den Auftrag absagen? Das heißt nicht, dass wir den Wirtschaftsverkehr in München vernachlässigen sollen. Ganz im Gegenteil. Nur muss das Anreizprogramm so gestaltet werden, dass die Unternehmen auch wirklich umsteigen.
Und dabei darf die viel größere und leichter zugängliche Zielgruppe der privaten Zweitwagen-Besitzer auf keinen Fall vernachlässigt werden – so wie im aktuellen forum-Heft vorgeschlagen.
Die Early Adopters / Meinungsführer werden vernachlässigt
Eine im Auftrag der SWM erstellte Studie der Forschungsanstalt für Energiewirtschaft hat die große Dominanz dieser Zielgruppe für den schnellen Umstieg auf EVs bereits vor Jahren klar herausgearbeitet. Die Aussage eines beteiligten Referats „Wir fördern doch keine Zweit- und Drittwagenbesitzer mit Steuergeldern" ist für eine zielgerichtete Diskussion in keiner Weise förderlich, sondern ignoriert Fakten. Mehr als 150.000 Münchner Haushalte sind heute, trotz hervorragend ausgebauten ÖPNVs, auf einen Zweitwagen angewiesen, um die täglichen Erledigungen mit oder ohne Kindern auf die Reihe zu bringen. Diese Haushalte haben kein Thema mit der begrenzten Reichweite der aktuell verfügbaren EVs und können in den meisten Fällen zuhause laden. Doch auch hier spielt der Kaufpreis natürlich eine wichtige Rolle. Erfahrungen aus der Metropolregion Oslo zeigen deutlich, dass ein umfassendes Anreizprogramm inklusive kostenfreiem Parken und Laden zum Erfolg führen. Die Aussage eines Münchner Autohändlers „Wenn alleine nur die Mehrwertsteuer wegfallen könnte, würden uns die Leute die Bude einrennen" spricht Bände.
Nicht kleckern sondern klotzen
Die dritte Zielgruppe mit großer Signalwirkung sind die Linienbusse. Leider springt auch hier das Programm viel zu kurz. Wieso die Anschaffung von 2 Elektrobussen zu Erprobungszwecken fördern, wenn in den letzten Jahren schon mehrere Testphasen stattgefunden haben und führende Regionen bereits massiv in die Umstellung ihrer Flotten investieren. Auf der Hannovermesse werden aktuell sogar die ersten, serienreifen Fahrzeuge deutscher Hersteller angepriesen. Zu Preisen, wie man hört, die auch ohne Zuschüsse eine betriebswirtschaftlich attraktiven Betrieb ermöglichen. Was hindert München an einer ähnlichen Vorgehensweise? Und hier wäre der Erfolg der Umstellung garantiert – im Gegensatz zu privaten Unternehmen oder Privathaushalten, die man ja nicht zu ihrem Glück zwingen kann.
Damit bleibt als letzter Punkt des aktuellen Vorschlags der Aufbau einer attraktiven, öffentlichen Ladeinfrastruktur durch die Stadtwerke. Ja, München ist aktuell das Schlusslicht unter den deutschen Metropolregionen beim Aufbau einer solchen Infrastruktur. Dabei hat kein Betreiber Freude an den teuren Ladestationen mit hohen Unterhaltskosten, die nur selten genutzt und über den Stromverkauf ganz sicher nicht finanziert werden können. Daher ist dieser Teil des Münchner Förderprogramms absolut sinnvoll. Nur liegt auch hier der Erfolg im Detail. Braucht ein Zustelldienst, der mit seinem EV-Transporter gerade an die Grenzen seiner Reichweite kommt, eine Standard-Ladesäule am Straßenrand, die ihm in 2 Stunden wieder das Weiterfahren ermöglicht? Oder macht eine Laternenladesäule in einem Wohngebiet Sinn, wenn der Parkplatz nicht exklusiv für EVs reserviert ist und die Bewohner sich aktuell gar kein EV, schon gar nicht als einziges Fahrzeug, leisten können? Die angegebenen Förderbeträge deuten auf eine ausschließliche Langsam-Ladeinfrastruktur mit 100 Säulen hin. Das wäre damit in zweierlei Hinsicht zu kurz gesprungen. Erstens fehlen die unbedingt notwendigen Schnellladesäulen an Knotenpunkten und entlang des Mittleren Rings, die allen EV-Besitzern zugute kämen und absolut entscheidend für die Lösung der „Reichweiten-Angst" sind. Und zweitens wären 100 Langsamladesäulen viel zu wenig – Stuttgart hat heute bereits 250 solcher Säulen und Oslo hat mehr als 600 alleine im Innenstadtbereich.
Und schlussendlich fehlt dem aktuellen Vorschlag ein ganz entscheidender Aspekt – nämlich ein Ansatz zur Ausdehnung des Programms auf die umliegenden Landkreise. Denn jeder Verkehrsplaner weiß, dass ein ganz erheblicher Teil des Münchner Verkehrs von den Bewohnern der stadtnahen Gebiete verursacht wird. Unsere Hochrechnungen zeigen alleine eine Verdoppelung der Mehr-Auto-Haushalte auf über 300.000, wenn man nur die 7 anliegenden Landkreise mit hinzuzählt. Wieso bleiben diese Zielgruppen bei der Gestaltung eines Münchner Förderprogramms außen vor? Wo ist da der Metropol-Gedanke geblieben?
Ich bin der festen Überzeugung, dass München aktuell ein einzigartige Chance hat, mit einem umfassenden und zielgerichteten Förderprogramm zum Leuchtturm in Deutschland zu werden, der die internationale Attraktivität der Region langfristig sichern, mit großer Wahrscheinlichkeit sogar noch mal ausbauen würde. Gerade auch für die Ansiedlung leistungsstarker Unternehmen auf den so innovationsstarken Gebieten der Elektromobilität, Erneuerbaren Energieerzeugung und passender Netz-Infrastruktur.
Lesen Sie dazu auch den Beitrag von und das Interview mit Michael Valentine-Urbschat in der aktuellen Ausgabe von forum.
Technik | Mobilität & Transport, 15.04.2015
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