S.O.S. - Save Our Soils
Boden ist Leben
Die Vereinten Nationen (UN) haben das Jahr 2015 zum Jahr der Böden erklärt. Das
ist gut, denn es ist allerhöchste Zeit, dass wir unsere Böden schützen. Gesunde
Böden sind die Basis für unsere Ernährung und für die Überwindung des Hungers.
Aber Böden sind nicht nur wichtig für die Lebensmittelproduktion. Sie filtern
Regenwasser, schaffen neues Trinkwasser und regulieren das Klima, denn sie
speichern mehr Kohlenstoff als alle Wälder der Welt gemeinsam und sind nach den
Ozeanen der größte Kohlenstoffspeicher der Erde.
Boden ist Leben
Böden sind höchst lebendig. In einer Handvoll fruchtbarer Erde leben mehr
Organismen als Menschen auf unserem Planeten. Zwei Drittel aller Arten der Welt
leben versteckt unter der Erdoberfläche. Aber fruchtbares Land wird knapp, denn
Böden sind erodiert oder vielerorts verseucht. Städte und Infrastruktur breiten
sich aus. Allein in Deutschland werden täglich mehr als 75 Hektar Boden durch
Straßen und Häuserbau unwiederbringlich versiegelt. Aber auch durch falsche
landwirtschaftliche Nutzung verlieren wir fruchtbare Böden: Die intensive
Nutzung synthetischen Düngers vernichtet das Bodenleben und verändert die
Struktur der Böden. Während es Jahrtausende bedarf, damit sich fruchtbarer Boden
aufbaut, reicht ein einziger starker Regen oder Sturm, um ihn zu verlieren.
Weltweit gehen uns jährlich 24 Milliarden Tonnen fruchtbaren Bodens verloren.
Boden und Ausbeutung
Gleichzeitig wächst der weltweite Hunger nach Nahrungsmitteln, Futtermitteln und
Biomasse für Treibstoffe. Damit steigt auch der Wert von Land – das nutzen vor
allem internationale Investoren. Laut einer Schätzung der Weltbank sind zwischen
10 und 30 Prozent des Ackerlandes weltweit von großflächigen Investitionen
betroffen – Land, das bislang von vielen Millionen Kleinbauern, Pastoralisten
und indigenen Bevölkerungsgruppen genutzt wird. Damit ist der Kampf um sichere
Landrechte, seien sie gemeinschaftlich oder individuell, eine zentrale Frage des
Überlebens in vielen Regionen der Welt. Zugang zu Land oder nicht, das ist einer
der zentralen Bestimmungsfaktoren für Hunger. Was die meisten Menschen nicht
wissen: Land ist noch ungleicher verteilt als Einkommen. 50 Prozent der
Haushalte, die hungern, sind kleinbäuerliche Familien. 20 Prozent der Haushalte,
in denen Hunger herrscht, sind landlos.
Hinzu kommt: Für den Lebensstil in Europa nutzen wir längst nicht mehr
europäische Ackerflächen, sondern „bedienen" uns dieser in riesigem Ausmaß im
globalen Süden. Allein für den Fleischkonsum in der EU werden in Brasilien
jährlich auf Äckern von der Größe Großbritanniens Futtermittel angebaut. Würde
jeder Mensch so viel Fleisch verzehren wie ein durchschnittlicher Europäer,
müssten 80 Prozent des weltweit verfügbaren Ackerlandes ausschließlich für die
Fleischproduktion genutzt werden. Momentan werden 33 Prozent der weltweiten
Anbauflächen für Futtermittel verwendet. Allerdings erhalten wir für 100
Kalorien an Nutzpflanzen nur bis zu 30 Kalorien als Fleisch zurück. Fruchtbares
Land für den Anbau von Futterpflanzen zu verwenden, ist reine Vergeudung.
Bioökonomie als Sackgasse?
Der Trend wird sich mit dem neuen Wachstumsversprechen „Bioökonomie" noch
verschärfen: Fossile Energieträger wie Erdöl sollen durch nachwachsende
Rohstoffe ersetzt werden. Die EU bräuchte weitere 70 Millionen Hektar Land, um
die Anforderungen an Bioenergie gemäß ihrem Klima- und Energierahmen 2030 zu
erfüllen. Das entspricht einer Fläche, die größer als Frankreich ist. Das Klima
wird durch Biokraftstoffe allerdings nicht wirklich entlastet: Die „geerntete"
Energie pro Quadratmeter liegt im Jahresdurchschnitt bei einem Zehntel
derjenigen von Wind- oder Solaranlagen.
Den Erfahrungsschatz der Kleinbauern nutzen
Es gibt gute Beispiele und viele Ansätze, wie ein nachhaltiger Bodenschutz
aussehen kann, wie Erträge – gerade für Kleinbauern – verbessert werden können.
Ein Beispiel ist die Agrarökologie, die auf traditionellem Wissen beruht. Es ist
kein „one-size-fits-all"-Ansatz, sondern akzeptiert, dass agrarökologische
Systeme lokal unterschiedlich und komplex sind. Vielfalt auf dem Feld, Recycling
und Bodenbedeckung können nämlich einen lebendigen, fruchtbaren und aktiven
Boden stimulieren, der in der Lage ist, ein optimales Wassermanagement
sicherzustellen. Eine Studie von Jules Pretty aus dem Jahr 2006 zu
agrarökologischen Anbaumethoden hat 286 ökologisch nachhaltige Agrarprojekte in
57 Ländern untersucht und im Schnitt eine Steigerung der Ernteerträge um 79
Prozent festgestellt. Trotzdem geben beispielsweise viele afrikanische
Regierungen bis zu 60 Prozent des Agrarbudgets für Subventionen von klassischem
Düngemittel (Mineraldünger mit synthetischem Stickstoff) aus. Gerade auf
tropischen Böden werden so die Humusschicht und die Bodenlebewesen zerstört.
Auch wird der Dünger ins Meer transportiert und zerstört dort das ökologische
Gleichgewicht. In den vergangenen 50 Jahren hat sich der Verbrauch von Dünger
mehr als verfünffacht. Der Hauptbestandteil Stickstoff könnte aber auch
biologisch und nachhaltig hergestellt werden. Dies widerspricht allerdings den
Interessen der wenigen mächtigen und großen Produzenten und Händler.
Die Politik ist gefragt
Die Politik muss sich der Frage stellen: Wie können diejenigen, die heute unter
Armut und Hunger leiden, so gestärkt werden, dass sie ausreichend Nahrung
produzieren, um der Hunger- und Armutsfalle zu entkommen – langfristig und unter
Einbeziehung der negativen Auswirkungen des Klimawandels? Trotzdem werden
agrarökologische Produktionsweisen nicht ernsthaft gefördert. Weder von den
europäischen noch von vielen afrikanischen, asiatischen oder
lateinamerikanischen Regierungen. Es ist deshalb Zeit, gesellschaftlichen Druck
aufzubauen, damit sich politisch wirklich etwas bewegt im Bodenschutz. Die
Weltgemeinschaft darf nicht länger untätig bleiben!
Wir bedanken uns für das Copyright zu diesem Beitrag bei Project Syndicate.
Barbara Unmüßig
ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Besonders beschäftigt die Politologin
die Frage, wie Ressourcen nachhaltig genutzt und global fair verteilt werden
können. Der Klimawandel und die globale Armut sind aus Ihrer Sicht die großen
Herausforderungen im 21. Jahrhundert.
Umwelt | Wasser & Boden, 01.07.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2015 - Jahr des Bodens erschienen.
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