Blut und Schweiß
Auf dem Weg zu einer neuen ISO-Norm im Bereich Umwelt
Die wohl bekannteste und wichtigste Norm im Umweltbereich ist die ISO 14001.
Allein in Deutschland gibt es etwa 6.000 Organisationen mit einem danach
zertifizierten Umweltmanagementsystem. Doch wie entsteht eine ISO-Norm und wer
steckt dahinter? forum gibt einen spannenden Einblick in die Funktionsweise der
Normenerstellung und die zu erwartenden Neuerungen bei der ISO 14001.
Die ISO (International Organization for Standardization), eine internationale
Nichtregierungsorganisation, erarbeitet weltweit gültige technische Produkt- und
Verfahrensstandards, die von Organisationen jedweder Größe freiwillig angewandt
werden können. Die sogenannten ISO-Normen stellen damit keine Rechtsnormen dar;
es wird jedoch an verschiedenen Stellen der Rechtssetzung darauf Bezug genommen,
womit diese rechtsnormativen Charakter erhalten. Oftmals sind solche Normen auch
der einzig gültige Standard im jeweiligen Sektor und sichern auf diese Weise
definierte Anforderungen bezüglich Qualität, Sicherheit oder Effektivität und
sind damit die Grundlage für internationale Geschäftstätigkeiten. So erhalten
die ISO-Normen eine immense internationale Bedeutung.
Wer steckt eigentlich hinter der ISO?
ISO ist eine internationale Vereinigung von nationalen Normungsorganisationen
(NSB), in der mittlerweile 166 Länder vertreten sind. Die NSB sind
stimmberechtigt und entsenden Experten für die Normungsarbeit. Das Erstellen
neuer und die Überarbeitung bestehender Normen erfolgt in nahezu 300 technischen
Komitees, die für verschiedene Themen zuständig sind. In den jeweils zugehörigen
Unterkomitees (Subcommittees) finden die Detailausarbeitung der Entwürfe und die
Fertigstellung finaler Fassungen in dafür eingerichteten Arbeitsgruppen (WG)
statt. Bis heute wurden durch die ISO über 19.500 Standards entwickelt. Alle
neuen oder revidierten Normen müssen innerhalb der Unterkomitees durch die
stimmberechtigten Mitgliedsorganisationen nach einem festgelegten Schlüssel
verabschiedet und angenommen werden. Die Arbeit zur Umweltquerschnittsnormung
geschieht im Technischen Komitee ISO/TC 207. In den zugeordneten Unterkomitees
erfolgt die Fortentwicklung der Umweltnormenreihe ISO 14000ff. Hier werden die
Normungsvorhaben aus dem Bereich Umwelt eingebracht, diskutiert und abgestimmt.
Zusammenarbeit zwischen ISO und DIN
Die Bundesrepublik Deutschland wird durch das Deutsche Institut für Normung e.V.
(DIN) in der europäischen und internationalen Normung vertreten. Auf nationaler
Ebene bringen sich dazu rund 30.000 Experten aus den verschiedenen
interessierten Kreisen mit ihrem Fachwissen und ihren Erfahrungen ein. Mit etwa
400 Mitarbeitern koordiniert DIN diese Tätigkeiten in gut 70 Normenausschüssen.
Die deutsche Beteiligung an der internationalen Umweltquerschnittsnormung
erfolgt durch den Normenausschuss Grundlagen des Umweltschutzes (NAGUS). Als
zuständiges DIN-Gremium deckt der Aufgabenbereich die Erarbeitung von Normen zu
Themen wie Managementsysteme, Audits, Ökobilanzen, Kennzeichnungen und
Treibhausgasemissionen ab. Die sechs zugehörigen Arbeitsausschüsse spiegeln die
Aktivitäten bei ISO und erarbeiten systematisch die Grundlagen für eine adäquate
deutsche Beteiligung an der internationalen Normung. Dazu beteiligen sich diese
Ausschüsse u.a. direkt in den Unterausschüssen des ISO/TC 207.
So vertrat vergangenes Jahr eine zwölfköpfige deutsche Delegation die nationalen
Interessen bei der Plenarsitzung des ISO/TC 207 in Panama City. Im Mai 2014
reisten über 300 Delegierte aus 39 Ländern zur 21. Jahresversammlung dieses
Technischen Komitees. Ein Schwerpunkt der Arbeiten in den Sitzungen von
Unterausschüssen und Arbeitsgruppen lag in der Überarbeitung der ISO 14001
„Umweltmanagementsysteme – Anforderungen mit Anleitung zur Anwendung". Dieser
Prozess wird von Umweltverbänden, Verwaltung und Wirtschaft aufmerksam verfolgt
und begleitet, da die ISO 14001 seit mehr als 20 Jahren zu den wichtigsten
ISO-Normen gehört.
Revision der ISO 14001 – eine Mammutaufgabe
Gestartet wurde die aktuelle Revision der ISO 14001 bereits im Februar 2012.
Ziel der Revision ist neben der stärkeren Integration des Umweltmanagements in
die Geschäftsprozesse von Organisationen auch die Anpassung an neuere
Entwicklungen im Themenfeld Umwelt. Der Revisionsfokus liegt dabei auf folgenden
Themen:
- Einbezug aktueller und künftiger Umwelt- und Geschäftsbelange im Sinne einer strategischen Unternehmensführung
- Risiko- und Chancenermittlung im Zusammenhang mit signifikanten Umweltaspekten, anwendbaren gesetzlichen Forderungen und freiwillig akzeptierten Verpflichtungen
- Stakeholderorientierung durch Ermittlung und Berücksichtigung von Anforderungen interessierter Parteien • Messung der Umweltleistung bei Umweltzielen anhand von Leistungsindikatoren
- Integration von Lifecycle-Überlegungen bei Produktdesign, Lieferkette und ausgelagerten Prozessen
- externe und interne Kommunikation
- Einhaltung zutreffender Rechtsgrundlagen und Selbstverpflichtungen
- Akzeptanz und Anwendungsmöglichkeit für kleine und mittlere Unternehmen
- Verbindung bzw. Integration paralleler und ergänzender Systeme
Das bringt die Zukunft
Konkret ändert sich die ISO 14001 beispielsweise dahingehend, dass Initiativen
zu Aspekten wie der nachhaltigen Ressourcennutzung, dem Klimaschutz und dem
Schutz der biologischen Vielfalt proaktiv anzugehen sind. Vom Managementsystem
wird eine laufende Verbesserung der Umweltleistung gefordert, z. B. bei
Emissionen, Abwasser und Abfall. Mit der Anwendung des „Lebenszyklus-Gedankens"
sollen Organisationen ihre Kontrolle und ihren Einfluss – soweit vorhanden –
auch auf die Umweltauswirkungen von der Rohstoffgewinnung über die
Produktnutzung bis zur endgültigen Beseitigung ausweiten.
Ein Perspektivenwechsel steht an
Mit der Novellierung der ISO 14001 wird sich auch die Perspektive auf
Umweltaspekte verändern. War in der Vergangenheit der Blick primär darauf
gerichtet, wie eine Organisation auf die Umwelt einwirkt, so wird jetzt
zusätzlich relevant, inwiefern die (sich verändernde) Umwelt Auswirkungen auf
die Organisation selbst haben kann und wie die Organisation diesen Auswirkungen
begegnet.
Normerfüllung wird oberste Führungsaufgabe
Die revidierte Fassung der Norm nimmt die oberste Führung einer Organisation
stärker in die Pflicht und zeigt klar auf, welche ihrer Anforderungen delegiert
werden dürfen und welche bei ihr selbst verbleiben. Ein weiterer zentraler Punkt
der aktuellen Arbeit ist die Einbettung der ISO 14001 in die von ISO fest
vorgegebene sogenannte „High Level"-Struktur (HLS) für alle
Managementsystemnormen. Diese Struktur aus dem Jahr 2012 gibt verbindlich einen
Rahmen vor (bspw. Umwelt, Qualität, Arbeitssicherheit, Compliance, Risiko, etc.)
und definiert einheitlich Struktur, Begriffe und Textbausteine. Dieses
vorgegebene Gerüst darf zwar erweitert, jedoch nicht in seiner Grundkonzeption
geändert werden.
Der dornenreiche Weg zur neuen Norm
Die unterschiedlichen Interessen von Akteuren aus den verschiedenen Ländern mit
ihren Werten, Haltungen und Überzeugungen bei einem Normerstellungsprozess zu
berücksichtigen, erfordert viel Diplomatie und ist zeitaufwändig und
kompliziert. Dies zeigen mehrere Tausend Kommentare, die von den
Normungsorganisationen zur Revision der ISO 14001 eingebracht und von den
beteiligten Experten diskutiert und verabschiedet wurden. Dies bedeutet ein
zähes Ringen unterschiedlicher Interessen und Standpunkte. Durch die engagierte
Vertretung deutscher Interessen bei ISO wird vermieden, dass Normen durch andere
Länder dominiert werden. Gleichzeitig erhalten die Experten frühzeitigen
Einblick in neue Entwicklungen.
Und jetzt wird es ernst mit der neuen ISO 14001
In der Sitzung der WG5 im April 2015 in London wurde der Weg freigemacht für den
Final Draft International Standard (FDIS). Wenn die Abstimmung durch die
nationalen Normungsorganisationen positiv verläuft, kann mit der endgültigen
Fassung der ISO 14001:2015 noch im Herbst 2015 gerechnet werden. Vom
International Accreditation Forum (IAF) wurde diesbezüglich bereits eine
dreijährige Übergangsfrist festgelegt, in der die alte und die neue Norm
nebeneinander gültig sein werden. Zertifizierungen auf Basis der alten Norm sind
demnach nur noch bis März 2017 sinnvoll.
Weitere Informationen finden Sie unter www.nagus.din.de.
Bernhard Schwager
studierte Technische Chemie und Umweltwissenschaften. Er begann 1985 als
Umweltschutzbeauftragter bei Siemens und ist aktuell als Leiter der
Geschäftsstelle Nachhaltigkeit bei der Robert Bosch GmbH tätig. Im Mai 2006
wurde Schwager zum Präsidenten des Verbandes der Betriebsbeauftragten e.V. (VBU)
und im Mai 2008 zum Obmann des Ausschusses Umweltmanagementsystem/Umweltaudit im
Deutschen Institut für Normung (DIN NAGUS) gewählt.
Wirtschaft | Recht & Normen, 01.07.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2015 - Jahr des Bodens erschienen.
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