BIOFACH 2025

Ein ethischer Markt statt freiwilliger CSR!

Ein Diskussionsvorschlag von Christian Felber und Gerd Hofielen

(R)Evolutionär strategische Überlegungen, wie die EU-Richtlinie zu nichtfinanzieller Berichterstattung Auftakt für eine Weiterentwicklung des Binnenmarktes, der EU-Außenhandelsstrategie und der TTIP-Thematik sein könnte.

Christian Felber. Copyright: Christoph QuarchNachdem die „soziale Verantwortung von Unternehmen" – alias CSR – jahrelang durch strikte Freiwilligkeit gekennzeichnet war, trat Ende 2014 ein erster verbindlicher Rechtsakt auf EU-Ebene in Kraft: die Richtlinie zu nichtfinanzieller Berichterstattung (EU directive on non-financial reporting). Großunternehmen in der EU werden ab 2017 neben der Finanzbilanz auch einen Bericht über ethische und gesellschaftliche Aspekte ihrer Tätigkeit vorlegen müssen. Auf dem Markt geht die Entwicklung in Richtung kombinierter finanzieller und nichtfinanzieller Unternehmensberichterstattung (forum 4/2014 - Integrated Reporting).
 
Hintergrund des Strategiewechsels der EU in Bezug auf die bisherige strikte Freiwilligkeit von CSR war, dass nach Angaben der Kommission nur rund tausend der 42.000 größten europäischen Unternehmen CSR strategisch betreiben und weniger als zehn Prozent von ihnen regelmäßig entsprechende Informationen offenlegen. Vom ursprünglichen Vorhaben, die Berichtspflicht auf alle 42.000 Unternehmen ab 250 MitarbeiterInnen anzuwenden, blieb allerdings wenig übrig. Die Richtlinie wird zunächst nur für Unternehmen von mindestens doppelter Größe gelten, also ab 500 Beschäftigten. Davon gibt es in der EU rund 18.000 – börsennotierte und ungelistete. Doch auch dieser Kreis wurde durch Ausnahmen und selektive Definitionen ein weiteres Mal empfindlich verkleinert, übrig geblieben sind nur 6.000 „Unternehmen des öffentlichen Interesses". Zum Vergleich: Allein in Deutschland gibt es vier Millionen KMU. Die Richtlinie wurde im April 2014 vom EU-Parlament und im September vom Europäischen Rat beschlossen. Sie trat am 6. Dezember in Kraft. Die Richtlinie sieht wörtlich vor, dass: „Große Unternehmen, die Unternehmen von öffentlichem Interesse sind und am Bilanzstichtag das Kriterium erfüllen, im Durchschnitt des Geschäftsjahres mehr als 500 Mitarbeiter zu beschäftigen, in den Lagebericht eine nichtfinanzielle Erklärung aufnehmen, die diejenigen Angaben enthält, die für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses, der Lage des Unternehmens sowie der Auswirkungen seiner Tätigkeit erforderlich sind und sich mindestens auf Umwelt-, Sozial-, und Arbeitnehmerbelange, auf die Achtung der Menschenrechte und auf die Bekämpfung von Korruption und Bestechung beziehen." Die Umsetzung in nationales Recht muss bis zum 6. Dezember 2016 erfolgen. Am 1. Januar 2017 gelten die neuen Vorschriften bereits für das dann anlaufende Geschäftsjahr.
 
Die Verwässerung der EU-Richtlinien
Die Schwachstellen und Schlupflöcher der Richtlinie beziehen sich nicht nur auf die geringe Zahl von betroffenen Unternehmen. Zunächst haben die Unternehmen völlig freie Wahl bei den Instrumenten, die sie verwenden wollen: „Bei der Bereitstellung dieser Informationen können sich die großen Unternehmen, die dieser Richtlinie unterliegen, auf nationale Rahmenwerke, unionsbasierte Rahmenwerke wie das Umweltmanagement- und -betriebsprüfungssystem (EMAS) oder auf internationale Rahmenwerke wie den Global Compact der Vereinten Nationen (VN), die Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte: Umsetzung des Rahmenprogramms „Protect, Respect and Remedy" der Vereinten Nationen, die Leitlinien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für multinationale Unternehmen, die Norm der Internationalen Organisation für Normung ISO 26000, die Trilaterale Grundsatzerklärung der Internationalen Arbeitsorganisation zu multinationalen Unternehmen und zur Sozialpolitik, die Global Reporting Initiative und auf andere anerkannte internationale Rahmenwerke stützen."
 
Zum anderen bleiben die Punkte Kontrolle und Sanktionen den nationalen Mitgliedstaaten überlassen, weil das Rechnungslegungsrecht nationales Recht und nicht EU-Recht ist. Mit der Folge, dass dem Standort- und Regulierungswettbewerb Tür und Tor geöffnet ist und deshalb vermutlich kein Staat eine nationale Umsetzung mit Zahn und Biss wagt. Vor allem Deutschland hat, Insidern zufolge, auf Druck der Unternehmensverbände ganz maßgeblich zur Abschwächung der Richtlinie beigetragen.
 
Die Chancen der Initiative
Anders als die Lobbys hat der Integrated Reporting Council (IIRC) die Initiative begrüßt: Die Richtlinie sei ein „wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer integrierten Berichterstattung", kommentiert Paul Druckman, Chef des IIRC. Die Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung, ein Pflänzchen der Zivilgesellschaft beinahe noch im Keimstadium, hat zwei strategische Ziele in Bezug auf die Richtlinie definiert:
  1. Die GWÖ-Bewegung will es schaffen, dass die Gemeinwohl-Bilanz wenigstens in den Kernländern der GWÖ – Österreich, Deutschland, Italien, Spanien, aber auch in anderen Ländern, in denen diesbezügliche Aktivitäten starten – im Gesetzestext der nationalen Umsetzung als eines der empfohlenen Instrumente mit aufgezählt wird.
  2. Unabhängig vom „Eigenprodukt" möchte die Bewegung erreichen, dass nur solche Instrumente (Berichtsstandards) im Gesetzestext – in der novellierten Richtlinie oder in den nationalen Umsetzungen – aufscheinen, die sieben definierte Meta-Kriterien erfüllen: Sie sollen 1. universell (alle Verfassungswerte) 2. messbar 3. vergleichbar 4. verständlich 5. öffentlich 6. extern auditiert 7. an Rechtsfolgen geknüpft sein. 
Nur jene Standards, die alle Kriterien erfüllen, sollen im Gesetz vollständig aufgezählt werden und verpflichtend angewandt werden müssen. Diese verbleibenden „Kandidaten" könnten zu einer universalen Nichtfinanz- oder Ethik-Bilanz verschmolzen werden, damit die Unternehmen aus dem derzeit wachsenden Dschungel aus (freiwilligen und höchst unterschiedlichen) Instrumenten, Standards und Zertifizierungen wieder herausgeführt werden. Voraussetzung einer einheitlichen Rechnungslegungspflicht auf EU-Ebene ist allerdings, dass diese Materie vergemeinschaftet wird; derzeit liegt sie in der Kompetenz der Mitgliedstaaten.
 
Eine Harmonisierung wäre allerdings nicht neu. Auch die Finanz-Bilanz hat diese Entwicklung der Standardisierung (Handelsgesetzbuch, IFRS, Rechnungslegungsstandards) und Rechtsverbindlichkeit (es wäre undenkbar, dass es keine gesetzliche Pflicht zur Rechnungslegung gibt) durchlaufen, heute ist dies in das unternehmerische Fleisch und Blut übergegangen.
 
Mit Ethik zum Erfolg!
Ein bisheriges Alleinstellungsmerkmal der Gemeinwohl-Bilanz ist ihre „Rückkoppelung" an die Volkswirtschaft. Unternehmen sollen nicht nur zur Lösung sozialer und ökologischer Probleme wie etwa Arbeitslosigkeit, Armut, Ausgrenzung, Diskriminierung, Umweltzerstörung, Korruption oder Krieg beitragen, sondern je konsequenter und erfolgreicher sie dies tun, auch vom Gesetzgeber belohnt werden: über differenzierte Steuer-, Zoll-, Kreditkonditionen und über Vor- und Nachrang im öffentlichen Einkauf. Leistungen für die Allgemeinheit sollen von dieser damit honoriert werden.
 
Ethischer Handel statt TTIP
Politisches Ziel der GWÖ-Bewegung ist es, eine rechtsverbindliche Ethik-Bilanz als „Eintrittskarte" für den EU-Binnenmarkt anzulegen: Alle Unternehmen, die Zugang zum Binnenmarkt wünschen, müssen eine solche Bilanz vorweisen – und erhalten je nach Bilanz-Ergebnis freien, weniger freien oder gar keinen Zugang. So würde aus dem „freien" Binnenmarkt ein „Ethischer Binnenmarkt" und das GWÖ-Motto „Mit Ethik zum Erfolg!" erfüllt. Ein solches Marktzugangsinstrument könnte auch zum Herzstück einer alternativen EU-Außenhandelsstrategie werden: Freihandel mit den Ethischsten, kein Freihandel mit den Unethischen – das wäre eine Alternative zum TTIP.
 
Grundsätzlich gibt es dafür zwei Ansätze: den institutionellen auf staatlicher Ebene und den marktgebundenen auf Unternehmensebene. Auf institutioneller Ebene könnte die EU, um ihre Werte auch im Handel zu schützen, vorrangig den Handel mit jenen Staaten suchen, welche alle Menschenrechtspakte ratifiziert haben, das Kyoto-Klimaschutzprotokoll und alle UN-Umweltabkommen, die ILO-Kernarbeitsnormen, die UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt und die sich für einen vollständigen Informationsaustausch von steuerrelevanten Daten zur Vermeidung von Steuerflucht und -wettbewerb aussprechen.
 
Die Globalisierung von Werten als Grundlage für einen Freihandel
Die USA wären aus diesem Blickwinkel der EU-Werte nicht der erste Kandidat für ein Handelsabkommen: Sie haben nur einen der beiden Menschenrechtspakte ratifiziert, nur 2 der 8 ILO-Kernarbeitsnormen, kaum ein UN-Umweltschutzabkommen, weder das Kyoto-Protokoll noch die UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt. Angesichts dieser erheblichen ethischen Differenzen ist „Freihandel" nicht nur die falsche Strategie, es ist die Einladung zum Bruch mit Verfassungswerten! Freihandel ist eine Einladung von Unternehmen, die all diese Standards „zu Hause" nicht befolgen müssen, im Binnenmarkt in „freie" Konkurrenz mit Unternehmen zu treten, welche unter diesen Rahmenbedingungen wirtschaften müssen. Aus der Spieltheorie wissen wir, dass sich im „freien Kampf" zwischen Faireren und Unfaireren die Unfairen verlässlich durchsetzen.
 
Kohärent wäre somit ein Zollaufschlag für jedes nichtratifizierte Abkommen zum Schutz der Menschenrechte, Arbeitsnormen, Klima- und Umweltschutz, für kulturelle Vielfalt und Steuerkooperation – das sind auch die Werte der EU-Richtlinie zu nichtfinanzieller Berichterstattung. Auf diese Weise würde der Druck bei den Handelspartnern erhöht, die genannten völkerrechtlichen Abkommen zu ratifizieren oder anders: bei der Globalisierung der Werte – und nicht vorrangig der Wirtschaftsfreiheiten – zu kooperieren.
 
Handeln im Dienst des Gemeinwohls
Der einfachere Weg wäre zweifellos, dass die EU den Geist der Richtlinie weiterentwickelt und den Vorweis einer integrierten Finanz- und Ethik-Bilanz als Eintrittskarte in den Binnenmarkt verlangt. Im Nu wäre der nichtfinanzielle Bilanzstandard globalisiert, denn kein größeres Unternehmen der Welt kann es sich leisten, auf den größten Absatzmarkt der Welt zu verzichten. Ganz entgegen der Panikmache-Rhetorik, dass die EU dann von den BRIC-Unternehmen geschmäht würde, würde sie endlich als globales Vorbild wirken und rasche Nachahmung weltweit finden. Langfristig würden die völkerrechtlichen Regeln für den internationalen Handel in den Vereinten Nationen gebildet, mit einer verbindlichen Ethik-Bilanz für alle. Deren Ergebnis entscheidet über den freieren oder weniger freien Zugang zum Weltmarkt. Dann würde der Handel, anstatt Dumping zu belohnen und unsere Verfassungswerte zu untergraben, dem Gemeinwohl dienen. Und so sollte es auch sein: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl", sagt die Verfassung Bayerns und das Grundgesetz sieht vor, dass „der Gebrauch von Eigentum dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll". Es ist an der Zeit, dies konkret zu überprüfen und bei Erfüllung belohnen.
 
 
Weitere Informationen finden Sie hier.
 
Christian Felber
ist freier Autor und Publizist und hat 2000 Attac Österreich mitbegründet und aufgebaut. Mit den Projekten Gemeinwohl-Ökonomie, ein Wirtschaftsmodell der Zukunft und einer Bank für Gemeinwohl möchte er die Möglichkeit für eine alternatives Wirtschafts- und Geldsystem aufzeigen, einschließlich des individuellen und demokratischen Umsetzungsprozess dorthin. Er hat dazu mehrere Bücher verfasst.
 
Gerd Hofielen
Organisationspsychologe, Betriebswirt, Coach, Berater der Gemeinwohl-Ökonomie. Unterstützt Unternehmen bei der Gestaltung ethisch fundierter Geschäftsmodelle. Freut sich über die robuste Kraft der Zivilgesellschaft in Deutschland bei der Auseinandersetzung mit TTIP.

Wirtschaft | Recht & Normen, 01.07.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2015 - Jahr des Bodens erschienen.
     
        
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