Schnippeln gegen die Verschwendung
Die Aktivistin Talley Hoban will durch Kochevents Bewusstsein für Nachhaltigkeit wecken
»Warte, nicht schälen. Putzen reicht.« Vorsichtig nimmt die rothaarige Frau die Möhren aus der Hand des Mannes, der sich gerade mit einem Schäler an die Arbeit machen wollte. »Das gehört übrigens auch zu meinem Konzept, das Gemüse nur zu schrubben«, erklärt sie, legt die Möhren auf das Schneidebrett und beginnt, sie in mundgerechte Stücke zu schneiden: »Man muss nicht immer alles schälen.«
Talley Hoban ist Lebensmittelretterin. So jedenfalls nennt sie sich. Früher traf man sie oft hinter Supermärkten, wie sie aus den Müllcontainern gut erhaltenen Rosenkohl oder Säcke von Reisverpackungen vor ihrem allzu frühen Ende auf der Müllhalde rettete. Freeganer – so nennen sich die Mitglieder dieser konsumkritischen Protestbewegung. Nachdem sie zunächst von einem Couchsurfer darüber gehört hatte, wurde sie später selbst eine von ihnen. Mittlerweile ist sie Botschafterin von Foodsharing, einer von vielen Organisationen, die sich der Rettung von Lebensmitteln verschrieben haben. »Containern war quasi eine Art »Studium«, das ich durchmachte«, erzählt Talley schmunzelnd. »Nun mache ich etwas anderes.«
Vor knapp zwei Jahren hat sie ein eigenes Projekt ins Leben gerufen, das sie »Back to the Roots – die Schnippelparty« nennt. Seitdem trifft man die 41-jährige Wahl-Wiesbadenerin oft draußen bei diversen Kulturevents, an Tischen, auf denen sich Berge von »gerettetem« Gemüse türmen, während sie den freiwilligen Helferinnen und Helfern zeigt, wie das Gemüse geschnitten wird. Oder über ihrem ungarischen Gulasch-Kochtopf gebeugt und den Inhalt abschmeckend.
Schnippelparty goes Völkerverständigung
Aktuell verfolgt sie eine neue Idee, die sie auf ihren Schnippelpartys umsetzen möchte. Zusammen mit dem Mainzer Kunst und Kulturverein »Peng« hat sie eine Schnippelparty für Flüchtlinge – und vor allem mit ihnen – organisiert. Sie sind seit Kurzem die neuen Nachbarn der Kunst- und Kulturschaffenden und teilen sich die Räume einer leerstehenden Grund
schule. Da es draußen noch recht kalt ist, findet ein Teil der
Schnippelparty in geschlossenen Räumen statt. Im Weißen
Raum, ehemals Klassenzimmer und heute ein provisorisches
Flüchtlings-Café, wurden ein paar Schultische kurzerhand zu
einer Schnippelmeile zusammengestellt. Und die Bierbank
auf der anderen Seite des Raumes ist mit Hilfe zweier großer
Plastikbehältern zur Kartoffelwaschanlage mutiert.
Was auf der Schnippelparty zubereitet wird, bleibt bis zum
Schluss ein Rätsel. Zumindest solange, bis Talley von ihrer
Tour bei den Bauern zurückkommt. Das Gemüse, das dort
holt, haben diese selbst als Spende für ihre Tiere bekommen.
»Doch mittlerweile müssen auch sie vieles davon wieder wegwerfen«, verrät Talley. Heute hat sie Kartoffeln, Möhren, Petersilie sowie Paprika und Salat mitgebracht. Also: Veganer
Gemüseeintopf mit Salat.
Neben Patrick, dem Bruder von Talley und einigen »Peng«-
Mitgliedern haben sich bereits zwei Männer aus dem Flüchtlingsheim im Weißen Raum eingefunden. Patrick zeigt auf
den Sack Kartoffeln, den Talley mitgebracht hat: »Die Kartoffeln werden nur geputzt, nicht geschält«, erklärt er ihnen.
Die Männer lächeln und machen sich an die Arbeit.
Die Idee zu den Schnippelpartys kam der leidenschaftlichen
Gastgeberin vor ein paar Jahren in ihrer heimischen Küche.
Damals war sie noch Couchsurferin und kochte immer mal
wieder für ihre Gäste mit »gerettetem« Gemüse. »Aber als
ich beschlossen habe, mit meinen Koch-Sessions an die Öffentlichkeit zu gehen, da wusste ich, dass ich das mit den
›containerten‹ Lebensmitteln nicht machen kann«, sagt die
Foodsharing-Botschafterin.
Jedes Jahr werde in Deutschland pro Kopf knapp 82 Kilo Lebensmittel weggeworfen, so eine Studie des Instituts für
Wassergüte- und Abfallwirtschaft in Stuttgart. Sehr oft sind
es Lebensmittel, die eigentlich noch in gutem Zustand sind.
Auf der Müllhalde landen sie dennoch – weil die Äpfel ein paar unansehnliche Druckstellen haben, die Bananen nicht mehr makellos gelb sind oder das Mindesthaltbarkeitsdatum von Joghurt, Quark & Co abgelaufen ist. Aber oft kommt das Gemüse oder das Obst auch gar nicht bin in den Laden. Schon bei der Ernte fallen die Kartoffeln durch das Raster, wenn sie nicht ihrer Normgröße entsprechen.
Schnippeln im Akkord
Auch wenn Talley mittlerweile nicht mehr »containern« geht – sich gegen Lebensmittelverschwendung einzusetzen, ist nach wie vor ihr Ziel. Inzwischen füllt sich die Schnippelküche zunehmend mit Menschen. Immer mehr Flüchtlinge
– Männer, Frauen und Kinder – und Leute vom Peng kommen herein, schauen neugierig zu oder greifen sofort zu Schneidebrett und Messer. Nun muss Talley nicht mehr selbst Gemüse schnippeln. Jetzt heißt es: organisieren und deligieren. An einem Tisch fehlt ein Behälter für die geschnittenen Kartoffeln. Am anderen warten Männer und Frauen, die meisten kommen aus Bosnien und Albanien, auf mehr Gemüse, dass es zu zerkleinern gilt. Die Anspannung ist Talley anzusehen. Sie geht von einem Tisch zum nächsten, sucht Behälter, verteilt neues Gemüse. Die roten Haare, vorher noch offen getragen, hat sie mittlerweile zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Beim Salattisch muss sie dann doch noch kurz selbst Hand anlegen. »Das geht auch schneller«, findet sie, nimmt den Salatkopf in die Hand und prompt fliegen die Salatblätter in die Salatschüssel.
Gut eine Stunde ist vergangen. Die Schnippelphase neigt sich dem Ende. Zeit, das Feuer anzumachen. »Wir brauchen endlich mal Musik!« fällt Talley ein. Normalerweise, erzählt sie, spielt immer eine Musikband während ihrer Schnippelpartys.
Aber normalerweise finden ihre Schnippelpartys auch im
Sommer statt, auf diversen Open-Air-Kulturevents – für die sie von den Organisatoren manchmal sogar Geld bekommt. »Das ist mein Taschengeld«, fügt sie lachend hinzu. Heute muss Musik aus der Dose reichen.
Gekocht wird draußen. Dort hat Talley schon eine Kochstelle eingerichtet. Den Feuerofen, sowie das Holz hat sie von zu Hause mitgebracht. Einige der Männer, die vorher in der Schnippelküche ausgeholfen haben, haben sich bereits draußen versammelt. Anfangs schauen sie Talley zu, wie sie die Äste in dem Ofen schichtet. Nachdem das Holz Feuer gefangen hat, setzt sie ihren Vegantopf, wie sie den ungarischen Gulaschtopf scherzhaft nennt, darauf. Öl rein, dann eine Mischung aus Knoblauch und Chilli. Prompt nimmt einer der Männer den Kochlöffel und beginnt, im Topf zu rühren. Eine würzige Knoblauchwolke steigt über den Köpfen der Anwesenden auf. »Das finde ich gut an den Schnippelpartys«, erzählt Talley später: »Jeder kann sofort mitmachen.« Das war auch ein Grund, warum sie mit Flüchtlingen und Einheimischen kochen wollte. Kochen als gemeinsame Sprache.
Albanischer Hiphop
Nun heißt es warten – und tanzen. Einige der jungen Männer haben bereits ein paar größere Lautsprecherboxen für draußen organisiert und Musik angemacht. Albanischer Rap und Hiphop erklingt. Die jungen Männer singen kräftig mit. Talley tanzt, versucht es wenigstens. Später macht sie eigene Musik an, die laut aus den geöffneten Autotüren dröhnt. »So lernt man auch voneinander« schmunzelt sie.
Währenddessen sind ein paar weitere Helfer aus Talleys Freundeskreis eingetroffen und haben begonnen, das Buffet herzurichten. Sie holen Kisten mit Geschirr, Besteck sowie eine Tasche mit Brötchen aus ihrem Auto. Auch eine kleine Tasche mit Joghurt und Schmand ist auch dabei.
»Nicht nur Gemüse wird weggeschmissen«, weiß sie zu berichten.
Es ist dunkel geworden. Ein paar Männer sitzen draußen neben der Kochstelle, sie haben eine Schulbank etwas näher heran gerückt, um sich am Feuer zu wärmen. Leise tippt ein junger Mann in sein Smartphone. Andere hören Musik. Die Schnippelküche ist mittlerweile einem Esszimmer gewichen. Talley und ihre Helfer sind eifrig dabei, Brot zu schneiden. Aus saurer Sahne und einigen Gewürzen, die Talley mitgebracht hat, wird eine Art Brotaufstrich kreiert. Das Buffet ist eröffnet. Von den Flüchtlingen, die vorhin eifrig mitgeschnippelt haben, ist zunächst kaum einer da. Nur ein paar Gäste vom »Peng« machen es sich mit einem Teller Salat sowie Eintopf am Essenstisch gemütlich. Doch nach und nach kommen die Flüchtlinge dazu.
Eine junge Frau aus Afghanistan fragt mich später in gebrochenem Englisch, worum es bei der Aktion geht. Ich versuche, es ihr zu erklären, erzähle von Lebensmittelverschwendung in Deutschland und dass Talley durch diese Schnippelpartys darauf aufmerksam machen und Bewusstsein schärfen will, um das zu ändern. Die junge Frau lächelt mich an, und ich frage mich, ob sie das versteht. //
Weitere Infos www.facebook.com/Schnippelparty/info?tab=page_info
Gesellschaft | WIR - Menschen im Wandel, 01.04.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2015 - Nachhaltige Mode erschienen.
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