Die Finanzvisionärin
Ein Nachruf von forum Autor Christoph Quarch
Sie hatte keine Angst. Auch nicht vor ihrer letzten Reise.
Selbst als der Krebs schon in ihr wuchs und der nahe Tod eine
Gewissheit war, sprach sie ihren Liebsten und Nächsten noch Zuversicht zu. So sicher war sie, dass ihre Seele auch dann noch fortleben werde, wenn die Asche ihres Körpers in der Familiengruft in Kassel beigesetzt sein würde. Davon sprach ihr Mann Declan an jenem Tag der Beisetzung zur Trauergemeinde – und davon sprachen die gut 200 Gäste, die sich an diesem Tag zusammengefunden hatten, um sich von einer Frau zu verabschieden, die sie inspiriert, motiviert, fasziniert und ermutigt hatte – oder die sie einfach nur geliebt hatten.
Und wer hätte Margrit Kennedy nicht geliebt? Gewiss hatte sie Ecken und Kanten; gewiss konnte sie austeilen, wenn es darum ging, für eine bessere Welt zu streiten. Doch wo immer sie das tat – und wann tat sie es nicht? – war ihr Geist durch- drungen und erfüllt von einer unbändigen Liebe zum Leben, von einer liebenswerten Leidenschaft für den Menschen:
»Ich habe einen unbändigen Freiheitswillen – für mich und für andere«, hatte sie mir bei dem langen Interview gesagt, das ich mit ihr im Frühjahr 2011 führen durfte. Und: »Die Welt, die ich mir wünsche, ist eine, in der jeder Mensch sein Poten- zial entfalten kann.«
Sie selbst hat das getan – wenn man ihr auch einige Jahre mehr gewünscht hätte, um das begonnene Werk weiter vor- anzubringen. Dabei hat sie einige Jahre gebraucht, bis sie ihr Lebensthema fand: die notwendige Transformation der Geld- wirtschaft. Sie verdankte diese Entdeckung einer Begegnung mit dem Wirtschaftsanalytiker Helmuth Creutz, der ihr die Augen dafür öffnete, was in unserer Welt eigentlich schief- läuft – und wo den Hebel ansetzen muss, wer wie sie für eine gerechtere und lebendigere Welt zu kämpfen gewillt ist.
»Ich begriff«, erzählte mir Margrit damals, »dass die Idee des exponentiellen Wachstums, die dem ganzen zinsbasierten Geldsystem zugrunde liegt, gegen ein fundamentales Gesetz des Lebens verstößt: nämlich dass nichts in der Natur ungebremst, exponentiell wächst – nichts, (und man höre die Tragik, die aus diesen Worten spricht) außer Krebszellen …; und ich begriff zugleich, dass dieses System dringend geändert werden muss: dass es in der Finanzwirtschaft eine andere Umlaufsicherung geben muss als den Zins.«
Mit dieser Einsicht war zugleich die Frage geboren, der Margrit Kennedy in den ihr verbleibenden Lebensjahren nachgehen sollte: Wie könnte eine Geldwirtschaft aussehen, die sich von der fatalen Dynamik des Zins- und Zinseszins-Systems freimachen könnte. Sie studierte alternative Banksysteme und entwickelte mit dem belgischen Finanzexperten Bernard Lietaer Modelle für komplementäre Regionalwährungen. Ihre Forschungsergebnisse trug sie zusammen in ihrem 1991 erschienenen ersten Buch »Geld ohne Zinsen und Inflation
– ein Tauschmittel, das jedem dient«. Nach der Veröffentli- chung begann eine enge Zusammenarbeit mit vielen Gruppen auf internationaler und nationaler Ebene. 2003 gründete sie den gemeinnützigen Verein MonNetA mit dem Ziel, zu erfor- schen und darüber zu informieren, inwieweit komplementäre Zahlungsmittel zur Lösung von sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Problemen beitragen können.
Unter dem Einfluss des großen Börsencrashs 2008 und der weltweit aufbegehrenden Occupy-Bewegung schrieb Margrit Kennedy in Windeseile ihr letztes Werk – ein schmales Büchlein mit dem Titel »Occupy Money« (J. Kamphausen Verlag 2011). In ihm erklärt sie auf beeindruckend kompakte und verständliche Weise ihre Kerngedanken und die ihr einleuchtenden Lösungsvorschläge für ein neues Paradigma der Geldwirtschaft. Wer dieses Büchlein liest, wird nicht länger mitansehen wollen, wie ein marodes Geldsystem unsere Zivilisation weiterhin vor sich hertreibt, sondern dafür eintreten, dass Margrit Kennedys Lebenswerk mit ihrem Tod nicht zum Erliegen kommt. Denn wie schon Albert Einstein in einem von ihr am Ende von »Occupy Money« zitierten Wort sagt: »Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.«
Diesem Wahnsinn ist Margrit Kennedy nicht erlegen. Dafür
verdient sie unseren Dank. //
Gesellschaft | WIR - Menschen im Wandel, 01.04.2014
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2014 - Voll transparent, voll engagiert erschienen.
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