Der Begeisterer
Was den Menschen heute am meisten fehlt, sind Visionen – etwas, das sie begeistert und ihnen Sinn gibt.
Wir: Herr Quarch, Sie haben Philosophie und Religionswissenschaften studiert, arbeiten als freier Philosoph. Aber Sie sind
auch als Journalist und Publizist tätig und haben vor ein paar Jahren mit Kollegen das Magazin »Wir – Menschen im Wandel« gegründet. Was treibt einen Philosophen zu so einem Projekt?
Christoph Quarch: Ich habe einige Jahre als Redakteur und später Chefredakteur in der kirchennahen Presse gearbeitet. Dabei ist mir wiederholt aufgestoßen, dass der Journalismus in Deutschland von einem ideologischen und moralischen Geist geprägt ist, der seine Freude daran hat, Dinge und Menschen in die Kritik zu nehmen. Mir gefiel das nicht. Mich bewegte die Idee, ein Blatt zu machen, das anders ist: das Menschen ermutigt, das sie begeistert und beflügelt, das ihnen Lust auf die Zukunft macht; ein Blatt, das von Projekten und Menschen berichtet, die Vorbildcharakter haben.
Wir: Was verbirgt sich hinter der Überschrift »Wir – Menschen im Wandel«?
Quarch: Das Wir-Magazin ist eine Plattform, ein Sammelbecken für Menschen mit Visionen: Menschen, die etwas in dieser Welt bewegen wollen und auch schon bewegt haben, die aber oft gar nichts voneinander wissen. Mein Eindruck war immer, dass unsere Gesellschaft einer Gebirgslandschaft ähnelt, in der hoch oben viele kreative Quellen sprudeln. Die
nebeneinander herfließen, ohne sich zu einem großen Strom
– zum Mainstream – zu vereinen. Die Idee hinter Wir ist, solche kreativen Impulse aufzugreifen und zusammenzuführen.
Wir: Warum brauchen wir solche Visionäre?
Quarch: Weil die Welt, in der wir leben an einigen Pathologien leidet. Der vorherrschende globale Ökonomismus ist nach meinem Dafürhalten in eine Richtung entwickelt worden, die sich gegen die Lebendigkeit kehrt, so dass er die Menschen um ihr Leben betrügt, ja sogar das Leben auf dem Planeten gefährdet. Wir haben nach wie vor ein unglaubliches soziales Ungleichgewicht auf Erden, wir haben ökologische Krisen, die ihresgleichen suchen. Gleichzeitig sehe ich, dass der gegenwärtigen Politik und Wirtschaft nicht allein die Mittel, sondern vor allem die geistigen Voraussetzungen fehlen, um diesen Krisen auch nur angemessen begegnen zu können.
Wir: Worin sehen Sie den Ausweg für die gegenwärtige Situation?
Quarch: Es gibt keine leichten Auswege. Alles, was an Lösungsvorschlägen von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft entwickelt wird, ist von eben dem Denken und der Logik infiziert, die unsere Probleme hervorgerufen haben. Eine Trans- formation ist notwendig. Nicht nur eine Transformation des wirtschaftlichen und politischen Systems. Was wir brauchen, ist nicht mehr und nicht weniger als eine Revolution in den Köpfen, vor allem aber in den Herzen der Menschen.
Wir: Das Wir-Magazin startet dieses Jahr die Kooperation mit
»forum Nachhaltig Wirtschaften«, auf dem Markt existiert es aber schon drei Jahre. Welche Erwartungen verknüpfen Sie mit dieser Zusammenarbeit?
Quarch: Ich meine, dass Wir gerade für Menschen in Verantwortung eine Inspirationsquelle sein kann; und dass wir mit den von uns gestalteten Seiten einen Ton in das »forum« ein- bringen, der dort noch fehlt. Denn unsere Idee ist ja, Texte zu schreiben, die nicht nur Informationen vermitteln, sondern die Menschen berühren und sie in ihrer Begeisterungsfähigkeit ansprechen – die alten Griechen nannten dies den
»Eros«. Mir geht es um einen »Journalismus des Herzens« oder einen »beseelten Journalismus«. Deshalb erzähle ich gerne von Menschen, die mit Leidenschaft ihre Projekte verfolgen. Und ich versuche, etwas von dieser Leidenschaft und Begeisterung an unsere Leser zu vermitteln. Ich glaube, das ist etwas, das in der ganzen Businesswelt fehlt.
Wir: Warum ist dieser Mangel an Leidenschaft ein Problem?
Quarch: Ich sehe, dass immer mehr Menschen in unserem Land unter ihrer Arbeit leiden. Burnout, Depressionen, psychische Erkrankungen nehmen in der Arbeitswelt rasant zu. Aus Gesprächen mit Medizinern höre ich immer wieder, dass das, was diese Menschen krank macht, der Mangel an Sinn ist. Die Menschen wissen nicht mehr, warum sie sich eigentlich abrackern. Die Energiequelle »Sinn« ist ihnen verschlos- sen. Sie können sich nicht mehr für eine Idee oder eine Vision begeistern. Ihnen fehlt das Feuer, denn wenn man sich nur noch routinemäßig abarbeitet, ohne zu wissen, was einen dazu bewegt, ist man sehr schnell ausgebrannt.
Wir: Wie kommt es, dass vielen Menschen der Sinn ihrer Arbeit nicht mehr erkennbar ist?
Quarch: Ich glaube, es liegt daran, dass sie in einer seelenlosen Welt arbeiten müssen. Die Businesswelt verführt dazu, sich nur an der Oberfläche zu bewegen. Es ist eine Welt der Informationen und Zahlen, in der Effizienz und Geschwindigkeit als Qualitäten geschätzt werden. Was Unternehmen nach meinem Dafürhalten heute am meisten fehlt, ist Tiefe. Ihnen fehlt eine Ausrichtung an Sinn, an Werten. Als Folge davon beobachte ich zunehmend Prozesse der Desidentifikation: Menschen können sich mit ihrer Arbeit nicht mehr identifizieren. Sie haben innerlich gekündigt, machen den Job nur noch, um Geld zu verdienen, bleiben dabei in der Tiefe ihrer Seele aber unbefriedigt.
Wir: Und was kann ein Philosoph in der Wirtschaft bewirken?
Quarch: Unternehmen können Philosophen gut gebrauchen, weil sie dabei helfen können, eine fruchtbare »Unternehmenskultur« zu entwickeln. Genau das aber scheint mir bei vielen Unternehmen dringend geboten zu sein. Das Problem liegt freilich darin, dass man eine solche sinn- und wertorientierte Unternehmenskultur nicht einfach »machen« kann. Auch wenn andere es behaupten: Es ist nicht möglich, durch Schulung oder Consulting den Menschen Werte anzuerziehen. Um mit der Dimension von Sinn und Wert in Beziehung zu treten, müssen Menschen in ihrer Seele, in ihrem Herzen berührt werden. Unternehmen zu beseelen und zu einem beherzten Handeln zu inspirieren, das ist es, was mir als Philosoph am Herzen liegt. Und das umso mehr, als dieses für uns alle so lebenswichtige Bedürfnis nach Sinn auch außerhalb der Arbeit keine Befriedigung mehr findet.
Wir: … weil Religion nicht mehr diese Sinnstiftung gibt, wie es früher mal der Fall war?
Quarch: Genau. Wir leben in einer säkularen Gesellschaft und auch die Medien tragen wenig dazu bei, Sinn zu vermitteln. Wir haben eine Unterhaltungs- und Zerstreuungsindustrie, die Menschen nicht inspiriert, sondern gerade davon abbringt, sich über die Fragen ihres Lebens Gedanken zu machen. Da sehe ich ein riesiges Problem. Denn so wird die urmenschliche Sehnsucht nach Sinn immer mehr auf die Arbeit verlagert. Doch in unserer Arbeitswelt gibt es nur wenige Berufe, die es noch ermöglichen, so etwas wie Sinnerfahrung zu machen. Eben deshalb braucht es in Unternehmen eine gesunde und inspirierende Unternehmenskultur, die es den Beschäftigten ermöglicht, sich mit ihrer Arbeit oder ihrer Firma zu identi?zieren – über deren Werte, über deren Klima, über deren Sinnorientierung.
Wir: Ist eine gesunde Unternehmenskultur einfach nur schön oder bringt sie auch ökonomischen Profit?
Quarch: Ich bin davon überzeugt, dass es ohne eine wert- und sinnorientierte Unternehmenskultur künftig nicht mehr gehen wird. Schauen Sie: Hochquali?zierte Arbeitskräfte sind rar gesät. Und schon heute lassen sie sich oft nicht mehr allein durch monetäre Anreize an ein Unternehmen binden. Kompetente und kreative Leute wollen mehr: Sie wollen sich mit ihrer Arbeit identi?zieren können. Sie wollen ihre Arbeit als sinnvoll erleben. Das erfordert ein günstiges Klima, und dieses Klima immer neu zu erzeugen – das ist die Aufgabe einer guten Unternehmenskultur. Es ist noch gar nicht so lange her, da gab es so etwas noch. Ein Beispiel: Mein Vater war im mittleren Management bei der Firma Henkel, damals der größte Arbeitgeber im Düsseldorfer Süden. Hätten Sie in der 80er Jahren einen der Beschäftigten gefragt: »Wer sind Sie?«, hätten Sie todsicher die Antwort bekommen: »Ich bin ein Henkelaner.« Vom Manager bis zum Arbeiter: Alle haben sich total mit ihrer Firma identi?ziert! Kein Wunder, denn die Firma hat ihrer Belegschaft damals eine komplette Welt zur Verfügung gestellt: Schwimmbad, Sporthalle, Bibliothek, Kulturprogramm, monatliches Waschmittelpaket. Die Firma war mehr als ein Arbeitgeber. Sie war ein Zuhause.
Wir: Warum hat sich die Unternehmenskultur in Deutschland verändert?
Quarch: In den 1990ern kamen die amerikanischen Managementmethoden hier auf. An allem, was nicht unmittelbar Profit abwirft, wurde gespart. Heute findet man in Düsseldorf kaum noch jemanden, der sich als Henkelaner bezeichnet. Da ist kein Feuer, da ist keine Zugehörigkeit mehr in den Leuten. Man macht da seinen Job. Vielleicht kann man mit so einer Belegschaft über zehn oder zwanzig Jahre höhere Renditen erwirtschaften, aber man höhlt gleichzeitig das Unter- nehmen von innen aus, wenn man nichts dafür tut, dass die Beschäftigten ihre Arbeit als sinnvoll erleben. Deshalb bin ich zutiefst davon überzeugt: Wer Zukunft gewinnen möchte, muss hier und heute sein Augenmerk auf die Unternehmenskultur richten.
Wir: Wird es möglich sein, in der modernen Business-Welt das Bewusstsein für eine beherzte Unternehmenskultur wecken?
Quarch: Das Problem liegt darin, dass in dem herrschenden ökonomischen System das Gute nicht auf die Weise belohnt wird, wie es eigentlich belohnt zu werden verdient – und zwar deshalb, weil das Gute und Wahre, das Menschliche und Lebendige in anderen Zyklen funktioniert, als diese unglaublich schnell getaktete, an kurzfristigem Profit orientierte Wirtschaft. Ich meine, es wird darauf ankommen, Inseln des Wahren und Lebendigen zu schaffen, die zeigen, dass es auch in dieser »irrsinnigen« Business-Welt möglich ist, nach herkömmlichen Maßstäben erfolgreich zu Wirtschaften und dabei zugleich der Menschlichkeit und Lebendigkeit dienlich zu sein.
Wir: Wäre das dann – aus philosophischer Sicht – das Kriterium für erfolgreiches Wirtschaften?
Quarch: Der Erfolg des Wirtschaftens bemisst sich an der Wertschöpfung. Allerdings an einer Wertschöpfung, die weit mehr ist als eine reine materielle oder gar monetäre Wertschöpfung. Erfolgreich ist ein Unternehmen, wenn es einen kulturellen Zugewinn erwirtschaftet. Jedes Unternehmen, jeder wirtschaftende Mensch nimmt etwas aus der Welt. Er verbraucht etwas – und es ist seine verdammte Pflicht, dieser Welt dann etwas zurückzugeben und so einen Mehrwert zu erzeugen – einen Mehrwert an Lebendigkeit, an Lebensqualität, und ich würde sogar hinzufügen: an Schönheit. Das ist es, was einem Unternehmen wirkliche Wertigkeit verleiht und für mich das entscheidende Kriterium für wirtschaftlichen Erfolg sein sollte. Dafür Bewusstsein zu wecken: Das ist es, was mich als Philosophen umtreibt. //
Christoph Quarch
ist Philosoph aus Leidenschaft. Als Autor, Publizist und Berater greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen. Unternehmen unterstützt und begleitet er bei der Entwicklung wertorientierter und sinnstiftender Unternehmenskulturen. Vor drei Jahren gründete er mit zwei Kollegen das Magazin »Wir – Menschen im Wandel«. www.christophquarch.de
Julia Herz-el Hanbli studierte Ethnologie, Kulturanthropologie und Indologie in Mainz. Das Interesse an indigenen Weltanschauungen und Gesundheitssystemen hat sie auch nach dem Studium beibehalten. Sie lebt und arbeitet als Journalistin, Autorin und Bloggerin in Mainz.
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Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2014 - Voll transparent, voll engagiert erschienen.
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