Schluss mit Ab-in-die-Tonne
In immer mehr Städten öffnen Näh- oder Repair-Cafés ihre Tore
Plötzlich ist der Toaster kaputt, das Bügeleisen wird nicht
warm, der Fernsehbildschirm flimmert. Passiert so etwas,
dann landen solche Gegenstände gemeinhin in der Tonne. Manche Zeitgenossen warten bis zum Sperrmüll oder machen sich – bestenfalls – auf dem Weg zum Wertstoffhof; und von dort gleich weiter zum nächsten Elektronik-Markt, wo all die schönen Geräte auf ihre neuen Besitzer warteten. Reparieren? Lohnt sich nicht. Reparaturkosten und Anschaffungskosten halten sich beinahe die Waage. Abgesehen davon: Das handwerkliche Know-How gehört schon lange nicht mehr zum gepflegten Alltagswissen. Oder wer weiß denn heutzutage noch, was die Dinge, die uns umgeben »im Innersten zusammenhält«?
So ist es kein Wunder, dass bis vor Kurzem die Maxime galt Neukaufen statt Reparieren«. Sehr zur Freude der Hersteller. Denn um die Nachfrage zu stillen, müssen sie mehr produzieren. Fehlendes Know-How und der Unwille, mögliche Reparaturkosten zu tragen, kommen ihnen zugute - und füllen die Regale
mit immer mehr neuen Toastern, Bügeleisen und Fernsehern.
Die Wiederverwerter kommen
Ungefähr 500 Kilogramm Abfall produziert jeder Einwohner in Deutschland in einem Jahr. Oft sind dabei lauter Dinge, die eigentlich noch funktionieren. Neuerdings aber nimmt die Zahl der Menschen rapide zu, die dem Wegwerfwahnsinn nicht länger tatenlos zuschauen wollen. In sogenannten Repair-Cafes basteln, tüfteln und flicken sie gemeinsam an einem längeren Leben unserer Konsumobjekte.
Ein Zeichen gegen die Verschwendung setzen wollte auch Gisela Apitzsch - und holte das in den Niederlanden entstandene Konzept der Repair-Cafés nach Mainz. Die Idee dahinter ist einfach: Jeden Monat treffen sich Tüftler und Bastler, und helfen anderen, ihre kaputten Geräte zu reparieren. Dabei sind nicht nur Hobbybastler am Werk: »Wir haben großen Wert darauf gelegt, dass wir auch Experten haben«, betont Apitz, die hauptberuflich als Referentin beim evangelischen Dekanat in Mainz arbeitet.
So fnden sich unter den vielen - bei manchen Treffen um die hundert – Teilnehmern professionelle Elektriker, Mechaniker und Computerspezialisten, die ihr Know-How zur Verfügung stellen - und dafür selbst mal bei einem anderen Profi über die Schulter schauen und sich Tipps einholen. »Eben das hat mir an der Idee gefallen, dass viele unterschiedliche Menschen hier zusammenkommen – und ein Zeichen gegen die Verschwendung im ausgehenden Erdölzeitalter setzen«, fasst die Projektleiterin zusammen.
Update für Drahtesel
Während im Repair-Café kleine Haushalts- oder Elektrogeräte auf Vordermann gebracht werden, haben sich die Jungs von Bike-Kitchen auf das Flicken von Fahrrädern spezialisiert. »Ich habe schon als Jugendlicher gerne an Fahrrädern herumgebastelt« erzählt Sebastian Nejman, einer der Gründer. Und als er dann auf Daniel Panytsch und Matthias Diefenbach traf, war die Idee einer offenen Mitmachwerkstatt geboren. Einmal die Woche öffnen sie die Tore für all jene, die ihre reparaturbedürftigen Drahtesel auf Vordermann bringen möchten. Dann legen sie die Werkzeuge auf einem Tisch im Vorhof ihrer Werkstatt aus, eine Reihe alter Fahrräder dient derweil als Ersatzteillager.
Wer nicht weiter weiß, oder noch nie selbst an seinem Fahrrad Hand angelegt hat, dem helfen die Jungs – aber auch andere mit ihrem Know-How. »Genau deshalb finde ich das Projekt genial«, erzählt Nejman, »man kann hier viel lernen.« Ihm selbst hat die Arbeit im Bike-Kitchen eine Anstellung in einem lokalen Reparaturladen gebracht.
Konkurrenz zu Profis?
Nicht die Spur
Aber wer glaubt, er könne nun seinen teuren Kaffeeautomaten oder eine Waschmaschine kostenlos reparieren, der wird enttäuscht sein. »Wir legen großen Wert darauf, dem Fachhandel keine Konkurrenz zu machen,« erläutert Apitzsch,
»wenn man eine 800 Euro teure Kaffeemaschine kauft, dann wird man sie sicherlich nicht sofort wegschmeißen, wenn sie kaputt geht. Wir reparieren nur die Dinge, die sonst auf dem Müll landen würden.«
Auch beim Bike-Kitchen ist von Konkurrenzdenken gegenüber professionellen Fahrradläden keine Spur. »Wir arbeiten ja alle hier ehrenamtlich«, betont Nejman. »Und wir können auch nicht alles reparieren. Wenn wir nicht weiter wissen, dann verweisen wir auf die Fahrradläden in der Stadt.« Ohnehin arbeiten zwei der drei Gründer nebenbei in Fahrradläden der Stadt. Die DIY-Werkstatt hingegen ist eine Herzensangelegenheit: »Fahrräder reparieren ist einfach ökologischer«, erzählt Nejmar und verrät, was ihn noch am Bike-Kitchen reizt. »Oft veranstalten wir nebenher kleine Events auf dem Platz, sei es gemeinsames Kochen, oder ein Kinderprogramm mit Jongleuren und Clowns. Es ist einfach ein schönes Beisammensein.«
Lust am Selbermachen
Man spürt, dass diese Menschen eine andere Motivation haben. Wegwerfen, weil ich es mir eh’ leisten kann, war mal. Heute machen sich immer mehr Menschen Gedanken über Produkte, die sie umgeben. Sie fragen sich, ob die wirklich schon reif für die Mülltonne sind. Und sie entdecken wieder die Lust am Selbermachen, wie der Do-It-Yourself-Boom der letzten Jahre zeigt.
Und die Do-It-Yourself-Mentalität hat noch mehr Bereiche erobert. So fndet man neben Repair-Cafes beim Flanieren durch die Stadt zunehmend Cafés, in denen Menschen nähen. Das Kleid kommt längst nicht mehr immer von der Kleiderstange, sondern manchmal aus eigener Herstellung.
Und auch hier steht das Thema Nachhaltigkeit hoch im Kurs.
Raini Claire Freitag, Inhaberin des Ragechild Nähcafes in der Mainzer Innenstadt, berät fast täglich ihre Kundinnen, die zu ihr mit ausrangierten Jeans, Hemden oder Handtüchern vorbeikommen. Dann werden daraus kurzerhand Taschen, Kissenbezüge oder Babykleidung geschneidert, erzählt die gelernte Meisterdesignerin für Theater. Vor kurzem hat sie gemeinsam mit NAJU eine Veranstaltung in ihren Räumen durchgeführt. Unter dem Motto »Upcycle Your Stuff« wurde einen Abend lang nicht nur geschneidert und genäht, sondern auch gelötet, gebastelt, »wiederbelebt«. »Wir haben mit alten Stoffresten Stühle gepolstert« erzählt Raini Freitag, selbst eine leidenschaftliche Upcyclerin. »Es ist wichtig, dass man alte Stoffe wiederverwendet. Denn unsere Ressourcen sind nicht unendlich.«
70-Tonnen-Computer
Wir sind eine Wegwerfgesellschaft, aber wie sind wir es geworden? Eine mögliche Erklärung dafür hat Friedrich Schmid-Bleek, Autor des erst kürzlich erschienenen Buches
»Grüne Lügen. Nichts für die Umwelt, alles fürs Geschäft - wie Politik und Wirtschaft die Welt zugrunde richten«. Es ist nicht von der Hand zu weisen, schreibt er: Unsere Wirtschaftsform zerstört die Umwelt. Das Problem bestehe darin, dass wir wirtschaftlichen Erfolg noch immer an einer wachsenden Zahl produzierter Güter messen. Und erhöhte Güterproduktion ist, das ist logisch, an einen wachsenden Materialverbrauch gekoppelt.
Wie viele Rohstoffe wir in Wirklichkeit verbrauchen, zeigt er mit einer Geschichte über das Mädchen Mirja, die morgens aufwacht, sich in ihre 35 Kilogramm schwere Jeans zwängt, ihren 70 Tonnen schweren Computer anmacht und mit einem 70-Kilo-Handy telefoniert. Die Message der von Eija Koski vom finnischen Bund für Naturschutz in Helsinki erfundenen Geschichte ist: »Für jedes Produkt, das wir verwenden, wird bei der Herstellung eine bestimmte Menge an Natur verbraucht.« Meist sind es eben Rohstoffe, die langsam nachwachsen. Oder gar nicht.
Schon jetzt spüren
wir mancherorts die verheerenden Konsequenzen: Wüstenbildung, Artensterben, Ozonloch. Der größte Verlierer, so scheint es, ist die Natur mit ihren endlichen Ressourcen, wobei man allzuoft vergisst, dass es eigentlich wir Menschen sind, die sich ihr eigenes Grab schaufeln. Denn die Natur wird sich regenerieren, es ist der Mensch, der sich selbst mit der Verschmutzung seiner Umwelt eine humanfreundliche Lebensgrundlage entzieht.
Zeit für die Ressourcenwende
Eine Ressourcenwende muss her, so Schmid-Bleek und plädiert dafür, wirtschaftliches Wachstum vom materiellen abzukoppeln und stattdessen den Dienstleistungssektor zu stärken. Dennoch bleiben die Forderungen nach einem
»sparsamen, verantwortlicheren Umgang mit Ressourcen«, die mehrfach auf der Bundes- und EU-Ebene verlesen wurden, leider nur Absichtsbekundungen. Viel schlimmer noch: Es scheint, dass selbst die Umweltkämpfer resigniert haben. Bei der Weltklimakonferenz in Warschau etwa verließen NGOs, die 2013 zum ersten Mal überhaupt anwesend waren, »geschlossen und unter Protest« den Saal. Der Grund war wohl die bittere Erkenntnis, dass Umweltprobleme noch immer weit hinter wirtschaftlichen Interessen stehen und jegliche »umweltfreundliche« Bestrebungen schlichtweg als
»Wachstumshindernisse« empfunden werden.
Reparieren ist Ehrensache!
Umso erfreulicher ist, dass auf Bürgerebene Menschen zueinander fnden und mit ihren nachhaltigen Initiativen und durch ihr aktives Engagement auf den Ressourcenverschleiß aufmerksam machen. Dass es vielen eine Herzensangelegenheit ist, merkt man unter anderem daran, dass alle Mitwirkenden ehrenamtlich arbeiten. Die Repair-Cafés werden ausschließlich über Spenden fnanziert - seien es alte Fahrräder, die als Ersatzteillager in der Bike-Kitchen-Werk- statt auf ihren Einsatz warten, oder mit kleinen Geldbeträgen für den obligatorischen Kaffee- und Kuchen-Stand im Repair-Café. Alles andere – Werkzeug, Fachwissen – wird geteilt. Der einzige Wermutstropfen: Oft haben diese Initiativen Schwierigkeiten, entsprechende Räume zu fnden und wünschen sich in dieser Hinsicht eine stärkere Unterstützung seitens der Kommunen.
Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen
Das erste Repair-Café öffnete im Jahr 2009 in Amsterdam. Mittlerweile zählt die Organisation Hunderte Ableger. Von Brasilien über Kanada bis nach Liechtenstein treffen sich Menschen und basteln, hämmern, schneidern für eine bessere, enkelfreundliche Welt. Es ist wohl eben auch diese soziale Komponente, die den Erfolg der Repair-Cafés ausmacht.
»Wir wollen auf der einen Seite Menschen zum Umdenken im Hinblick auf die Konsumgewohnheiten bewegen«, sagt die Projektleiterin des Repair-Cafés Mainz, »was ich aber auch besonders an dieser Idee schätze, ist – es stärkt das soziale Miteinander. Insbesondere bei alten Menschen beobachte ich oft, wie sie regelrecht aufblühen, wenn sie plötzlich merken, oh, ich kann ja was und ich kann mein Wissen weiter geben – und es wird angenommen.«
Aber auch für andere Gesellschaftsgruppen, wie etwa den von der Armut Betroffenen oder Flüchtlingen, will Gisela Apitzsch mit Repair-Cafés einen Ort schaffen, an dem sie zusammenkommen können. Eigene Stärken (neu) entdecken und mit anderen teilen, sich gemeinsam für eine gute Sache einsetzen: Das ist der Erfolg dieser neuen »Wegwerfen war Gestern«-Initiativen. //
Gesellschaft | WIR - Menschen im Wandel, 01.12.2014
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2014 - Green Tech als Retter der Erde erschienen.
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